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Mehr InfosMasterarbeit, 2013, 74 Seiten
Masterarbeit
1,7
I Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Motivation und Zielsetzung der Arbeit
1.2 Aufbau und Methodik der Arbeit
2 Grundlagen zur Finanztransaktionssteuer
2.1 Definition der Finanztransaktionssteuer
2.2 Doppelfunktion einer Finanztransaktionssteuer
2.3 Einfluss einer Finanztransaktionssteuer auf Absicherungs- und Spekulationsgeschäfte
2.4 Argumente für und gegen eine Finanztransaktionssteuer
2.4.1 Die Finanztransaktionssteuern in der Praxis
2.4.2 Die Finanztransaktionssteuer als Steuereinnahmequelle
2.4.3 Die Finanztransaktionssteuer als Pigou-Steuer
2.4.4 Die Finanztransaktionssteuer zur Verringerung von Volatilitäten
2.4.5 Anwendungsbereich einer Finanztransaktionssteuer
3 Vorstellung der Konzepte
3.1 Vorschlag der Europäischen Kommission und Änderungsvorschlag des Europäischen Parlaments
3.1.1 Kontext der Vorschläge
3.1.2 Folgenabschätzung einer Finanztransaktionssteuer
3.1.3 Rechtliche Elemente der Konzepte
3.2 Die „kleine“ Lösung
4 Erläuterung und kritische Würdigung der Vorschläge
4.1 Gegenstand, Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
4.1.1 Vorschlag der Europäischen Kommission
4.1.2 Änderungsvorschlag des Europäischen Parlaments
4.1.3 Kritische Würdigung der Ausgestaltungsvorschläge
4.2 Steueranspruch, Bemessungsgrundlage und Steuersätze
4.2.1 Vorschlag der Europäischen Kommission
4.2.2 Änderungsvorschlag des Europäischen Parlaments
4.2.3 Kritische Würdigung der Ausgestaltungsvorschläge
4.3 Entrichtung der Finanztransaktionssteuer
4.4 Auswirkungen auf nationale Gesetze und den EU-Haushalt
4.5 Schlussbestimmungen
4.6 Zusammenfassung der geäußerten Kritik
5 Handlungsempfehlungen und Diskussion
6 Zusammenfassung und Ausblick
7 Summary
II Literaturverzeichnis
III Rechtsquellenverzeichnis
IV Tabellenverzeichnis
V Versicherung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Vor dem Hintergrund der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007 bis 2009 und der sich daran anschließenden europäischen Schuldenkrise ist die Debatte über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTS) wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Insbesondere in der Europäischen Union gilt die Einführung inzwischen als nicht mehr undenkbar.[1]
Der Finanz- und Wirtschaftskrise vorausgegangen war das Platzen einer Immobilienblase in den USA. Der Beginn dieser Immobilienkrise wird häufig auf den 7. August 2007 datiert, an dem die französische Bank BNP Paribas die Rückzahlung von Anteilen ihrer Geldmarktfonds verweigerte. Im weiteren Verlauf kam es u.a. zum Zusammenbruch der Investmentbank Bear Stearns im März 2008. Schließlich weitete sich die amerikanische Immobilienkrise zu einer weltweiten Finanzkrise aus, deren Beginn mit der Insolvenz von Lehman Brothers, der viertgrößten Investmentbank der Welt, sowie mit dem Kollaps des Versicherungskonzerns AIG im September 2008 eingeläutet wurde. Es folgten massive Einlagenabzüge, die das Bankensystem weltweit unter Druck setzten.[2]
Um der Finanzkrise zu begegnen, wurde zunächst eine Vielzahl an Anstrengungen unternommen: Die Notenbanken senkten ihre Leitzinsen deutlich und griffen schließlich sogar zu sogenannten unkonventionellen geldpolitischen Mitteln, die in einer großzügigen Bereitstellung von Liquidität und dem Aufkauf von Wertpapieren zum Ausdruck kamen; dies hatte einem signifikanten Anstieg der Geldmenge zur Folge. Darüber hinaus wurden von den Regierungen umfangreiche Konjunkturprogramme aufgelegt, um als Stimulus für die Wirtschaft zu fungieren, der es zunehmend schwer fiel, sich am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Letztendlich führten diese Maßnahmen zu einem enormen Anstieg der Staatsverschuldung.[3]
Da der Finanzsektor als ein wesentlicher Faktor angesehen wird, der entscheidend zur Entstehung der Krise beitrug, entstand der Wunsch, die Finanzbranche an den Kosten der Krise zu beteiligen. Als mögliches Mittel zur Erreichung dieses und weiterer Ziele wurde das Instrument der Finanztransaktionssteuer neu diskutiert[4], welches auf die in den 70er Jahren entworfene Tobin-Steuer zurück geht[5]. Die Idee einer FTS floss schließlich in einen Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des Rates über ein europäisches Finanztransaktionssteuersystem ein, der Ende September 2011 veröffentlicht wurde[6].
Mit der Einführung einer solchen europäischen FTS werden im Wesentlichen drei Ziele verfolgt: Erstens die Sicherstellung eines Beitrages des Finanzsektors zu den öffentlichen Haushalten, zweitens die Eindämmung von unerwünschtem Marktverhalten und damit eine Stabilisierung der Märkte sowie drittens die Vermeidung von Steuerarbitrage, Verzerrungen und Doppel- bzw. Nichtbesteuerung innerhalb des europäischen Binnenmarktes[7].
Hierauf aufbauend ist das Ziel dieser Arbeit, die Konzeption der europäischen Finanztransaktionssteuer inklusive der vom Europäischen Parlament vorgeschlagenen Änderungen und Ergänzungen auf ihre Wirksamkeit hin bezüglich der anvisierten Ziele sowie mögliche Nebenwirkungen zu überprüfen und Handlungsempfehlungen für die Politik zu geben.
Aus dem Vorschlag der Europäischen Kommission ergibt sich einerseits die Frage, ob die angestrebten Ziele durch die vorgeschlagene Ausgestaltung einer FTS bzw. durch den Entwurf einer legislativen Entschließung des Europäischen Rates zu diesem Vorschlag erreicht werden können. Andererseits ist in diesem Zusammenhang die Frage zu stellen, ob die vorgeschlagenen Lösungsansätze zu den vorgebrachten Kritikpunkten einer solchen Steuer, wie z.B. mögliche Wettbewerbsverzerrungen und Umgehungsmöglichkeiten, tatsächlich wirksame Instrumente darstellen. Es gilt daher zu überprüfen, ob Befürchtungen der Finanz- und Realwirtschaft hinsichtlich möglicher schädlicher Auswirkungen auf Wirtschaft und Bürger[8] berechtigt sind, oder ob die vorgeschlagenen Maßnahmen derartigen Gefahren entgegen wirken können.
Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass eine Einigung aller 27 Mitgliedsländer der Europäischen Union auf eine europäische FTS aus heutiger Sicht als unrealistisch einzustufen ist[9], stellt sich zudem die Frage, welche Auswirkungen die Realisierung einer FTS in nur einigen europäischen Staaten, d.h. eine sogenannte „kleine“ Lösung[10], auf ihre Wirksamkeit haben würde. Ob eine solche „kleine“ Lösung als Vorbild dienen und schließlich zu einer Finanztransaktionssteuer im gesamten Euro-Raum führen kann, gilt es hier ebenfalls zu hinterfragen.
Bevor es zu einer Betrachtung der vorgeschlagenen Konzepte zur Einführung einer europäischen Finanztransaktionssteuer kommt, wird in Kapitel 2 die grundlegende Idee einer Steuer auf Finanztransaktionen vorgestellt. In diesem Zusammenhang werden zudem einige in der Wissenschaft häufig diskutierte Fragestellungen zur Wirkung von Finanztransaktionssteuern gegenübergestellt.
Um zu einer Beurteilung der Konzeption einer europäischen FTS zu gelangen, erfolgt zunächst eine Analyse des Vorschlags „für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG“[11] sowie der diesbezüglich vorgeschlagenen Änderungen und Ergänzungen des Europäischen Parlaments[12] auf Grundlage diverser Untersuchungen und Stellungnahmen sowie eigenen Überlegungen. Hierzu wird auf der einen Seite eine Betrachtung der einzelnen Komponenten einer solchen Steuer, d.h. insbesondere ihres Anwendungsbereichs, ihrer Bemessungsgrundlage, des Steuersatzes sowie der Steuersubjekte und -objekte vorgenommen. Auf der anderen Seite wird eine Einschätzung zu Nebeneffekten angestrebt, um mögliche Probleme, die aus einer europäischen FTS erwachsen könnten, zu identifizieren und wesentliche Unterschiede zwischen beiden Konzepten herauszuarbeiten. Schließlich soll auf Besonderheiten einer von der deutschen Bundesregierung fossierten „kleinen“ Lösung[13] eingegangen werden, um abschließend Handlungsempfehlungen für die Politik zu formulieren.
Die Grundidee einer Steuer auf Finanzinstrumente geht auf John Maynard Keynes zurück, der erstmals 1936 in seinem Buch „The General Theory of Employment, Interest and Money“ die Idee einer Umsatzsteuer auf Aktien aufwarf:
Man stimmt allgemein überein, daß[!] Spielkasinos im öffentlichen Interesse unzugänglich und kostspielig sein sollten, und das gleiche gilt vielleicht für Wertpapierbörsen. […] Die Einführung einer beträchtlichen Umsatzsteuer auf alle Abschlüsse dürfte sich als die zweckmäßigste verfügbare Reform erweisen, um die Vorherrschaft der Spekulation über das Unternehmertum […] abzuschwächen[14].
1972 formulierte James Tobin die Idee einer internationalen Transaktionssteuer mit dem Ziel, die Schwankungen von Wechselkursen sowie die Attraktivität von kurzfristigen Spekulationen zu verringern. Ein Steuersatz von einem Prozent auf den Devisentausch sollte insbesondere die Geschäfte unrentabel werden lassen, die auf das Ausnutzen von marginalen Kursunterschieden ausgerichtet sind. Hierdurch erhoffte sich Tobin eine geringe Volatilität der Wechselkurse.[15]
Eichengreen et al. beschrieben die Wirkung von Transaktionssteuern wie folgt:
When some markets adjust imperfectly, welfare can be enhanced by intervening in the adjustment of others. Transaction taxes are one way to throw sand in the wheels of super-efficient financial vehicles[16].
Die Ziele, die mit einer Tobin-Steuer auf Devisentransaktionen angestrebt werden, sind vielseitig. Neben einer Stabilisierung von Wechselkursen und einer Generierung von zusätzlichen Steuereinnahmen, wird in der Literatur auch die Umverteilung finanzieller Mittel von der Finanz- zur Realwirtschaft sowie von Industrie- zu Schwellen- bzw. Entwicklungsländern angeführt. Darüber hinaus existieren auch Vorschläge, die sich gegen ein Fortschreiten der Globalisierung und für systemverändernde Reformen aussprechen.[17]
Nach derzeitigem Stand wird bisher in keinem Land der Welt eine Devisentransaktionssteuer im Sinne von Tobin erhoben[18].
Das Konzept einer umfassenden Besteuerung von Finanzinstrumenten durch eine Finanztransaktionssteuer knüpft an den Ansatz der Tobin-Steuer an. Wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Konzepten ist die unterschiedliche Besteuerungsbasis: Während das Konzept der Tobin-Steuer ausschließlich auf Devisentransaktionen abzielt, soll eine umfassende FTS eine möglichst breite Steuerbasis haben, d.h. möglichst viele Finanzinstrumente einbeziehen.[19]
Unter einer Finanztransaktionssteuer wird in der Literatur im Allgemeinen eine Steuer auf Transaktionen mit Finanztiteln, wie bspw. Aktien, Devisen oder Derivate, verstanden. Hauptziel einer solchen Steuer sind die Verringerung der Instabilität der Finanzmärkte auf der einen sowie die Erzielung eines fiskalischen Ertrages auf der anderen Seite. Eine Finanzaktionssteuer geht dabei über die Vorschläge von Keynes und Tobin zur Besteuerung des Aktien- bzw. Devisenhandels hinaus, da im Falle der FTS eine Einbeziehung möglichst vieler Finanzinstrumente angestrebt wird.[20]
Mit dem Instrument der Finanztransaktionssteuer sind zwei Hauptfunktionen verknüpft: Zum einen soll die FTS zu einer Verteuerung von Spekulationsgeschäften führen. Aufgrund der durch die FTS entstehenden Kosten wird erwartet, dass sich die Volumina von Finanzspekulationen verringern, und zwar insbesondere die Transaktionen, mit denen kurzfristige Preisänderungen ausgenutzt werden sollen. Folglich wird auch von einer Lenkungsfunktion der FTS gesprochen. Zum anderen erhoffen sich viele Befürworter zusätzliche Steuereinnahmen durch die Einführung einer FTS. Daher wird in diesem Falle auch von einer Finanzierungsfunktion gesprochen. Weil das potenzielle Steueraufkommen sowohl von dem gewählten Steuersatz, als auch vom damit verbundenen Rückgang der Transaktionsvolumina abhängig ist, tritt folgende Wechselwirkung auf: Je höher der Steuersatz gewählt wird, umso stärker wird der Rückgang des Transaktionsvolumens ausfallen. Hierdurch verringert sich die Steuerbasis der FTS, wodurch die zu erwartenden Steuereinnahmen wiederum sinken.[21]
Grundsätzlich lassen sich Absicherungsgeschäfte (Hedging) und Spekulationsgeschäfte (Trading) voneinander abgrenzen.
Unter dem Begriff Hedging wird die Absicherung von Vermögenswerten gegen Kursverluste, wie z.B. die Risikoabsicherung von Aktien- oder Devisenpositionen am Terminmarkt, verstanden. Hierdurch können z.B. durch Verkauf einer Anleihe per Termin Kursverluste aufgrund steigender Zinsen ausgeglichen werden, da der erworbene Kontrakt gleichzeitig an Wert gewinnt.[22] Durch die Übernahme eines sogenannten kompensatorischen Risikos werden Buchverluste auf der einen Seite durch Buchgewinne der Gegenposition ausgeglichen[23].
Im Gegensatz dazu dienen Tradingstrategien dazu, gezielt auf bestimmte Kursentwicklungen zu spekulieren. Hochfrequenzhändler nutzen bspw. ausgefeilte Computerprogramme, um durch schnelles Kaufen und Verkaufen vergleichsweise kleine Gewinne zu erzielen, die sich bei einer Vielzahl von Geschäften zu beachtlichen Summen aufsummieren können. Dabei spekulieren sie mit unterschiedlichen Finanzinstrumenten, wie z.B. Optionen, Future, Währungen oder Exchange-Traded Funds, d.h. Investmentfonds, die direkt über die Börse gehandelt werden. Für Hochfrequenzhändler ist die Geschwindigkeit entscheidend, mit der sie Transaktionen ausführen können, um kleinste Preisunterschiede ausnutzen zu können.[24]
Befürworter einer Finanztransaktionssteuer argumentieren, dass eine Steuer auf Finanzinstrumente insbesondere Spekulanten treffen würde, da eine Steuer auf Finanztransaktionen Gewinne auf Basis der o.g. minimalen Preisunterschiede aufzehren würde. Das Vorhandensein übermäßiger Liquidität auf den Kapitalmärkten, verursacht durch exzessive Spekulationsgeschäfte, könne zu Blasenbildungen führen, welche es aufgrund ihrer destabilisierenden Wirkung zu verhindern gälte.[25]
Dem wird von Gegner einer FTS angeführt, dass eine Steuer auf Finanztransaktionen das Agieren von Marktmachern erschweren würde. Diese stellen Liquidität an den Finanzmärkten bereit, wodurch eine höhere Markteffizienz und geringere Transaktionskosten ermöglicht werden. Sie sind damit für die Preisfindungs- und Risikoallokationsfunktion der Märkte von großer Bedeutung und ermöglichen infolge dessen schnelle Preisanpassungen hin zu Gleichgewichtspreisen.[26]
Schulmeister argumentiert, dass eine Steuer auf Finanztransaktionen den Erwerb von Wertpapieren und Sicherungsgeschäfte weniger belastet, als kurzfristig angelegte Spekulationsgeschäfte. Dies begründet er damit, dass eine solche Steuer bei langfristiger Halteabsicht nur einmalig anfällt, während die Steuerbelastung bei Tradingstrategien aufgrund der Vielzahl an Transaktionen höher ausfällt. Hieraus wird aber auch klar, dass auch Sicherungsgeschäfte durch eine Finanztransaktionssteuer verteuert werden.[27]
Der Wert der jährlich durchgeführten Finanztransaktionen hat in den zurück liegenden Jahren deutlich zugenommen und fiel im Jahr 2010 etwa 70-mal höher aus, als das weltweite Bruttoinlandsprodukt. Während der Finanz- und Wirtschaftskrise schwächte sich diese Entwicklung lediglich etwas ab. Gleichzeitig wuchs die Zahl der Befürworter einer Besteuerung von Finanztransaktionen. Hieraus ergibt sich die Frage, ob eine solche Steuer grundsätzlich zu befürworten ist.[28]
Zunächst ist festzuhalten, dass Steuer auf Finanztransaktionen analog zu jeder Steuer zwei Folgen mit sich bringt: Auf der einen Seite führt sie zu Steuererträgen und auf der anderen Seite verringert sie in der Regel diejenigen Aktivitäten, die sie besteuert. Vor dem Hintergrund, dass die Staatsschulden europäischer Staaten im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise enorm angestiegen sind, gibt es eine Vielzahl von Befürwortern einer Finanztransaktionssteuer, die mit einer solchen den Finanzsektor an den Kosten der Krise beteiligen wollen. Darüber hinaus wird von einigen Experten sowie Teilen der Öffentlichkeit in Frage gestellt, ob der rapide Anstieg der Transaktionsvolumina sozial erwünscht sein kann. Eine FTS konnte in diesem Zusammenhang ein Mittel sein, um die Transaktionsvolumina zu reduzieren.[29]
Zwar ließen sich durch eine Besteuerung des Finanzsektors zusätzliche Steuereinnahmen erzielen. Dies wäre aber auch durch andere Maßnahmen als der Einführung einer Finanztransaktionssteuer erreichbar. Die Begrenzung negativer Effekte von Finanztransaktionen gilt unter vielen Autoren als ein erstrebenswerteres Ziel, welches mit einer FTS erreicht werden soll, sofern die Finanztransaktionssteuer tatsächlich stärkere Auswirkungen auf schädliche Transaktionen haben sollte, als auf erwünschte.[30]
Nachfolgend werden unterschiedliche Fragestellungen, die in Bezug auf Finanztransaktionssteuern in der Wissenschaft diskutiert werden, aufgezeigt. Hierzu zählen die Umsetzung von Finanztransaktionssteuern in Praxis sowie die Nutzung der FTS als Einnahmequelle und Pigou-Steuer. Weiterhin wird der Stand der Wissenschaft zur Verringerung von Volatilitäten durch den Einsatz von Finanztransaktionssteuer betrachtet. Schließlich sollen Überlegungen zu unterschiedlich breit gefassten Anwendungsbereichen einer Finanztransaktionssteuer vorgestellt werden.
Grundsätzlich lassen sich die in die Praxis umgesetzten Finanztransaktionssteuern in zwei Arten unterteilen: Einerseits existieren Steuern auf die Kapitalzuführung an Unternehmen (Gesellschaftsteuer, capital duty). Andererseits werden Transaktionssteuern auf den Umsatz von Finanzinstrumenten, beispielsweise auf Börsenumsätze, erhoben.[31]
In nachstehender Tabelle sind die europäischen Staaten aufgeführt, die ein Finanztransaktionssteuer erheben (X) oder in der Vergangenheit erhoben haben:
Tabelle 1 Ehemalige und aktuelle Finanztransaktionssteuern in Europa (Stand 2008)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„X“ = Transaktionssteuer vorhanden „-“ = keine Transaktionssteuer vorhanden
Eigene Darstellung nach Schulmeister, S. (2008), S. 61ff.
Aus Tabelle 1 wird ersichtlich, dass seit Ende der 80er Jahre zahlreiche Finanztransaktionssteuern, sowohl auf die Kapitalzuführung an Unternehmen, als auch auf den Umsatz von Finanzinstrumenten, in europäischen Staaten abgeschafft wurden.
Ein möglicher Grund hierfür sind die befürchteten Nebenwirkungen, die die Vorteile einer solchen Steuer aufheben könnten[32].
Als negatives Beispiel wird in der Literatur häufig die schwedische Börsenumsatzsteuer genannt, die zu großen Verlagerungen von Finanzgeschäften führte. Schätzungen zufolge wandert allein 1986 etwa 30 Prozent des schwedischen Handelsvolumens nach London ab – bis 1990 wuchs das abgewanderte Volumen sogar auf rund 50 Prozent an.[33]
Demgegenüber gilt die „Stamp Duty“ genannte britische Steuer auf die Ausgabe neuer Aktien in Höhe von 0,5 Prozent als Erfolg. Eine Eigentumsübertragung kommt nach britischem Recht nur dann zustande, wenn auch die Transaktionssteuer entrichtet wird. Das Design einer Finanztransaktionssteuer wird oftmals als der Schlüsselfaktor angesehen, der über ihren Erfolg entscheidet.[34]
Im Folgenden sollen die Argumente für und gegen die Einführung einer Finanztransaktionssteuer gegenüber gestellt werden:
Mit Blick auf das Gemeinwohl sprechen grundsätzlich zwei Gründe über die Realisierung einer FTS nachzudenken: Zum einen könnten signifikante Steuererträge erzielt werden. Zum anderen könnte die FTS dazu beitragen, nicht erwünschte Finanzaktivitäten unattraktiver zu machen und im Sinne einer Pigou-Steuer somit letztlich zu einer Internalisierung ihrer externen Effekte führen.[35]
Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass Finanzmärkte sowohl Kapital als auch Risiko dem eigentlichen Produktionsprozess zuordnen. Sofern dies in effizienter Weise erfolgt, sollte ein Eingriff in den Marktprozess unterlassen werden, da es anderenfalls zu Ineffizienzen kommt. Der Grund hierfür ist, dass ein Eingriff in ein bestehendes Pareto-Optimum immer dazu führt, dass mindestens eine beteiligte Partei schlechter gestellt wird.[36]
Es stellt sich folglich die Frage, welche Argumente, die zur Einführung einer FTS mit dem Ziel einer verstärkten Einnahmeerzielung vorgebracht werden, mit der o.g. Effizienzüberlegung in Einklang zu bringen sind. Hierzu gilt es die drei folgenden Hauptargumente zu betrachten: Das erste Argument besagt, dass die Finanzbranche im Vergleich zu anderen Branchen deutlich geringer besteuert wird. Die Einführung einer FTS könnte diese Ungleichbehandlung beenden. Weiterhin wird oftmals vorgebracht, dass der Finanzsektor eine Art Versicherungsprämie für das vom Finanzsektor erzeugte systemische Risiko zahlen sollte. Die dritte Argumentation lautet, dass die Steuereinnahmen aus einer FTS für globale Herausforderungen, wie die Entwicklungshilfe oder die Bekämpfung des Klimawandels, eingesetzt werden könnte.[37]
Richtig ist, dass Finanzdienstleistungen in der EU zum Großteil von der Umsatzsteuer befreit sind[38]. Dies liegt daran, dass es bei Finanzprodukten schwierig ist zu ermitteln, welcher Wert dem jeweiligen Produkt durch ein Finanzinstitut hinzugefügt wurde. Darüber hinaus ist die Besteuerung der Finanzbranche im Vergleich zu anderen Branchen schwieriger, da es für internationale Finanzinstitute vergleichsweise einfach ist, Gewinne in andere Staaten zu verschieben. Kritiker der FTS führen jedoch an, dass diese Umstände noch nicht erklären, weshalb eine Finanztransaktionssteuer eingeführt werden sollte. Schließlich wäre es genauso denkbar die Finanzbranche direkt zu besteuern, anstatt über den vorgeschlagenen, indirekten Weg einer FTS. Dies wäre bspw. durch eine verstärkte Besteuerung von Gewinnen, Bonuszahlungen und Dividenden erreichbar. Zudem würde hierdurch die Gefahr einer Überwälzung der Kosten einer FTS auf Unternehmen und Verbraucher, die die jeweiligen Finanzdienstleistungen in Anspruch nehmen, umgangen.[39]
Mit Bezug auf die Argumentation, dass eine FTS als Versicherungsprämie für systemische Risiken zu betrachten ist, halten Gegner einer FTS es für fraglich, ob eine FTS der beste Weg ist derartige Prämien zu erheben. Aus Effizienzüberlegungen sollte in jedem Fall eine Variante gewählt werden, die am wenigsten die Funktionsweise des Marktes beeinträchtigt. Wie bereits zuvor erläutert, sind aber gerade bei einer FTS Effizienzverluste zu erwarten.[40]
Schließlich ist die Argumentation für eine FTS zur Einnahme zusätzlicher Mittel für globale öffentliche Güter oder die Entwicklungshilfe zu betrachten: Kritiker dieses Arguments betonen, dass die Finanzierung von öffentlichen Gütern oder von Entwicklungshilfe aus den Einnahmen einer FTS das Risiko einer Fehlallokation von finanziellen Mitteln für unterschiedliche Projekte birgt. Es besteht die Gefahr, dass auf diese Weise zu viel oder zu wenig Geld für den jeweiligen Verwendungszweck aufgebracht wird, wenn die Steuereinnahmen über oder unter einem optimalen Ausgabenlevel liegen. Daher wird vorgeschlagen, die Steuereinnahmen in den allgemeinen Haushalt einfließen zu lassen, sodass die Ausgabenverteilung über alle Steuereinnahmen hinweg optimiert werden kann. In diesem Kontext können auch Ausgaben für internationale Projekte, wie z.B. der Bekämpfung des Klimawandels oder der Entwicklungshilfe, berücksichtigt werden.[41]
Neben den Argumenten für eine reine Erhöhung der Steuereinnahmen, existieren auch mehrere Argumente für die Einführung einer FTS, die ihre Wirkung als Pigou-Steuer betonen. Die bekanntesten Beispiele für Pigou-Steuern beziehen sich auf negative externe Effekte im Sinne von Umweltbelastungen. Während ohne eine Besteuerung umweltschädlicher Aktivitäten die Umweltbelastungen i.d.R. zu hoch ausfallen, gilt auch das Verbot solcher Aktivitäten in den meisten Fällen als nicht zielführend, da eine solche Vorgehensweise zwar zu einer sauberen Umwelt, aber auch zu einem Verbot eines Großteils aller derzeit bestehenden Wirtschaftsaktivitäten führen würde. Ziel einer Pigou-Steuer ist es, durch Besteuerung derartige Aktivitäten auf ein Niveau zu senken, bei dem der marginale Profit aus diesen Aktivitäten gleich den marginalen Kosten der negativen externen Effekte, in diesem Fall der Umweltbelastungen, ist.[42]
Regulative Gesetzgebung kann durchaus eine Alternative zu Pigou-Steuern sein; allerding weist sie aber im Wesentliche zwei Nachteile: Zum einen entfallen die Steuereinnahmen einer Pigou-Steuer. Zwar können diese durch die Erhöhung bestehender oder durch Einführung anderer Steuern ausgeglichen werden. Diese führen aber ihrerseits oftmals zu neuen Wettbewerbsverzerrungen. Zum anderen besteht für den Gesetzgeber das Problem, dass die Entscheidung, wem Umweltverschmutzungen im welchen Ausmaße zugestanden werden, äußerst schwer zu treffen ist.[43]
Darüber hinaus kann es erforderlich sein, einmal beschlossene Entscheidungen zu revidieren, wenn sich die Rahmenbedingungen geändert haben sollten. Um diese Probleme zu vermeiden, bietet sich die Pigou-Steuer als marktwirtschaftliche Lösung an, in der die Unternehmen selbst dazu beitragen, dass ein Gleichgewicht erreicht wird.
In Bezug auf Finanztransaktionen stellt sich die Frage, ob diese von negativen, externen Effekten begleitet werden können, die die Einführung einer Pigou-Steuer rechtfertigen könnte[44].
Stiglitz argumentiert, dass zu hohe Investitionen in die Infrastruktur von Finanzmärkten schädlich sein können. Er stützt seine Argumentation auf Beobachtungen, dass es immer einen Anreiz geben werde, für das Erlangen von neuen Informationen vor anderen Marktteilnehmern Geld zu bezahlen. Im Hochfrequenzhandel werden beispielsweise enorme Summen investiert, um einen Wissensvorsprung im Millisekundenbereich vor Konkurrenten zu erreichen. Eine Finanztransaktionssteuer könnte helfen, um derartige Investitionsanreize zu reduzieren, die lediglich zu geringfügigen Informationsvorteilen führen.[45]
Durch die Wirtschafts- und Finanzkrise wurde die Verwundbarkeit des Finanzsystems deutlich, die insbesondere auf dem Vertrauen auf kurzfristige Finanzkontrakte beruhte. So stieg die Bedeutung kurzfristiger Refinanzierungsmöglichkeiten in den vergangenen Jahren, bspw. über den Interbankenmarkt, deutlich an. Als dieser Markt zusammenbrach, wurde dies zu einem systemrelevanten Problem, dem nur mit Staatseingriffen begegnet werden konnte. Eine Finanztransaktionssteuer hätte dieser Entwicklung vorbeugen können. Gegner einer FTS argumentieren aber, dass eine Steuer auf kurzfristige Schuldtitel das wirksamere Instrument wäre. Hinter diesem Beispiel steckt möglicherweise eine andere Erkenntnis über das Zusammenspiel zwischen der Regulierung des Finanzsektors und der Effizienz von Finanzmärkten: Bei einer schwach ausgestalteten Regulierung ist es möglicherweise wahrscheinlich, dass dies zulasten der Steuerzahler ausgenutzt wird. Zumindest erscheint es aber plausibel, dass geringe Transaktionskosten die Ausnutzung eines vergleichsweise wenig regulierten Marktes erleichtern. Daher wird oftmals vorgeschlagen, Transaktionen in immer effizienter werdende Märkte zu besteuern, um einen Ausgleich für unvollkommene Regulierung zu erreichen.[46]
Eine häufig diskutierte Frage ist, ob eine FTS zu höheren oder geringeren Volatilitäten an den Märkten führt. In der Literatur finden sich hierzu unterschiedliche Einschätzungen. Befürworter einer FTS geben an, dass durch eine Verteuerung kurzfristiger im Vergleich zu langfristigen Handelsstrategien, Volatilitäten sowohl auf kurzer als auch langer Frist zurückgehen. Grund hierfür ist, dass sowohl das sogenannte Noise Trading, als auch langfristige Abweichungen von Fundamentalwerten unattraktiver werden.[47]
Unter Noise Trading wird das Verhalten von Akteuren verstanden, die auf der Grundlage von Gerüchten oder Analysen, wie beispielsweise der Chartanalyse, handeln und dadurch Preise von ihren fundamentalen Werten abtreiben lassen. Rationale Händler, die auf der Grundlage von Informationen Kauf- bzw. Verkaufsentscheidungen treffen, können sich einer solchen Destabilisierung häufig nicht entgegenstellen, da Arbitrageure i.d.R. ohne Bezug zu Fundamentaldaten agieren.[48]
Als Fundamentalwert bzw. innerer Wert ist im Sinne des Present Value Konzepts der Barwert aller künftigen Erträge eines Assets, beispielsweise einer Aktie oder eines festverzinslichen Wertpapiers, zu verstehen. Dieses Konzept findet heutzutage in vielerlei Hinsicht Anwendung, so z.B. auch bei der Kalkulation von Versicherungsprämien oder im Rahmen von Unternehmensbewertungen.[49]
[...]
[1] vgl. Huber, J. et al. (2011), S. 1248.
[2] vgl. Mishkin, F. (2011), S. 50-54.
[3] vgl. Mishkin, F. (2011), S. 58-67.
[4] vgl. Europäische Kommission (2011), S. 2 sowie Europäisches Parlament (2012), S. 6.
[5] vgl. Tobin, J. (1978), S. 155.
[6] vgl. Europäische Kommission (2011).
[7] vgl. Europäische Kommission (2011), S. 13 sowie Europäisches Parlament (2012), S. 6f.
[8] vgl. Bundesverband deutscher Banken e.V. (2011), S. 2-5 sowie Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V. et al. (2011), S. 2-5.
[9] vgl. Die Bundesregierung (2012), S. 1 sowie Europäischer Rat (2012), S. 13.
[10] vgl. Europäischer Rat (2012), S. 13.
[11] vgl. Europäische Kommission (2011).
[12] vgl. Europäisches Parlament (2012).
[13] vgl. Die Bundesregierung (2012), S. 1f.
[14] Keynes, J. (2006), S. 135f.
[15] vgl. Wahl, P./Waldow, P (2001), S. 5.
[16] Eichengreen, B. et al. (1995), S. 164.
[17] vgl. Spahn, P. (2002), S. i.
[18] vgl. Schulmeister, S. et. al. (2008), S. 14.
[19] vgl. Schulmeister, S. (2009), S. 2.
[20] vgl. Schulmeister, S. (2009), S. 2.
[21] vgl. Hickel, R. (2010), o.S.
[22] vgl. Amely, T. (2002), S. 81 sowie Amely, T. (2004), S. 82.
[23] vgl. Bredemeier, S. et al. (2002), S. 94.
[24] vgl. Aldrige, I. (2010), o.S..
[25] vgl. Paul, S./Neumann, S. (2011), S. 23.
[26] vgl. Paul, S./Neumann, S. (2011), S. 23.
[27] vgl. Schulmeister, S. (2009), S. 13f.
[28] vgl. Darvas, Z./von Weizäcker, J. (2010), S. 2.
[29] vgl. Darvas, Z./von Weizäcker, J. (2010), S. 2.
[30] vgl. Darvas, Z./von Weizäcker, J. (2010), S. 2.
[31] vgl. Schulmeister, S. et al. (2008), S. 14.
[32] vgl. Darvas, Z./von Weizäcker, J. (2010), S. 3.
[33] vgl. McCulloch, N./Pacillo, G. (2011) S. 30f.
[34] vgl. Schulmeister, S. et al. (2008), S. 24-26.
[35] vgl. Darvas, Z./von Weizäcker, J. (2010), S. 7.
[36] vgl. Darvas, Z./von Weizäcker, J. (2010), S. 8. Siehe hierzu auch Diamond, P./Mirrlees, J. (1971 (1), 1971 (2)).
[37] vgl. Darvas, Z./von Weizäcker, J. (2010), S. 8.
[38] vgl. Artikel 137 Absatz 1 Buchstabe a in Verbindung mit Artikel 135 Absatz 1 Buchstabe b bis g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem.
[39] vgl. Darvas, Z./von Weizäcker, J. (2010), S. 8.
[40] vgl. Darvas, Z./von Weizäcker, J. (2010), S. 8.
[41] vgl. Darvas, Z./von Weizäcker, J. (2010), S. 8f.
[42] vgl. Darvas, Z./von Weizäcker, J. (2010), S. 9.
[43] vgl. Darvas, Z./von Weizäcker, J. (2010), S. 9.
[44] vgl. Darvas, Z./von Weizäcker, J. (2010), S. 9.
[45] vgl. Darvas, Z./von Weizäcker, J. (2010), S. 9f.
[46] vgl. Darvas, Z./von Weizäcker, J. (2010), S. 10.
[47] vgl. Darvas, Z./von Weizäcker, J. (2010), S. 11.
[48] vgl. Spahn, P. (2002), S. 11.
[49] vgl. Perridon, L./Steiner, M. (2007), 202.
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