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Mehr InfosBachelorarbeit, 2013, 57 Seiten
Bachelorarbeit
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (Übersetzen und Dolmetschen)
1,0
1. Einleitung
2. Grundlagen und Definitionen
3. Aktuelle Sprachensituation in der EU
3.1 Zur Sprachenlandschaft der EU
3.2 Zur Sprachpolitik der EU-Institutionen
3.3 Fremdsprachenkenntnisse der EU-Bürger
4. Die Rolle der Übersetzung in der EU
4.1 Die Übersetzungsdienste der Europäischen Union
4.1.1 Aufbau und Aufgaben
4.1.2 Arbeitsumfang
4.2 Funktionen von Übersetzung
4.2.1 Sprache als Ausdruck von Identität
4.2.2 Sprache als Politikum
4.2.3 Juristische Belange
5. Sprachenvielfalt als Herausforderung
5.1 „In Vielfalt geeint“ oder „Lost in Translation“?
5.1.1 Allgemeine Problematik der Sprachenvielfalt
5.1.2 Kosten-/Zeitfaktor von Übersetzung
5.1.3 Personalmangel
5.1.4 Was bedeuten EU-Erweiterungen für die Übersetzungsdienste?
5.2 Lösungsansätze
5.2.1 (K)eine „Lingua franca“ für die EU?
5.2.2 Möglichkeiten und Grenzen maschineller Übersetzung
5.2.3 Alternative Formen von Sprachmittlung
5.2.4 Politische Lösungsansätze
6. Fazit und Ausblick
7. Literaturverzeichnis
8. Verzeichnis der Internetquellen
Tabelle 1: Internationale Organisationen und ihre Amtssprachen
Tabelle 2: Arbeittsprachen der EU-Institutionen
Tabelle 3: Übersetzungdienste der EU-Institutionen
Tabelle 4: Arbeitsumfang der Übersetzungdienste der EU-Institutionen
Tabelle 5: Arbeitsvolumen für Freelance-Übersetzer
Tabelle 6: Europäische Identität im Jahr 1998
Tabelle 7: Europäische Identität im Jahr 2012
“Und der Herr sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen und dies ist der Anfang ihres Tuns; sie werden nicht ablassen von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. Wohlauf, laßt uns herniederfahren und ihre Sprache daselbst verwirren, daß keiner des andern Sprache verstehe!” (Turmbau zu Babel, Gen. 11, 6-7)
Selbst vehemente EU-Kritiker gingen wohl nicht so weit, im Falle der europäischen Sprachenvielfalt von einer göttlichen Strafe zu sprechen. Fakt ist aber, dass die von den EU-Institutionen betriebene Sprachpolitik seit Gründertagen Anlass zu Diskussionen geboten hat und eine Patentlösung zur Klärung der Sprachenfrage nach wie vor nicht in Aussicht steht. Im Gegensatz zu anderen staatenübergreifenden Organisationen, in denen Sprache in erster Linie als Mittel zum Zweck für die Kommunikation dient, fordert und fördert die EU explizit die Sprachenvielfalt ihrer Mitgliedsstaaten. Der Wahlspruch der Europäischen Union, “In Vielfalt geeint”, unterstreicht die Idee von einer heterogenen Gemeinschaft und bescheinigt der EU somit einen außergewöhnlichen Charakter unter den transnationalen Organisationen. Die sprachenfreundliche Politik der EU-Institutionen bringt allerdings nicht nur Vorteile mit sich: Je mehr Bedeutung der europäischen Sprachenvielfalt zugedacht wird, umso schwieriger gestaltet sich deren tatsächliche Umsetzung. Jede EU-Erweiterung erschwert die Einhaltung jener Artikel, denen die sprachliche Diversität in der Europäischen Union zugrunde liegt.
Die von den EU-Institutionen betriebene Sprachpolitik ist bereits Gegenstand zahlreicher Arbeiten. Viel weniger Aufmerksamkeit wird hingegen den Einrichtungen zuteil, die Sprachenvielfalt in der Europäischen Union erst ermöglichen. Auch in den EU-Institutionen führen Übersetzer, ebenso wie ihre Dolmetscherkollegen, gewissemaßen ein Schattendasein, obgleich sie mit der verantwortungsvollen Aufgabe betraut sind, die möglichst reibungslose Kommunikation in einer Organisation mit mittlerweile 28 Mitgliedsstaaten zu gewährleisten. Die vorliegende Arbeit möchte die viel diskutierte Sprachenfrage der EU von einem anderen Standpunkt aus beleuchten: Welche Rolle spielen die EU-Übersetzungsdienste bei der internen und externen Kommunikation der Europäischen Union und wie sieht das Prinzip der Sprachenvielfalt in der Praxis aus? Vor welchen Herausforderungen stehen die Sprachendienste und wie wird mit ihnen umgegangen? Welche Entwicklungen sind in Hinblick auf Sprache für die Zukunft zu erwarten und inwiefern beeinflussen sie die Arbeit der Übersetzungsdienste?
Als Grundlage für die Beantwortung dieser Fragen werden zum einen diverse Arbeiten zur Sprachpolitik der EU herangezogen, zum anderen aber auch solche Arbeiten, die konkreten Bezug auf die Sprachendienste der EU nehmen. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf der Übersetzung, d.h. auf der schriftlichen Sprachmittlung, wo erforderlich, wird allerdings auch das Dolmetschen miteinbezogen, da beide Sprachendienste in vielen Fällen vor ähnlichen Herausforderungen stehen und nicht als separate Einheiten betrachtet werden können.
Nach der Erläuterung einiger Begriffe erfolgt in Kapitel 3 eine kurze Einführung zur Geschichte, Sprachenlandschaft und Sprachpoilitk der EU. Ausgehend von dieser Grundlage werden in Kapitel 4 zunächst die relevantesten EU-Übersetzungsdienste vorgestellt. Es soll die Frage geklärt werden, weshalb Übersetzung in der EU überhaupt erforderlich ist und welche Funktionen diese erfüllt.
Im Hauptteil der Arbeit soll der Leser für die Schwierigkeiten sensibilisiert werden, mit denen sich EU-Übersetzer angesichts der Sprachenvielfalt konfrontiert sehen. Um zu gewährleisten, dass auch jüngste Ereignisse in Betracht gezogen werden, wie etwa der Beitritt Kroatiens im Juni 2013, werden auch aktuelle Veröffentlichungen, Nachrichten und Zahlen auf offiziellen Websites der EU verwendet. Es werden Lösungsansätze von EU-internen Personen und Linguisten analysiert, die zur Klärung der Sprachenfrage beitragen könnten. Dabei geht es insbesondere um solche Lösungsansätze, deren Durchsetzung eine veränderte und bestenfalls vereinfachte Arbeitsweise der Übersetzungsdienste mit sich bringen würden.
Die Arbeit schließt mit einem Ausblick in die nahe Zukunft der EU und nimmt Bezug auf absehbare und eventuelle Veränderungen, welche die Sprachensituation sowie die Arbeit der Übersetzungsdienste beeinflussen könnten.
Die folgenden Definitionen verschaffen einen Überblick über die gängigsten EU-Begriffe und sollen eventuelle Missverständnisse aufklären:
Der Begriff EU wird häufig irrtümlich verwendet, wenn eigentlich die Institutionen der EU (also der Rat, das Europäische Parlament etc.) gemeint sind. Die EU, das sind nicht nur die in Brüssel und Luxemburg ansässigen Einrichtungen, sondern vielmehr die Gesamtheit aller Mitgliedsstaaten und ihrer Bürger[1]. Wer also von der “Sprachpolitik der EU” spricht, bezieht sich also genau genommen auf die Sprachpolitik der einzelnen Länder mit ihren jeweiligen Regierungen. Im Falle dieser Arbeit ist jedoch fast immer explizit die Sprachpolitik der beratenden und gesetzgebenden EU-Institutionen gemeint, weshalb der in dieser Arbeit verwendete, etwas umständlich erscheinende Begriff Sprachpolitik der EU-Institutionen seine Berechtigung hat.[2]
Im Übrigen herrscht auch häufig Unklarkeit, was die korrekte Benennung der zahlreichen Einrichtungen der EU betrifft. Längst nicht alle von ihnen sind auch als Institutionen zu bezeichnen, dies gilt lediglich für die folgenden Einrichtungen: Das Europäische Parlament, die Europäische Kommission, der Rat der Europäischen Union, der Europäische Gerichtshof und das ihm nachgeordnete Gericht der Europäischen Union sowie der Europäische Rechnungshof. Andere Einrichtungen wiederum sind EU-Organe (d.h. Einrichtungen, die nicht direkt an der Gesetzgebung beteiligt sind) darunter die Europäische Zentralbank, die Europäische Investitionsbank, der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss und der Ausschuss der Regionen.[3] Darüber hinaus gibt es EU-weit über dreißig dezentrale Agenturen und Einrichtungen, die auf ein bestimmtes Aufgabengebiet spezialisiert sind und die EU-Institutionen entlasten sollen. Beispiele für solche Agenturen sind die Europäische Agentur für Flugsicherheit oder die Europäische Umweltagentur.[4] Die meisten EU-Organe und einige wenige der Agenturen verfügen über eigene Übersetzungsdienste. Diese sind jedoch recht klein, beschäftigen vergleichsweise wenige Mitarbeiter und arbeiten oft mit einer begrenzten Anzahl an Amtssprachen. Sie sind somit von der Problematik der Sprachenvielfalt nur begrenzt betroffen. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich von daher ausschließlich auf die Übersetzungsdienste der oben genannten EU-Institutionen.
Zwei weitere Einrichtungen werden häufig fälschlicherweise der EU zugeschrieben: Der Europarat ist nicht mit der EU verbunden; er umfasst 47 Mitgliedsstaaten, von denen viele außerhalb der EU-Zone liegen. Hauptanliegen des Europarates ist die Förderung von Demokratie sowie der Schutz von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit in Europa.[5]
Auch der Europäische Gerichtshof der Menschenrechte ist eine eigenständige Organisation und nicht Teil der EU.
Auf sprachlicher Ebene sind zwei weitere Begriffe zu klären: Die Termini Multilingualismus und Plurilingualismus finden in vielen Arbeiten zum Thema der Sprachpolitk der EU-Institutionen Verwendung. Eine eindeutige Abgrenzung der Begrife voneinander ist nur schwer möglich – aus dem Kontext lassen sich meist die folgenden Bedeutungen ablesen: Multilingualismus bezeichnet das Vorhandensein mehrerer Sprachen in einem räumlich oder politisch definierten Gebiet, Plurilingualismus bezieht sich hingegen auf die Fähigkeit eines Menschen, neben seiner Muttersprache weitere Sprachen zu sprechen. Eine eindeutige Definition, die dies belegt, scheint allerdings nichts zu existieren. Die EU-Institutionen verwenden beispielsweise den Begriff Mehrsprachigkeit, um sich sowohl auf sprachliche Diversität innerhalb der EU als auch auf die Fremdsprachenkompetenzen ihrer Bürger zu beziehen. Um Unklarheiten und Verwechslungen zu vermeiden, wird in dieser Arbeit der Begriff Sprachenvielfalt verwendet, wenn die Koexistenz mehrerer Sprachen in einem geografisch, politisch oder sozial umgrenzten Gebiet gemeint ist. Der Begriff Mehrsprachigkeit wird für Personen oder Personengruppen verwendet, die neben ihrer Muttersprache über Kenntnisse in weiteren Sprachen verfügen. Zitierte EU-Dokumente bleiben selbstverständlich unverändert – gegebenenfalls ist hier dann in beiden Fällen von Mehrsprachigkeit die Rede.
Im Vergleich zu anderen Kontinenten beherbergt Europa auf relativ kleiner Fläche eine große Anzahl von Ländern. Man sollte also annehmen, dass hier mehr unterschiedliche Sprachen gesprochen werden als anderswo auf der Welt. Überraschenderweise ist das Gegenteil der Fall: „Europa ist heute die Großregion der Welt mit der geringsten Anzahl an regionalen Sprachen.“[6] Vor knapp zehn Jahren bezifferte Kraus (2004:111) die Anzahl der in Europa gesprochenen Sprachen mit 225. Die gemeinnützige Organisation SIL gibt auf ihrer Website die leicht abweichende Zahl von 284 Sprachen an. Tatsächlich werden auf keinem anderen Kontinent weniger Sprachen gesprochen als in Europa: In Afrika und Asien liegt die Zahl der gesprochenen Sprachen bei jeweils ca. 2000, in Amerika und in Ozeanien, Australien eingeschlossen, bei je 1000.[7] Von den ca. 284 in Europa gesprochenen Sprachen entfallen etwas über 80 auf die EU. Die Europäische Kommission geht dabei von 24 Amtssprachen und etwa 60 Regional- bzw. Minderheitensprachen aus, von denen einige in den betreffenden Gebieten einen Sonderstatus besitzen.[8] Ein Beispiel dafür sind die regionalen Amtssprachen Spaniens (Baskisch, Galizisch und Katalanisch).
Bei ca. 7000 Sprachen weltweit verwundert, dass gerade die EU und nicht etwa andere, außer-europäische Organisationen der Sprachenvielfalt so viel Aufmerksamkeit zukommen lassen und diese offenbar so oft Anlass für Unstimmigkeiten bietet. Dabei ist die Zahl der offiziellen EU-Sprachen im Vergleich mit sämtlichen Sprachen Europas recht überschaubar: Lediglich 24 Sprachen aus 28 EU-Mitgliedsstaaten genießen einen offiziellen Status als Amtssprache und sind somit für die Sprachenfrage von unmittelbarer Bedeutung. Diese sind Niederländisch, Französisch, Italienisch, Deutsch (seit 1958), Dänisch, Englisch (seit 1973), Griechisch (seit 1981), Portugiesisch, Spanisch (seit 1986), Finnisch, Swedisch (seit 1995), Estnisch, Lettisch, Litauisch, Polnisch, Tschechisch, Slowenisch, Slowakisch, Ungarisch, Maltesisch (seit 2004), Bulgarisch, Rumänisch, Irisch (seit 2007) und Kroatisch (seit 2013).[9] Einige Mitgliedsstaaten verfügen über mehrere Amtssprachen, die jedoch nicht alle auch Amtssprachen der EU sind (z.B. ist Türkisch eine weitere Amtssprache Zyperns, die Republik wird allerdings nur durch Griechisch in der EU vertreten). Die Entscheidung, durch welche Sprache ein Mitgliedsstaat in der EU vertreten werden soll, liegt dabei nicht etwa bei den Institutionen der EU, sondern bei den Beitrittskandidaten selbst. Um Kosten und Verwaltungsaufwand so gering wie möglich zu halten, wählen diese in der Regel nur eine sehr begrenzte Anzahl von Amtssprachen für den Gebrauch in der EU[10].
Die ca. 500 Millionen Bürger der EU verteilen sich recht ungleichmäßig auf die einzelnen Amtssprachen. Laut einer Eurobarometer-Umfrage[11] zum Thema „Die europäischen Bürger und ihre Sprachen“ aus dem Jahr 2012 geht hervor, dass Deutsch die Muttersprache von 16% der EU-Bürger ist. Darauf folgen Italienisch und Englisch mit je 13%, Französisch mit 12% und Spanisch und Polnisch mit je 8%. Somit haben 70% der EU-Bürger eine dieser sechs Sprachen zur Muttersprache. Alle übrigen Amtssprachen machen einen weitaus geringeren Prozentsatz aus, z.B. Maltesisch mit ca. 330.000 Sprechern (0,07%) oder Irisch mit ca. 70.000 Sprechern (0,014%). Dieses Ungleichgewicht lässt bereits vermuten, dass die von den EU-Institutionen beworbene Politik der vielen Sprachen in Wirklichkeit ganz anders umgesetzt wird. Im nachfolgenden Kapitel sollen die wichtigsten Aspekte ebendieser Sprachpolitik vorgestellt werden.
Als einige Staaten Europas sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts erstmals zu staatenübergreifenden Organisationen zusammenschlossen, spielte die Sprachenfrage noch eine eher untergeordnete Rolle: 1951 gründeten Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Das Abkommen enthielt keine konkreten Angaben zur Sprachenfrage, doch die Außenminister der sechs Länder einigten sich per Protokoll darauf, Niederländisch, Französisch, Deutsch und Italienisch als Amtssprachen zu verwenden, womit alle Länder gerecht vertreten waren.[12] Die Unterzeichnung der Römischen Verträge 1957 rief die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ins Leben. Diese sollte später zusammen mit der Europäischen Atomgemeinschaft sowie der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zunächst zur Europäischen Gemeinschaft verschmelzen, die schließlich zur heutigen Europäischen Union wurde. Sämtliche Gemeinschaften, die der EU vorausgingen, hatten eines gemeinsam: Sie waren aus wirtschaftlichem Interesse heraus gegründet worden und sollten in erster Linie den Handel zwischen den Mitgliedsländern vereinfachen. Sprache diente somit zunächst nur als reines Kommunikationsmittel. Dementsprechend enthielten die Römischen Verträge lediglich einen knappen Hinweis darauf, wie in der Gemeinschaft mit der Sprachenfrage umzugehen war:
“Die Regelung der Sprachenfrage für die Organe der Gemeinschaft wird unbeschadet der Verfahrensordnung des Gerichtshofes vom Rat einstimmig getroffen.” (Artikel 217 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft)[13]
Als die Verträge 1958 in Kraft traten, erlies der damalige Rat der Minister (heute Rat der Europäischen Union und oberstes, gesetzgebendes Organ der EU) eine aus acht Artikeln bestehende Verordnung zur Klärung der Sprachenfrage, die bis heute gültig ist[14]:
- Artikel 1: Die Amtssprachen und die Arbeitssprachen der Organe der Gemeinschaft sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Niederländisch.
- Artikel 2: Schriftstücke, die ein Mitgliedsstaat oder eine der Hoheitsgewalt des Mitgliedsstaats unterstehende Person an Organe der Gemeinschaft richtet, können nach Wahl des Absenders in einer der Amtssprachen abgefasst werden. Die Antwort ist in der selben Sprache zu erteilen.
- Artikel 3: Schriftstücke, die ein Organ der Gemeinschaft an einen Mitgliedsstaat oder an eine der Hoheitsgewalt des Mitgliedsstaats unterstehende Person richtet, sind in der Ssprache dieses Staates abzufassen.
- Artikel 4: Verordnungen und andere Schriftstücke von allgemeiner Geltung sind in allen Amtssprachen abgefasst.
- Artikel 5: Das Amtsblatt der Gemeinschaft erscheint in den vier Amtssprachen.
- Artikel 6: Die Organe der Gemeinschaft können in ihren Geschäftsordnungen festglegen, wie diese Regelung der Sprachenfrage im Einzelnen anzuwenden ist.
- Artikel 7: Die Sprachenfrage für das Verfahren des Gerichtshof wird in dessen Verfahrensordnung geregelt.
- Artikel 8: Hat ein Mitgliedsstaat mehrere Amtssprachen, so bestimmt sich der Gebrauch der Sprache auf Antrag dieses Staates nach den auf seinem Recht beruhenden allgemeinen Regeln. Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat.[15]
Artikel 1 wurde nach der Umbenennung der Europäischen Gemeinschaft in die Europäische Union im Jahr 1992 insofern abgeändert, dass nun von von den “Organen der Union” die Rede war, außerdem wurden die aufgeführten Amtssprachen bei jeder EU-Erweiterung ergänzt.[16] Gemäß Artikel 4 wurden und werden alle für sämtliche Mitgliedsstaaten relevante Gesetzestexte in allen Amtssprachen verfasst. Bemerkenswert ist, dass der Rat für das Übertragen einer Fassung in andere Sprachen das Verb “abfassen” statt “übersetzen” verwendet. Wagner, Bech und Martínez (2002:7) bezeichnen diese Wahl als “logische Konsequenz aus dem Grundsatz, nach dem alle Sprachen den gleichen Status besitzen.” Statt zwischen Originaltext und übersetzer Version zu unterscheiden, sind alle Versionen rechtskräftige Originale, unabhängig davon, in welcher Sprache der Text zunächst verfasst wurde.
Keine andere Organisation betreibt eine derartig ausgefeilte Sprachpolitik wie die Europäische Union. Die folgende Tabelle stellt einige global agierende Organisationen vor, die mit weit weniger Amtssprachen auskommen[17]:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Internationale Organisationen und ihre Amtssprachen
Es stellt sich die Frage, weshalb die EU-Institutionen an ihrer Politik der Sprachenvielfalt festhalten, wenngleich dies mit höheren Kosten und einem erheblich größeren Verwaltungsaufwand einhergeht. In Kapitel 4.2 wird auf die diversen Gründe für diese Entscheidung genauer eingegangen – fest steht jedoch, dass Sprache in der EU weitaus mehr Bedeutung beigemessen wird als in allen anderen Organisationen. Die von den EU-Institutionen betriebene Sprachenpflege beschränkt sich dabei längst nicht nur auf die gesetzliche Gleichstellung ihrer 24 Amtssprachen. Gerhards (2010:127) nennt drei Merkmale, die bezeichnend sind für die Sprachpolitik der EU-Institutionen (Auch hier müsste streng genommen dort, wo Gerhards von der EU spricht, der Begriff EU-Institutionen verwendet werden):
“1. Die EU akzeptiert die Amtssprachen ihrer Mitgliedsländer als ihre eigenen Amtssprachen. Die Mehrsprachigkeit der EU ist damit konstitutives Merkmal der Europäischen Union.
2. Die EU akzeptiert nicht nur die Amtssprachen ihrer Mitgliedsländer, sie schützt und fördert darüber hinaus die Minderheitensprachen (…) und fördert damit nochmals die sprachliche Heterogenität Europas.
3. Zugleich fördert die Europäische Union durch eine Vielzahl von Programmen die Mehrsprachigkeit ihrer Bürger (…).”
Was Punkt zwei betrifft, so haben die EU-Institutionen in der Vergangenheit tatsächlich eine beeindruckende Reihe von Programmen und Initiativen ins Leben gerufen, um die Mehrsprachigkeit unter den EU-Bürgern zu propagandieren. Das wohl bekannteste Programm ist sicherlich das ERAMUS-Programm. Neben einer verbesserten Mobilität der Studenten und Lehrkräfte sowie einem regeren Austausch zwischen den Universitäten zielt das Programm auch auf die Verbesserung der Fremdsprachenkenntnisse von jungen EU-Bürgern ab. Inwieweit dies gelingt, soll im nächsten Kapitel genauer beleuchtet werden. Ein weiteres Beispiel für Förderungsmaßnahmen im Bereich Sprache durch die EU-Institutionen ist das 2001 ausgerufene Jahr der Sprachen, das dazu dienen sollte, die EU-Bürger für das Sprachenthema zu sensibilisieren. Dabei sollten die Bürger über die Vorteile informiert werden, die das Lernen von Fremdsprachen mit sich bringt. Auch die frühkindliche Fremdsprachenerziehung war den EU-Institutionen ein Anliegen.[18] Diese unterstützen zudem eine Vielzahl von Projekten, die den Fokus von den “großen”, immer dominanteren Sprachen (z.B. Englisch) auf die “kleineren” Sprachen lenken sollen.[19] Auch die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen, die 1992 vom Europarat gezeichnet wurde, um sprachliche Vielfalt in Europa zu schützen, wird mittlerweile von 25 Ländern anerkannt, von denen 18 Mitgliedsstaaten der EU sind.[20]
Es überrascht nicht, dass die oben genannten Regelungen zur Sprache innerhalb der EU selbst von den EU-Institutionen nur bedingt eingehalten werden können. Auch wenn alle Amtssprachen zugleich offizielle Arbeitssprachen sind, so ist es dennoch nicht möglich, diese im täglichen Arbeitsleben vollkommen gleichberechtigt zu behandeln. Obwohl die Achtung aller Amtssprachen den EU-Institutionen ein wichtiges Anliegen ist, so müssen diese doch zumindest intern selektiv vorgehen, um handlungsfähig zu bleiben. Tatsächlich kommen sämtliche EU-Einrichtungen mit zwei bzw. drei inoffiziellen Arbeitssprachen aus: Englisch, Französisch und gegebenenfalls noch Deutsch. Französisch war insbesondere in den Anfangstagen der EU von großer Bedeutung für die interne Kommunikation. Dies lag wohl zum einen daran, dass die Sprache in den sechs Gründungsländern eine wichtige Rolle spielte (In Frankreich, Belgien und Luxemburg ist sie Amtssprache), zum anderen sind quasi alle Einrichtungen der EU in einer französischsprachigen Umgebung angesiedelt.[21] Spätestens seit der EU-Erweiterung von 2004 hat sich das Blatt jedoch zugunsten der englischen Sprache gewendet – Das Französische ist in den Staaten Osteuropas als Fremdsprache nicht von Bedeutung und die englische Sprache hatte sich bereits vorher durch den Beitritt Großbritanniens und Irlands ihre Berechtigung als Arbeitssprache erworben. Die derzeitige Entwicklung bezüglich der internen Arbeitssprachen wird insbesondere von Frankreich stark kritisiert. Warum dies der Fall ist, soll in Kapitel 4.2 erläutert werden.
Welche der 24 Amtssprachen in der täglichen Arbeit der Institutionen tatsächlich verwendet werden, wird in den Geschäftsordnungen der einzelnen Institutionen festgelegt.[22] Die folgende Tabelle zeigt, welche Sprachen den EU-Institutionen als Arbeitssprachen dienen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2: Arbeittsprachen der EU-Institutionen
Neben den Institutionen haben auch einige der EU-Organe eine eigene Regelung bezüglich der Amtssprachen; so arbeitet beispielsweise die Europäische Zentralbank ausschließlich in englischer Sprache.[23]
Kraus (2004:143) beschreibt die tatsächliche Sprachenpolitik der EU-Institutionen wie folgt:
“In der praktischen Arbeit der EU-Institutionen erweist sich die Statusgleichheit der Amtssprachen (…) häufig als eine Fiktion. Dort, wo in den Kommunikationsabläufen auf die unmittelbare Hilfe der Dolmetscher- bzw. der Übersetzungsdienste verzichtet werden kann, bleibt der Multilingualismus sehr selektiv.”
Folglich steht die tatsächliche, von den EU-Institutionen betriebene Sprachpolitik in starkem Widerspruch zu der von ihnen propagandierten Sprachenvielfalt innerhalb der Europäischen Union. Im Folgenden soll geklärt werden, wie diese Sprachpolitik ausserhalb der Institutionen zum Tragen kommt.
Wenn die EU-Institutionen Sprachenvielfalt bewusst fördern, so benötigt sie auch mehrsprachige Bürger, um die Kommunikation zwischen den einzelnen Mitgliedsländern aufrecht zu erhalten. Generell streben die EU-Institutionen die Strategie “Muttersprache + 2 Fremdsprachen” an. Jeder EU-Bürger soll also im Idealfall wenigstens zwei Fremdsprachen gut genug beherrschen, um sich darin ausdrücken zu können. Die Fremdsprachen, die zu den Amtssprachen der EU zählen sollen, sind von jeden einzelnen Bürger frei wählbar. Das Erlernen kleinerer Sprachen wird dabei genauso befürwortet wie das Erlernen größerer Sprachen.[24] Regelmäßige Untersuchungen zu den tatsächlichen Fremdsprachenkenntnissen der EU-Bürger zeigen jedoch ein ganz anderes Bild von der Mehrsprachigkeit der EU. Die jüngste Eurobarometer Umfrage vom Juni 2012 kommt zu dem Ergebnis, dass nur knapp über 50% aller EU-Bürger nach eigenen Angaben eine Fremdsprache gut genug beherrschen, um darin ein Gespräch führen zu können. Ein Viertel gab an, zwei Fremdsprachen zu beherrschen, ein Zehntel spricht drei und mehr Fremdsprachen.[25] Die Ergebnisse zeigen, dass jeder zweite EU-Bürger sich lediglich in seiner Muttersprache ausdrücken kann – von einer erfolgreichen Politik der Fremdsprachenförderung kann also bisher nicht die Rede sein. Die mangelnden Fremdsprachenkenntnisse haben unterschiedliche Gründe: Zum einen nehmen die EU-Institutionen kaum Einfluss auf die Bildungssysteme ihrer Mitgliedsstaaten. Während viele Bereiche zwischenstaatlichen Zusammenlebens von ihnen stark homogenisiert werden (z.B das Agrarwesen, Handel, Umweltschutz etc.) ist das Bildungswesen noch immer Angelegenheit der einzelnen Länder.[26] Dies führt dazu, dass Fremdsprachenunterricht je nach Mitgliedsland unterschiedlich stark gefördert wird. Auch die angebotenen Sprachen sind nicht in erster Linie auf den Erhalt von Sprachenvielfalt ausgerichtet: So lernen Kinder in den meisten Schulen primär die Sprachen, die ihnen in ihrem späteren Berufsleben von Nutzen sind. So ist die englische Sprache laut der Eurobarometer-Umfrage in fast allen Mitgliedsländern, in denen sie nicht Amtssprache ist, die meistgesprochene (und meistgelehrte) Fremdsprache. Dies widerspricht dem Wunsch der EU-Institutionen, alle Amtssprachen als gleichwertige Fremdsprachen zu behandeln, hat aber durchaus einen Sinn – das Lernen einer Sprache ist zeit-, kosten- und arbeitsintensiv und sollte dem Lernenden letztendlich zu etwas nützen. Gerhards (2010:215) verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff “transnationales Kapital”: Durch das Erlernen von Fremdsprachen können wir uns außerhalb unseres Heimatlandes verständigen, Arbeit, Freunde und Partner im Ausland finden, uns mit anderen EU-Bürgern austauschen oder uns über Grenzen hinweg politisch engagieren – doch wenn alle Amtssprachen gleichermaßen als zu erlernende Fremdsprachen beworben werden, geht der betriebene Aufwand nicht immer mit dem entsprechenden Nutzen einher:
“Je mehr Sprachen es gibt, desto höher ist die Kombinationsvielfalt an Sprachen, die Menschen als Fremdsprachen wählen können, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Menschen aufeinander treffen, die die gleiche Kombination an Sprachen gewählt haben.” (Gerhards 2010:215)
Somit ist den EU-Mitgliedsstaaten kein Vorwurf zu machen, wenn sie bei der Fremdsprachenausbildung ganz bewusst bestimmte Sprachen bevorzugen – ein EU-Bürger, der beispielsweise Lettisch lernt, wird außerhalb von Lettland mit seinen knapp über zwei Millionen Einwohnern wohl kaum je die Gelegenheit bekommen, seine erworbene Fremdsprache zu gebrauchen. Insofern hat die Kritik an der Sprachpolitik der EU-Institutionen sicherlich ihre Berechtigung – um tatsächliche Kommunikation zwischen EU-Ländern zu erreichen, bedarf es einer stark begrenzten Anzahl von Fremdsprachen, die in allen Mitgliedsländern gleichermaßen gelehrt werden. Wieso sich diese Vorgehensweise bisher dennoch nicht durchsetzen konnte, wird in Kapitel 5.2.1 behandelt werden.
In Hinsicht auf die meistgelehrten Fremdsprachen in der EU ist davon auszugehen, dass das Englische seine Vormachtstellung in Zukunft weiter ausbauen wird: Schließlich haben alle Mitgliedsländer ein Interesse daran, ihren Nachwuchs zu wettbewerbsfähigen Bürgern heranzuziehen. Englisch ist bereits unbestreitbar die Sprache des internationalen Marktes und zudem im Begriff, zur dominanten Sprache im Bereich der Wissenschaft zu werden. Es bleibt zu klären, welche Auswirkungen dies langfristig auf die Arbeitsweise der EU-Institutionen haben wird.
Die Beobachtungen zur Sprachensituation der EU lassen sich wie folgt zusammenfassen: In keiner anderen Organisation wird der Sprache soviel Bedeutung beigemessen, wie es in der EU der Fall ist. Die EU-Institutionen befürworten eine Sprachpolitik, die ein gleichberechtiges Nebeneinander aller Amtssprachen anstrebt und auch Regional- und Minderheitensprachen zu schützen gedenkt. Tatsächlich bleiben die Institutionen selbst hinter ihrem eigenen Anspruch zurück, indem sie mit einer stark eingeschränkten Anzahl von Sprachen arbeiten. Auch die tatsächlichen Fremdsprachenkenntnisse der EU-Bürger lassen eine deutliche Lücke zwischen Idealismus und Realität in Hinsicht auf Mehrsprachigkeit in der EU erkennen. Angesichts einer derartig komplexen Sprachensituation sind die Sprachendienste der EU-Institutionen ein wichtiges Instrument, um die Kommunikation zwischen den Mitgliedsländern aufrecht zu erhalten.
Die EU-Institutionen sind in ihrem Arbeitsalltag auf ihre Sprachendienste angewiesen. Die Verwendung von derzeit 24 Amtssprachen resultiert in enormen zu übersetzenden Textmengen. Nach der jüngsten EU-Erweiterung (Beitritt Kroatiens im Juni 2013) arbeiten die Übersetzer und Dolmetscher der EU-Institutionen mit 552 möglichen Sprachkombination (jede der 24 Amtssprachen muss in alle übrigen 23 Sprachen übersetzt werden können: 24*23 = 552 mögliche Sprachkombinationen). Auch wenn die Institutionen wie bereits erwähnt meist mit weniger Sprachen auskommen, sind sie doch nach der Verordnung zur Regelung der Sprachenfrage verpflichtet, alle möglichen Kombinationen abzudecken.
Die folgende Tabelle zeigt die Übersetzungsdienste der EU-Institutionen mit den Zahlen der dort beschäftigten Übersetzer. Wagner, Bech und Martínez, allesamt Übersetzer bei der Europäischen Kommission, veröffentlichten im Jahr 2000 eine Arbeit, die sich mit der Übersetzertätigkeit in den EU-Institutionen befasst.[27] Die Zahlen in Klammern wurden dieser Arbeit entnommen; sie sollen verdeutlichen, wie stark die Zahl der Übersetzer in den einzelnen Institutionen im Zuge diverser EU-Erweiterungen in den letzten 13 Jahren angestiegen ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 3: Übersetzungdienste der EU-Institutionen
Der Sprachendienst der Europäischen Kommission (bestehend aus der Generaldirektion Übersetzung und der Generaldirektion Interpretation) ist dabei der weltweit größte Arbeitgeber für Übersetzer und Dolmetscher. Neben den 2.500 Übersetzern beschäftigt er 558 fest angestellte Dolmetscher. Lediglich das Europäische Parlament und der Gerichtshof verfügen über einen separaten Dolmetschdienst. Der Rat und der Rechnungshof sowie alle weiteren EU-Organe bedienen sich im Bedarfsfall des Dolmetschdienstes der Europäischen Kommission.[33] Sowohl Übersetzungs- als auch Dolmetschdienste gehören zum Verwaltungsapparat der EU und machen einen nicht unerheblichen Teil desselben aus: Im Jahr 2000 gehörten ca. 20% aller in der Verwaltung beschäftigten Angestellten zu den EU-Sprachendiensten.[34] Dazu gehören neben Übersetzern und Dolmetschern auch Terminologen, auf Rechtsstexte spezialisierte Linguisten sowie IT-Fachkräfte.
Übersetzungen werden zu unterschiedlichsten Themen und Zwecken angefertigt. Dabei werden längst nicht alle Texte auch in alle Amtssprachen übersetzt. Dies erfolgt nur, wenn es erforderlich ist (z.B. bei Gesetzestexten, die alle EU-Bürger betreffen). Dokumente wiederum, die nur eine bestimmte Anzahl von Sprechergruppen betreffen, werden nur in den erforderlichen Sprachen oder auf Anfrage anderer Mitgliedsländer übersetzt. Zu den zu übersetzenden Texten gehören unter anderen:
- Reden, z.B. von Abgeordneten des Europäischen Parlaments
- Verträge der EU
- Gesetzestexte und Gesetzesentwürfe
- Berichte und Protokolle
- EU-interne Studienblätter
- zu überarbeitende Maschinenübersetzungen
- Texte für die Öffentlichkeit, z.B Infobroschüren für EU-Bürger
- Web-Inhalte
Die meisten der EU-Amtssprachen dienen bei der Übersetzung vorwiegend als Zielsprache. Der Großteil der zu übersetzenden Texte wird in englischer, französischer oder in Ausnahmefällen in deutscher Sprache verfasst und danach je nach Bedarf in weitere Amtssprachen übertragen. 2013 wurden 72% aller EU-Dokumente auf Englisch verfasst, 12% auf Französisch und 3% auf Deutsch.[35] Englisch ist zugleich die meistgeforderte Zielsprache: Im Übersetzungsdienst der Europäischen Kommission wurden 2012 knapp 15% aller übersetzten Dokumente ins Englische übertragen, etwas über 8% ins Französische und 6,5% ins Deutsche. Alle anderen Sprachen (mit Ausnahme von Irisch und Maltesisch, die jeweils 0,4% ausmachten) liegen im Bereich von 3% - 4%.[36]
Die Übersetzer der EU-Institutionen übersetzen stets nur in ihre Muttersprache, um eine optimale Qualität der erstellten Texte zu gewährleisten (lediglich bei EU-internen Texten, die nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, können Übersetzer in Einzelfällen in eine Fremdsprache übersetzen, um Zeit- oder Personalmängel auszugleichen[37] ). Dementsprechend sind auch die Nationalitäten der bei den EU-Übersetzungsdiensten beschäftigten Übersetzer verschieden stark vertreten. Die Generaldirektion Übersetzung der Europäischen Kommission gibt als größter Arbeitgeber für Übersetzer innerhalb der EU-Institutionen Auskunft zu den dort beschäftigten Angestellten und deren Nationalitäten: Demzufolge machen die Muttersprachler der drei meistverwendeten Amtssprachen (Belgier, Franzosen, Briten, Deutsche, Luxemburger und Österreicher) ca. 28% aller Beschäftigten aus. Griechen, Spanier und Italiener sind mit je ca. 5% vertreten, Finnen, Rumänen und Polen mit je 4%. Alle anderen Nationalitäten liegen im Bereich von 1,6% bis 3,6%. Knapp über zwei Drittel aller Beschäftigten sind Frauen.[38] Die Hälfte aller Beschäftigten haben ihren Arbeitsplatz in Luxemburg, ca. 48% in Brüssel und weitere 1,3% sind in Außendienststellten tätig.
Genaue Zahlen zu den Übersetzungsdiensten anderer EU-Institutionen liegen nicht vor. Da der überwiegende Gebrauch von Englisch, Französisch und Deutsch sich nicht auf die Europäische Kommission beschränkt, lässt sich jedoch vermuten, dass eine ähnliche Gewichtung der Nationalitäten auch in den Übersetzungsdiensten der anderen EU-Institutionen vorliegt.
Trotz zahlreicher Versuche, die Menge der zu übersetzenden EU-Dokumente zu verringern, übersetzen die Übersetzungsdienste der EU-Instutionen jährlich mehrere Millionen Seiten Text. Die folgende Tabelle zeigt, welche beeindruckenden Textmengen von den jeweiligen Übersetzungsdiensten in den letzten Jahren bewältigt wurden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 4: Arbeitsumfang der Übersetzungdienste der EU-Institutionen
Um die Übersetzungdienste sämtlicher EU-Einrichtungen zu unterstützen und eventuelle Engpässe auszugleichen, wurde 1994 das Übersetzungszentrum für die Einrichtungen der Europäischen Union ins Leben gerufen. Dessen Arbeitsvolumen lag im Jahr 2009 bei 736 008 übersetzen Seiten.[42]
Um ihre Übersetzungsdienste weiter zu entlasten geben die EU-Institutionen in unterschiedlichem Maße Übersetzungsaufträge an externe Übersetzer, sogenannte Freelancer, sowie an Übersetzungsbüros ab:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 5: Arbeitsvolumen für Freelance-Übersetzer
Die Arbeit der Übersetzer besteht dabei nicht ausschließlich aus der Übersetzung von Texten: Auch die Pflege der Teminologiedatenbanken, die Überarbeitung von bereits bestehenden Texten (z.B. die Aktualisierung von Web-Inhalten) gehören zu den Aufgaben der Übersetzer. Häufig müssen in Auftrag gegebene Texte zunächst von Muttersprachlern überarbeitet werden, bevor diese übersetzt werden können. Dies kann dann notwendig sein, wenn der Text von einem Nicht-Muttersprachler verfasst wurde und zum Beispiel Fehler enthält, welche die Qualität der Übersetzungen gefährden würden. Oftmals werden Entwürfe von mehr als nur einer Person verfasst. Insbesondere dann, wenn es sich um Personen unterschiedlicher Muttersprachen handelt, kann eine vorherige Überarbeitung des Textes erforderlich sein. Um das Arbeitsvolumen der Übersetzungsdienste so gering wie möglich zu halten, bemühen sich die Institutionen, den Umfang ihrer Dokumente einzugrenzen: Ein Dokument der Europäischen Kommission hat heute einen durchschnittlichen Umfang von 15 Seiten – vor den beiden Osterweiterungen 2004 und 2007 lag dieser noch bei 37 Seiten.[44] Dennoch ist das Arbeitsvolumen der Übersetzungsdienste noch immer sehr hoch, zumal mit jeder EU-Erweiterung weitere Zielsprachen für die Übersetzung in Frage kommen.
Angesichts des gewaltigen Aufwandes, der im Auftrag der sprachlichen Vielfalt betrieben wird, stellt sich die Frage nach dem Warum. Wäre es nicht weitaus einfacher, weniger zeitaufwendig und vor allen Dingen kostengünstiger, sich an der Sprachpolitik anderer Organisationen zu orientieren? Im Folgenden soll versucht werden, zu erklären, durch welche Aspekte von Sprache die Arbeit der Sprachendienste der EU-Institutionen ihre Berechtigung erfährt.
Wann immer von Europa die Rede ist, fällt auch meist der Begriff der Europäischen Identität – ein abstrakter Begriff, der suggeriert, dass alle EU-Bürger sich in irgendeiner Weise einander zugehörig fühlen und eine Identität teilen, die über ihre jeweilige Nationalität hinausgeht. Die Frage, ob die Europäische Identität Wirklichkeit oder lediglich eine Wunschvorstellung von EU-Befürwortern ist, ist bis heute Gegenstand lebhafter Diskussionen. Kraus (2004:55) äußert sich kritisch zum Konzept der Europäischen Identität:
“Europäische Identität ist mittlerweile zu einem Konzept geworden, das so häufig benutzt wird, dass es noch untertrieben wäre, seine Verwendung als inflationär zu charakterisieren. Das Konzept droht zugleich zu einer Leerformel zu verkümmern, deren Inhalt je nach Verwendungskontext geradezu beliebig variiert.”
Um dem Konzept der Europäischen Identität mehr Handfestigkeit zu verleihen, führen die EU-Institutionen seit 1973 regelmäßige Befragungen der EU-Bürger durch, die sich unter anderem mit der Identitätsfrage beschäftigen. Im Rahmen der 1998 veröffentlichten Eurobarometer-Umfrage EB50[45] wurden EU-Bürger nach ihrer gefühlten Identität gefragt. Sahen sie sich in erster Linie als Europäer oder als Bürger ihres jeweiligen Landes? Die folgende Tabelle zeigt die ermittelten Werte:
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Tabelle 6: Europäische Identität im Jahr 1998
Vierzehn Jahre später weist die 2012 veröffentlichte Eurobarometer-Umfrage EB77[46] folgende Werte auf:
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Tabelle 7: Europäische Identität im Jahr 2012
Es ist zu beobachten, dass sich die Werte nicht nennenswert verändert haben. Auch wenn die Zahl der EU-Bürger, die Identität ausschließlich an ihrer Nationalität festmachen, etwas gesunken ist, kann nicht von einer bemerkenswerten Veränderung zu Gunsten der EU die Rede sein. Wenn EU-Bürger sich also nicht über den gesamten Staatenverband, in dem sie leben, identifizieren, sondern prinzipiell über das eine Land, aus dem sie stammen, kann man davon ausgehen, dass auch die Sprachen, mit denen sie in dem jeweiligen Land konfrontiert werden und die sie wahrscheinlich selbst sprechen, einen Einfluss auf die Identitätsbildung ausüben. Es steht außer Frage, dass Sprache nicht nur der Kommunikation dient – sie erzeugt ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe, wenn unsere Sprache denen der anderen ähnelt oder ein Gefühl der Fremdartigkeit, wenn unser Gegenüber unsere Sprache nicht teilt oder sie in einer für uns ungewohnten Variante spricht. Eine Vielzahl von Arbeiten zum Thema Funktionen von Sprache gelangt zu dem Schluss, dass Sprache eng verknüpft ist mit Identität. Gerhards (2010:38-42) geht davon aus, dass unsere Muttersprache einen so ursprünglichen Teil unserer Persönlichkeit ausmacht, dass wir uns ein Leben lang über diese identifizieren:
“In der Muttersprache beginnen wir zu denken und zu kommunizieren. Die Sprache wird zu einem unmittelbaren Bestandteil der eigenen Geschichte. Dadurch erwerben wir ein Verhältnis der tiefen Vertrautheit mit der eigenen Sprache, ihren Wörtern und ihrem Klang.”
Gerhards nimmt außerdem an, dass eine Fremdsprache uns schon deshalb nie so vertraut sein kann wie die eigene, weil wir sie weder perfekt beherrschen noch akzentfrei sprechen können, sofern wir sie nicht schon im Kindesalter erlernt haben. Jeder Fremdsprache wird folglich immer etwas “Fremdes” anhaften.[47] Kraus (2004:99-100) nimmt bezüglich der Identitätsfunktion von Sprache Folgendes an: Auf instrumenteller Ebene verwenden wir Sprache, um uns mitzuteilen, Dinge und Sachverhalte zu beschreiben. Auf expressioneller Ebene lassen sich durch Sprache auch nicht greifbare Konzepte ausdrücken oder Gedanken zum Ausdruck bringen. Auch wenn die meisten Sprachen wenigstens über eine gewisse Schnittmenge an identischem Vokabular verfügen, gibt es sicherlich Konzepte, die nicht in jeder Sprache ausgedrückt werden können: Zum Beispiel gibt es in der japanischen Sprache vollkommen unterschiedliche Wörter für kochendes, heißes, warmes, lauwarmes, kaltes und und eiskaltes Wasser und zudem ein reiches Vokabular, mit dem Regengüsse je nach Tages- und Jahreszeit, Dauer, Intensität und Temperatur benannt weden können. Man könnte daraus schlussfolgern, dass Menschen unterschiedlicher Sprachen unterschiedliche Gedanken, Weltanschauungen etc. haben. Wir würden uns also eher mit den Menschen identifizieren, die unsere Sprache und somit (bis zu einem gewissen Punkt) unsere Denkweise teilen. Laut Witt (2010:8-9) geht die Identitätsbildung eines Menschen für gewöhnlich mit der Abgrenzung von anderen Individuen oder Gruppen einher, wobei der Mensch stets versucht, die kleinstmögliche Gruppe zu finden, mit der er sich noch identifizieren kann. Es wäre möglich, dass dieses Verhalten evolutionsbiologisch zu begründen ist: Je kleiner die Gruppe, desto geringer das Risiko, von einem anderen Gruppenmitglied hintergangen zu werden. Im EU-Gebiet findet sich eine ganze Reihe von kleineren Sprechergruppen, die mehr oder weniger erfolgreich auf die Anerkennung ihrer Sprache pochen. Beispiele dafür sind Katalonien und das Baskenland in Spanien oder die Flämische Region Belgiens.
Die über Sprache definierte Identität eines Menschen kann eine sehr persönliche und individuelle sein. Vergleichen wir beispielsweise einen Berliner Studenten, der in einer Großstadt mit Menschen aus aller Welt zusammen studiert und mehrere Semester im Ausland verbringt, mit einem älteren Herrn, der von Geburt an auf den ostfriesischen Inseln lebt und Niederdeutsch zur Muttersprache hat: Wahrscheinlich werden sich beide in einem gewissen Maße als Deutsche, der Student sich aber sicherlich stärker als der ältere Herr als Europäer fühlen. Auch wenn beide sich ohne Probleme auf Deutsch unterhalten können, teilen sie nicht die gleiche Identität, da sich Wohnort, Lebenssituation und Sprache (Dialekt, Soziolekt etc.) der beiden nicht miteinander vergleichen lassen.
[...]
[1] In dieser Arbeit wird aus Gründen der Platzersparnis stets von Bürgern, Übersetzern, Politikern etc. die Rede sein – gemeint sind selbstverständlich immer beide Geschlechter.
[2] Vgl. Wagner u.a. 2002:20
[3] Siehe Wagner u.a. 2002: 15-23 für eine detailliertere Auflistung der EU-Einrichtungen
[4] Siehe http://europa.eu/agencies/index_de.htm für eine Auflistung aller EU-Agenturen
[5] Siehe offizielle Website des Europarats http://www.coe.int/aboutCoe/index.asp?page=nepasconfondre&l=de
[6] Gerhards 2010:92
[7] Zahlenangaben entnommen von http://www.ethnologue.com/world
[8] Website der Europäischen Kommission http://ec.europa.eu/languages/
languages-of-europe/index_de.htm
[9] Siehe http://ec.europa.eu/enlargement/policy/from-6-to-28-members/index_en.htm (Website der Europäischen Kommission)
[10] Siehe Wagner u.a. 2002:5
[11] Eurobarometer-Umfrage, 2012:6 http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_386_de.pdf
[12] Siehe Tosi 2003: 1-2
[13] Siehe auch Kraus 2004:135
[14] Siehe Wagner u.a. 2002:5
[15] http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/
LexUriServ.do?uri=CONSLEG:1958R0001:20070101:DE:PDF
[16] Wird ein EU-Gesetzestext in irgendeiner Form abgeändert oder erweitert, so ist von einer „konsolidierten Fassung“ die Rede
[17] Siehe Gerhards 2010:129
[18] Vgl. Ahrens 35
[19] Für Beispiele solcher Projekte siehe
http://ec.europa.eu/languages/languages-of-europe/regional-and-minority-languages_en.htm
[20] Siehe Boysen u.a. 2011:30
[21] Siehe Kraus 2004:142
[22] Vgl. Gerhards 2010:130
[23] Siehe Wagner u.a. 2002:20
[24] Vgl. Kraus 2004:182 und Gerhards 2010:148
[25] http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_386_de.pdf
[26] Siehe Gerhards 2010:127
[27] Wagner u.a. 2000
[28] Website der Generaldirektion Übersetzung http://ec.europa.eu/dgs/translation/whoweare/index_de.htm
[29] Sprachendienst des Parlaments http://www.europarl.europa.eu/aboutparliament/de/007e69770f/multilingualism.html
[30] Sprachendienst des Rates
http://www.consilium.europa.eu/contacts/languages-(1)/
the-language-service-of-the-council-general-secretariat.aspx?lang=de
[31] http://curia.europa.eu/jcms/jcms/Jo2_10742
[32] Übersetzungsdienst des Gerichtshofes
http://ec.europa.eu/dgs/translation/publications/brochures/
interpreting_translating_europe_de.pdf
[33] Website der Generaldirektion Dolmetschen http://ec.europa.eu/dgs/scic/about-dg-interpretation/index_de.htm
[34] Wagner u.a. 2000:13
[35] http://www.euractiv.com/culture/commission-unveils-new-translati-news-518050
[36] http://ec.europa.eu/dgs/translation/whoweare/translation_figures_de.pdf
[37] Siehe Wagner u.a. 2002:110
[38] http://ec.europa.eu/dgs/translation/whoweare/translation_figures_de.pdf
[39] http://ec.europa.eu/dgs/translation/translating/index_de.htm
[40] http://www.consilium.europa.eu/contacts/languages-(1)/the-language-service-of-the-council-general-secretariat.aspx?lang=de
[41] http://curia.europa.eu/jcms/jcms/Jo2_10742/
[42] http://cdt.europa.eu/DE/whoweare/Pages/Presentation.aspx
[43] Wagner u.a. 2000:15-19
[44] http://www.euractiv.com/culture/eu-translation-policy-stay/article-170516
[45] http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/eb/eb50/eb50_de.pdf (Seite 66)
[46] http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/eb/eb77/eb77_citizen_en.pdf (Seite 26)
[47] Gerhards 2010:42
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