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Mehr InfosBachelorarbeit, 2010, 78 Seiten
Bachelorarbeit
1,0
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einführung
2. Zahlen und Fakten
3. Medium und Rezipient
3.1 Warum Fernsehen?
3.2 Fernsehwirkung
3.2.1 Fernsehen und kindliche Wahrnehmung
3.2.2 Selektions- und Verarbeitungsprozesse
3.2.3 Wirkmechanismen
3.3 Konsumintensität und Stärke der Effekte
3.4 Identifikation und Vorbilderwahl
3.5 Risikogruppen und Wirkungsgeflechte
3.6 Fazit – Medium und Rezipient
4. Fernsehen und Gewalt
4.1 Fernsehgewalt und Aggression
4.1.2 Was ist Aggression?
4.1.3 Wirkungshypothese vs. Selektionshypothese
4.1.4 Empirische Untersuchungen zu medialer Gewalt und Aggressionssteigerung
4.1.5 General affective aggression model (GAAM )
4.1.6 Wichtigkeit der Befunde
4.1.7 Einflussfaktoren auf gewalttätiges Verhalten
4.2 Fernsehgewalt und Angst
4.3 Fazit – Fernsehgewalt
5. Fernsehen und Bildung
5.1 Mainstreaming-Hypothesen
5.2 Negative Auswirkungen auf die Schulleistung
5.2.1 Rechen-, Sprach- und Lesekompetenzen
5.3 Positive Effekte durch Bildungsprogramme
5.3.1 Die Sesamstraße
5.4 Fazit – Fernsehen und Bildung
6. Fernsehen und Gesundheit
6.1 Schlafstörungen
6.2 Gewichtszunahme
6.3 Pathologische Fernsehnutzung
6.4 Sexualität und Frühreife
6.5 Fazit- Fernsehen und Gesundheit
7. Fazit – Auswirkungen von Fernsehkonsum auf Kinder und Jugendliche
Literaturverzeichnis
Erklärung
Abbildung 1. Situationsabhängige Fernsehnutzung im Alter im Alter von 6 bis
Abbildung 2. Vorbilder und Idole im Alter von 6 bis
Abbildung 3. Direkte und indirekte aggressionssteigernde Auswirkungen einer belastenden Familiensituation für Kinder in der formal-operativen Phase
Abbildung 4. General affective aggression model (GAAM)
Abbildung 5. Intelligenzentwicklung und Aggression
Abbildung 6. Übergewicht, TV Konsum und Selbstwertgefühl
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Entwicklung und Verbreitung eines neuen Mediums führt sowohl Hoffnungen wie auch Ängste mit sich und wirft verschiedenste Fragen und Theorien auf. Im Gegensatz zu anderen Medien besitzt das Fernsehen laut Kunkel (1998) eine Ganzheitlichkeit, die es mit keinem anderen Massenmedium teilt. Bei der Rezeption werden gleichzeitig zwei Sinne angesprochen, nämlich sowohl das Gehör als auch das Sehen. Dieses doppelte Wahrnehmen könnte die Ursache dafür zu sein, dass die im Fernsehen gezeigten Inhalte außerordentlich intensiv wahrgenommen werden und aufmerksamkeitsstark sind. Da das Fernsehen, im Gegensatz zu Büchern, den Zuschauer zudem unmittelbar am gezeigten Geschehen teilnehmen lässt, ohne zuvor eine schwierige Kodierungsbarriere überwinden zu müssen, warf und wirft das Medium bis heute besonders viele Fragen und Vermutungen auf. Dementsprechend groß und vielseitig ist die Zahl der Untersuchungen zu den Auswirkungen des Fernsehkonsums.
Gerade bei Kindern und Jugendlichen könnten sich mögliche Fernseheffekte nachhaltig auswirken: „Weil sich Einflüsse auf ein Menschenleben über fast dessen gesamte Dauer auswirken, haben jegliche formende Erfahrungen umso größere Auswirkungen, je früher sie im Leben eines Menschen erfolgen“ (Spitzer, 2005, S. 6). Viele Effekte, wie z. B. eine aggressionssteigernde Wirkung von gewalthaltigen Fernsehinhalten auf den Rezipienten, sind inzwischen durch Studien belegt worden (Anderson & Bushman, 2001). Aber auch die Erzielung positiver Lerneffekte durch Bildungsprogramme und die Steigerung prosozialer Handlungsweisen gelten als gesichert (Huesmann, Moise-Titus, Podolski & Eron, 2003). Obwohl Auswirkungen in verschiedenen Bereichen nachgewiesen werden konnten, sind die Ergebnisse oftmals heterogen und es bleibt schwierig, die Effekte zu verallgemeinern, Problemgruppen zu identifizieren und eindeutige Maßnahmen abzuleiten: „Dass die Frage nach den Auswirkungen des Fernsehkonsums bei Kindern nach wie vor offen scheint, liegt jedoch weniger an der Unzulänglichkeit der bisherigen Forschungsbemühungen, sondern vielmehr an der Komplexität des Nutzungs- und Rezeptionsverhaltens und den relevanten Randbedingungen“ (Bak, 2009, S. 1).
Anliegen dieser Arbeit ist es daher einerseits, eine Einsicht in die verschiedenen Themenbereiche und Forschungsbefunde zu geben. Andererseits liegt ein besonderes Augenmerk auf den Wirkmechanismen, die hinter den Effekten stehen, und auf der Identifikation von Einflussfaktoren, welche die Fernsehwirkung maßgeblich prägen. Durch das Aufdecken von Zusammenhängen und Wirkungsgeflechten ist es zudem Ziel dieser Arbeit, den Bezug einzelner Befunde auf den Alltag zu erleichtern und die Auswirkungen bestimmter Fernsehinhalte individueller prognostizieren zu können. Mittels der Zusammenführung verschiedener Untersuchungsergebnisse aus Bereichen der Psychologie, Soziologie und Neurophysiologie soll ein abgerundetes Gesamtbild der Thematik entstehen, von dem abschließend Verbesserungsvorschläge abgeleitet werden.
Obwohl das Internet als Informationsquelle und Computerspiele als Freizeitbeschäftigung immer wichtiger werden, bezieht sich diese Arbeit auf das ältere Medium Fernsehen und seine Auswirkungen. Für die Wahl dieses Mediums als Untersuchungsobjekt spricht die große Verbreitung auf fast allen Kontinenten. Auch kann das Medium Fernsehen auf eine längere Entstehungs- und Wirkungsgeschichte zurückblicken als der Computer und beeinflusst dementsprechend schon um einiges länger unseren Alltag. Somit sind die Untersuchungen zahlreich, und neben den Kurzzeiteffekten sind auch dessen Langzeiteffekte bekannt. Nicht zuletzt aufgrund der hohen Konsumintensität von Heranwachsenden konzentriert sich die vorliegende Arbeit vornehmlich auf das Fernsehen (Feierabend & Mohr, 2004; Mößle & Pfeiffer, 2008).
Die KIM-Studie ist eine Basisuntersuchung zum Medienumgang Sechs- bis Dreizehnjähriger in Deutschland (Kutteroff & Behrens, 2008). Die Grundgesamtheit umfasste 2008 rund sechs Millionen, befragt wurde eine repräsentative Stichprobe von 1206 Personen. Diese Untersuchung zeigt, dass 100 Prozent aller Haushalte mit Kindern über einen Fernseher verfügen. Ein eigenes Fernsehgerät im Kinderzimmer weisen 42 Prozent auf. Das Fernsehen ist, nach Lernen und Hausaufgaben, die häufigste Freizeitaktivität von Kindern und Jugendlichen. Nach eigenem Bekunden sehen beinahe 73 Prozent täglich fern und laut den Erziehungsberechtigten verbringen Heranwachsende dieser Altersgruppe durchschnittlich 91 Minuten am Tag mit Fernsehen.
Zudem scheinen viele Kinder eine emotionale Bindung zum Fernseher aufgebaut zu haben, sodass sich zwei Drittel nicht vorstellen könnten, auf den Fernseher zu verzichten. Auch jüngere Kinder haben regelmäßigen Fernsehkontakt. Laut einer ARD/ZDF-Studie verbringen bereits 29 Prozent der Zwei- bis Dreijährigen täglich Zeit vor dem Fernseher (Feierabend & Mohr, 2004). Bei Vier- bis Fünfjährigen steigt der Prozentsatz täglicher Konsumenten auf über 95 an. Insgesamt verbringen Kinder im Alter von Zwei bis Fünf, die in Deutschland aufwachsen, täglich durchschnittlich 162 Minuten mit verschiedenen Medien, wie Fernseher, Radio etc. Der Medienkonsum von US-amerikanischen Kindern liegt noch deutlich höher. Die Mediennutzungszeit der Zwei- bis Dreijährigen beträgt dort bereits 322 Minuten pro Tag (Jordan & Woodward, 2001 zit. n. Götz, 2007). In dieser Altersgruppe sehen US-amerikanische Kinder täglich bereits über drei Stunden fern, in Deutschland sind es rund 80 Minuten (Feierabend & Mohr, 2004).
Interessante Hinweise auf Faktoren, welche die Menge des Fernsehkonsums und die Art der gesehenen Sendungen beeinflussen, liefert eine Untersuchung zur Wirkung exzessiver Bildschirmnutzung auf Kinder und Jugendliche von Mößle und Pfeiffer (2008). Die Studie beruht auf einer im Jahr 2005 durchgeführten Befragung von 6000 Viertklässlern in Deutschland. Kinder aus bildungsfernen Familien schauen unter der Woche täglich 98 Minuten länger fern, als Kinder aus bildungsnahen Familien, zudem besaßen sie häufiger ein eigenes Gerät. Diese Zahlen liegen noch weiter auseinander, wenn der Fernsehkonsum am Wochenende verglichen wird (263 Minuten zu 191 Minuten). Der Besitz eines eigenen Fernsehers zeigt Auswirkungen auf die Konsumdauer und auf die konsumierten Inhalte. Heranwachsende mit einem eigenen Fernseher verbringen durchschnittlich 54 Minuten länger vor dem Gerät, als Kinder ohne eigenen Fernsehanschluss. Zudem steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder Sendungen sehen, für die wegen ihres aggressiven Inhalts eine Altersfreigabe von 16 Jahren festgelegt ist. Des Weiteren zeigt sich ein Geschlechterunterschied. 2005 hatten mehr als doppelt so viele 10-jährige Jungen einen eigenen Fernseher im Kinderzimmer, als gleichaltrige Mädchen.
Das dritte Kapitel befasst sich mit der Frage, ob Heranwachsende eher aktive oder passive Rezipienten sind. Nachdem ersichtlich geworden ist, welche Rolle dem Rezipient im Prozess der Fernsehwirkung zukommt, wird der Fokus auf die Bedeutung des Mediums gerichtet. Abschließend wird der Einfluss von Konsumhöhe und möglichen Identifikationsprozessen näher untersucht und an einem Beispiel verdeutlicht, wie durch die Zusammenführungen verschiedener Forschungsbefunde verstärkende Wirkungsgeflechte und Risikogruppen identifiziert werden können.
Warum Kinder und Jugendliche so gern und häufig fernsehen und welche Beweggründe hinter dem Fernsehkonsum stehen, soll im Folgenden näher betrachtet werden. Die Auswirkungen des Fernsehkonsums zu untersuchen, ohne zuvor die Gründe für die hohe Konsumintensität zu hinterfragen, würde bedeuten, einen wesentlichen Aspekt der Thematik zu übergehen. Um zu verstehen, warum Heranwachsende so viel Fernsehen schauen, ist es allerdings sinnvoll, zunächst eine weitere Frage zu klären. Selektieren heranwachsende Rezipienten Medien und Fernsehinhalte überhaupt aktiv aufgrund ihrer Beweggründe oder nehmen sie vielmehr eine rein passive Rolle in der Medienwirkung ein?
Zu Beginn der Medienwirkungsforschung wurde ausschließlich der Medieninhalt
untersucht. Vorerst lagen den Untersuchungen Stimulus-Response-Modelle (S-R) zugrunde, in denen den Rezipienten eine rein passive Rolle zukam. Die S-R- Modelle legen somit bei der Untersuchung der Fernsehwirkung das Hauptaugenmerk auf die gesendeten Inhalte (Rösler, 2004). Genauso haben allerdings auch der Rezipient und situative Komponenten einen ausgedehnten Einfluss auf die Medienwirkung. Fernsehinhalte erreichen nicht jeden Rezipient der Gesellschaft auf die gleiche Weise und werden nicht von allen Zuschauern in der gleichen Art wahrgenommen. Der Nutzen-Belohnungsansatz wendet sich daher ausschließlich dem Rezipienten und seinen sozialen und psychischen Bedürfnissen zu (Vorderer, 1992). Der Rezipient wird als Akteur wahrgenommen, der die verschiedenen Medien selektiv und in Abhängigkeit des sozialen Kontextes bzw. der eigenen Bedürfnislage nutzt. Das Fernsehen bietet somit eine von vielen Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung und wird hauptsächlich deswegen so häufig in Anspruch genommen (Schenk, 1987 zit. n. Rösler, 2004). Die nachfolgende Medienwirkungsforschung baut auf beiden Ansätzen auf und verwirft die Annahme eines monokausalen Zusammenhangs. Beachtung finden hier schließlich sowohl Inhalte und Gestaltungsformen des Mediums, als auch personenbezogene und situative Komponenten (Schenk, 1998). Beispielsweise stellt das dynamisch-transaktionale Modell von Schönbach und Früh (1984) die Medienwirkung als einen wechselseitigen Prozess da und entwirft auf diese Weise die Vorstellungen von einem aktiven und gleichzeitig passiven Rezipienten (zit. n. Rösler, 2004). Die intervenierenden Faktoren auf Seiten des Rezipienten lassen sich nach Schenk (1998) zumeist auf drei Kernkonzepte zurückführen. Das Involvement des Rezipienten, im Sinne der Ich-Beteiligung, ist wichtig für die Tiefe und Qualität der Verarbeitung. Zudem werden durch interpersonale Beziehungen die wahrgenommenen Medieninhalte in Gesprächen ergänzt und bewertet. Das dritte Schlüsselkonzept ist die Selektivität. Diese umfasst sowohl selektive Zuwendung zu einem Medium und bestimmten Inhalten als auch selektive Wahrnehmung und Erinnerung. Schenk (1998) sieht in der Selektivität die wichtigste Komponente und hält fest „[…] daß selektive Prozesse und Strukturen den Kommunikationsprozess durchsetzen, diesen eigentlich definieren“ (S. 532).
Die Fernsehnutzung von Kindern betreffend bekräftigt auch Götz (2002), dass die kleinen Rezipienten aktiv auf die Medien- und Programmwahl Einfluss nehmen. „[…] Kinder haben die Möglichkeit zu wählen, sie müssen wählen - und sie wählen“ (S.1). Wenn man Sechs- bis Dreizehnjährige zu den Situationen, in denen sie fernsehen, befragt, werden vorwiegend Bedürfnislagen genannt (Six, Gimmler & Vogel, 2002, S.86). Die häufigsten Nennungen sind in Abbildung 1 grafisch veranschaulicht. An erster Stelle der Beweggründe steht mit 49 Prozent das Zusammensein mit den Eltern. Mit 46 Prozent folgt die Langeweile und am dritthäufigsten wird die Suche nach Spannung genannt (36 Prozent).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Situationsabhängige Fernsehnutzung im Alter von 6 bis 13 (N=1206.) Eigene Darstellung auf Basis der KIM-Studie 2000. In Anlehnung an Six et al. (2002), S. 89.
Kutteroff (2008) betont, dass es „wichtig“ sei, „das Zusammenspiel von Freizeitaktivität und Medienaktivität zu erkennen. Langeweile ist Motivation für Mediennutzung“ (S. 21). Die verschiedenen Aussagen stützen die Annahme, dass das Fernsehen aktiv genutzt wird, um Bedürfnisse zu befriedigen. Allerdings muss einschränkend hinzugefügt werden, dass sich, besonders innerhalb einer Familie, schnell Fernsehrituale entwickeln können. Dadurch kann es zu rein gewohnheitsbedingten Nutzungsmustern kommen.
Eine Liste der einzelnen Funktionen, die kindlichem Mediengebrauch zugrunde
liegen können, stammt von Six et al. (2002). Die Autoren unterscheiden fünf Dimensionen, die sich jedoch nicht ganz voneinander trennen lassen und wechselseitige Zusammenhänge aufweisen. Kognitive Funktionen erfüllt das Fernsehprogramm, wenn es Informationszwecken dient und dem Kind die Möglichkeit gibt, die Welt zu erkunden. Zu den unterhaltenden Funktionen, die das Fernsehen übernehmen kann, gehören Spaß, die Beseitigung von Langeweile sowie die Möglichkeit, etwas Spannendes zu erleben. Bei den Vorlieben der Kinder zählen nicht nur inhaltliche Argumente. Formale Aspekte, wie visuelle Reize und Geräuscheffekte, können einen „als angenehm erlebten Nervenkitzel“ erzeugen (Groebel, 1998, S. 548). Eng mit der physiologischen Erregung verbunden ist das Erleben von Emotionen. Groebel (1998) schreibt dazu, dass „man […] sich in eine Phantasiewelt“ versetze, ja man „kann damit auch intensivere Gefühle durchleben, ohne daß alle Wünsche und Ängste gleich ernsthaft verarbeitet werden müssten […]“ (S. 549). Vor allem Kinder, die eine hohe Tendenz zum sensation-seeking aufweisen oder sich in einem reizarmen Umfeld befinden, scheinen durch das Fernsehen Emotionen und Nervenkitzel zu suchen. Sensation-Seeking ist die Tendenz einer Person, nach neuen, abwechslungsreichen und intensiven Reizen und Erfahrungen zu suchen und stellt nach Zuckermann (1988) ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal dar (zit. n. Gleich, Kreisel, Thiele, Vierling & Walther, 1998). In den Bereich der Funktionen auf sozial-kognitiver Ebene fallen soziale Wissensfunktionen und sozial-kognitive Orientierungsfunktionen. Heranwachsende könnten demnach durch Fernsehinhalte versuchen, Wissensdefizite bzgl. sozial-kognitiver Schemata auszugleichen und die eigene Identität sowie Gruppenzugehörigkeit zu definieren. Soziale und handlungsbezogene Funktionen können sich sowohl auf kurzfristige als auch auf langfristige Beweggründe beziehen. Bei Einsamkeit oder Langeweile ist es die Gefühlslage der aktuellen Situation, die zum Fernsehen motivieren. Zu den langfristigen Beweggründen zählt u. a. der Aufbau von parasozialen Beziehungen. Innerfamiliäre Funktionen übernimmt das Fernsehen, wenn es dazu beiträgt, die Kontakte und Interaktionen innerhalb der Familie zu fördern.
Exkurs 1 Parasoziale Beziehung
Eine parasoziale Interaktion bzw. parasoziale Beziehung ist eine einseitige Interaktion zwischen einem Rezipienten und einer Medienperson. Keppler (2001) sieht die strukturelle Gemeinsamkeit zwischen parasozialer und sozialer Interaktion in der Identifikation (zit. n. Baeßler, 2009). Im Gegensatz zu einer sozialen (interpersonalen) Interaktion besitzt die parasoziale Interaktion keine Reziprozität. Mediale und soziale Interaktionen sind nicht gleichzusetzen, weisen allerdings große Gemeinsamkeiten auf. Koenig und Lessan (1985) befassen sich mit den unterschiedlichen Gefühlen gegenüber sozialen und parasozialen Beziehungspartnern (zit. n. Baeßler, 2009). Die Untersuchung ergab, dass die meisten Befragten ihren Lieblingspersonen aus dem Fernsehprogramm einen Stellenwert zwischen einem Bekannten und einem Freund zuschreiben. Hoher Fernsehkonsum und eine vom Rezipienten wahrgenommene starke Ähnlichkeit mit einer Medienperson sind einflussreiche Moderatorvariablen, die für parasoziale Beziehungen förderlich sind (vgl. Rubin et al., 1985; Rubin & Perse 1987; Rubin & McHugh, 1987 zit. n. Baeßler, 2009).
Nachdem die Bedürfnisse, die Heranwachsende zum Fernsehen motivieren, näher betrachtet wurden, stellt sich nun die Frage, in welcher Weise und ab wann die Fernsehinhalte Einfluss auf den Zuschauer ausüben. Durch welche Mechanismen kann das Gesehene kurzfristig und dauerhaft Auswirkungen auf Gedanken, Emotionen und Einstellungen der Rezipienten haben und welche Faktoren verstärken bzw. hemmen diese Effekte?
Eine Wirkung kann von einem Medium erst ausgehen, wenn es direkt oder indirekt in die kindliche Wahrnehmung eingetreten ist. Dieser Zeitpunkt kann von Außenstehenden mithilfe von Reaktionsmessungen konstatiert werden. Von dem Zeitpunkt an, in dem ein Kleinkind durch den direkten oder indirekten Einfluss des Fernsehers eine Reaktion zeigt, ist von einer Wirkung des Mediums auszugehen. Bereits ab der siebzehnten Schwangerschaftswoche zeigt ein Embryo Reaktionen auf die Gefühle der Mutter auf Musik und Bilder. Somit „reagiert der Embryo auch auf das Fernsehen der Mutter, verstanden als die Spiegelung von Emotionen der Mutter“ (Götz, 2007, S. 12). Wenige Wochen später (zwischen der 33. und 35. Schwangerschaftswoche) entwickelt der Embryo eigenständige Reaktionen auf Signale der Außenwelt, beispielsweise auf die Titelmusik einer Daily Soap, die die Mutter regelmäßig während der Schwangerschaft sieht (Hepper, 1991, 1996 zit. n. Götz, 2007).
Vor der Geburt hat die Melodie eine belebende Wirkung auf den Embryo. Nach der Geburt wird der Säugling durch die Musik ruhiger. Eigenständige Interessen entstehen im Alter von vier bis fünf Monaten und kurz darauf entwickeln sich die ersten Programmpräferenzen (Lemish, 1987; Kobayashi, 1992 zit. n. Götz, 2007). Weber und Singer (2004) weisen für Babys ab dem zehnten Monat emotionalisierende Effekte des Fernsehens nach (zit. n. Götz, 2007). So kann die Reaktion eines Erwachsenen auf ein Objekt, das im Fernsehen gezeigt wird, bei einem zwölf Monate alten Kind eine Verhaltensänderung gegenüber dem Gegenstand bewirken. Ungefähr im Alter von zwei Jahren können Kinder einzelne Fernsehcharaktere unterscheiden und beginnen, gesehene Handlungen über mehrere Tage hinweg zu imitieren (Meltzoff, 1988; McCall et al., 1977 zit. n. Götz, 2007). Ein rudimentäres Verständnis zum Medium Fernseher entwickelt sich nach Flavell et al. (1990) im Alter von drei Jahren (zit. n. Götz, 2007).
Die eng mit dem Entwicklungsstand verbundene Aktivität des Rezipienten beeinflusst die Qualität und Intensität der Medienwirkung. „Zu solchen [Rezipienten-] Aktivitäten gehören zum einen die Auswahl von Medienangeboten, die selektive Aufnahme (Wahrnehmung) von Medieninhalten sowie die Verarbeitung der rezipierten Informationen einschließlich ihrer selektiven Speicherung (fett i. Orig.)“ (Six et al., 2002, S. 111). Da die Fernsehrezeption einen Prozess der aktiven Aneignung darstellt, fällt es schwer, die Auswirkungen zu verallgemeinern (Charlton & Neumann, 1986 zit. n. Götz, 2007). Gleich (2001) vermutet, dass die psychischen Prozesse der Selektion und Verarbeitung strukturell ähnlich verlaufen. „Auf der inhaltlichen Ebene hingegen zeigen sich sehr unterschiedliche Interpretationen der Fernsehstimuli, die für einen sehr individualisierten Umgang mit dem Angebot sprechen“ (S. 273). So sei das Nutzungsmuster der meisten Rezipienten stark von Gewohnheiten, Vorlieben, Persönlichkeitsmerkmalen und der allgemeinen Lebenssituation geprägt. Strukturell betrachtet seien die Entscheidungsabläufe somit von ähnlichen Grundlagen abhängig. Inhaltlich variieren sie dagegen stark, da ihnen individuell erlernte Wissensstrukturen zugrunde liegen. Gerade jüngeren Kindern sind bei den Verarbeitungsprozessen Grenzen gesetzt. Die Aufmerksamkeitsfähigkeit eines Kindes im Vorschulalter ist zeitlich begrenzt, sodass es Medieninhalte oft nur bruchstückhaft aufnehmen kann. Dadurch kann es zum Missverständnis der Inhalte kommen, was eine emotionale Überforderung des Kindes zur Folge haben kann (vgl. Six et al., 2002). Zudem scheinen Kinder stärker von der Fernsehwirkung betroffen zu sein als Erwachsene, vor allem von langfristigen Effekten (Bensley & van Eenwyk, 2001; Bushmann & Huesmann, 2006 zit. n. Lukesch, 2008).
Die verschiedenen Wirkmechanismen der Medien sind ein vielseitiges Themengebiet und werden schon über lange Zeit von Philosophen und Wissenschaftlern untersucht. Vor allem den Wirkmechanismen medialer Gewalt wurde viel Beachtung geschenkt. Ebenso ist aber nachgewiesen, dass prosoziale Fernsehinhalte bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen Aggressivität senken und prosoziale Reaktionen, wie z. B. Hilfsbereitschaft, fördern können (vgl. Eron & Huesmann; Pitkannen-Pulkkinen, 1979 zit. n. Huesmann & Miller, 1994). Im Folgenden wird eine Auswahl von Ansätzen vorgestellt, welche die Mechanismen der Medienwirkung zu erklären versuchen. Da diese Wirkmechanismen als Grundlage für neuere Untersuchungen dienen, ist deren Kenntnis elementar für das Verständnis der im Anschluss dargelegten Forschungsbefunde bzgl. den möglichen Auswirkungen von Fernsehinhalten auf den Rezipienten.
Soziales Lernen
Nach Bandura (1963; 1973) entstehen Verhaltensweisen aus einer Wechselwirkung zwischen Persönlichkeits- und Umweltfaktoren. Die Theorie des sozialen Lernens besagt, dass sich Kinder durch die Beobachtung des Verhaltens anderer Personen positive und negative Handlungsmuster aneignen können. Im Gegensatz zu den Ansätzen der klassischen Konditionierung ist nach der Theorie des sozialen Lernens keine direkte Bestärkung (reinforcement) für eine Imitation nötig (vgl. Hergenhahn & Olson, 1999; Carnagey & Anderson, 2003). Die Belohnung oder der Erfolg des Modells ist hier „als stellvertretende Bekräftigung zu verstehen.“ (Kunczik & Zipfel, 2004, S. 16). Ebenfalls begünstigt starke Ähnlichkeit der im Fernsehen dargestellten Situation mit der realen Situation die Nachahmung (Lukesch, 2008). Je ähnlicher sich beide Momente sind, desto eher werden gelernte Schemata abgerufen und genutzt. Daher bewirken realistische Fernsehinhalte durchschnittlich stärkere Lernerfolge. Zur Ähnlichkeit der Situationen zählen auch die zur Verfügung stehenden Mittel und die Präsenz von Schlüsselreizen (Anderson, Berkowitz, Donnerstein, Huesmann, Johnson, Linz et al., 2003). Ein weiterer Aspekt ist die vom Beobachter empfundene Ähnlichkeit mit den Fernsehfiguren. Die Identifikation mit einem Modell oder das Bestehen einer andersartigen, engen emotionalen Beziehung zu ihm, erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Lerneffekts stark. Kinder haben die angeborene Tendenz, betrachtetes Verhalten zu imitieren und neigen daher besonders stark dazu, durch das Modelllernen Verhaltensweisen zu übernehmen (Butterworth, 1999; Wyrwicka, 1996 zit. n. Huesmann et al., 2003). Auch neurobiologische Forschungsbefunde belegen, dass die Imitation von Verhaltens- und Handlungsweisen bei Kleinkindern ein ungehemmter Grundantrieb ist. Bauer (2009) schreibt dazu:
Das Kind benutzt das Imitationsverhalten nicht nur als eine erste Möglichkeit zur Kommunikation, sondern macht mit dessen Hilfe auch seine ersten Lernerfahrungen. Nach etwa eineinhalb Jahren beginnen aufgrund der dann erreichten neurobiologischen Reife Hemmungsmechanismen einzusetzen, welche die Imitationsneigung in den darauf folgenden Jahren immer stärker kontrollieren.“ (S. 93)
Soziales Lernen gilt als eine der wichtigsten Quellen für die Entwicklung von Verhaltensmustern und hilft besonders langfristige Fernseheffekte zu erklären.
Skripttheorie
Nach Huesmann wird das menschliche Verhalten durch die Anwendung von gelernten Skripten geleitet (1986, 1998 zit. n. Carnagey & Anderson, 2003). Ein Skript ist „ein im Gedächtnis gespeichertes Schema, das einen Komplex von Routineereignissen beinhaltet.“ (Brockhaus Psychologie, 2001, S. 563). Die Skripttheorie baut auf den Annahmen des cognitive-associative models auf. In diesem Modell werden die gesammelten Erinnerungen und das gelernte Wissen als einzelne Konzepte in einem Netzwerk voller Knoten und Verbindungen begriffen (Anderson et al., 1998; Berkowitz, 1993; Collins & Loftus, 1975 zit. n. Carnagey & Anderson, 2003). Jedes Konzept besitzt eine activation threshold (Aktivierungs- Schwelle) und wird nur aktiviert und benutzt, wenn das Aktivierungspotential hoch genug ist. Dieser Aktivierungsvorgang wird als Priming oder assoziative Bahnung bezeichnet (Felser, 2007). Konzepte, die häufig gleichzeitig aktiviert werden, entwickeln mit der Zeit starke Verbindungen untereinander und können ein Skript bilden (Carnagey & Anderson, 2003). So können auch durch Modelle im Fernsehen Handlungsskripte erlernt werden. Umso häufiger ein Skript gesehen wird, desto leichter ist es zugänglich. Ob ein Skript handlungsleitend wird, hängt neben der Zugänglichkeit auch von der Situationsähnlichkeit ab. Ein Skript wird eher genutzt, wenn die aktuelle Situation der Lernsituation ähnelt oder ein Schlüsselreiz auftritt. Umso älter ein Kind wird, desto mehr eignet es sich auch, ein Repertoire von sozialen Normen und moralischen Vorstellungen an, denen oftmals eine hemmende Funktion zukommt. Aggressive Skripte scheinen besonders änderungsresistent zu sein (Bak, 2010).
Spiegelneuronen und Resonanzphänomene
Sowohl die Theorie des sozialen Lernens als auch die Skripttheorie sind mit Ergebnissen neuer neurophysiologischer Studien bestens vereinbar. Gallese, Fadiga, Fogassi und Rizolatti decken 1996 die Existenz von Spiegelneuronen auf. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass jede willentlich ausgeführte Tat mit der Aktivierung von Handlungsneuronen im Gehirn beginnt (Bak, 2010). Interessanterweise werden bei der lediglichen Beobachtung einer Handlung die gleichen Nervenzellen im menschlichen Gehirn aktiviert, wie bei einer selbstgesteuerten Aktion. D. h. durch die Beobachtung einer anderen Person wird ein Handlungsgedanke im Gehirn des Beobachters hervorgerufen und kann als mögliches Handlungs- oder Verhaltensskript abgespeichert werden. Die Studie von Chartrand und Bargh (1999) zeigt „[…] that the mere perception of another´s behavior automatically increases the likelihood of engaging in that behavior oneself.“ (S. 893). Bauer (2009) weist zudem darauf hin, dass unbekannte Aktionen besonders intensiv abgespeichert werden und so hinterlasse „[…] eine Handlung, die wir zum ersten Mal wahrnehmen oder miterleben, sei es etwas Liebevolles oder etwas Fürchterliches, […] in uns besonders intensive Vorstellungen von ihr “ (kursiv i. Orig. . Bauer, 2009, S. 37). So können neuartige Fernseherlebnisse vermutlich besonders starke Lerneffekte bewirken.
Kultivierungsthese 1980 befragten Gerbner, Gross, Morgan und Signorielli die Bewohner einiger Vororte nach ihren Fernsehgewohnheiten und ihrer Sicherheitseinschätzung der Nachbarschaft (zit. n. Carnagey & Anderson, 2003). Es zeigt sich, dass Anwohner mit einem hohen Fernsehkonsum ihre Nachbarschaft deutlich gefährlicher einschätzen, als Anwohner, die wesentlich weniger Zeit vor dem Fernseher verbrachten. Zwei Jahre später entwickelte die Forschergruppe die sogenannte Kultivierungsthese. Der These liegt die Annahme zugrunde, dass das Fernsehen und andere Medien nur eine geringe und oft wiederholte Anzahl von unterschiedlichen Botschaften vermitteln (zit. n. Carnagey & Anderson, 2003). Gerbner et al. (1982) vermuten, dass sich durch häufigen und langfristigen Fernsehkonsum das Realitätsbild des Rezipienten verändern könne (zit. n. Kunczik & Zipfel, 2004). Durch langzeitigen Konsum der einseitigen Botschaften, könnte der Zuschauer glauben, das Fernsehprogramm sei eine Reflektion der tatsächlichen Umstände. Diese Fehleinschätzung der Realität könne bewirken, dass z. B. die Verbreitung von Gewalttaten überschätzt werde. Ebenso könnte das Weltbild eines Heranwachsenden durch Kultivierungsprozesse bei entsprechenden Fernsehinhalten positiv beeinflusst werden. Die Wirkungsannahme der Kultivierungsthese ist umstritten. So wurden von Gerbner et al. (1982) nur Zahlen zum allgemeinen Fernsehkonsum erhoben, ohne inhaltliche Unterschiede zu beachten. Zudem ist eine Kausalitätszuschreibung durch das Untersuchungsdesign nicht möglich (Kunczik & Zipfel 2004).
Das Modell der Schweigespirale
Noelle-Neumann (1991) geht davon aus, dass Menschen versuchen, sich den Mehrheiten in ihrem sozialen Umfeld anzupassen, um sich vor sozialer Isolation zu schützen (zit. n. Schenk, 1998). Daher wären die Menschen daran interessiert, möglichst genaue Vorstellungen über die Mehrheitsmeinung zu entwickeln. Schenk fasst die Theorie wie folgt zusammen: „Menschen hätten also ein quasi-statistisches Wahrnehmungsorgan und würden ständig versuchen, durch Umweltbeobachtungen Meinungsverteilungen […] abzuschätzen, wobei ihnen sowohl die Medien als auch interpersonale Kommunikation als Informationsquellen dienen“ (S. 538). Da das Fernsehen als Informationsquelle genutzt werde, würden dessen Sendeinhalte als Orientierungsmaßstab für die eigenen Handlungen verwendet. Demnach könnten Verhaltensmaßstäbe aus dem Fernsehen übernommen werden, um sich dem Verhalten des sozialen Umfeldes anzupassen.
Umso häufiger ferngesehen wird, umso größer sind die Lerneffekte. Positive Korrelationen mit der Konsumintensität weisen beispielsweise Aggressionssteigerung (u. a. Bushman & Anderson, 2001), Gewichtszunahme (Danner, 2008), sexuelle Frühreife (Collins, Elliott, Berry, Kanouse, Kunkel, Hunter & Miu, 2004) und Kriminalitätsfurcht (Carnagey & Anderson, 2003) auf. Forschungsergebnisse der Neurobiologie bestätigen die Hypothese, dass häufige Wiederholung zu stärkeren Lerneffekten führt und somit regelmäßiger Fernsehkonsum verstärkte Auswirkungen auf den Rezipienten zur Folge hat. Die Synapsen, die innerhalb der Nervenzellnetze Signale weiterleiten, verstärken ihre Verbindungen, umso häufiger sie benutzt werden. Andererseits werden Verbindungen abgebaut, wenn das entsprechende Signal lange Zeit nicht mehr aufgetreten ist (Bauer, 2009). Diese Forschungsergebnisse harmonieren mit einer Studie von Mößle, Kleimann, Rehbein und Pfeiffer (2006). Mößle et al. (2006) stellen die Hypothese auf, dass die in Deutschland zu beobachtenden Leistungsunterschiede zwischen Jungen und Mädchen zumindest teilweise auf unterschiedliche Mediennutzungsmuster zurückzuführen sind. Eine durchschnittlich höhere Mediennutzung der Jungen führe zu stärkeren, negativen Effekten in dieser Gruppe. Die 2005 vom KFN durchgeführte Schülerbefragung zeigt, dass Mädchen gegenüber Jungen häufiger ein Gymnasium besuchen (36,7 zu 33,9 Prozent) und seltener die Schule abbrechen (36 zu 64 Prozent). Jungen verfügen wesentlich häufiger über ein Bildschirmgerät im eigenen Zimmer als Mädchen derselben Altersstufe. Wie bereits erwähnt sehen Kinder in Deutschland, die einen eigenen Fernseher besitzen, durchschnittlich länger fern und konsumieren häufiger für ihr Alter ungeeignete Inhalte (Mößle & Pfeiffer, 2008). Beides kann sich negativ auf die Schulleistungen auswirken (vgl. negative Auswirkungen auf die Schulleistung). Dieser Zusammenhang könnte die Untersuchungsergebnisse von Mößle et al. (2006) erklären.
Neben der Konsumintensität intensiviert auch die Identifikation des Rezipienten mit dem Modell bzw. die emotionale Nähe zu diesem die Lerneffekte beträchtlich (Bandura 1963; 1973). Auch laut Huesmann et al. (2003) hat die Identifikation mit einem aggressiven Modell verstärkte Effekte zur Folge. Bei einer Längsschnittstudie von sechs- bis elfjährigen Kindern waren die aggressiveren Kinder auch diejenigen, die sich mit Film- und Fernsehcharakteren identifizierten (vgl. Huesmann & Bachrach, 1988; Huesmann & Eron, 1986; Huesmann, Lagerspetz & Eron, 1984 zit. n. Huesmann & Miller, 1994). Die Identifikation mit der Opferrolle kann die Angstempfindung erhöhen (Cantor, 1998). Zu wissen, unter welchen Umständen sich Heranwachsende mit Medienpersonen identifizieren und in welchen Lebensabschnitten diese Identifikationsprozesse besonders stark sind, kann daher hilfreich sein, um Risikogruppen zu identifizieren und die Auswirkungen von Fernsehinhalten besser vorherzusagen.
Nach Cohen (2001) ist die Identifikation mit einer Person „an imaginative experience in which a person surrenders consciousness of his or her own identity and experiences the world through someone else´s point of view“ (Baeßler, 2009, S. 102). Identifikation bedeutet, die Perspektiven eines Gegenübers, dessen Handlungsziele und Pläne sowie Werte und Verhaltensweisen zu übernehmen (vgl. Otaley zit. n. Baeßler, 2009). Nach einer Studie von Matz (2005) ist die Identifikation mit einer Medienperson eng an die Suche nach Vorbildern gekoppelt . Six et al. (2002) vermuten, dass das Bedürfnis der Vorbildersuche u. a. durch das Fernsehen befriedigt werden könne und das Medium bewusst dazu genutzt werde. Unter einem Vorbild wird eine reale oder erfundene Person verstanden, die von ihrem Gegenüber so sehr bewundert wird, dass dieses so werden will wie sie. Die Beschreibung verdeutlicht, dass Vorbilder Persönlichkeits- und Verhaltensmuster vorleben. Die Bewunderer sehen diese Lebensvorlagen als erstrebenswert an und identifizieren sich mit ihnen. Ein Vorbild „stellt also ein Ideal dar, das die Bewunderer anstreben“ (Radszuweit & Spalier, 1982, S. 528 zit. n. Matz, 2005). Vorbilder sind demnach besonders in Lebensabschnitten wichtig, in denen Heranwachsende nach Orientierungshilfen für die eigene Persönlichkeitsfindung suchen.
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