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Mehr InfosBachelorarbeit, 2010, 65 Seiten
Medien / Kommunikation - Medien und Politik, Pol. Kommunikation
Bachelorarbeit
1,0
Abstract
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Attributionen und Attributionstheorien
2.1 Definitionen und Grundlagen
2.2 Attributionen in Leistungssituationen nach Weiner
3. Beispiel der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2010
3.1 Methodik der Untersuchung
3.2 Ergebnisse der Untersuchung der Landtagswahl in NRW 2010
4. Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse
Literatur- und Quellenverzeichnis
Anhang
Eidesstaatliche Erklärung
Die vorliegende Bachelorarbeit untersucht, welche Attributionen politische Akteure bezüglich der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2010 vornahmen. Unter Attributionen versteht man Kausalerklärungen, mit denen Personen Ereignisse und Resultate auf bestimmte Ursachen zurückführen. Die Untersuchung verknüpft sozialpsychologische und kommunikationswissenschaftliche Aspekte. Anhand einer inhaltsanalytischen Medienuntersuchung wurden die Kausalerklärungen der sich äußernden Akteure zu den Resultaten der Landtagswahl erfasst und auf Basis des attributionstheoretischen Ansatzes von Weiner systematisiert. Von Interesse war dabei auch, inwiefern die Attributionen einzelner Parteien gängigen Attributionsmustern entsprechen. Die Analyse bestätigt die Anwendbarkeit von Weiners Ansatz auf Ursachenerklärungen in der politischen Kommunikation. Die mediale Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf die Attributionen zu Wahlniederlagen. Ein Self-serving Bias, nach dem eigener Erfolg eher intern und eigener Misserfolg eher extern begründet sowie fremder Erfolg eher extern und fremder Misserfolg eher intern attribuiert wird, konnte nur teilweise beobachtet werden.
The present bachelor thesis deals with political actors’ attributions regarding the 2010 federal state election in North Rhine-Westphalia. Attributions can be described as causal explanations with the aim of ascribing events and results to certain factors. The exploration combines aspects of social psychology and communication science. By means of a media content analysis causal explanations expressed by actors of the federal state election were collected and systemized with regard to Weiner’s attributional approach. One matter of scientific interest was in how far the individual parties’ attributions resembled established attributional patterns. The analysis confirmed that Weiner’s approach can be applied to political communications. The media’s attention focused on attributions regarding election defeat. A self-serving bias of attributing one’s success internally while attributing one’s failure externally versus attributing others’ success externally and their failure internally could be observed only to some extent.
Abbildung 1: Dimensionen der Intergruppenattribution
Abbildung 2: Weiners Vierfelder-Schema der Attribution von Erfolg
Abbildung 3: Weiners dreidimensionales Modell zu Attributionen
Abbildung 4: Ursachenbeschreibungen zwischen Gruppen nach Weiner
Abbildung 5: Anzahl der Attributionen pro Tag
Abbildung 6: Anzahl der Artikel und Attributionen pro Zeitung
Abbildung 7: Ursachenerklärungen bezüglich der einzelnen Wahlergebnisse in %
Abbildung 8: Ursachenerklärungen nach Akteursgruppen in %
Abbildung 9: Politischer Rang der sich äußernden Politiker in %
Tabelle 1: Dimensionen von Kelleys Kovariationsprinzips
Tabelle 2: Endgültiges Endergebnis der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2010
Tabelle 3: Auflagenzahlen der überregionalen Zeitungen im 1. Quartal 2010
Tabelle 4: Nachrichtenfaktoren und ihre Beschreibungen
Tabelle 5: Anzahl der Artikel und Attributionen pro Tag
Tabelle 6: Attributionen zum Wahlergebnis der Landesregierung insgesamt in den Dimensionen von Weiners Modell
Tabelle 7: Attributionen zum Wahlergebnis der CDU in den Dimensionen von Weiners Modell
Tabelle 8: Attributionen zum Wahlergebnis der FDP in den Dimensionen von Weiners Modell
Tabelle 9: Attributionen zum Wahlergebnis der SDP in den Dimensionen von Weiners Modell
Menschen nehmen täglich eine Vielzahl von Informationen über ihre Umwelt auf. Sie beobachten Geschehnisse, Mitmenschen und Entwicklungen, verarbeiten diese kognitiv und gewinnen auf diese Weise neue Erkenntnisse und Erfahrungen. Auf Basis dieser Erkenntnisse erklären Menschen Phänomene ihrer Umgebung und sind in der Lage von einer Gegebenheit auf eine andere Rückschlüsse zu ziehen. Schlussfolgern und logisches Denken allgemein sind bei Menschen gut entwickelte Fähigkeiten.[1] Das Erklären von Ursachen, das Beantworten der Frage nach dem Warum, mag zunächst als trivial betrachtet werden. Ursachenerklärungen, die auch als Attributionen bezeichnet werden können, zeigen sich jedoch nach kurzer Überlegung als wichtiger und differenzierter Teil der Kommunikation: Schüler, die eine schlechte Note bekommen, mögen dies gegenüber ihren Eltern einem ungerechten Lehrer zuschreiben. Ein Sportler, der eine Goldmedaille errungen hat, mag seine Leistung im Interview auf seine herausragende Vorbereitung zurückführen. Zeugen eines Autounfalls können den Zusammenstoß aus völlig unterschiedlichen Perspektiven erklären – der eine könnte das hohe Alter eines der Fahrer, ein anderer die schwierigen Fahrbahnverhältnisse als Grund für den Unfall nennen. Die korrekte Beurteilung eines Ereignisses ist zwingend mit der Kenntnis aller Fakten und Informationen dieser Situation verbunden, deren Beschaffung und Verfügbarkeit in den meisten Situationen aber schwierig bis unmöglich erscheint.[2] Es zeigt sich anhand dieser Beispiele, dass Ursachenerklärungen ein wichtiger Bestandteil des Alltags sind, die sowohl bei Bewertungen eigener Handlungen als auch beim Beobachten anderer eine wichtige Rolle spielt.
Auch die politische Kommunikation wird entscheidend von Ursachenerklärungen geprägt. „Politische Kommunikation macht Politik publik und öffnet auf diesem Wege die Möglichkeit, geprüft, unterstützt, verworfen oder abgelehnt zu werden.“[3] Politiker stehen Medienvertretern im täglichen Politikbetrieb Rede und Antwort zu bestimmten Sachverhalten. Regelmäßig geht es darum, das eigene Vorgehen beziehungsweise die Handlungen der eigenen Partei zu begründen und Ursachen für bestimmte selbst- oder fremdgesteuerte Ereignisse zu erklären – zum Beispiel das Opponieren gegen eine Reform oder veröffentlichte Umfrageergebnisse eines Meinungsforschungsinstituts. Besonders auffällig ist eine Verdichtung von Ursachenerklärungen an Wahlabenden: Kurz nach Bekanntgabe der offiziellen ersten Wahlprognosen befragen Journalisten Vertreter der Parteien zu den möglichen Gründen für Erfolg oder Misserfolg derer Parteien. „Wahlen produzieren Gewinner und Verlierer, die sich als solche definieren oder dazu erklärt werden. Solche Situationen verlangen nach Kausalattributionen.“[4] Die Aufmerksamkeit und mediale Konzentration, die insbesondere bei Wahlen in hohem Maße vorhanden sind, verstärken die Wichtigkeit und Reichweite dieser Attributionen.
Die vorliegende Arbeit untersucht die Attributionsprozesse politischer Akteure bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2010. Als Akteure gelten „Personen oder Personengruppen, die nicht vorrangig individuell und privat agieren, sondern stellvertretend handeln – zumeist im Auftrag von sozialen Gruppen, einzelnen Organisationen oder für ganze Organisationseinheiten“[5]. Dabei steht im Fokus, welche Ursachenerklärungen von den sich äußernden Akteuren vorgenommen werden und inwieweit diese gängigen Attributionsmustern entsprechen. Es ergeben sich nachstehende Forschungsfragen:
1. In welchem Zeitraum werden die meisten Ursachenerklärungen zum Wahlergebnis vorgenommen?
2. Wie unterscheiden sich die Attributionen der einzelnen Parteien, insbesondere im Hinblick auf Wahlverlierer und –gewinner?
3. Ist ein Self-serving Bias zu beobachten (werden Wahlerfolge intern und Wahlniederlagen extern attribuiert)?
Die folgenden Hypothesen sind bei der Untersuchung zu prüfen:
1. Die größte Anzahl von Ursachenerklärungen wird in den beiden Tagen nach der Wahl am 09. Mai 2010 in den untersuchten Zeitungen abgedruckt.
2. Die geäußerten Ursachenerklärungen lassen sich den Dimensionen internal/stabil (Fähigkeit), internal/variabel (eigene Anstrengung), external/stabil (Schwierigkeit der Aufgabe) und external/variabel (Zufall/Glück/Pech) aus Weiners Vierfelder-Schema zu Attributionen in Leistungssituationen zuordnen.
3. Der Erfolg der eigenen Partei wird überwiegend internal, der Misserfolg der eigenen Partei überwiegend external attribuiert. Der Erfolg einer anderen Partei wird überwiegend external, der Misserfolg einer anderen Partei überwiegend internal attribuiert.
Diese Landtagswahl bietet sich unter anderem deswegen als Forschungsobjekt an, weil Nordrhein-Westfalen nicht nur das bevölkerungsreichste Bundesland Deutschlands und eine der bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich wichtigsten Regionen Europas ist[6], sondern auch, weil die Politik in diesem Bundesland „oftmals Trendsetter für Koalitionsbildungen, Regierungsstile und Grundströmungen des Parteienwettbewerbs“ war[7]. Das politische Gewicht jener Wahl macht diese zu einem veritablen Untersuchungsgegenstand für die Forschung zu Attributionen in der politischen Kommunikation. Die Ursachenerklärungen wurden im Rahmen einer empirischen Untersuchung erfasst. Mittels einer Inhaltsanalyse wurde ein Ausschnitt der Medienberichterstattung im Zeitraum der Landtagswahl untersucht. Die Durchführung der Analyse erfolgte unter Berücksichtigung etablierter Attributionstheorien. Konkrete Anwendung fand Weiners Ansatz zu Attributionen in Leistungssituationen.
Relevanz der Arbeit
Das bearbeitete Thema verknüpft die Sozialpsychologie mit den Kommunikationswissenschaften und stellt die Anwendung theoretischer psychologischer Erkenntnisse anhand eines praktischen Beispiels der Medienkommunikation dar. Damit berührt die Arbeit wichtige Gebiete der Wirtschaftskommunikation, die wesentliche Merkmale der Kommunikationswissenschaften und der Sozialpsychologie berücksichtigt. Die Relevanz dieser Arbeit ergibt sich einerseits daraus, dass die Anwendung von Attributionstheorien auf politische Wahlen nach wie vor ein relativ wenig beleuchtetes Forschungsfeld ist. Untersuchungen dazu wurden unter anderem von Försterling und Groeneveld[8] sowie Tennert und Stiehler durchgeführt[9]. Von einer breiten Untersuchungsbasis kann allerdings kaum gesprochen werden. Daher erscheint es sinnvoll, mit einer weiteren Analyse die Anwendbarkeit eines etablierten Attributionsmodells auf Ursachenerklärungen politischer Akteure zu prüfen und Attributionstendenzen der sich äußernden Personen zu systematisieren. Andererseits ergibt sich die Relevanz daraus, dass der Einfluss von Thematisierungen und Darstellungen in Massenmedien auf Entscheidungsfindungen in der Politik als hoch eingeschätzt wird, zum Beispiel bei politischen Wahlen. Informationen zu den zentralen Themen der Presseberichterstattung, der Beurteilung von Parteien oder Politikern in den Medien sind deshalb immer wieder von Interesse.[10]
Aufbau der Arbeit
Der Aufbau der Arbeit gestaltet sich wie folgt: Zunächst sollen in Kapitel 2.1 die theoretischen Grundüberlegungen, die Attributionstheorien zugrunde liegen, aufgezeigt werden. Dabei wird auf die Überlegungen Fritz Heiders eingegangen, der als Begründer der Attributionstheorie gilt. Danach erfolgt eine Darstellung ausgewählter Ansätze zur Systematisierung von Ursachenerklärungen. Es werden in der Folge Kelleys Prinzip der Konfiguration und Kovariation sowie ein Ansatz zur Intergruppenattribution von Hewstone und Klink beleuchtet. Es wird dann auf Faktoren eingegangen, die den Attributionsprozess verzerren können.
In Kapitel 2.2 soll genauer auf das Modell zu Attributionen in Leistungssituationen von Weiner eingegangen werden, welches als Ansatz in der Untersuchung der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2010 verwendet wurde. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der empirischen Untersuchung, die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführt wurde.
In Kapitel 3.1 wird die Anlage der durchgeführten Untersuchung und das methodische Instrument der Inhaltsanalyse vorgestellt.
Kapitel 3.2 enthält die Ergebnisse der empirischen Untersuchung. Abschließend werden die relevanten Erkenntnisse dieser Arbeit dargestellt und die Anwendbarkeit des verwendeten Modells in der politischen Kommunikation reflektiert. Im Anhang findet sich das Codebuch der durchgeführten Inhaltsanalyse inklusive der operationalisierten Kategorien und der verwendeten Variablen.
Dieses Kapitel stellt die Grundlagen von Attributionen und Attributionstheorien sowie die zentralen Begriffe, Annahmen und Modelle dieses Forschungsgebiets dar und erläutert sie. Der Abschnitt dient als theoretische Fundierung dessen, was in Kapitel 2 praktische Anwendung findet. Im Rahmen dieser Arbeit führte eine erschöpfende Vorstellung der etablierten Attributionstheorien zu weit und wäre für das Untersuchungsziel nur von eingeschränkter Bedeutung. Für die etablierten Ansätze von Heider, Kelley sowie Hewstone und Klink soll eine überblickhafte Darstellung genügen. Es werden mit Self-serving Bias und Actor-Observer-Differences zwei zentrale Attributionsverzerrungen kurz dargestellt, welche den Prozess der Ursachenerklärung beeinflussen können. Auf Weiners Modell der Attribution in Leistungssituationen, welches im Rahmen der empirischen Untersuchung für diese Forschungsarbeit verwendet wurde, wird unter 2.2 ausführlicher eingegangen.
Attributionstheoretische Grundannahmen
Im Berufs- und im Privatleben, als Handelnde oder Beobachter stehen Menschen immer wieder vor der Herausforderung, bestimmte Wahrnehmungen, Handlungen und Ereignisse zu erklären und zu begründen – kurz, Antworten auf die Frage nach dem Warum zu finden. Es ist evident, dass diese Antworten je nach Person und je nach Perspektive völlig unterschiedlich ausfallen können. Ein Passant, der im Vorbeigehen einen Bettler erblickt, könnte dessen Situation auf einen unsoliden Lebensstil zurückführen und würde damit ein Selbstverschulden vermuten. Der Bettler selbst könnte seine Lage auf mangelnde Sozialleistungen attribuieren. Für einen unparteiischen Dritten wäre dabei zunächst völlig offen, welche Erklärung näher an der objektiven Wahrheit ist. Attributionstheorien beschreiben, wie Menschen Ursachenerklärungen vornehmen, welche Schlüsse aus wahrgenommenen Informationen gezogen werden und welche Ursachen damit identifiziert werden.[11] Dass häufig unterschiedliche Kausalitäten ausgemacht werden, liegt darin begründet, dass Ursachen an sich nicht direkt beobachtbar sind, sondern Beobachter aus ihrer Betrachtung Ursachen unterstellen.[12] Unterschiedliche Informationen können zu unterschiedlichen Erklärungen führen, verschiedene Faktoren können den Attributionsprozess beeinflussen und verändern, „Verantwortungszuweisungen [werden] im Alltag häufig von offensichtlich irrationalen Erwägungen beeinflusst.“[13] Nach Weiner organisieren Menschen „Ursachen in breiten Kategorien (...), die über spezifische Situationen und psychologische Kontexte hinausgehen“[14].
Diese Überlegungen zeigen, weshalb sich Attributionstheorien aus der Sozialpsychologie entwickelt haben, welche sich mit dem Verstehen und Interpretieren des Verhaltens von Individuen beschäftigt.[15] Die Theorien der Ursachenerklärung sind aber auch für andere Bereiche der Psychologie relevant, besonders jene, die sich mit Selbsteinschätzungen befassen. „[A]s a general conception of the way people think about and analyze cause-effect data, attribution theory might have emerged from any of the classical fields of psychology concerned with perception, judgment, and thinking.“[16]
Forscher, die sich mit Ursachenerklärungen auseinandersetzen, berühren demnach unterschiedliche Bereiche der Psychologie. Attributionstheoretiker beschäftigen sich mit der Frage, wann jemand für eine Handlung verantwortlich ist, welche Informationen für den Prozess der Ursachenerklärung verwendet werden, wieso unterschiedliche Menschen in derselben Situation verschiedene Ursachen erkennen und welche inneren und äußeren Faktoren einen Einfluss auf den Attributionsprozess an sich haben. „Attribution theorists are concerned with perceptions of causality, or the perceived reasons for a particular event’s occurence.“[17] Schon Kelley merkt allerdings an, dass man aus dem Begriff der Attributionstheorie möglicherweise falsche Vorstellungen gewinnen könne. Für ihn beziehe sich der Begriff eher auf eine Sammlung mehr oder weniger nachvollziehbarer allgemeiner Grundsätze zur Erklärung beobachteter Phänomene.[18]
Auf die Schwierigkeit, menschliche Ursachenerklärungen zu systematisieren und zu schematisieren, wird im Laufe dieses Kapitels noch eingegangen. Anzumerken ist, dass Attributionstheorien bereits seit mehr als drei Jahrzehnten ein wichtiges Konzept der Sozialpsychologie darstellen. Dies ist zum einen durch eine umfassende empirische Fundierung zu begründen und hängt zum anderen damit zusammen, dass sich die Theorie fortwährend auf Basis von empirischen Ergebnissen sowie festgestellten Problemen und Schwierigkeiten verändert hat.[19]
Fritz Heider, der Urheber der Attributionstheorie
Beschäftigt man sich mit Attributionstheorien und -theoretikern, ist in jedem Falle Fritz Heider zu nennen, der sich als einer der ersten Forscher systematisch mit den Strukturen von Ursachen beschäftigte und daher unter anderem von Weiner als Urheber der Attributionsforschung in der Psychologie bezeichnet wird.[20] Der Österreicher legte mit seinem Werk „Psychologie der interpersonalen Beziehungen“ die wichtigsten Grundlagen der Ursachenforschung. Ickes und Kidd beschreiben sein Wirken als eine der tiefgreifendsten und aufschlussreichsten Arbeiten der modernen Sozialpsychologie.[21]
Heider ging davon aus, dass Menschen im Alltag ihre Umwelt als „naive“ Wissenschaftler analysieren und Common Sense-Psychologie anwenden, um Schlüsse aus wahrnehmbaren Erscheinungen zu ziehen.[22] Eine wesentliche Erkenntnis Heiders war, dass in der Common Sense-Psychologie „das Ergebnis einer Handlung als von zwei Bedingungsgruppen abhängig gesehen [wird], nämlich Faktoren innerhalb der Person und Faktoren innerhalb der Umwelt“[23]. Ein einfaches Beispiel soll deutlich machen, was dies bedeutet: Ein Schüler, der eine schlechte Note in einer Klassenarbeit geschrieben hat, kann das zum Beispiel entweder auf seine schlechte Vorbereitung (interner Faktor) oder auf eine unangemessen schwierige Aufgabenstellung durch den Lehrer (externer Faktor) attribuieren. Je nachdem, welche Gründe man für ein Ereignis erkennt, ergeben sich andere Bewertungen der Handlung – hat sich der Schüler schlecht vorbereitet, liegt es nahe, ihm die Schuld für die schlechte Note zu geben. Im anderen Fall jedoch wäre der Schüler schuldlos, weil er selbst bei guter Vorbereitung keine Aussicht auf eine gute Leistungsbewertung hatte.
Diese grundlegende Erkenntnis der Lokation von Ursachen gilt als elementare Grundlage für Attributionstheorien. Die Relevanz der Verortung von Ursachen ist nicht nur wichtiger Bestandteil systematischer Attributionsmodelle, sondern auch ein bedeutsamer Faktor bei Attributionsverzerrungen. Dazu zählen beispielsweise abweichende Ursachenerklärungen eines Akteurs und eines Beobachters. Darauf wird im entsprechenden Abschnitt näher eingegangen.
Neben internen und externen Faktoren deutete Heider an, dass Fähigkeit, Anstrengung und Glück beim Untersuchen von Attributionsprozessen zu beachten sind. Bei der Ursachenforschung könne man zwischen stabilen und temporären Faktoren unterscheiden.[24] Die von Heider erkannten Dimensionen der Lokation und der Stabilität sind unter anderem von besonderer Wichtigkeit für Weiners Modell der Attributionen in Leistungssituationen, welches in Kapitel 2.2 vorgestellt wird.
Kelleys attributionstheoretischer Ansatz der Konfiguration und Kovariation
Die Überlegungen Fritz Heiders dienten als wichtige theoretische Basis für die Arbeit anderer Attributionsforscher. Harold Kelley teilte Heiders Ansicht, dass sich der Mensch im Alltag der Common Sense-Psychologie bediene. Das Vornehmen von Ursachenerklärungen folge in der Regel nicht streng wissenschaftlichen Kriterien, vielmehr sei der Mensch ein naiver Psychologe, dessen naive Beurteilung unvollständig, beeinflusst und insgesamt wenig wissenschaftlich sei.[25] Trotz dieser attestierten Einschränkungen und Unzulänglichkeiten würden Attributionen im Alltag aber dennoch einige Gemeinsamkeiten mit der wissenschaftlichen Varianzanalyse aufweisen.[26] Sinn und Zweck der Varianzanalyse (engl. ANOVA = analysis of variance) ist es, eine abhängige Variable durch eine oder mehrere Wirkungsvariablen vorauszusagen und herauszufinden, ob diese Wirkungsvariablen brauchbar sind.[27]
Kelley untersuchte vor allem, welche Informationen Menschen im Attributionsprozess verwenden und welche Rolle die vorhandenen Informationen bei Ursachenerklärungen spielen. Er unterschied im Wesentlichen zwei Fälle: Verfügt der Attributor über Informationen aus mehreren Beobachtungen, ist von Kovariation zu sprechen. Verfügt der Attributor nur über Informationen aus einer einzigen Beobachtung, spricht man von Konfiguration.[28] Angewandt auf das oben genannte Beispiel des Schülers, der eine schlechte Leistungsbewertung erhalten hat, lässt sich diese Unterscheidung gut veranschaulichen: Als außenstehender Beobachter mag es zunächst legitim erscheinen, dem Schüler eine unzureichende Vorbereitung zu unterstellen (Konfiguration). Fällt allerdings bei wiederholten Betrachtungen auf, dass derselbe Schüler bei Klassenarbeiten anderer Lehrer durchweg positive Ergebnisse erzielt und überdies auch andere Schüler nur bei einem speziellen Lehrer unterdurchschnittlich abschneiden, kann die Beurteilung des Beobachters völlig anders ausfallen und eher den betreffenden Lehrer fokussieren (Kovariation).
Das Kovariationsprinzip, bei dem der Attributor über Informationen aus mehreren Beobachtungen verfügt, unterteilte Kelley in drei Dimensionen, die jeweils in niedriger oder hoher Ausprägung vorliegen können: Konsensus (zeigen andere Personen das gleiche Verhalten wie Person X in derselben Situation?), Distinktheit (verhält sich Person X in anderen Situationen genauso wie in Situation Y?) und Konsistenz (verhält sich Person X in Situationen ähnlich Situation Y genauso oder abweichend?).[29]
Tabelle 1: Dimensionen von Kelleys Kovariationsprinzip
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Tabelle nach Kelley (1973), S. 109 ff.
Je nachdem, ob die einzelnen Dimensionen in hoher oder niedriger Ausprägung vorliegen, kann als Ursache des Verhaltens der handelnden Person entweder der Stimulus, der Akteur selbst oder die Situation ausgemacht werden. Ein Beispiel soll das Kovariationsprinzip verdeutlichen: Martin gefällt ein bestimmtes Auto. Er findet immer wieder Gefallen an diesem Auto (hohe Konsistenz), steht allerdings auch anderen Autos sehr positiv gegenüber (niedrige Distinktheit). Die meisten anderen Menschen haben eine eher negative Einstellung zu dem Auto, das Martin gefällt (niedriger Konsensus). Somit kann das gezeigte Verhalten klar auf die Person Martin attribuiert werden. Anders wäre der Fall, wenn Martin das Auto gefällt, er immer wieder Gefallen an diesem Auto findet (hohe Konsistenz), bei ihm aber kein anderes Auto derart positive Gefühle weckt (hohe Distinktheit) und viele andere Personen dieses spezielle Auto ebenfalls sehr positiv sehen (hoher Konsensus) – dann könnte man klar auf den Stimulus Auto attribuieren. Wenn Martin das Auto nur zu einem bestimmten Zeitpunkt, sonst aber nicht interessiert, lässt sich dies auf die Situation attribuieren (niedriger Konsensus, hohe Distinktheit, niedrige Konsistenz). Außer den drei dargestellten Fällen sind weitere Fälle denkbar.
Eine offensichtliche Schwierigkeit bei Kelleys Kovariationsmodell besteht darin, dass zwingend Informationen aus wiederholten Beobachtungen benötigt werden, um die Ausprägung der einzelnen Dimensionen Konsistenz, Distinktheit und Konsensus korrekt zu vermuten. Um im Beispiel zu bleiben: Selbst mehrere Beobachtungen von Martins Verhalten gegenüber Autos wären noch nicht ausreichend, um eine Ursache erkennen zu können – man benötigte zusätzlich noch Beobachtungen des Verhaltens Dritter, um den Konsensus zu überprüfen. Im Gegensatz zur Konfiguration bedarf es bei der Kovariation einer deutlich tiefergehenden Beschäftigung mit Akteuren und ihren Handlungen. Parkinson merkt an, dass Kelley mit seiner Theorie „eine logische Grundlage für Attributionen“ liefert. Er äußert allerdings Zweifel daran, dass Menschen im Alltag tatsächlich derart systematisch vorgehen, wie es das Kovariationsmodell indiziert.[30]
Das Kovariationsmodell legt nahe, dass Menschen bei Attributionen rational und logisch vorgehen und systematisch aus den gegebenen Informationen Schlüsse ziehen. Allerdings können bei der Ursachenforschung im Alltag Verzerrungen und Fehler auftreten[31], auf die im Weiteren noch näher eingegangen wird. Die Tatsache, dass viele Ursachenerklärungen an Kelleys Schema seziert werden können, bedeutet laut Hewstone nicht automatisch, dass die jeweiligen Personen bei der Suche nach der Ursache genauso vorgegangen sind.[32]
Intergruppenattribution
Die Erklärung des Verhaltens von Individuen einzelner Gruppen zueinander nennt man Intergruppenattribution. In der Regel werden dabei positive Handlungsergebnisse dem Mitglied oder den Mitgliedern der eigenen Gruppe zugeschrieben, negative Verhaltenskonzepte werden auf externe Gründe zurückgeführt.[33] Umgekehrtes gilt, wenn eine Fremdgruppe ein positives Handlungsergebnis erzielt; dieses attribuieren Mitglieder der Eigengruppe eher auf externe Ursachen, während ein negatives Ergebnis der anderen Gruppe zum Beispiel auf deren mangelnde Fähigkeiten zurückgeführt wird. Wird ein Mitglied einer Fremdgruppe dabei beobachtet, wie es eine Handlung vollzieht, die sozial unerwünscht ist, kann das negative Bild der betreffenden fremden Gruppe beibehalten werden.[34] Eine Schwierigkeit ergibt sich jedoch dann, wenn ein Mitglied einer Fremdgruppe dabei beobachtet wird, wie es eine positive Handlung vollzieht, die sich nicht mit der negativen Vorstellung dieser Gruppe deckt. Dann bedarf es einer Erklärung, die „den positiven Handlungseffekt nicht der Verantwortlichkeit der ungeliebten fremden Gruppe [zuschreibt]“.[35]
Abbildung 1: Dimensionen der Intergruppenattribution
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung nach Werth/Mayer (2008), S. 424.
Ein naheliegendes Beispiel für Intergruppenattributionen sind die Ursachenerklärungen von Fußballspielern nach einem absolvierten Match. Die Spieler der siegreichen Mannschaften neigen dazu, ihren Erfolg eher ihrer Spielstärke („Wir haben hervorragend gespielt“) beziehungsweise der Spielschwäche des Gegners zuzuschreiben („Die andere Mannschaft ist einfach schlecht“). Die Verlierer hingegen werden ihre Niederlage eher situativ begründen („Das war heute einfach nicht unser Tag“) oder den Erfolg des Gegners als Ausnahme bezeichnen („Die andere Mannschaft hatte heute das Glück auf ihrer Seite“). Ein weiterer praktischer Anwendungsbereich der Intergruppenattribution, der für diese Arbeit relevant ist, zeigt sich in der politischen Kommunikation und besonders in der Nachberichterstattung zu Wahlen. Betrachtet man Parteien als Gruppen und die sich äußernden Akteure als Vertreter dieser Gruppen, zeigen sich die Dimensionen des Ansatzes von Hewstone und Klink: Die abgegebenen Erklärungen beinhalten externe Faktoren („Bundestrend“, „Wahlverdrossenheit“) und interne Faktoren („starkes Wahlprogamm“, „solider Markenkern“).
Attributionsfehler und -verzerrungen
Im Attributionsprozess können Fehler auftreten, die zu einer inkorrekten oder zumindest unzureichenden Ursachenerklärung führen. Diese Attributionsverzerrungen können verschiedene Gründe haben, zum Beispiel einen Mangel an Informationen, beschränkte kognitive Kapazitäten oder Verarbeitungsfehler. Dadurch kommt es bei manchen Beobachtungen zu fehlerhaften Interpretationen – das Beobachtete wird auf falsche Ursachen zurückgeführt oder es werden falsche Prognosen über zukünftiges Verhalten getroffen.[36] Menschen tendieren dazu, Kausalerklärungen vorzunehmen, selbst wenn für jene kaum konkrete Argumente vorliegen. Es werden kausale Beziehungen zwischen Ereignissen oder Handlungen und ihren Folgen konstruiert, ohne dass dafür konkrete Belege existierten.[37] Theoretische Attributionsmodelle wie jene, die oben dargestellt wurden, bilden im Allgemeinen idealtypische Ursachenerklärungen ab. Im Alltag aber treten Verzerrungen kognitiver und motivationaler Natur auf, welche die Ursachenerklärungen beeinflussen.[38] Einige davon sollen kurz vorgestellt werden.
Es wurde schon darauf hingewiesen, dass Attributionen direkt mit dem zusammenhängen, was wahrgenommen wird. Bereits Heider erwähnte, dass in Bezug auf die soziale Kognition Verzerrungen wie zum Beispiel der Halo-Effekt (ein bestimmtes Merkmal, zum Beispiel Attraktivität, „überstrahlt“ andere Merkmale und führt zu falscher Personenbeurteilung[39] ) auftreten können.[40] Konkret auf Ursachenerklärungen bezogen bemerkte Heider, dass die naive Analyse einer Handlung nicht immer zu Schlüssen führe, die mit der objektiven Realität kongruent sind. Tatsächlich ziehe der Mensch manchmal die falschen Schlüsse, sei es aus Informationsmangel oder aus egozentrischen Motiven.[41] Die Tendenz, bestimmte Ereignisse und Handlungen im Sinne der eigenen Motivation zu interpretieren und zu attribuieren, wird Self-serving Bias genannt. Gut beobachtbar ist diese Verzerrung bei der Attribution eigener Erfolge, die man eher sich selbst zuschreibt, sowie bei Misserfolgen, die man eher auf externe Ursachen zurückführt.[42] „Ein Self-serving Bias (...) bringt Menschen dazu, Anerkennung für ihre Erfolge anzunehmen und gleichzeitig die Verantwortung für Misserfolge abzuleugnen oder zu versuchen, den Misserfolg anderweitig zu erklären.“[43] Beispielhaft lässt sich diese selbstwertdienliche Verzerrung folgendermaßen verdeutlichen: Ein Angestellter eines Unternehmens erhält eine Beförderung. Dieses positive Ereignis wird der Angestellte vermutlich darauf zurückführen, dass er besonders hart gearbeitet hat, Überstunden leistete und herausragende Leistungen erzielte. Erhält der Angestellte in der gleichen Situation eine Entlassung, wird er gemäß des Self-serving Bias vermutlich anders argumentieren. Er könnte die Entlassung zum Beispiel auf eine schwierige Unternehmenssituation, eine inkompetente Unternehmensführung oder die Wirtschaftskrise beziehen. In beiden Fällen können die Erklärungen des Angestellten korrekt und objektiv nachvollziehbar sein; es ist allerdings auch denkbar, dass die Unternehmensführung bei der Beförderung eine falsche Entscheidung getroffen hat. Die Entlassung kann auch deshalb erfolgen, weil die betreffende Person unzuverlässig war und schlechte Leistungen zeigte. Unabhängig davon, welche Attributionen für einen unparteiischen Beobachter am ehesten der Wahrheit entsprechen: Der Mensch tendiert dazu, sich selbst eigene Erfolge und der Umwelt eigene Misserfolge zuzuschreiben. Dieses Verhalten ist nicht nur bei Individuen, sondern auch bei Gruppen zu beobachten. Mitglieder einer Gruppe neigen dazu, Erfolge der eigenen Gruppe auf sich selbst zu attribuieren, Misserfolge der eigenen Gruppe eher auf die anderen Gruppenmitglieder zu schieben.[44] Dieses Verhalten dient der Selbstwertsteigerung beziehungsweise Selbstwertstabilisierung.
[...]
[1] Vgl. Aaronson/ Wilson/ Akert (2008), S. 18.
[2] Vgl. Aaronson et al. (2008), S. 18 f.
[3] Korte/ Fröhlich (2006b), S. 259.
[4] Tennert/ Stiehler (2001), S. 57.
[5] Jarren/ Donges (2006), S. 54.
[6] Vgl. Korte (2006a), S. 9.
[7] Vgl. Korte (2006a), S. 10.
[8] Vgl. Försterling/ Groeneveld (1983).
[9] Vgl. Tennert/ Stiehler (2001).
[10] Vgl. Rössler (2005), S. 12.
[11] Vgl. Kelley (1973), S. 107.
[12] Vgl. Weiner (1992), S. 230.
[13] Forgas (1995), S. 82.
[14] Weiner (1994), S. 1.
[15] Vgl. Kelley (1973), S. 107.
[16] Kelley (1973), S. 107 f.
[17] Weiner (1992), S., 230.
[18] Vgl. Kelley (1973), S. 108.
[19] Vgl. Weiner (2000), S. 1.
[20] Vgl. Weiner (1985), S. 551.
[21] Vgl. Ickes/ Kidd (1976), S. 312.
[22] Vgl. Heider (1977), S. 13 ff.
[23] Heider (1977), S. 102.
[24] Heider (1977), S. 104 ff.
[25] Vgl. Kelley (1973), S. 109.
[26] Vgl. Kelley (1973), S. 109.
[27] Vgl. Cardinal/ Aitken (2006), S. 7.
[28] Vgl. Kelley (1973), S. 108 ff.
[29] Vgl. Kelley (1973), S. 109 ff.
[30] Parkinson (2007), S. 81.
[31] Vgl. Aronson/ Wilson/ Akert (2008), S. 106 f.
[32] Vgl. Hewstone (1989), S. 24.
[33] Vgl. Hewstone/ Klink (1994), S. 73.
[34] Vgl. Hewstone/ Klink (1994), S. 77.
[35] Hewstone/ Klink (1994), S. 77.
[36] Vgl. Noelle-Neumann/ Schulz/ Wilke (2004), S. 388.
[37] Vgl. Forgas (1995), S. 83.
[38] Vgl. Forgas (1995), S. 82.
[39] Vgl. Hussy/ Schreier/ Echterhoff (2009), S. 77 f.
[40] Vgl. Heider (1977), S. 69 ff.
[41] Vgl. Heider (1977), S. 149.
[42] Vgl. Forgas (1995), S. 88.
[43] Zimbardo/ Gerrig (2008), S. 640.
[44] Vgl. Zimbardo/Gerrig (2008), S. 640.
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