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Mehr InfosDiplomarbeit, 2008, 99 Seiten
Diplomarbeit
1,0
EINLEITUNG
I. INTERKULTURELLE REZEPTIONSÄSTHETIK IN DER FILMWISSESCHAFT
I.1. Rezeption und Interpretation
I.1.1. Rezeption
I.1.2. Interpretation
I.2. Interkulturelle Rezeption und Interpretation
I.2.1. Interkulturelle Rezeption
I.2.2. Simulierte eigenkulturelle Interpretation
I.2.3. Interkulturelle Interpretation
II. DER IRANISCHE FILM ALS GEGENSTAND EINER KONTRASTIVEN REZEPTIONSÄSTHETIK
II.1. Michael M.J. Fischer : Mute Dreams, Blind Owls, and Dispersed Knowledges. Persian Poesis in the Transnational Circuitry.
II.1.1. Die Sprache im Yasna -Ritual
II.1.1.1. Der Zusammenhang zwischen der zarathustrischen Tradition und dem Schahnameh.
II.1.2. Das Schahnameh
II.1.2.1. Die Parabelstruktur des Schahnameh
II.1.2.2. Der Zusammenhang der zarathustrischen Tradition und der Illuminationsphilosophie
II.1.3. Die Illuminationsphilosophie
II.1.3.1. Zwei Aspekte der Illuminationsphilosophie
II.2. DREI BEISPIELE SIMULIERTER EIGENKULTURELLER INTERPRETATIONEN
II.2.1. A Taste of Cherry (1997)
II.2.1.1. Interpretation von A Taste of Cherry von Michael M.J. Fischer
II.2.1.2. Zusammenfassung
II.2.2. The Wind Will Carry Us (1999)
II.2.2.1. Interpretation von The Wind Will Carry Us von Michael M.J. Fischer
II.2.2.1.1. Zusammenfassung
II.2.2.2. Interpretation von The Wind Will Carry Us von Godfrey Cheshire
II.2.2.2.1. Zusammenfassung
II.3. Simulierte eigenkulturelle Konstruktion des Iranischen Kinos
II.4. Hamid Dabashi: Masters & Masterpieces of Iranian Cinema.
II.4.1. Das Taziyeh
II.4.2. Die iranische Moderne auf der iranischen Filmleinwand
II.5. DREI BEISPIELE EIGENKULTURELLER INTERPRETATIONEN
II.5.1. Through the Olive Trees (1994)
II.5.1.1. Interpretation von Through the Olive Trees von Hamid Dabashi
II.5.1.2. Zusammenfassung
II.5.2. The Wind will carry us (1999)
II.5.2.1. Interpretation von The Wind Will Carry Us von Hamid Dabashi
II.5.2.1.1. Zusammenfassung
II.5.3. The Travelers (1992)
II.5.3.1. Interpretation von The Travelers von Hamid Dabashi
II.5.3.2. Zusammenfassung
II.6. Eigenkulturelle Konstruktion des Iranischen Kinos
III. INTERKULTURELLE PERSPEKTIVE AUF DAS IRANISCHE KINO ALS KONSTRUKTION
III.1. Kritische Kontrastierung der Konstruktionen des Iranischen Kinos
III.1.1 Die eigenkulturelle Konstruktion des Iranischen Kinos als Kommentar und Lehre
III.1.2 Die simulierte eigenkulturelle Konstruktion des Iranischen Kinos als Kommentar und Lehre
IV. SCHLUSSWORT
BIBLIOGRAFIE
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
FILMOGRAFIE
EINE ANMERKUNG ZU TRANSKRIPTION UND FORMAT
Die Transkription vom Iranischen oder Arabischen ins Lateinische wurde weitestgehend aus den jeweiligen Werken der Autoren übernommen. Bis auf Schahnameh, das im Englischen als Shahnameh transkribiert wird und die Festlegung auf die Transkription Taziyeh, für das mehrere Varianten vorliegen, handelt es sich um englische Transkriptionen. Transkriptionen, sowie Titel und Hervorhebungen durch die Autorin werden durch kursive Schrift markiert.
Da Iranisches Kino sowie Iranischer Film hier als Eigenname eingeführt werden, orientiert sich die Schreibweise an ähnlichen Eigennamen.
Alle iranischen Filmtitel werden ins Englische übersetzt. Eine Recherche wird dadurch wesentlich erleichtert, da nicht alle Titel in Deutsch vorliegen.
In der Reihe National Cinema Series des Routledge Verlages sind Bände zum Südafrikanischen, Japanischen, Französischen, Italienischen, Australischen, Kanadischen, Deutschen, Brasilianischen, Mexikanischen, Irischen, Spanischen, Britischen Kino erschienen und die Liste ließe sich mit anderen Verlagen noch fortsetzen. Auch der Begriff Iranisches Kinos hat sich als eine Bezeichnung für eine nationale Kinokultur durchgesetzt. Nur was ist damit gemeint? Vor dem Hintergrund internationaler Koproduktionen und multikultureller Produktionsteams stellt sich doch die Frage, was Iranisches Kino eigentlich bezeichnen soll. Es ist keine Ausnahme, dass Iranische Filme mit italienischen, schweizerischen, japanischen und französischen Partnern koproduziert werden und diese sind oft auch majoritär an der Produktion beteiligt.
Über das Iranische Kino gibt es wenige Untersuchungen oder Essays in der deutschsprachigen Filmwissenschaft und im publizistischen Bereich. Es ist zwar durch seine stärkere Präsenz auf der Berlinale 2006 mehr ins Bewusstsein der Filmschaffenden und Kritiker gerückt, aber eine theoretische Reflexion fehlt. Im Gegensatz dazu, reden im amerikanischen und französischen Filmdikurs die Wissenschaftler und Kritiker bereits von den spezifischen Eigenheiten des Iranischen Kinos. Warum hat es sich diese Arbeit nicht zur Aufgabe gemacht, in dieser Weise mitzureden und eine weitere Bestimmung der Eigenheiten des Iranischen Kinos vorzunehmen und dem Leser vorzustellen? Der Grund ist, dass sich bei der Annäherung an das Kino als nationale Kinokultur allmählich eine Einsicht durchsetzte, die eine Bestimmung ins Abseits manövrierte. Nicht derart, dass es für das „iranische“ an diesen Filmen keine Erklärungen gab, vielmehr stieß diese Arbeit auf unterschiedliche, sogar sich widersprechende Erklärungen. Alle Stimmen in der Diskussion über das Iranische Kino sind sich zwar darüber einig, dass das Prädikat iranisch eine Ordnungskraft entfalten soll, die nicht auf nationalstaatliche Grenzen Bezug nimmt und diese Gemeinsamkeit ist die Grundlage ihrer Differenz. Aber es wird dadurch klar, dass nicht klar ist, was genau das Prädikat iranisch in Bezug auf Filme bezeichnen soll. In der Betrachtung Iranischer Filme fällt auf, dass sie eine spezifische Filmsprache teilen. Doch worum handelt es sich bei dieser Filmsprache, woraus setzt sie sich zusammen und wie wird sie erklärt? Diese Arbeit hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Feld der Stimmen zu sortieren und zwei der prominentesten Bestimmungen der Eigenheiten des Iranischen Kino dem Leser näher zu bringen. Sie geht dem Prädikat als ein nicht nationalstaatliches nach, weil mit der Bezeichnung Iranischer Film versucht wird, ein ästhetisches Phänomen zu bestimmen. Dass es sich um eine ästhetische Bestimmung handelt, zeigt zudem die Tatsache, dass nicht jeder Film aus dem Iran ein Iranischer Film ist. Der Gegenstand dieser Arbeit ist also Folgender: Das Prädikat iranisch meint in der Klassifizierung von Filmen als Iranischer Film mehr als den Sitz ihrer Produktionsfirma. Es versucht die ästhetischen Eigenheiten, die bestimmte Filme teilen, zu beschreiben. Aus der zweifachen Bestimmung des Iranischen Kinos soll sich erweisen, dass beide Bestimmungen relative Konstrukte der Interpreten dieser Filme sind. Es werden demnach mehrere Ziele verfolgt: Erstens dem Leser Eigenheiten des Iranischen Kino zu vermitteln; und das von zwei Standpunkten aus, zweitens, indem der konzeptionelle Hintergrund der Bestimmungen und die Diskrepanz zwischen ihnen rekonstruiert wird, dem Leser verständlich zu machen, dass sie als Konstruktionen zu verstehen sind, woran sich drittens anschließt, dem Leser im letzten Schritt die Erwartung zu nehmen, eine Disqualifikation der einen Bestimmung als falsch, vornehmen zu können. Denn diese Arbeit enthält sich dieser Entscheidung, stellt sich mit ihrer relativistischen Position in ihrer interkultureller Perspektive sinnvoll zwischen die beiden Stimmen und versucht beide zu retten.
Wie wird nun vorgegangen, um diese Erkenntnisziele zu erreichen? Mit einem Modell von Horst Steinmetz, das zu der interkulturellen Perspektive dieser Arbeit auf das Iranische Kino führt, wird das Feld der verschiedenen Stimmen sortiert und eruiert, in welchen Vorgängen und wie das Prädikat iranisch konstruiert wird. Eine interkulturelle Perspektive auf das Feld der Stimmen zu entwickeln, ist nahezu unvermeidbar, da die Filme jenseits ihrer Landesgrenzen rezipiert und interpretiert werden und sich nach Steinmetz’ Modell die Alterität der Bestimmungen des Iranischen Kinos durch die kulturelle Differenz der Interpreten erklären lassen soll. Steinmetz’ Modell ist ein rezeptionsästhetischer Ansatz und bietet sich hier aus zwei Gründen an: Zum einen ist in der Rezeptionsästhetik ein relativistisches Moment bereits anlegt, da es nicht zuletzt ein Ziel von ihr ist, sich die Beteiligung des Lesers bei der Entstehung eines Kunstwerkes in der Rezeption vor Augen zu führen. Das heißt der Betrachterstandpunkt, der hier als partikulare Konstruktion auftritt und keine Allgemeingültigkeit beanstanden kann, ist Ausgangspunkt der Rezeptionsästhetik. Zum anderen stellt sie für die interkulturelle Perspektive dieser Arbeit den Vorteil dar, historisch und kulturell vermittelte Erwartungshorizonte des Betrachters bei der Rezeption und Interpretation miteinzubeziehen. Es wird sich nach Steinmetz’ Differenzierung zwischen Rezeption und Interpretation zeigen, dass es ertragreicher ist, in einer Interpretation nach der Konstruktion des Iranischen Kinos zu fragen, weil dort Zuschreibungen, die das Prädikat gehaltvoll machen, expliziter sind. Im weiteren Verlauf wird sukzessive dem Konstruktionsweg der zwei Bestimmungen des Iranischen Kinos nachgegangen, indem ihre Bezugssysteme, die hier als kulturelle Kontexte aufgeführt werden und Filminterpretationen analysiert werden.
Im letzten Kapitel werden die grundsätzlichen Streitpunkte zwischen beiden Positionen in den Blick genommen. Dieser Streit wird als produktives Moment erhalten; die sich aus den Perspektivwechseln ergebenen Mehrdeutigkeiten nicht in einseitige Eindeutigkeiten aufgelöst. Dass Mehrdeutigkeiten keine Beliebigkeiten sein müssen, kann hier am konkreten Beispiel gezeigt werden und wird als Grundzug einer interkulturellen Perspektive verstanden.
Der rezeptionsästhetische Ansatz dieser Arbeit erfordert die Erläuterung des Begriffsinventars, mit dem dieses Vorhaben konfrontiert sein wird. Darüber hinaus zwingt der Gegenstand dieser Betrachtung, die Frage nach den Modi von interkultureller Rezeption und Interpretation zu stellen. Im folgenden Kapitel sollen demzufolge in den ersten beiden Abschnitten, Rezeption und Interpretation als verschiedene textverarbeitende Aktivitäten differenziert werden. Es wird zu klären sein, in welcher Form sich der Prozess der Aufnahme, Verarbeitung und der Deutung eines Rezipienten von dem eines Interpreten unterscheidet. Diese Unterscheidung hat zwei Funktionen: Erstens bildet sie die Grundlage, auf der im zweiten Kapitel die Modi von interkultureller Rezeption und Interpretation vorgestellt werden. Zweitens wird sich durch diese Unterscheidung zeigen, warum nur die Filminterpretation (und nicht die Rezeption) interessant ist, um zu hinterfragen, wie das Prädikat iranisch in Bezug auf Filme gebildet wird.
In der wissenschaftlichen Praxis wird mit unterschiedlichen und/oder ungenauen Definitionen der Begriffe Rezeption und Interpretation gearbeitet. Aber auch der tägliche Verwertungskreislauf kultureller Produkte durch Feuilletons oder Fachzeitschriften bezieht die beiden Begriffe Rezeption und Interpretation sowohl auf die Aufnahme von Kunstwerken, als auch auf deren Deutung und Bewertung (vgl.: Steinmetz 2003a: 461). Um dieser unübersichtlichen Situation entgegen zu wirken und dem Leser ein klares Verständnis im Rahmen dieser Arbeit zu ermöglichen, orientieren sich die folgenden Explikationen an den Bestimmungen von Horst Steinmetz. Es handelt sich hierbei um Begriffsbestimmungen aus der Literaturwissenschaft. Steinmetz spezifiziert die Begriffe weniger mit Rekurs auf die Beschaffenheit literarischer Texte, sondern stellt eine allgemeinere Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Text, Leser und Kontext in den Mittelpunkt eines bedeutungsgenerierenden Lesevorgangs. Da das Prädikat iranisch in Interpretationen und Rezeptionen nicht ausschließlich auf die nationalstaatlichen Grenzen des Produktionslandes der Filme verweist, sondern auch anhand anderer Kontexte gebildet wird, ist genau dieses Verhältnis von Leser und Kontexten von zentraler Bedeutung.
Um die Analogie der vorgenommenen literaturwissenschaftlichen Differenzierung zu der Filmrezeption und -interpretation festzustellen und damit das Modell von Steinmetz auf das Filmmedium zu übertragen, wird die Erörterung durch filmwissenschaftliche Gesichtspunkte ergänzt.
In einer Konfrontation mit Kunstwerken zielt die geistige und imaginative Aktivität des Betrachters oder Lesers darauf, das Kunstwerk zu verstehen. „Die vom Leser aufzubringende Aktivität richtet sich auf das, was man Textverarbeitung genannt hat“ (Steinmetz 2003a: 461). Durch die Textverarbeitung versucht der Leser, die gegebenen Informationen so zu verwerten, dass er eine sinnvolle Bedeutung erkennen kann.
Die Erfahrung des Lesers und seine Praxis im Umgang mit Texten, die etwa darin besteht, dass er zwischen juristischem und literarischem Text oder Nachrichten und Spielfilm unterscheiden kann, führt dazu, dass er auf Unbestimmtheitsstellen in einem Kunstwerk vorbereitet ist (vgl.: Ingarden 1975: 45). Dieser Begriff bezeichnet die Positionen, an denen Informationen ausgespart sind und der Leser zur Hypothesenbildung gezwungen wird. „Eine Unbestimmtheit ergibt sich aus dem Prozess, den Umberto Eco die ‚Unabschließbarkeit der Semiose genannt’ hat“ (Krusche 2003: 471). Die Bedeutungen der (auf eine Welt referierenden) Zeichen eines Textes generieren sich einerseits aus ihrer intratextuellen Position, das heißt, Zeichen beeinflussen sich in ihrer Bedeutung gegenseitig und modifizieren und detallieren ihre Bedeutung im Text. Andererseits ordnet der Zuschauer einem Zeichen im Lesevorgang eine hypothetische Bedeutung zu, deren Gültigkeit er fortwährend überprüft. Diese Unbestimmtheit (Offenheit) der Texte macht ihre ästhetische Dimension aus (vgl.: Krusche 2003: 471/ Möller-Naß 1988: 51).
Je nach dem Grad dieser Lese-Erfahrung, „[…] aber auch abhängig von seiner Bereitschaft, sich auf ungewohnte oder partiell unbekannte Konstellationen einzulassen, gelingt es dem Leser, das Werk so zu konkretisieren, dass für ihn ein Bedeutungsganzes erkennbar wird“ (Steinmetz 2003a: 461). Konkretisation beschreibt den Vorgang im Rahmen einer ästhetischen Erfassung eines Textes, durch den die Unbestimmtheiten des Werkes ausgefüllt (konkret gemacht) werden (vgl.: Ingarden 1975: 11/42).
Das Kunstwerk mit seiner Bedeutung, die ihm mit der Konkretisation des Lesers zugesprochen wird, bleibt von der Alltagswirklichkeit des Lesers getrennt. Diese Trennung konstituiert die spezifische Fremdheit künstlerischer Produkte. „Es bildet sich eine Art Enklave in der Normalwirklichkeit, eben ein literarisches und damit auch fremdes Produkt“ (Steinmetz 2003a: 461). Steinmetz führt nun aus, dass es sich hierbei um eine relative Fremdheit handelt: Entscheidend nämlich für die Konkretisationen des Lesers sind seine in der Wirklichkeit liegenden und vertrauten Handlungs- und Ordnungsprinzipien, die er auch in der Rezeption eines Kunstwerkes anwendet. Der Film ist für diese übertragende Anwendung von Handlungs- und Ordnungsprinzipien ein besonders anschauliches Beispiel, denn filmische Bilder von Dingen sind nicht genuin filmisch[1]. Der Betrachter ordnet die Dinge und Ereignisse eines Filmes zunächst nach seinem aus der Wirklichkeit abgeleiteten Wissen und modifiziert dann ihre Bedeutung durch die ästhetische Strategie des Filmes. Die Fertigkeiten für die Bedeutungskonstituierung, für den Vorgang der Konkretisation stammen demzufolge aus dem Alltag, verbunden mit früheren Medienerfahrungen. Das heißt, um ein Kunstwerk zu verstehen, ist es unumgänglich, dass der Rezipient es auf eine Wirklichkeit bezieht. Damit gelangt Steinmetz zu dem Schluss: „Alle Rezeptionen und Interpretationen sind kontextuell fundiert. […] Textverarbeitung, die zum Verstehen […] führen soll, muss von bestimmten, außerhalb des Textes liegenden Verstehens- oder Referenzrahmen vollzogen werden. Ohne solche Bezüge zur […] Wirklichkeit ist kein Textverstehen möglich, da sich Bedeutung nur über Bekanntes einstellen kann“ (Steinmetz 2003a: 462). Durch die Rezeption kann das Bekannte zwar fragwürdig oder können neue Aspekte des Bekannten entdeckt werden. Bietet es jedoch dem Leser keine Möglichkeit zur Konkretisation, wird das Kunstwerk oder Teile davon nicht verstanden. In jedem Fall ist der lebensweltliche Bezugsrahmen ein entscheidendes Kriterium, durch das die Textverarbeitung vorgenommen wird.
Der bis zu dieser Stelle skizzierte bedeutungsgenerierende Vorgang bietet nun die Grundlage für die Differenzierung zwischen einer Rezeption und Interpretation eines Textes: Es ist die unterschiedliche Verwendungsform des Kontextes, der herangetragenen Verstehens-perspektive[2], die den Rezipienten vom Interpreten unterscheidet. Das heißt, eine Rezeption grenzt sich nicht durch ihren Bezug auf einen Kontext von der Interpretation ab (oder umgekehrt), sondern dadurch, inwiefern sich der Rezipient über diesen Bezug bewusst ist. „In der Regel wird der Rezipient diese seine Verstehensrahmen unreflektiert, in gewisser Weise spontan anwenden“ (ebd.: 462). Dieser spontane und unreflektierte Modus Operandi ist auch ein Teil des Verstehensvorganges, wie David Bordwell ihn versteht: „Understanding is mediated by transformative acts, both ‚bottom-up’ mandatory, automatic psycological processes [Hervorh. d. A.] - and ‚top-down’ - conceptual, strategic ones“ (Bordwell 1991: 3).
Diese Verfahrensweise der Rezeption ist eine Aneignung des Textes. Aneignung beschreibt Steinmetz als eine rezeptionsästhetische Kategorie, deren Ziel es ist, das ästhetisch Fremde in die Kategorien des Eigenen zu übertragen, das heißt es in Übereinstimmung mit der vertrauten lebensweltlichen Realität zu bringen (vgl.: Steinmetz 2003b: 560). Während die Rezeption dazu tendiert, das Unbekannte und Unbestimmte, dem Bekannten und Eindeutigen der Lebenswelt anzugleichen, darf die Interpretation „[…] das Fremde, die Unbestimmtheit, das Ungeläufige nicht normalisieren, […]“ (ebd.: 464). Die normative Anspruchshaltung an eine Interpretation, die hieraus spricht, ergibt sich aus ihrer distinktiven Eigenschaft, ein bewusstes Vorgehen zu sein. Der gewissermaßen lebensweltlich unreflektierten Tendenz der Rezeption wird ein weitestgehend reflektiertes und methodisches Vorgehen für eine Interpretation entgegengesetzt. Im Streben nach Deutung, ist es nicht die Aufgabe der Interpretation, Unbestimmtheiten übereilt zu reduzieren und Offenheiten vorschnell Bedeutung zuzuweisen.
Demzufolge beschäftigt sich auch die Interpretation mit den Unbestimmtheiten eines Textes und der Suche nach einer Bedeutung und ist ebenso kontextuell fundiert. Doch sie beweist sich in ihrer Suche nach Bedeutung „[…] als kontrollierbare, ihre einzelnen Deutungsschritte offen und einsichtig darlegende Operation […]“ (ebd.: 463) und bezieht sich nicht implizit und unvermittelt auf einen Kontext. Der Kontext geht dabei aus der „rational zu begründenden interpretatorischen Fragestellung“ (ebd.: 463) hervor. Durch diese Richtlinien bringt die Interpretation das Kunstwerk in eine der objektiven Betrachtung zugängliche Form und ermöglicht damit eine öffentliche Anerkennung ihrer Ergebnisse.
Diese Unterscheidung verliert nicht ihre Gültigkeit, wenn sie in die Filmrezeption und Filminterpretation übertragen wird: „This distinction follows the classic hermeneutic division between ars intelligendi, the art of understanding, and ars explicanti, the art of explaining. Roughly speaking, one can understand the plot of a James Bond film while remaining wholly oblivious to its more abstract mythic, religious, ideological, or psychosexual significance“ (Bordwell 1991: 2).
Zu der Verfahrensweise, die Bordwell zuvor als „top-down” bezeichnet, gehört auch die bewusste Festlegung des Kontextes. Bewusst meint nicht nur die wissentliche Festlegung, sondern darüber hinaus ist es für die transparente Argumentation einer Interpretation entscheidend, dass sie die Auswahl ihres Kontextes aus den unendlichen Möglichen als bestimmende Vorprofilierung registriert. Der gewählte Kontext ist nicht lediglich ein eingrenzender Referenzrahmen, aus dem Bedeutung hervorgeht, er selbst kann auch niemals perspektivlos sein. Denn nur indem er das Ergebnis einer rationalen Begründung ist, bedeutet nicht, dass er keine singuläre Perspektive auf das Kunstwerk einnimmt. Jede Bedeutung, deren Fundament er bildet, nimmt somit seine Perspektive an (vgl.: Steinmetz 2003a: 463).
Im vorangegangenen Absatz wurde unterschieden zwischen einer spontanen, meist unreflektierten Rezeption und dem transparenten Vorgehen einer reflektierten Interpretation. Darüber hinaus folgte eine Betrachtung der Perspektive jeder kontextuellen Fundierung einer Interpretation. Die Ergebnisse dieser Analyse sind im folgenden Abschnitt der Ausgangspunkt für die Skizzierung einer interkulturellen Rezeption und Interpretation.
Interkulturalität ist eine „[…] Bezeichnung eines auf Verständigung gerichteten realen oder dargestellten menschlichen Verhaltens in Begegnungssituationen […]“ (Wierlacher 2003: 257) zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen. Durch das Verbreitungsmedium Film befinden wir uns zwar lediglich in einer virtuellen Begegnungssituation, unser Aufnehmen eines fremdkulturellen Filmes und das Verstehen seiner Bedeutungen sind jedoch real.[3] Dieser Umstand legitimiert die Frage nach einer interkulturellen Rezeption und Interpretation zu stellen und die Filmbetrachtung in interkultureller Hinsicht zu problematisieren. Was interessiert den nicht-iranischen Betrachter an einem iranischen Film? Wie bildet der Zuschauer das Prädikat iranisch, mit dem er den Film beschreibt? Oder, welches Wissen aktualisiert er, um den Film zu verstehen? Welchen Status hat dieses Wissen?
Es deuten sich bereits die Problemfelder an, die mit der so selbstverständlichen Verwertung iranischer Filme durch Offkinos bis zu der Verwertung bei internationalen Filmfestspielen einhergehen.[4]
Die Prozesse der Rezeption und Interpretation lassen sich in der Betrachtung eines Iranischen Filmes nicht abstreifen. Daher bleiben die explizierten Verfahrensweisen weitestgehend in der Konfrontation mit einem fremdkulturellen Kunstwerk bestehen.
Fremdheit ist keine Eigenschaft des Kunstwerkes, sondern ergibt sich aus dem Verhältnis des Betrachters zu dem Gegenstand. Fremd ist etwas dem Eigenen nicht Zugehöriges. Um dieses Verhältnis zu etablieren, werden bestimmte Merkmale als fremd wahrgenommen oder aufgefasst. Diese Merkmale lassen ein Fremdheitsprofil entstehen, in dem sich oft Fremdheitsstereotypen wiederfinden (vgl.: Albrecht 2003: 237). Im Fall von Filmen aus dem Iran kann die Verschleierung der Frau wohl als auffälligstes Merkmal aufgeführt werden. Dazu kommen unvertraute Landschaften, fremde Sprachen und ihre abgebildeten Schriftzeichen im Film. Doch auch schon das Etikett Iranischer Film manövriert einen Film in ein Verhältnis von Eigenem und Fremdem.
Wie zuvor erwähnt, bleiben die Verfahrensweisen der Rezeption und Interpretation fremdkultureller Kunstwerke bestehen. Das heißt, der Umgang des Lesers mit Fremdheit und Unbestimmtheit des Kunstwerkes einerseits und Kontext und Bestimmtheit andererseits wird nicht grundlegend verändert, sondern - positiv gewendet - facettenreicher. Die ästhetische Fremdheit, die alle Werke auszeichnet, wird um die kulturelle Fremdheit erweitert (vgl.: Steinmetz 2003a: 465). „Bestimmtheit und Unbestimmtheit sind weniger leicht auszumachen, da z.B. fremde Bestimmtheit - weil kulturell fremd - als Unbestimmtheit erfahren werden kann“ (ebd.: 465). Die Unbestimmtheiten können entstehen durch Unkenntnis über soziale Gefüge, politische Begebenheiten und spezifische Verhaltensformen und reichen bis hin zu Ausdrucksmitteln wie Ironie oder etwa Referenzen auf andere Kunstwerke. So kann die ästhetische Strategie, wie etwa die ironische Darstellung eines Verhaltens, nicht erkannt werden und sie wird für bare Münze gehalten. Oder umgekehrt: Eine kulturelle Bestimmtheit kann ästhetische Eigenheiten verklären. Ein Beispiel für den Iranischen Film ist die häufige Verschränkung von Filmzensur und filmischen Ausdrucksmitteln. Der oft als „indirekt“ bezeichnete Erzählstil iranischer Regisseure[5] wird darauf zurückgeführt, dass direkte Aussagen aufgrund der staatlichen Kontrolle nicht möglich sind. Somit wird die Erzählweise auf eine politische Ursache zurückgeführt und die Möglichkeit verstellt, eine ästhetische Perspektive auf diese Ausdrucksform einzunehmen.
Bei einer Begegnung mit einem fremdkulturellen Kunstwerk wird die ästhetische Fremdheit aber nicht nur um die der Kulturellen ergänzt oder auf sie zurückgeführt. Auch die Frage nach dem Kontext, der zur Erklärung herangezogen wird, gestaltet sich komplizierter: „Soll es der eigenkulturelle Kontext des Werkes sein oder der des Interpreten? Sollte es eine Kombination aus beiden sein?“ (Steinmetz 2003a: 465). Steinmetz klärt zu Beginn seiner Erörterung, dass die Rezeption fremdkultureller Kunstwerke, aufgrund ihrer Verfahrensweise, lediglich aus einer eigenkulturellen Perspektive erfolgen kann. Ihre Aneignungstendenz strebt danach, das Werk mit der Lebenswirklichkeit in Einklang zu bringen. „Sofern der Rezipient nicht über spezielle Kenntnisse über die fremde Kultur […] verfügt, wird er die fremden Elemente des Textes in ähnlicher Weise zu ‚überwinden’ trachten wie die eines Werkes aus der eigenen Kultur“ (ebd.: 465).
Hier zeigt sich, warum es nicht plausibel ist, die Rezeption auf ihre Konstruktion des Prädikats iranisch hin kritisch zu befragen. Denn ihre Antwort bestünde in ihrer Aneignungstendenz, die das Prädikat iranisch ohnehin in die Kategorien des Eigenen überführt und es in der Charakterisierung von Filmen aus dem Iran letztendlich entbehrlich wird. Ein prominentes Beispiel ist der nahezu institutionalisierte Begriff Iranischer Neorealismus[6]. Diese Begriffsbildung ist das Ergebnis einer Rezeption, die sich die Filme aus dem Iran mithilfe eines Vergleiches mit den neorealistischen Filmen aus Italien der 50er und zu Beginn der 60er Jahre aneignet. Markante Ausdrucksweisen in den Iranischen Filmen werden so mit denen aus früheren Medienerfahrungen stammenden bekannten Kategorien eingeholt. Demnach wird das Prädikat iranisch durch keinen genuinen „iranischen Inhalt“ gebildet.
Im Gegensatz zur Rezeption „kann sich [die Interpretation] mit der kurzfristigen und distanzierten Auseinandersetzung mit dem Fremden, wie sie für die Rezeption charakteristisch ist, nicht zufrieden geben“ (ebd.: 465). An dieser Stelle wird die oben genannte Untauglichkeit der Rezeption für die Charakterisierung fremdkultureller Kunstwerke, um die Qualifikation der Interpretation ergänzt. Denn die Interpretation ist durch ihre Eigenschaft, eine bewusste Kontextualisierung des Kunstwerkes vorzunehmen, die geeignetere Praxis, um nachzuvollziehen, wie das Prädikat iranisch durch die Wahl von welchen Kontexten konstruiert wird.
Diese Qualifikation der Interpretation erstreckt sich auch auf das Steinmetz’sche Konzept einer simulierten eigenkulturellen Interpretation. Die Besonderheit ihres Vorgehens liegt darin, dass sie im Vorfeld Informationen über die Kultur und über den Kontext des fremdkulturellen Werkes einholt. In diesem besonderen interpretatorischen Prozess können also genau die Momente ausfindig gemacht werden, in denen das Prädikat iranisch durch das Heranziehen von ausgewählten Kontexten gebildet wird.
Auf die besondere Disposition des Filmmediums in diesem Zusammenhang wies Laura Mulvey in einem Aufsatz über den Iranischen Film hin: „If the cinema has always allowed people to travel in their imaginations, it has also always been a travelling medium. Conferences and publications [...] offer the possibility of relocating ‚travelling’ film within their cultural, political and production contexts” (Tapper 2002: 256). Die Methode ist, Interpretationen von Kunstwerken im Rahmen ihrer eigenen kulturellen Referenzen zu simulieren. Damit versucht dieses Vorgehen, die singulären Verstehensperspektiven und defizitären Kenntnisse auszugleichen und somit adäquate Deutungsstrategien für das fremdkulturelle Kunstwerk zu entwickeln. Nur so ist Interpretation in der Lage, „[…] das ästhetische Fremde (das auch für den Leser der Ursprungskultur fremd ist) vom kulturell Fremden (das allein für den nicht zur Ursprungskultur gehörenden Leser fremd ist) zu unterscheiden. […]. Denn [dann kann, d. A.] das ästhetisch Fremde, die Unbestimmtheit […], die zur semantischen Struktur des Werkes gehört, für die Interpretation produktiv werden“ (ebd.: 466) und neue Perspektiven auf das Werk eröffnen. Für Steinmetz ermöglicht dieses Vorgehen eine „verstehende Begegnung“ mit dem Fremden „[…] [die] erst durch eine simulierte eigenkulturelle Interpretation möglich [ist], auch wenn diese nicht bis in alle Details ausgearbeitet ist oder ausgearbeitet werden kann“ (ebd.: 466).
Das Label Iranischer Film etwa bezieht sich dann nicht bloß auf das Herkunftsland oder weist im Kern eigenkulturelle (nicht-iranische) Kategorien auf, sondern entsteht durch die genuin iranischen Ausdrucksmittel, die ausfindig gemacht worden sind.
Auch die simulierte eigenkulturelle Interpretation muss sich durch ein transparentes Vorgehen qualifizieren und die zur Simulation gewählten kulturellen Kontexte plausibilisieren. Denn selbstverständlich wählt der Interpret eines fremdkulturellen Kunstwerkes ebenso aus unendlich möglichen Kontexten und Wissensbereichen aus, wie auch im Falle einer eigenkulturellen Interpretation. Oftmals liefert diese Wahl gleichermaßen Informationen über den Interpreten, wie über den interpretierten Gegenstand. Denn sie gibt sowohl über sein Interesse und Wissensstand als auch seine Perspektive und Motivation Auskunft.
Mit der simulierten eigenkulturellen Interpretation ist jedoch noch keine interkulturelle Interpretation erreicht, deren Ziel Steinmetz folgendermaßen formuliert: „Die Auflösung der starren Grenzen zwischen dem Eigenen und dem Fremden, die Modifikation isolierter und tradierter Standpunkte, die Überwindung usurpatorischer Deutungen, die aus der Einseitigkeit nur einer Kultur hervorgehen, die wechselseitige Bereicherung des Eigenen und des Fremden, die schließlich zum besseren, nicht zuletzt auch kritischeren Selbstverständnis auf beiden Seiten führt“ (ebd.: 466). Er sieht in einer Gegenüberstellung einer eigenkulturellen und simulierten eigenkulturellen Interpretation den Weg zu einer interkulturellen Interpretation. Sie ermöglicht die Einseitigkeit beider Interpretationen sichtbar zu machen, das Eigene für das Fremde zu öffnen und es zur Reflexion aufzufordern.
Steinmetz’ Differenzierung zwischen simulierter eigenkultureller und eigenkultureller Interpretation und sein gegenüberstellendes Vorgehen sind zwar die Vorlage für die Kontrastierung zweier Konstruktionen des Iranischen Kinos im Rahmen dieser Arbeit. Doch durch den Betrachtungsgegenstand dieser Arbeit, dem Iranischen Kino als ein Label, das ein bestimmtes Konvolut von Filmen bezeichnet, unterscheidet sich an dieser Stelle das Vorgehen dieser Arbeit von seinem Modell. Er konzipiert die interkulturelle Interpretation lediglich in Bezug auf einzelne Kunstwerke. Zwar werden in dieser Arbeit ebenfalls einzelne Filme analysiert, sie fungieren jedoch hauptsächlich als Beispiele für einen bestimmten Umgang mit den Iranischen Filmen, der mit einer Konstruktion dessen einhergeht, was überhaupt erst unter dem Iranischen Kino und seiner Spezifik zu verstehen ist. Steinmetz’ Modell wird demnach um seine Werkorientierung verkürzt und um die Erfassung eines Umgangs mit verschiedenen Filmen erweitert. Um diesen Unterschied begrifflich angemessen zu erfassen, wird hier nicht von einer interkulturellen Interpretation, sondern Perspektive gesprochen.
Darüber hinaus liegt die Besonderheit dieser interkulturellen Perspektive in zwei weiteren Punkten: Zum einen wird sie in der Kontrastierung einer eigenkulturellen (iranischen) mit einer simulierten eigenkulturellen Interpretation (simuliert iranisch) entworfen. Die Zuordnung war in Steinmetz’ Modell nicht expliziert worden, sodass die Frage gestellt werden musste, um welche Eigenkultur es sich handelt. Es könnte sich auch um eine Gegenüberstellung einer simulierten eigenkulturellen Interpretation (simuliert iranisch) mit einer eigenkulturellen (nicht-iranischen, sondern bspw. amerikanischen) Interpretation handeln. Doch das Modell von Steinmetz ist nach Ansicht der Autorin nur dann sinnvoll, wenn die Eigenkultur des Interpreten nicht der Simulation des Fremden durch diese gleiche Eigenkultur gegenübergestellt wird. Dann kann sich nicht zeigen, inwiefern bereits diese Simulation das Ergebnis existierender Vorstellungen über das Fremde ist, sondern erst, wenn die simulierte eigenkulturelle Interpretation tatsächlich mit der Eigenkultur des fremden Werkes konfrontiert wird. Zum anderen versucht diese Arbeit, diese Zuordnungen an sich zu rechtfertigen, da Steinmetz sie lediglich mit der nationalstaatlichen Herkunft der Interpreten legitimiert. Gerade diese Legitimation soll umgangen werden, da es in dieser Arbeit in Bezug auf Filme genau darum geht, das Prädikat iranisch als Konstruktion auszuweisen, die über die nationalstaatlichen Grenzen hinausgeht. Die schlichte Einteilung eines iranischen Staatsbürgers als eigenkultureller Interpret und eines amerikanischen Staatsbürger als simulierter eigenkultureller Interpret soll durch andere Argumente vermieden werden.
Diese, an den Gegenstand angepasste, Kontrastierung, die zu einer interkulturellen Perspektive auf den Iranischen Film führt, ist das Ziel dieser Arbeit. Dabei soll durch die interkulturelle Perspektive deutlich gemacht werden, dass es sich bei dem Prädikat iranisch sowohl in einer eigenkulturellen (iranischen) als auch in einer simulierten eigenkulturellen Interpretation um ein Konstrukt durch spezifische Zuschreibung handelt und die Spezifik des Iranischen Kinos weder ausschließlich mit der einen noch mit der anderen Konstruktion eingeholt werden kann.
Die Ausführung einer eigenkulturellen und simulierten eigenkulturellen Interpretation ist demnach Gegenstand des folgenden Kapitels, da sie die Voraussetzung für deren Gegenüberstellung und für eine interkulturelle Perspektive im abschließenden Kapitel ist.
Die Ausführungen des letzten Kapitels haben gezeigt, dass es ertragreicher ist, in der Interpretation nach dem Prädikat iranisch zu fragen, da seine Konstruktion in den Prozessen der Interpretationen expliziter ist. Die Unterscheidung zwischen Rezeption und Interpretation als Modi der Textverarbeitung hatte gezeigt, dass das operationale Vorgehen einer Interpretation stets offen gelegt werden muss. Sowohl die Deutungsschritte und deren Plausibilität als auch die Prämissen der Verfahrensweise müssen transparent bleiben. Dazu gehört auch, dass die kontextuelle Fundierung des interpretatorischen Ansatzes als eine bewusste Wahl erkenntlich wird. Kontexte stehen in keinem unvoreingenommenen Verhältnis zu den Kunstwerken, sondern sind Teile der Umwelt des Interpreten. Sie sind Bestandteile von Diskursen oder stammen aus speziellen Wissensgebieten und haben damit eine bestimmende Perspektive. Die Bedeutung, die der Interpret generiert, ist also von der Perspektive des jeweils gewählten Kontextes abhängig.
Das Prädikat iranisch findet sich in vielen Bestimmungsversuchen[7] in Bezug auf Filme wieder und meint dabei mehr als die Nationalität der majoritär beteiligten Produktionsfirma. Zumal in Anbetracht steigender Koproduktionen dieses Kriterium fragwürdig ist. Gleichwohl wird weiterhin von einem Iranischen Film gesprochen. Es müssen demnach in dieser Bezeichnung andere Kriterien angebracht werden. Das Prädikat soll eine Ordnungskraft anderer Art in der Beschreibung von Filmen entfalten. Da Filme auch künstlerische Phänomene sind, wird es als Ordnungskraft in der Charakterisierung von ästhetischen Eigenheiten der Filme aus dem Iran eingesetzt. Sicherlich partizipiert das Prädikat zunächst am nationalen Bedeutungsraum, es soll jedoch letztendlich die Auswahl der Filme leiten, die ausschließlich unter das Label Iranischer Film fallen.[8] Um aber einen Zusammenhang zwischen den Filmen des Iranischen Kinos zu stiften, eben eine Auswahl aus allen iranischen Filmen treffen zu können, muss das Prädikat zunächst durch Inhalte konstruiert werden, die diese Auswahl leiten.
In den folgenden zwei Kapiteln sollen dazu simulierte eigenkulturelle Interpretationen Iranischer Filme erörtert werden. Die Wahl von simulierten eigenkulturellen Interpretationen erfüllt dabei drei Funktionen: Zunächst kommen sie der These dieser Arbeit in besonderer Weise entgegen, da es ihre explizite Aufgabe ist, das Prädikat iranisch in Bezug auf den Film, durch eigenkulturelle (iranische) Kontexte, also mit für den Interpreten fremden Begriffen zu konstruieren. Zweitens ermöglichen sie dem Leser durch dieses Vorgehen eine „verstehende Begegnung“ mit den Filmen aus dem Iran, die ihm sonst schwerer möglich ist und drittens sind sie Beispiele für eine bestimmte Konstruktion des Iranischen Kinos, die durch ihre kritische Kontrastierung mit einer eigenkulturellen Konstruktion im letzten Kapitel dieser Arbeit eine Voraussetzung für eine interkulturelle Perspektive ist.
Dabei verfährt dieses Kapitel folgendermaßen: Im ersten Kapitel wird die Position von Michael M.J. Fischer in seinem Werk Mute Dreams, Blind Owls, and Dispersed Knowledges. Persian Poesis in the Transnational Circuitry herausgearbeitet. Fischer rekonstruiert historische kulturelle Kontexte, an denen seines Erachtens Iranische Filme seit den sechziger Jahren partizipieren. Sind diese Kontexte erst einmal entfaltet, verhelfen sie zu einer Einsicht in die Modalität zeitgenössischer iranischer Kultur und damit auch in ihre Ausdrucksformen, in diesem Fall dem Film und seiner Bedeutung. Das Prädikat iranisch erhält also sein Profil durch Zuschreibungen aus bestimmten Kontexten, die Fischer gewählt hat. Gleichzeitig erhebt Fischer mit dieser Profilierung den Anspruch, die Eigenheiten des Iranischen Kinos erfasst zu haben. Um Fischers Position darzustellen und für die abschließende Gegenüberstellung fruchtbar zu machen, wird seine Verfahrensweise erklärt, die gewählten Kontexte für die nachfolgenden Filminterpretationen werden aufgezeigt und ihr grober Zusammenhang erläutert.
Im zweiten Kapitel folgt die Darlegung verschiedener Interpretationen Iranischer Filme. Es sind Auszüge aus Filmbetrachtungen, in denen sich die Interpreten in unterschiedlicher Weise auf die zuvor dargestellten Kontexte beziehen, bzw. sich die Ergebnisse ihrer Wissensaneignung über die iranische Kultur in den Interpretationen zeigen. Diese Interpretationen sind als Beispiele Teil des Allgemeinheitsanspruches, der mit der Konstruktion eines Iranischen Kinos formuliert wird. Sie sollten auf die Frage Antwort geben, was das Prädikat iranisch an einem Film beschreibt und ein Verständnis für diese Filme anbieten, dass ohne den zuvor erläuterten Wissenshintergrund nicht möglich gewesen wäre; die „verstehende Begegnung“ mit den fremdkulturellen Kunstwerken also.
Im letzten Kapitel werden die vorausgegangenen Erkenntnisse zusammengebracht und enden in der simulierten eigenkulturellen Konstruktion eines Iranischen Kinos.
Es deutet sich bereits an, warum gerade Michael M.J. Fischer als simulierter eigenkultureller Interpret herangezogen wird. Er repräsentiert als Kulturanthropologe eine Praxis, die für die Lebenswelt aus der er stammt, erklärende Zugänge zur Welt legt. Aber um zu verdeutlichen, dass es sich hier nicht nur um eine wissenschaftlich, ethnographisch anmutende Praxis von Michael Fischer handelt, wird eine Filminterpretation des renommierten amerikanischen Filmkritikers Godfrey Cheshires hinzugezogen. Denn wissenschaftlich meint hier den Status des Wissens; dass aber auch Kritiker in einer ethnographischen Vorgehensweise zu ihren Interpretation gelangen, zeigt, dass Fischers Position noch immer ein Grundzug des Umgangs mit fremdkulturellen Phänomenen darstellt.
Persian Poesis in the Transnational Circuitry.
In seinem umfassenden Werk Mute Dreams, Blind Owls, and Dispersed Knowledges. Persian Poesis in the Transnational Circuitry wählt Michael M.J. Fischer drei kulturelle Horizonte, die die Sichtgrenze seiner Betrachtungen Iranischer Filme darstellen.
Dabei steht an chronologisch erster Stelle die Untersuchung eines der zentralen zarathustrischen Rituale: das Yasna. Es setzt sich aus rituellen Handlungen und der Rezitation von Hymnen (den Gathas) zusammen. Fischer verfolgt mit der Beschäftigung mit dem Yasna folgendes Ziel: „The analysis of the yasna is intended to introduce the cosmology and symbolism of Zoroastrism, […]” (ebd.: 22).
Als ein Übergang zwischen der oralen zarathustrischen Kultur und der Schriftkultur wird das Buch der Könige, das Schahnameh von Ferdausi, bezeichnet. In Versen geschrieben bleibt das kanonische Werk durch die Rezitationen ein stets organisch variabler Körper. Die Bedeutung des Schahnameh in der iranischen Kultur artikuliert Fischer durch einen Vergleich: „The great epic of Iran, the Shahnameh […], is to Iran what Homer is to Greece“ (ebd.: 17). Fischer analysiert die narrative Struktur des Epos und arbeitet sie für die folgende Analysen der zeitgenössischen Iranischen Filme auf. Den dritten historischen Kontext bilden kürzere Erörterungen zu der Illuminationsphilosophie, der Hikmat al-ishraq. Die Illuminationsphilosophie ist eine esoterische Lehre innerhalb islamischer Philosophie und hatte besonders im Iran eine lange Tradition. Die Lehren des islamischen Mystikers und Sufis Schihabuddin al-Suhrawardi (* 1153; † 1191), der Meister der Philosophie des Lichts, nehmen für Fischer in seiner Betrachtung einen zentralen Stellenwert ein. „The systematic mystical philosophy called illuminationism […] elaborated by Suhrawardi and his successors in Arabic and Persian philosophical and allegorical genres, forms a […] deployment of the ancient Zoroastrian symbols and metaphors, after those of the epic Shahnameh […]” (ebd.: 133).
Es ist nicht das Ziel dieser Arbeit, den Leser über den Zoroastrismus zu informieren, sondern die Zuschreibungen ausfindig zu machen, mit denen Fischer das Prädikat iranisch bildet, mit dem er dann in den folgenden Filminterpretationen operiert. Deshalb enthält dieser kurze Absatz weder eine genaue Ausführung des rituellen Vorgangs noch eine Aufschlüsselung der zugrunde liegenden Symbolik. Er beschränkt sich auf Hinweise über den Stellenwert poetischer Sprache in der rituellen Handlung und die spezielle Form dieser Sprache.
Das zentrale Schriftstück des Zoroastrismus ist die Avesta. Die Rezitation der Avesta ist eingebunden in Rituale, von denen das Yasna das zentralste und wichtigste darstellt. Das Kernstück der Yasna bilden die Gathas, deren Gesänge Zarathustra selbst komponierte (vgl. Fischer 2004: 18).
Neben den rituellen Handlungen, den rhythmischen und repetitiven Gesängen und dem Trinken bestimmter Elixiere ist der narrative Teil der Gathas, die „[…] stimulation of the mind into inspiration by the language of enigma, of poetic puzzles, of symbolic resonances“ (ebd.: 20) ein signifikantes Element im Vollzug des Rituals. Die Bedeutsamkeit von poetischer Sprache geht über ihren künstlerischen Status hinaus. Sie hat in der Erlangung göttlicher Einsicht einen zentralen Stellenwert: „The ability of poetry and literature to allow us to speak about and yet protect us from the most painful human experiences - to allow us to approach the divinity of insight, and yet protect us from the burning power of that insight […]“ (ebd.: 399). Sprache, insbesondere die Dichtkunst ist einerseits der Weg zu Spiritualität, andrerseits dient sie der Veräußerlichung genau dieser „extremen“ Erfahrung.
Neben dem Stellenwert hebt Fischer auch die spezielle Form dieser poetischen Sprache, die er als „language of enigma“ (ebd.: 20), rätselhafte Redeweise bezeichnet, hervor. Er verdeutlicht, dass sich ein Verständnis für diese Redeweise durch Kenntnisnahme des abstrakten Spiels mit metaphorischer Sprache einstellt. Das heißt, ein Zugang zur Sprache eröffnet sich nicht durch eine wörtliche Übersetzung einzelner Ausdrücke, sondern ihre Bedeutungen entfalten sich durch ihr abstraktes Zusammenspiel.[9]
Die Reichweite dieser Verschlüsselungstendenz wird zusätzlich durch den abgegrenzten Personenkreis, dem diese Sprache vertraut ist, begrenzt. Dazu zitiert Fischer die berühmte Iranistin Mary Boyce: „This […] poetry, […], is extremely elaborate, the product evidently of a long and learned tradition; and it was intended plainly for the ears of those familiar with that tradition, who would be capable of understanding its highly artifical constructions and elucidating its meaning, despite a ‚marked inclination to enigmatical obscurity’” (ebd.: 398).
Der Zusammenhang zwischen der rituellen, oralen zarathustrischen Tradition und dem Schahnameh besteht auf inhaltlicher Ebene: Die Erzählungen des Schahnameh über Könige und Helden aus vier mythischen und historischen Dynastien sind teils Vereinfachungen und Umwandlungen der Legenden aus der Avesta.[10] Es handelt sich also bei dem Schahnameh um eine Sammlung und eine Verschriftlichung eines Wissens, das zuvor in einer oralen Form weitergegeben wurde.
Das Nationalepos des Iran, das Schahnameh[11] ist zugleich eine schriftliche Überlieferung und Teil einer oralen Tradition, die sich in Form von populären Rezitationen in öffentlichen Räumen bis in das 21. Jahrhundert fortgesetzt hat. Darüber hinaus ist das Schahnameh ausschließlich in persischer Sprache gedichtet und damit Botschafter aus einer Zeit vor der Islamisierung. „To this day, among Iranian, the Schahnameh stands as the exemplar of pure Persian. In its language, religion, and royal-heroic dual structure, the Schahnameh serves as an antagonistic, subversive, ongoing critique of the coruptions of the present” (ebd.: 72).
Seine Aktualisierung für Fischers Filmanalysen erfährt das Schahnameh weder durch seine persische Sprache noch durch die Verwurzelung im Zoroastrismus, sondern durch seine narrative Struktur. Fischer ergründet dezidiert die parabelhafte Erzählform des Schahnameh. Der Schlüssel zu einer adäquaten Durchdringung der multiplen Bedeutungsdimensionen des Schahnameh liegt ihm zufolge in der Analyse der Parabellogik der Geschichten. Die formale Qualität einer Parabel formuliert Fischer wie folgt: „Parables in their very nature are never self-explanatory. They are always hermeneutically unfinished polyvalent structures whose meaning can take on different valences, resonances and communicative force in different tellings“ (ebd.: 107). Als sogenannte Lehrdichtung ist es ihr Anliegen, moralische Fragen aufzuwerfen und gesellschaftliche Grundsätze zu thematisieren, indem diese durch eine Übertragung in einen anderen Vorstellungsbereich begreifbar werden. Sie ist eine Gleichniserzählung, in der das vordergründige Geschehen eine symbolische Bedeutung für den Leser hat und er sie nicht zu einem einzigen Schluss zuspitzen kann.
Durch mehrere Analysen der wichtigsten Erzählungen aus den vier Dynastien stellt Fischer heraus, dass nicht nur binnen der Herrschaftszeit einer Dynastie einzelne Parabeln vorzufinden sind, sondern auch die Dynastievernetzung als Parabel verstanden werden muss. Die gesamte Parabelstruktur des Schahnameh wird somit für ein fortlaufendes Nachdenken über verschiedene Sujets instrumentalisiert: „[…] for exploring conflicts between fathers and sons, wisdom versus brawn, foreigners versus locals, fanaticism versus justice. The parables do not stand alone. Rather, the same conflicts are examined again and again with different characters and sometimes with the direct transitivy of generation: son in one story becomes father in the next, and what he did as son affects how behaves as father. This extended parable or parabolic logic constitutes a structure of intersignification” (Fischer 2004: 18). Fischer spricht der speziellen Ausdrucksweise des Schahnameh, die sich zusammensetzt aus der offenen Struktur einer Parabel einerseits und ihrer Verflechtung in einem größeren epischen Format andererseits, zwei Vermögen zu: „They [Parabeln, d. A.] become rich allegories and resources for cultural critique […] and function as a system of ‚intersignification’, as commentaries one on another“ (Fischer 2004: 79/92). Die verschiedenen Verfahrensweisen des Schahnameh, wie die Umkehrung oder Dopplung einer Figurenkonstellation, die Nuancierung verschiedener Blickwinkel in Bezug auf ein Problem oder die „Konfiguration einer wechselseitigen Bedeutungszuschreibung“ (intersignification), ermöglichen ein Sichversenken in möglichen Bedeutungen. Diese Variationsmöglichkeiten, mit denen sich die parabelhafte Erzähllogik zum einen selbst konstituiert, zum anderen hantiert, unterbinden normative oder eindeutige Feststellungen über einen Aussagekern des Schahnameh und etablieren somit einen Dikursraum (vgl.: ebd.: 106). Dieser Diskursraum ist eine der Zuschreibungen in der Konstruktion des Prädikats iranisch, die in den nachfolgenden Interpretationen zu einer wichtigen Bezugsgröße wird.
Der Zusammenhang der Illuminationsphilosophie mit zarathustrischen Traditionen, den Fischer benennt, besteht in Suhrawardis diversen Bezügen auf zarathustrische Motive, Terminologie und mythische Figuren. Wie etwa seine Kombination der zarathustrischen Lichtsymbolik (Licht/Wissen/Weisheit) mit der islamischen Lehre vom göttlichen Licht.
Am mystischen und spirituell-esoterischen Horizont des Islam befindet sich der Sufismus, dessen berühmter Anhänger und Lehrer Suhrawardi, die Illuminationsphilosophie (Hikmat al-ishraq) entwickelte. Hikmat al-ishraq ist auch der Titel seines Werkes, dessen zentraler Gegenstand die Unterscheidung zwischen intuitiver (mystischer) und diskursiver (philosophischer) Erkenntnis[12] und die Entwicklung einer Lichtontologie ist.[13]
Es gestaltete sich für die Autorin ausgesprochen schwierig, lediglich die Informationen aus solch einem Wissensgebiet zu ermitteln, die für die Filmbetrachtungen relevant sein werden, um sie in einer verständlichen und kohärenten Form dem Leser zu vermitteln. Daher sind die folgenden zwei Aspekte lediglich angedeutet, das heißt, ihre eigentliche Bedeutungsdimension wurde auf den Gegenstand dieser Arbeit gekürzt.
Der erste Aspekt der Illuminationsphilosophie betrifft die allegorische Form der Lehren und das Bild vom Orient, das die Hikmat al-ishraq entwarf. Henry Corbin[14] bezeichnete sie auch als orientalische Theosophie (Fischer 2004: 133). „The Orient in these recitals symbolizes the world of light, the original abode of the soul before its incarceration in the body, the world of matter or the Occident. Such ‚visionary recitals’ depict the cosmos and existential life as an experience for a traveler [Hervorh. d. A.] seeking to return to the Orient of his/her being” (Mahmoud o.J.: 18). Zentral für diese Arbeit sind hier zwei Gesichtspunkte: Zum einen sind die Lehren zum Teil in Reiseallegorien verfasst. Reise bezeichnet in diesem Zusammenhang sowohl die tatsächlichen Fortbewegungen von einem Ort zum anderen als auch das Durchlaufen spiritueller Erfahrungen in einem Leben. Zum anderen ist der Orient in diesen Lehren von symbolischer Bedeutung, der Ort des Sonnenaufgangs als Symbol für spirituelle Erleuchtung und Erlangung von Wissen, aber auch die geografische Himmelsrichtung (wohlbemerkt von Europa aus gesehen).
Den zweiten Aspekt leitet Fischer mit Rekurs auf die Forderung der Bevölkerung nach sozialer Gerechtigkeit in der iranischen Revolution von 1979 ein. Für die Illuminationisten steht soziale Gerechtigkeit in Zusammenhang mit der Frage von Herrschaftslegitimität. Doch diesem allgemeineren Verständnis einer sozialen Gerechtigkeit fügen die Mystiker noch weitere Kriterien hinzu:„ […], (2) knowledge, foresight, insight, and judgement all depend [Hervorh. d. A.] on relations unseen, hidden, or occulted (gha’ib) […]” (Fischer 2004: 142). Wissen und Urteilsvermögen als elementare Eigenschaften eines gerechten Herrschers beruhen demnach auf verborgenen oder nichteinsehbaren Zusammenhängen. Das Prinzip von gha’ib entdeckt Fischer als eine paradigmatische Ausdrucksweise: „Dealing with the unseen world (gha’ib) is a major theme in Persian storytelling as well as theology, probing the hubris of all human attempts to know what is coming. Figuring out what to do requires knowledge of often hidden, occulted, unseen causes, effects, interactions, implications, embeddedness, leverages of power and wit” (ebd.: 144). Ob als Erzählmethode in Scheherezades spannenden Märchen aus 1001 Nacht oder als Leitgedanke im Schiismus, in Form eines nicht-sichtbaren Gottes und des verborgenen 12. Imams, gha’ib ist eine zentrale Denk- und Ausdrucksweise der iranischen Kultur.
[...]
[1] Der Film besteht im Unterschied zur Sprache aus keinen distinktiven Elementen. „[…] ein filmisches Zeichenrepertoire ist undenkbar. Man muß anerkennen, daß der Film ein Zeichensystem ohne eigene Zeichen ist […]. Er reproduziert seinen Stoff, die sichtbare und hörbare Realität, um mittels dieser zu signifizieren“ (Möller-Naß 1988: 154).
[2] Steinmetz versteht diese Verstehensperspektive als Summe persönlicher Erfahrungen, persönlichem Wissen, individueller Lebensauffassung und gesellschaftlichen Erwartungen gegenüber Kunst und Wirklichkeit (vgl.: Steinmetz 2003a: 462).
[3] Dass Filme als „Botschafter“ ihrer Produktionsländer gelten, zeigen Arbeiten wie das Buch von Ellen Summerfield Crossing Cultures Through Film. Yarmouth: Intercultural Press, 1993. Es scheint, als gäben Filme Einblicke in unbekannte Kulturen und Regionen.
[4] Der Iranische Film wurde von der ZEIT als Schwerpunkt der Berlinale 2006 bezeichnet, auf der sechs iranische Filme vorgestellt wurden, von denen zwei im Wettbewerb liefen (www.zeit.de/2006/06/Kinolandschaft_Iran, Rech.: 11.05.08). Unter dem Titel, ‚Das andere iranische Kino’ zeigte das Kommunale Kino in Freiburg 2006 eine iranische Filmreihe (www.koki-freiburg.de/2006/1106/iran.html, Rech.: 11.05.08). 1995 wurde im Rahmen der Filmfestspiele in Locarno eine erste Retrospektive zu Ehren von Abbas Kiarostami gezeigt (www.pardo.ch/1996/press/dmain17.html, Rech.: 11.05.08).
[5] Siehe beispielsweise in der Einführung des Filmhefts von Cinelibre: Filme aus dem Iran, Basel 1991. S. 5- 16
[6] Zum Beispiel in folgenden Artikeln: www.abendblatt.de/daten/2006/06/29/580031.html; www.movienetfilm.de /offside/presseheft.php; www.titel-forum.de/print.php?sid=2307, Rech.: 11.05.08).
[7] Im deutschsprachigen Raum, Das Iranische Kino oder Neues Iranisches Kino, in Amerika vornehmlich: Iranian Cinema und in Frankreich, Nouveau Cinéma Iranien.
[8] Ein Beispiel für eine derartige Zusammenführung ist der Begriff Italienischer Neorealismus, der eine ästhetische Schule bezeichnet und das Prädikat italienisch für die Beschreibung dieses Phänomens nicht von dem Begriff Neorealismus zu trennen ist.
[9] „But the idiom of the yasna and the Gathas, while including fighting the demons and evil, dominantly deploys a set of pastoral metaphors, and not, […] in the literal sense of having to do directly with cows or stock and herdsmen […]. Rather, this poetic idiom deploys a marvelous dialectical and abstract idiom in which what is at issue is the relationship between sustenance, strength, and result” (Fischer 2004: 56).
[10] „The story of the first dynasty, the Pishdadian […] transforms the creation stories of Zoroastrianism into narrative form. The story of the second dynasty, the Kayanians […], recounts the heroic ages and the coming of an ethical world religion (Zorostrianism, Islam) with all its abuses as well as its rewards. The story of the third dynasty, together with Alexander the Great, who becomes assimilated to Iranian history not as despoiler-conqueror but as half-Iranian shah, is one of transition and romance. Finally there is the Sassanian dynasty, a historical dynasty, here mythicized as the apogee, culmination, and end of age” (Fischer 2004 : 17f).
[11] Die Fertigstellung des Schahnameh datiert Fischer auf das Jahr 1010. Er betont, dass das Schahnameh in Zusammenhang mit seinem historischen Kontext gesehen werden muss. Der Verlust der persischen kulturellen Souveränität unter der islamischen Vorherrschaft zu dem Zeitpunkt der Fertigstellung ist signifikant für das Verständnis des literarischen Werkes (vgl.: Fischer 2004: 66/67/72).
[12] „Intuitive knowledge provides access to a priori truths of which discursive knowledge can only be subsequently validated through a posteriori demonstrations. […] The perception of pain becomes paradigmatic of self-knowledge as unmediated perception, i.e., a non discursive, non-conceptual and non-propositional type of knowledge that, nonetheless, does constitute a mode of knowing distinct from discursive knowledge” (http://plato.stanford.edu/entries/suhrawardi/, Rech.: 02.03.08).
[13] „Everything in existence is ranked according to the intensity of light that it possesses. God, the Light of Lights is at the apex of this hierarchy at the end of which is matter, darkness. Humans being are a combination of both matter/body and soul, the latter being the element of light in humans. Ordinary light is one manifestation of the light of lights with a particular intensity. All existents are merely various degrees and intensities of light and darkness” (Mahmoud o.J.: 21).
[14] Suhrawardi war bis Ende des 19. Jahrhunderts im Westen weitestgehend unbekannt. Erst 1952 gab der Philosoph und Iranist Henry Corbin (*1903 †1978) eine erste französische Ausgabe der Illuminationsphilosophie heraus (http://plato.stanford.edu/entries/suhrawardi/, Rech.: 03.03.08).
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