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Mehr InfosStudienarbeit, 2008, 41 Seiten
Studienarbeit
1,0
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
1 Die Geschichte des Hörspiels
1.1 Anfänge des Hörspiels – Die Zeit der Weimarer Republik
1.2 Die Zeit der Nationalsozialisten (1933-1945)
1.3 Nachkriegszeit (1945-1960)
1.4 Neues Hörspiel und Hörspielkrise (1960-1980)
1.5 Lichtblicke fürs Hörspiel (Anfang der 1980er)
1.6 1985 bis zur Gegenwart
2 Hörspielkriterien
2.1 Hörspielgenres
2.2 Hörspieltypen
2.3 Hörspielmedien
2.4 Hörspielfunktion und -Ideologien
2.5 Hörspielverbreitung
2.6 Hörspielrelevante Technik
2.7 Produzenten
2.8 Kontrolle und Zwänge
2.9 Stilistische Mittel
2.10 Autoren und Sprecher
2.11 Zielgruppen und Konkurrenz des Hörspiels
Schlussbetrachtung
Kommentiertes Literaturverzeichnis
Anhang – Tabellen der Hörspielformen
Selbständigkeitserklärung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das Hörspiel als ‚Krönung des Funks’ entstand in den 1920er Jahren und konnte zunächst nur über Mittelwelle empfangen werden. Es erreichte damals bereits ein Millionenpublikum. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die junge Radiokunst populär und erlebte ihre literarisch geprägte Blütezeit. Doch auch Todesklagen, Krisen und Neuanfänge gehören zur Geschichte des Hörspiels. Spätestens seit den 1980er Jahren wurde die Musik immer wichtiger. Das moderne Hörspiel ist eine akustische Kunst und beruht auf Wort, Musik und Geräusch. Das Hörspiel ist damit die einzige Kunstform, die ausschließlich gehört werden kann. Die technische, mediale, programmgeschichtliche, ästhetische und personelle Veränderung der Hörkunst formte sie stetig um und kann somit ohne die Geschichte ihrer Regisseure, Sprecher und Komponisten nicht beschrieben werden.
Heute ist das Hörspiel längst nicht mehr bloß literarisch. In den letzten Jahren hat es wieder einen stetigen Zuwachs zu verzeichnen. Man spricht von einem neuen Hörspielboom.
Es sind also zwei Hochpunkte zu verzeichnen, einerseits die Zeit der Produktionen großer Rundfunkhäuser, andererseits die gegenwärtigen Hörspiele, die sich breitem Interesse im Buch- und Tonträgermarkt erfreuen.
Mit dieser Arbeit sollen die Entwicklungen des Hörspiels zusammengefasst werden, sowie ein Überblick gegeben werden, um die unterschiedlichen Erscheinungsformen miteinander zu vergleichen. Zu diesem Zweck wurde eine Auswahl von Vergleichskriterien erarbeitet, anhand derer ein Vergleich der unterschiedlichen Hörspielformen möglich ist.
Hier fließen eigene Erfahrungen ein, die ich im Arbeitsfeld der Tontechnik und der Hörspielproduktion sammeln konnte. Vor allem im zweiten Kapitel werden Schlussfolgerungen aufgrund des geschichtlichen Überblicks und diesen Erfahrungen gezogen.
Der eingeschränkte Umfang dieser Belegarbeit ermöglicht nur einen groben Überblick zum Themenfeld der geschichtlichen Entwicklung des Hörspiels und dessen Charakterisierung. Die Schlussfolgerungen stellen also Ansätze für weitere Forschungs- oder Thesen-Entwicklungen dar und bedürfen noch genauerer Hinterfragung.
Während der Ausarbeitung wurde klar, dass die Begriffe des Hörspiels und der des Hörbuchs in historischen Diskussionen bereits aufeinander stießen und auch heute oft nicht klar abgegrenzt werden. Deshalb wird im Folgenden vom Hörspiel als Überbegriff aller Formen dieses Genres gesprochen und schließt Hörbuchformen reinen gesprochenen Wortes ein. Ein Versuch diese Erscheinungsformen des Hörproduktes voneinander trennen zu wollen lässt erkennen, dass es Mischformen und gegenseitige Beeinflussungen gab und gegenteilige bzw. gemeinsame Entwicklungen auftraten, so dass eine Abgrenzung für den Umfang der Arbeit eindeutig den Rahmen sprengen würde.
Erste Erscheinungen von gesprochenem Wort finden entgegen vielen Angaben nicht im Rundfunk[1], sondern bereits 1910 als gesprochene klassische Gedichte auf Schallplatte statt. Demnach ist nicht das Radio, sondern die Schallplatte das erste Medium in der Geschichte des Hörspiels, welches aber erst wieder in den 1970er Jahren Bedeutung für dieses Genre erlangen soll. Der Rundfunk allerdings ist die erste größere Produktionsstätte von Hörspielen. Der Rundfunkempfang findet zunächst über Detektorenempfänger mit Kopfhörern, später über Röhrenempfänger mit integrierten Lautsprechern statt.[2] Erstmals definiert wird der Hörspielbegriff durch den Kritiker und Redakteur Hans Siebert von Heister als „arteigenes Spiel des Rundfunks“[3]. Es werden auch andere Begriffe wie Funkspiel, Funkdrama oder Sendespiel für frühe Hörspiele verwendet[4]. In den 1920er und 1930er Jahren fungiert das Hörspiel als politisches Mittel zur Beruhigung und Befriedigung der Massen; verbreitet durch die neue Technologie entspricht es einem befreienden Wunder „in Zeit der tiefsten wirtschaftlichen und seelischen Not“[5]. Diese Funktion wird nicht zum primären Zweck eingesetzt, doch wirft die schlechte Lage der Zeit einen negativen Schatten auf die Anfänge des Hörspiels[6].
Hörspiele werden anfänglich nicht original für den Rundfunk geschrieben, sondern sind Literaturumsetzungen. Die Form Hörspiel ist noch so ungewohnt, dass die Theaterschauspieler, die ausschließlich die Sprecherrollen besetzen, teilweise in Kostüm und Maske die Stücke einsprechen[7]. Die Tonspeicherung ist noch nicht ausreichend fortgeschritten, weshalb keinerlei Vorproduktion möglich ist. Man kann also von live übertragenen Hörtheatern sprechen, in denen Regisseure ähnlich Dirigenten durch Gesten den Verlauf steuern. Kein Wunder, dass das Theater zunächst eine Konkurrenz in dieser neuen radiospezifischen Form sieht[8]. Erste Theorien für diese Entwicklung entstehen. So fordert zum Beispiel Berthold Brecht, dass „Werke [...] ausschließlich für das Radio gemacht werden müssen“[9]. Töne und Geräusche im Hörspiel sind aufgrund der bis dahin begrenzt ausgereiften Schallplattentechnik nur bedingt möglich. Im März 1926 wird der erste Hörfilm ‚Der tönende Stein’ mit verstärktem Einsatz von Geräuschen urgesendet[10] und erst 1928 kommt es auch im Rundfunkhörspiel zu Aufzeichnungen von Material oder Sendungen, indem wachsbeschichtete Platten eingesetzt werden[11].[12]
Hörspiele dieser Zeit sind einzig durch den Rundfunk definiert und verbreitet. Sie erzielen schnell wachsende Hörerzahlen (1928 bis über 3 Millionen)[13].
Bis 1929 distanzieren sich viele Schriftsteller vom neuen Medium Hörspiel, da sie es als trivial betrachten[14]. Erst ab 1929 beginnen bekannte Autoren wie Brecht, Döblin und Kasack speziell für den Rundfunk zu schreiben. Brecht fordert bereits 1927 mehr Freiräume für Experimente und spezielle Studios sowie neue Technik zu schaffen[15]. Nun werden Hörspielvorlagen von Autoren geschrieben und von Regisseuren umgesetzt[16].
Die so genannten Kriegshörspiele beziehen sich auf den geschichtlichen Aspekt und lösen einen psychologischen Prozess aus: die Auseinandersetzung mit den traumatischen Ereignissen des Ersten Weltkrieges, weswegen sie extrem erfolgreich werden.[17] Weitere Themen sind zeitgenössische Sensationen und Abenteuer wie der Lindberghflug, Ozeanüberquerungen oder Polarexpeditionen.
Hermann Kasack prägt seine reine Worthörspielform des auf innere Monologe festgelegten Stücks ‚Stimmen im Kampf’[18].
Ab 1930 entwickeln sich die so genannten Arbeitslosenhörspiele, womit erstmals politik- und gesellschaftskritische Themen, vorrangig links orientiert, verarbeitet werden. Diese werden allerdings meist schon nach einer Ausstrahlung abgesetzt, denn durch das 1. Reichsrundfunkgesetz (1926) unterliegt der gesamte Rundfunk der Kontrolle und Zensur des Reichsinnenministeriums durch den kulturellen Beirat und den politischen Überwachungsausschuss. Die Medienpolitik des Rundfunks hat schon vor der Machtübernahme Hitlers rechte Tendenzen zu verzeichnen[19]. Im Rundfunk macht sich die Verschiebung der Machtverhältnisse Richtung Nationalsozialismus also bereits bemerkbar. Schließlich beansprucht Goebbels 1931 einen Einfluss der Partei auf die Rundfunkverwaltung.
Die Anfänge des Hörspiels sind also geprägt von vielseitigen Umsetzungen, Experimenten und den neuen Möglichkeiten des Mediums. Ob akustisches Schallspiel, literarisches Hörspiel oder Sendespiel, die innovativen Ansätze enden mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Die bereits entwickelten Formen werden erst Jahrzehnte nach der NS-Zeit wieder aufgegriffen. Aber auch in der Weimarer Republik ist das Hörspiel bereits ein Instrument zur politischen Meinungsbildung.
Das Hörspiel als Instrumentarium der Meinungsbildung, welches wie beschrieben bereits existiert, wird also von den Nationalsozialisten nur noch okkupiert und perfektioniert[20].
In den folgenden Jahren erscheinen in Nazi-Deutschland ausschließlich Hörspielproduktionen in pervertierter Form als Propagandamittel[21]. Der Machtwechsel bedeutet zunächst vor allem Zensur. Das Hörspiel wird Teil des Propaganda-Apparats, gesteuert vom ‚Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda’ mit der zentralen Figur Goebbels[22]. Einige Hörspielautoren erlangen im Dritten Reich sehr hohe Popularität, am meisten wohl Günter Eich mit über 50 Hörspielproduktionen von 1933-1940[23]. Andere Autoren wie Brecht oder Döblin fliehen ins Exil. Innerhalb Deutschlands erhalten Experimental- und Schallspiele Sendeverbot, denn wie alle Bereiche des Rundfunkprogramms, dient auch das Hörspiel einer nationalsozialistischen Kulturauffassung von Form und Funktion, als Träger einer Leistung [24] . Die Anzahl der Hörer beträgt konstant sechs bis sieben Millionen, wobei Hörspiele zur besten Sendezeit zwischen 19 und 20 Uhr ausgestrahlt werden[25]. Durch die Einführung des preiswerten Volksempfängers 1933 wird das Radio zum Massenmedium.
Friedrich Knilli teilt das nationalsozialistische Propaganda-Hörspiel in drei Typen ein[26]:
1. Gemeinschaftsspiele enthalten breitenwirkungszielende Appelle an die gemeinsame deutsche Volksseele , geprägt von nationalsozialistischer Sprachmetaphorik und ideologischem Kitsch.
2. Chorische Hörspiele sind den Gemeinschaftsspielen sehr ähnlich, doch mit chorischen Partien, zum Beispiel Rufchören, Geräuschen und Gesangspassagen durchsetzt. Sie beinhalten eine triviale, aber reißerische Sinnhaftigkeit, wobei der Text nur hohle Phrase ist.
3. Kurzhörspiele haben die Funktion der geistigen Mobilmachung und stellen kurze Szenen dar. Sie tragen Titel wie ‚Fliegeralarm’, ‚Fliegerbomben’ oder ‚Der Krieg im Dunkeln’.
Bis Kriegsbeginn 1939 dominieren Chorisches und Gemeinschafts-Hörspiel, aber auch Kurzhörspiele werden bereits gesendet. Wieder werden Klassiker adaptiert, um Deutschlands Bühnenkultur als eine Art Medienkonserve des Theaters lebendig zu halten[27]. Während des Krieges aber werden fast nur Kurzhörspiele gesendet, denn ein Großteil der Mitarbeiter muss zum Militär, andere gehen zum Film. Die Kurzhörspiele haben nun einen Sendeanteil von weniger als 1%. Dieser Hörspieltyp hat den Vorteil, dass er von Hörern nebenbei rezipiert werden kann und Informationen knapp und eindeutig transportiert. Der Rundfunkteilnehmer wird intellektuell nicht überfordert. Beim Kurzhörspiel kommt es weniger auf die Figuren und deren dramaturgische Entwicklung an, sondern mehr auf die erregende Situation und darum, den Zuhörer nicht zu verwirren.[28]
Ende 1944 werden kaum noch Hörspiele gesendet, eines der letzten, das das NS-Radio ausstrahlt ist eine Rundfunkfassung von Goethes ‚Faust’.
Viele deutsche Hörspielautoren fliehen während der NS-Zeit ins Exil. Ihre Hörspiele werden in deutscher Sprache bei den dortigen Sendern produziert[29]. Das Hauptziel ist die Aufrechterhaltung eines nichtfaschistischen kulturellen Deutschlandbildes[30]. Der Kampf gegen den Faschismus selbst wird thematisiert. Exilhörspiele erfüllen den Zweck der Gegenpropaganda; ebenso wie andere Exilkünstler (z.B. Marlene Dietrich) arbeiten nun deutsche Hörspielkünstler für den ausländischen Rundfunk[31]. Dabei sind zwei Formen abzugrenzen: Einerseits die Exilhörspiele, die im Ausland ausgestrahlt auch innerhalb Deutschlands zu empfangen sind, hauptsächlich von der BBC produziert und übertragen[32]. Andererseits jene Exilhörspiele, die nur im Ausland zu empfangen sind und dort Deutsche oder Deutschstämmige erreichen.
Letztere Exilhörspiele kommen vor allem in den USA vor. Grund für ihre Ausstrahlung ist, dass der teilweise gleichgültigen Einstellung vieler Deutsch-Amerikaner dem Nationalsozialismus gegenüber entgegengewirkt werden soll. Diese Hörspiele wenden sich auch gegen deutsche Programme im amerikanischen Rundfunk, die sich nicht eindeutig durch anti-nationalsozialistische Tendenzen ausweisen oder sich gar positiv dazu äußern[33].
Das Exilhörspiel hat den Vorteil, dass die akustische Montage und der Schnitt um einiges leichter ist, da die 1935 auf der Berliner Funkausstellung präsentierte Tonbandtechnik im Ausland bereits einsatzfähig ist, während dieses in Deutschland erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges geschehen wird[34].
Zur Nachkriegszeit erfährt das deutsche Hörspiel eine neue Blütezeit, denn da Theater und Kinos geschlossen und Bücher sowie Zeitungen rar sind, ist der Hörfunk ein konkurrenzloses Medium. Das Hörspiel ist nun Theater- und Filmersatz[35]. Zunächst steht es jedoch noch unter dem Einfluss der westlichen Siegermächte und wird als Instrument der politischen Bildung und zur Demokratisierung der Deutschen genutzt[36]. Mit Erlass des Art. 5. des deutschen Grundgesetzes zur Gewährleistung von Pressefreiheit und Freiheit des Rundfunks kann das Hörspiel erstmals vom extremen Einfluss der Regierenden befreit werden[37]. Nach dem Krieg sind drei Hörspieltypen populär, stellen jedoch keine Neuentwicklung dar:
1. Hörspiele nach Literarischen Vorlagen[38]
2. Originalhörspiele[39]
3. Radio-Feature[40]
Letzteres unterscheidet sich dadurch von den anderen, dass es nicht unbedingt Kunst sein will und stellt eine Form zwischen Hörspiel und Reportage dar. Sinn und Zweck des Hörspiels der Nachkriegszeit ist es, den Hörern neue Lebensperspektiven zu unterbreiten, politisch umzubilden und ideologisch vom Nationalsozialismus zu befreien. Besonders Letzteres liegt im Interesse der alliierten Besatzermächte.[41] Erstmals wird 1951 der Preis der Kriegsblinden für Hörspiele an ‚Träume’ von Günther Eich vergeben, welches aufgrund der Authentizität der Kriegsschauplätze zunächst auf negative Reaktionen stieß[42]. Diese Ursendung des Hörspiels Eichs wird fälschlicherweise als Geburtsstunde des Hörspiels betitelt, wobei sich doch seit 1923 viele Hörspieltypen entwickelt haben. Anzumerken ist auch, dass Eich nicht nur einer der erfolgreichsten Hörspielautoren der Nachkriegszeit, sondern bereits im Dritten Reich war.
Auch andere ehemalige Mitarbeiter an Hörspielen im nationalsozialistischen Regime nehmen ihre Arbeit wieder auf. Nichtsdestotrotz stellen die Nachkriegsjahre einen Höhepunkt der Popularität und Produktivität des Hörspiels dar. Neue Möglichkeiten des Schnitts und Montage, durch Einführung und Etablierung des Tonbandgerätes in Deutschland steigern das technische Niveau[43]. Es werden mehr als 1.000 Hörspiele, davon 100 bis 120 Ursendungen von den Rundfunkhäusern produziert. Die Einschaltquoten liegen bei etwa 50%, was damals ca. 12 Millionen Hörern entspricht. Die Einrichtung der Ultrakurzwelle (UKW/FM) neben der Mittelwelle (MW/AM) 1950 erhöht die Zahl der möglichen Sendeplätze.[44] 1950 erfolgt der Zusammenschluss der Sendeanstalten der Länder zur ARD, was kulturellen Programmaustausch und Co-Produktionen ermöglicht, sowie die Ausgaben gering hält.
Ab den 1950ern erscheinen die Werke von Hörspielautoren auch in Buchform, denn auch viele Leser interessieren sich für dieses Genre. Schriftsteller wie Walser, Grass, Frisch und Dürrenmatt schreiben Originalhörspiele, die meistens von berühmten Schauspielern[45] eingesprochen werden.
Als neues Genre wird das Kinderhörspiel entdeckt, wie z.B. Adaptionen der Bücher Astrid Lindgrens, und mit großem Erfolg gesendet. Rein akustische Schallspiele sind sehr selten, selbst Geräusche und Musik werden nur sehr wenig eingesetzt.[46] Das Literarische Hörspiel, Originalhörspiel und das populäre Unterhaltungshörspiel sind also hauptsächlich vom gesprochenen Wort geprägt. Hörspielmacher bezeichnen diese als ‚traditionelles Hörspiel’ und wollen ihm den Sinn und Zweck verschaffen, als echte Literatur zu gelten[47]. Bis heute zieht sich die Diskussion über die Begrifflichkeit von Hör spiel und Hör buch hin. Obwohl viele junge Autoren diese akustische Literatur bis in die späten 1960er ob seiner Einschränkungen kritisieren, erfreut sich dieser Typ großer Beliebtheit beim Rezipienten. Dies gilt in den 1950er Jahren besonders für Unterhaltungs- und Kriminalhörspiele. Es wird eine heile Hörspielwelt kreiert, die Gut- und Böse, Recht- und Unrecht-Kontraste klar abtrennt und meist mit ‚happy ends’ abschließt. Hörspielserien, vergleichbar mit heutigen ‚TV-Soaps’, entstehen und erreichen mit ‚Familie Hesselbach’ (Wolf Schmidt) Rekordeinschaltquoten von bis zu 70%. Wie zur Zeit der Weimarer Republik erfüllen diese Hörspiele die Funktion eines imaginären Zufluchtsort, eine suggerierte Welt unerschütterlicher Ordnungsgefüge die von Alltagsproblemen ablenken.[48]
Diese Funktion wird vom Fernsehen mit Heimat- und Kriminalfilmen übernommen, wodurch das Hörspiel mehr und mehr an Bedeutung verliert. Nicht nur Hörer, sondern auch Hörspielmitarbeiter wechseln in die Fernsehproduktion. Das Fernsehen übernimmt nun die Funktion der Unterhaltung. Der Prozess der Inneren Bühne ist durch die mitgelieferten Bilder obsolet geworden. Die Hörerschaft zieht das Fernsehspiel dem anspruchsvolleren Hörspiel vor.
Seit dem Ende der 1960er Jahre entsteht das experimentelle Hörspiel und Schallspiel zusammengefasst unter der Bezeichnung ‚Neues Hörspiel’. Der Begriff wird erstmals von Klaus Schöning[49] 1968 eingeführt. Junge Autoren vor allem beim WDR/SR wollen sich vom traditionellen Hörspielbegriff der Nachkriegsjahre lösen und sind experimentierfreudig[50]. Anfang der 1960er Jahre werden hauptsächlich literarische und unterhaltende Hörspiele gesendet. Im traditionellen Hörspiel sind Geräusch und Musik keine vollständigen Mittel, sondern eher als Hervorhebungen und Unterstreichungen des Wortes angesehen. 1961 fordert Friedrich Knilli ein völlig neues, experimentelles Hörspiel, in dem alle akustischen Ereignisse emanzipiert und parallel eingesetzt werden sollen. Er spricht von der Ästhetik des ‚totalen Schauspiels’ nach den Ansätzen zur Zeit der Weimarer Republik.[51] Durch die Einführung des Fernsehens in den 1960ern setzen Radiomacher eher auf ein musikorientiertes, wortärmeres Programmangebot; Ende der 1960er wird hauptsächlich Rock- und Popmusik gesendet. Die Radioeinschaltquoten steigen endlich wieder, jedoch ist der Radiorundfunk nicht mehr das bevorzugte Medium, sondern fungiert als Nebenbei-Medium. Hörsendungen werden auf die neu eingerichteten Zweiten (Ende der 1950er / Anfang der 1960er) und Dritten Programme (Anfang der 1970er) verlagert, die speziell für die Interessen von Hörminderheiten eingerichtet werden. Auf den Zweiten und Dritten ist allerdings genug Platz für Experimente[52]. Hier kann sich das Hörspiel künstlerisch weiterentwickeln und entfalten und ist frei von Zwängen durch Gesellschaft, Politik oder Ökonomie. Zusätzlich gibt die Stereophonie neue Möglichkeiten.[53]
Die neuen Schreibstile und -formen wie z.B. die ‚Lautmalerei’ Kurt Schwitters' oder dem ‚Nouveau Roman’ moderner Autoren sind sehr gut vereinbar mit den Gedanken des Neuen Hörspiels. Die ästhetische Revolution hat das Hörspiel ergriffen, so schreiben nun Jandl, Mon oder Handke für den Rundfunk[54]. Teilweise werden die Hörspiele von den Schreibern selbst umgesetzt. Paul Wühr verzichtet sogar ganz auf Manuskript oder Schauspieler bzw. Sprecher und arbeitet nur mit Originaltönen (O-Tönen), wie Klänge und Geräusche der Umwelt oder Stimmen der Menschen, wofür ihm 1971 der Kriegsblindenpreis verliehen wird[55]. Durch tragbare Tonbandgeräte können die Hörspielmacher überall O-Töne außerhalb der Studios sammeln und anschließend montieren. Der Einsatz von O-Tönen wird zur eigenen Richtung im Hörspiel und ist ganz im Sinne Brechts' Forderung der 1960er, durch Aufnahme von Stimmen auf der Straße „…den Hörer […] als Mitproduzent einzubeziehen“[56]. Die Minderheit der Hörspielhörer akzeptiert auch anonyme Stimmen, somit ist das Hörspiel nicht mehr auf den Einsatz von populären Stars angewiesen.
Das Hörspiel wird dabei längst nicht mehr von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen. Aber diese Krise des Hörspiels ermöglicht einen Weg aus der ästhetischen Sackgasse des ‚Traditionellen Hörspiels’. Dies geschieht hauptsächlich durch technische Verbesserungen: Die Akustik kann manipuliert werden, ein präzises Schneiden von Tonband ist möglich, elektronische Musik, respektive Klänge und O-Töne kommen zum Einsatz und die Stereophonie trägt zur vollen Entfaltung der akustischen Ereignisse bei. Der SR ist der erste Sender, der den Einsatz von Stereophonie nicht scheut, viele Sender schließen sich dieser neuen Richtung an.[57] Während nur wenige Hörer Anfang der 1970er über ein Stereoempfangsgerät verfügen, sind diese 1977 in bereits 40% der Haushalte aufzufinden[58].
Die Stereophonie birgt die Vorteile der Steigerung der Klarheit und eine Abnahme von störenden Nebengeräuschen. Zusätzlich wird eine Bewegung der imaginären Schallquelle möglich und das Gesendete erfährt eine gesteigerte Natürlichkeit im Klang[59]. Skeptiker wollen dennoch an der Dramaturgie und Ästhetik des traditionellen Hörspiels festhalten. So sehen sie im ‚Neuen Hörspiel’ und in der Stereophonie Gründe für die momentane Krise des Hörspiels[60].
Es entwickeln sich auch auf Seiten des Neuen Hörspiels Theorien wie die Idee der medialen Verschiedenheit der Wahrnehmungsakte Lesen und Hören[61]. Durch diese Berufung auf das rein Akustische als Gattung des Neuen Hörspiels kommt es natürlich zur Bewegung in den Bereich der modernen und damit experimentellen Musik. Vertreter des Neuen Hörspiels bemängeln die Abhängigkeit von der Literatur und dem Theater. Sie fordern das Original des Hörspiels als ‚absolute Radiokunst’[62] und schränken den Hörspielbegriff somit unwissentlich ein, denn die Entwicklung der Stereo-Langspielplatte (1958) und Compact Audio Kassette (1963) stellen nun die neuen Trägermedien des Hörspiels dar. Das radiospezifische des Neuen Hörspiels ist also nur eine der Möglichkeiten[63].
Während es der Fehler des traditionellen Hörspiels ist, neue technische Entwicklungen und experimentelle Ideen zu ignorieren, verurteilen Vertreter des Neuen Hörspiels dies als reaktionär und lehnen das traditionelle Hörspiel vollständig ab. Die neue Bewegung war demnach genauso ignorant wie die alte.
Die entstandene Hörspielkrise begründet sich also weder aus der veralteten Dramaturgie oder Thematik, noch aus fehlenden technischen oder finanziellen Mitteln, sondern durch die Institutionen selbst und deren Diskurse und Theoriebildungen, als auch den Auswirkungen der Einführung des Fernsehens.
Nach zwei Jahrzehnten Diskurs und Polemisierung anstelle konstruktiver Kritik beider Seiten ergeben sich ein erzwungenes Ende der Diskussionen und eine relative Offenheit gegenüber allen Hörspielarten innerhalb des Radioprogramms seit den 1980ern, welche bis heute anhalten. Das Digitale Satellitenradio (DSR) und die Konfrontation mit dem neuen Markt werfen neue Probleme aber auch Möglichkeiten auf.
Die Einführung von Lizenzen für Private Radiosender führt zu stärkerem generellem Einschaltquotendenken anstelle des bisherige Kunst- und Kulturgedanken beim Produzieren von Hörspielen[64]. Zusätzlich konkurriert MTV mit dem Medium Radio.
Der Anteil am Gesamtprogramm trotz jährlich 1.500 ausgestrahlten Hörspielen sinkt auf 0,8 % (Werbung dagegen 1,6%)[65]. Den größten Anteil des Programms stellt nun die Popularmusik; die große Zeit des Neuen Hörspiels scheint vorbei zu sein. Man sucht nun nicht mehr nach Definitionen bzw. Theorien des Hörspiels. Eher besinnt man sich gezwungener Maßen auf die natürliche Verschiedenartigkeit desselben und erwartet von den Hörspielmachern, dass sie die Wirkung der Stücke bezüglich der Produktion, Regie und Dramaturgie in ihre Überlegung genau einbeziehen[66]. Dies fördert das Erproben und Entstehen neuer Hörspielvarianten, es wird mit Texten, Geräuschen, Rock-, Punk- und Avantgardemusik (z.B. ‚Einstürzende Neubauten’) experimentiert. Die technische Neuentwicklungen der digitalen Tonspeicherung R-DAT[67] (1983) verbessert die Tonqualität. 1983 bringt die Einführung der CD als Tonträgermedium dem Hörspiel die Unabhängigkeit gegenüber dem Rundfunk. Ein neues Sendeverfahren wird eingeführt: Ab 1984 ermöglicht DSR die Übertragung in hochwertiger digitaler Qualität, sowie das Mitsenden von Angaben zum Programm als Kurzinformation (z.B. Titel, Interpret, Autor). DSR wird offiziell allerdings erst 1989 eingeführt.
[...]
[1] z.B. Heinrich Heines ‚Seegespenst’, 1923; Hans Fleschs ‚Zauberei auf dem Sender’, 1924
[2] Vgl. Köhler, S.16
[3] in der Zeitschrift ‚Der deutsche Rundfunk’, 1924 zit. n. Köhler S.16
[4] Vgl. Krug, S. 14
[5] Staatssekretär d. Reichspostministeriums Hans Bredow nach Krug S.14
[6] Vgl. Krug, S. 14
[7] Vgl. Krug, S. 14
[8] Vgl. Krug, S.16
[9] Bertholt Brecht zit. n. Krug S.19
[10] Vgl. Krug, S. 18f
[11] Vgl. Kälin, S. 32f
[12] Das Tri-Ergon-Verfahren (ab 1930) zur Speicherung akustischer Signale auf einer Ton-Licht-Spur, das auch Möglichkeit der Überblendung bietet, setzt sich aber nicht durch. Für solche Überblendungen werden weiterhin Trichter verwendet, die man über das Mikrofon stülpt und anschließend wegzieht.
[13] Vgl. Krug, S. 24
[14] Vgl. Schwitzke, S.65
[15] Vgl. Schöning, S.14
[16] z.B. W. Zucker: ‚Wie nehme ich meinen Chef’, 1931; Bertolt Brecht: ‚Lindberghflug’ 1929; Eduart Reinacher: ‚Der Narr mit der Hacke’, 1930
[17] z.B. Johanssens ‚Brigadevermittlung’, 1929, das mehr als 50 mal in elf Ländern gesendet werden
[18] Vgl. Krug, S. 27
[19] Vgl. Deutscher Bundestag, S. 270 ff
[20] Vgl. Wessels, S. 37
[21] Vgl. Döhl, S. 3
[22] Vgl. ebd., S. 84f
[23] Vgl. Krug, S. 41
[24] Vgl. Döhl, S. 48
[25] Vgl. Krug S. 44ff
[26] Vgl. Knilli, S. 16
[27] Vgl. Krug S. 45
[28] Vgl. Wessels, S. 505
[29] Beispiele sind Anna Seghers ‚Prozess der Jeanne d'Arc zu Rouen 1431’ ,1937 und Ernst Ottwalds ‚Kalifornische Ballade’, beide im flämischen Programm des Belgischen Rundfunks gesendet, sowie Brechts ‚Lukullus vor Gericht’ ,1940; Radio Beromünster.
[30] Vgl. Krug S.46
[31] Vgl. Döhl, S.177
[32] z.B. Robert Lucas ‚Hitler vs. Hitler’ in dem Hitler-Reden geschnitten und neu montiert wurden, so dass er sich selbst ‚entlarvte'.
[33] Vgl. Ebd., S.181f
[34] Vgl. Kälin, S. 33
[35] Vgl. Krug S. 47
[36] Vgl. Bloom, S.86
[37] Vgl. Deutscher Bundestag, S. 366
[38] z.B. Zuckmayer ‚Die menschliche Stimme’
[39] z.B. Volker Starke ‚Der Held’
[40] bekannte Autoren: Axel Engelbrecht oder Ernst Schnabel
[41] Vgl. Bloom, S. 93f
[42] Vgl. Krug, S. 49
[43] Vgl. Kälin, S. 33
[44] Krug, S. 55f
[45] z.B. Klaus-Jürgen Wussow, Helga Feddersen, Joachim Fuchsberge oder Harald Juhnke
[46] Vgl. Krug, S. 57ff
[47] Vgl. Bloom, S. 35ff
[48] Vgl. Bloom S.105ff
[49] Dramaturg/Redakteur des WDR, Hörspielabteilung
[50] Vgl. Krug, S.69
[51] Vgl. Bloom, S.131
[52] Vgl. Krug S. 69f
[53] hier sind besonders Ernst Jandl und Friederike Mayröcker zu nennen (z.B. „Fünf Mann Menschen“, 1968)
[54] Vgl. Bloom, S. 131
[55] Krug, S.71
[56] Lader, S.58
[57] Vgl. Krug, S. 70f
[58] Vgl. Keckeis, S. 35
[59] Vgl. ebd., S. 29
[60] Vgl. Lauterbach, S. 67
[61] Vgl. Keckeis, S. 39
[62] Döhl, S. 80
[63] Vgl. Krug, S. 81
[64] Vgl. Krug, S. 91
[65] Ebd., S. 88
[66] Ebd., S. 88
[67] Schrägspuraufzeichnung mittels rotierender Magnetköpfe. Diese Art der digitalen Dokumentation senkte das Hintergrundrauschen erheblich.
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