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Mehr InfosDiplomarbeit, 2009, 139 Seiten
Geowissenschaften / Geographie - Meteorologie, Aeronomie, Klimatologie
Diplomarbeit
Georg-August-Universität Göttingen (Geowissenschaften und Geographie)
1,5
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME)
2.1 Epidemiologie der Frühsommermeningoenzephalitis
2.1.1 FSME in Europa
2.1.2 FSME in Deutschland
2.1.3 FSME in Bayern
2.2 Das FSME-Virus
2.3 Die Übertragung des FSME-Virus auf den Menschen
2.4 Der Krankheitsverlauf der FSME beim Menschen
2.5 Diagnostik und Risikogebiete
2.6 FSME-Impfung
3. Zecken
3.1 Ixodes ricinus
3.2 Vorkommen von Ixodes ricinus
3.3 Von Zecken aufgesuchte Wirte
3.4 Zeckenstich
3.5 FSME-Übertragung auf Zecken
3.6 FSME-Virus-Prävalenz von Zecken
3.7 Klimaeinfluss auf Lebensraum und -rhythmus von Zecken
3.8 Aktivitätsphasen von Zecken
4. Der Klimawandel
4.1 Definition von Klima und Klimawandel
4.2 Ursachen des Klimawandels
4.3 Globale Klimaveränderungen
4.4 Klimaänderungen in Deutschland
4.5 Das Klima in Bayern
4.5.1 Einflussgrößen auf das Klima in Bayern
4.5.2 Durchschnittstemperaturen und -niederschläge in der Referenzperiode
4.5.3 Klimaänderungen in Bayern
5. Stand der Forschung
5.1 Auswirkungen von Klimaänderungen auf I. ricinus und FSME-Fallzahlen
5.1.1 Lebensraum, saisonale Aktivität und Populationsdichte von I. ricinus in Abhängigkeit von Klima- / Wetterelementen
5.1.1.1 Effekte des Klimawandels auf die Verteilung von I. ricinus
5.1.1.1.1 Ausbreitung von I. ricinus nach Norden
5.1.1.1.2 Ausbreitung von I. ricinus in höhere Regionen
5.1.1.2 Auswirkungen des Klimawandels auf die saisonale Aktivität von I. ricinus
5.1.1.3 Der Effekt des Klimawandels auf die Dichte der Zeckenpopulation
5.1.2 Die Auswirkungen eines wärmeren Klimas auf den FSME-Naturherd
5.1.3 Klima und FSME-Fallzahlen
5.1.3.1 Klimawandel und Veränderungen der Verbreiterung von FSME in Tschechien
5.1.3.1.1 Statistische Zusammenhänge von FSME und Klimaelementen
5.1.3.1.2 Ausbreitung von FSME in höhere Lagen
5.1.3.1.3 Der Einfluss des Klimas im Winter auf die Epidemiologie von FSME
5.1.3.2 Klimawandel und FSME-Fallzahlen in den baltischen Staaten
5.1.3.3 Erkenntnisse zum Zusammenhang von kurzfristigen Klimaänderungen und den FSME-Anzahlen am Beispiel einer 8-Länder übergreifenden Studie
5.2 Szenarien der Klimaänderungen in der Zukunft
5.2.1 Zukünftige globale Klimaprognosen
5.2.2 Zukünftige Klimaänderungen in Bayern
5.2.2.1 Regionale Klimamodelle
5.2.2.2 Prognosen der Klimaentwicklung für Bayern
5.3 Auswirkungen des Klimawandels auf die Vegetation
6. Material und Methoden
6.1 Zugrunde liegendes Datenmaterial
6.2 Methoden der durchgeführten Untersuchungen
7. Ergebnisse der Untersuchungen
7. 1 Saisonale Verteilung der FSME-Fälle
7.2 Überprüfung der Abhängigkeiten der FSME-Fälle von einzelnen Klimaelementen
7.2.1 Ergebnisse zur Abhängigkeit der jährlichen FSME-Fallzahlen von 1991-2007 von den Klimaelementen Temperatur und Niederschlag
7.2.2 Ergebnisse der Untersuchungen zur Abhängigkeit der monatlichen FSME-Fallzahlen von den mittleren Monatstemperaturen im Zeitraum 2001-2007
7.2.3 Ergebnisse der Analyse des Einflusses der Strenge des Winters auf die FSME-Fallzahlen des nachfolgenden Jahres zwischen 1995 und 2008
7.3 Ergebnisse der Analyse der Entwicklung von Tmax als Einflussfaktor auf den FSME-Naturherd in den einzelnen Dekaden im Februar-April von 1961-2008
7.4 Ergebnisse zur Entwicklung der mittleren Jahrestemperatur in Höhenlagen von 500-1.200 m über NN in Bayern von 1961-2007
7.5 Ergebnisse der Analyse der Gefährdung des Nadelwaldes durch wärmere Temperaturen
8. Diskussion der Ergebnisse
9. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Abb. 1: Einflussfaktoren der Übertragung des FSME-Virus auf den Menschen
Abb. 2: FSME-Fälle in Europa von 1990-2008
Abb. 3: FSME-Fälle in Deutschland von 1969-2008
Abb. 4: FSME-Fälle in Deutschland 2001-2008 nach Landkreisen
Abb. 5: Jährliche FSME-Fälle in Bayern von 1976-2008
Abb. 6: Räumliche Verteilung der FSME-Fälle in Bayern von 2001-2008
Abb. 7: Das Dreieck der Erreger-Vektor-Wirt Interaktionen
Abb. 8: FSME-Risikogebiete in Deutschland 1998
Abb. 9: FSME-Risikogebiete in Deutschland 2009
Abb. 10: Schild- (Ixodes ricinus) und Lederzecke (Argas reflexus) im Vergleich
Abb. 11: Der Entwicklungszyklus des gemeinen Holzbocks (Ixodes ricinus)
Abb. 12: Die verschiedenen Entwicklungsstufen von Ixodes ricinus
Abb. 13: Schema eines Zeckenstichs
Abb. 14: Temperaturabhängigkeit der täglichen transstadialen Entwicklung von Ixodes ricinus
Abb. 15: Schema saisonaler Zeckenaktivität
Abb. 16: Veränderungen der Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion der Klimaparameter infolge des Klimawan-dels
Abb. 17: Veränderungen der Konzentrationen der Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und Stickstoffoxid während der letzten 20.000 Jahre bis 2005
Abb. 18: Veränderungen der Temperatur, der Höhe des Meeresspiegels und der Schneebedeckung der Nord-halbkugel in den letzten ca. 160 Jahren
Abb. 19: Deutschland-Temperatur, Jahresanomalien von 1761-2007
Abb. 20: Deutschland-Temperatur, Sommeranomalien 1761-2007
Abb. 21: Deutschland-Temperatur, Winteranomalien 1761-2008
Abb. 22: Topographische Karte Bayern
Abb. 23: Mittlerer Jahresniederschlag von 1961-1990 in Bayern
Abb. 24: Mittlere Jahrestemperatur von 1961-1990 in Bayern
Abb. 25: Mittlere Jahrestemperaturen in Bayern 1961-1990
Abb. 26: Räumliche Verteilung der Differenz der mittleren Jahrestemperatur der Periode 1991-2007 und der Referenzperiode 1961-1990 in Bayern
Abb. 27: Mittlerer Jahresniederschlag in Bayern 1961-2007
Abb. 28: Veränderung der Verbreitung von I. ricinus in Schweden
Abb. 29: Jährliche (a) und monatliche (für Mai) (b) Entwicklung von Tmit auf 1.000 m über NN im Riesenge-birge von 1961-2005
Abb. 30: Abweichungen von Tmit der Jahre 2004-2006 vom langjährigen Mittel von 1961-1990 in 816 m ü-ber NN (Wetterstation Pec pod Sněžkou)
Abb. 31: Aktivität von Ixodes ricinus im Herbst und Winter 2006/2007 in Feldarealen in einem Berliner Wald
Abb. 32: Aktivität von Nymphen in 1977 in Wicklow
Abb. 33: Monatliche Mittel der täglichen Tmax und des täglichen Niederschlags für München
Abb. 34: Monat des Beginns der Aktivität von I. ricinus Nymphen in Abhängigkeit der mittleren monatlichen Maximumtemperatur
Abb. 35: Monatliche Populationsdichten der Zecken in Bayern
Abb. 36: Niederschlag (%) und Temperatur (°C) in Abweichung vom langjährigen Mittel (1961-1990) im Jahr 2000 in Tschechien
Abb. 37: Klimagramm von März bis Oktober 2006 in Tschechien
Abb. 38: Wöchentliche Verteilung der FSME-Fälle 2006 in Tschechien
Abb. 39: FSME-Infektionsorte in Tschechien von 1971-2000
Abb. 40: Variationen in der vertikalen Verteilung von FSME-Fällen in Tschechien von 1971-2000
Abb. 41: FSME-Anzahlen und Frost-Index des vorherigen Winters der Jahre 1995-2004 in Böhmen
Abb. 42: FSME-Anzahlen und Tmin des vorherigen Winters der Jahre 1995-2004 in Böhmen
Abb. 43: Die beobachtete und vorhergesagte Verteilung der FSME-Fälle (pro 100.000 Einwohner) in den baltischen Staaten von 1993-1998
Abb. 44: Jährlicher Verlauf der Tmax in den 4 Dekaden von Ende März bis Ende April
Abb. 45: Monatliche FSME-Anzahlen für Slowenien und Bayern in den Jahren 2005-2007
Abb. 46: Beziehungen zwischen monatlichen Zecken- (Monat n) und FSME-Anzahlen (Monat n+1) in Bay-ern und Slowenien
Abb. 47: Szenarien der mittleren globalen Erwärmung bis zum Ende des 21. Jahrhunderts
Abb. 48: Differenzen des Jahresmittels der Temperaturprognosen der Szenarien B1, A2 und A1B des REMO -Modells der Jahre 2071-2100 mit der Periode 1961-1990
Abb. 49: Differenzen des Jahresmittels der Temperaturprognosen der Szenarien B1, A2 und A1B des WETT-REG-Modells der Jahre 2071-2100 mit dem Kontrolllauf der Periode 1961-1990
Abb. 50: Klimahülle der Fichte in Europa
Abb. 51: Aufwärtsbewegung von aktuellen Vegetationszonen im Gebirge
Abb. 52: Mittelwerte und Spannweiten der FSME-Fallzahlen in den einzelnen Monaten von 2001-2008 in Bayern
Abb. 53: Saisonaler Verlauf der FSME-Fälle in den Jahren 2001-2008 in Bayern
Abb. 54: Lineare Regression der mittleren April-Oktober-Temperaturen und der FSME-Fälle von 1991-2007
Abb. 55: FSME-Fälle und mittlere Jahres-, Herbst- und April-Oktober-Temperaturen von 1991-2007
Abb. 56: Mittlere monatliche Temperaturen und FSME-Fallzahlen von 2001-2007
Abb. 57: Monatliche Niederschläge und FSME-Fallzahlen von 2001-2007
Abb. 58: FSME-Fälle (1995-2008) und Niederschlagssummen (1994/1995-2007/2008)
Abb. 59: Anzahl der Eistage und FSME-Fallzahlen von 1995-2008 (ohne die Jahre 2005 und 2006)
Abb. 60: Tmax-Verlauf in Hohenpeißenberg von 1961-2008 in April II und III
Abb. 61: Tmax-Verlauf in Würzburg von 1961-2008 in den Dekaden Februar II bis März II
Abb. 62: Mittlere Jahrestemperaturen in 500-800 m über NN von 1961-2007
Abb. 63: Bodenbedeckung und Landnutzung in Bayern
Abb. 64: Verbreitungsgebiet des Nadelwaldes in Bayern
Abb. 65: Durch die Klimaerwärmung gefährdete Gebiete des Nadelwaldes in Bayern
Abb. 66: Vergleich der Temperaturentwicklung auf 1.000 m über NN von 1961-2005 im Riesengebirge (a) und auf 1.200 m über NN von 1961-2007 in Bayern (b)
Tab. 1: Charakteristika der Entwicklungsstadien von I. ricinus
Tab. 2: FSME-Virus Prävalenz in frei lebenden Zecken von 1997-2000 im Raum Passau
Tab. 3: Gesammelte I. ricinus in verschiedenen Höhen im Riesengebirge
Tab. 4: Monatliche Mitteltemperatur im Winter 2006/2007 in Potsdam
Tab. 5: Monatlicher Hochpunkt der Zeckenaktivität in Bayern 2006/2007
Tab. 6: Gesamtanzahl der gesammelten Nymphen pro Jahr in Bayern und Slowenien
Tab. 7: Monatliche FSME-Fälle in Tschechien von 1994-2001
Tab. 8: Monatsmittelwerte von drei Arealen für gesammelte Zecken (Nymphen und Adulte) im Jahr 2006
Tab. 9: Auftreten des FSME-Virus in I. ricinus in den Höhen des Riesengebirges
Tab. 10: Minimale und maximale Temperaturänderung der drei Szenarien A1B, A2 und B1 des REMO-Mo-dells im Vergleich zur Periode 1961-1990 in Bayern [°C]
Tab. 11: Minimale und maximale Temperaturänderung der drei Szenarien A1B, A2 und B1 des WETTREG-Modells im Vergleich zur Periode 1961-1990 (a) und 1981-1990 (b) in Bayern [°C]
Tab. 12: Übersicht der neun bayerischen Klimastationen
Tab. 13: Regressionskennziffern der Abhängigkeit der FSME-Fallzahlen von den Kennzahlen für die Strenge des Winters im Zeitraum 1995 bis 2008
Tab. 14: FSME-Fallzahlen und Kennzahlen für die Strenge des Winters im Zeitraum 1995-2004 und 2007-2008
Tab. 15: Mittelwerte von 1961-1990 und 1991-2008 von Tmax in April III in den sechs Stationen
Tab. 16: Vergleich der Mittelwerte von Tmax in den Perioden 1961-1990 und 1991-2008 in Würzburg und Kempten
Tab. 17: Übersicht über die mittleren Jahrestemperaturen in Höhen von 500-1.200 m über NN in Bayern
Tab. 18: Flächenanteile des potentiellen Lebensraums der Zecken und des Nadelwaldes an der gesamten Flä-che in Bayern
Tab. 19: Flächen und Flächenanteile von potentiell gefährdeten Nadelwaldgebieten bei einer Temperaturer-wärmung von 0,6 - 4,2 °C
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Gegen Ende der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts traten in Mitteleuropa erstmals Erkrankungen der Frühsommermeningoenzephalitis (FSME) auf. Seitdem wurden im Bereich der Erforschung des Virus, der präventiven Impfung, der Analyse des Übertragungszyklus des Erregers und hier speziell zu den Aktivitätszeiten und zum Vorkommen des Vektors Zecke große Fortschritte erzielt. Dennoch gab es vor allem seit Beginn der 1990er Jahre flächendeckend in weiten Teilen Mittel- und Osteuropas einen enormen Anstieg der FSME-Fallzahlen. Auch in Deutschland vollzog sich diese Entwicklung und so wurde im Jahr 2006 mit 546 Fällen ein absoluter Höchststand der FSME-Fallzahlen erreicht (Robert Koch-Institut 2009). Im Jahr 2008 wurde in Vorarlberg in den österreichischen Alpen erstmals ein in 1500 m über NN erworbener FSME-Fall bekannt (Medizinische Universität Wien 2008) und im Jahr 2009 wurden mit den Landkreisen Oberallgäu und Unterallgäu sowie dem Stadtkreis Memmingen drei Regionen in Bayern neu als Risikogebiet eingestuft (Robert Koch-Institut 2009a). Deshalb erfolgten einhergehend mit dem Beginn des Anstiegs der FSME-Fallzahlen im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts erste Forschungsansätze, welche Zusammenhänge mit einem signifikant veränderten Klima und hier vor allem mit einem Anstieg der Temperaturen untersuchten.
Abb. 1: Einflussfaktoren der Übertragung des FSME-Virus auf den Menschen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: eigene Darstellung
Abbildung 1 zeigt ein Schema der Einflussfaktoren, welche zu einer FSME-Erkrankung des Menschen führen können. Deutlich wird, dass der Faktor Klima einen direkten Einfluss auf die Verbreitung, die Aktivitätszeiten und die Populationsdichte der Zecken und deren Wirtstiere hat. Über die Vegetation wirkt sich das Klima zudem auch indirekt auf Zecken und Wirte aus. Das FSME-Virus zirkuliert zwischen den Zecken und deren Wirtstieren und gelangt auf direktem Wege ausschließlich über den Vektor Zecke zum Menschen. Der Mensch seinerseits hat einen direkten Einfluss auf das Klima u.a. durch Treibhausgasemissionen, welche zu einer Erwärmung des Klimas führen. Er ist aber z.B. in seinem Freizeitverhalten auch vom Klima abhängig. Indirekt kann sein Einwirken auf die Vegetation u.a. durch das Abholzen des Regenwaldes ebenfalls das Klima beeinflussen.
Nachdem sich die Forschungen bzgl. der Abhängigkeiten der FSME-Fallzahlen vom Klimawandel in den vergangenen Jahren vermehrt auf andere europäische Staaten bezogen, sollen in dieser Arbeit die Auswirkungen zurückliegender und zukünftiger Klimaänderungen auf die Ausbreitung von FSME in Deutschland und hier speziell im Bundesland Bayern untersucht werden. Hierzu werden zunächst die Faktoren FSME, Zecken und Klima grundlegend erläutert. Anschließend wird der aktuelle Forschungsstand zunächst zum Einfluss des Klimawandels auf die Ausbreitung von Zecken und FSME dargestellt. Des Weiteren werden die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur zukünftigen Entwicklung des Klimas und abschließend zur Veränderung der Vegetation als grundlegendem Einflussfaktor auf die Habitate der Zecken infolge des Klimawandels beschrieben. Danach werden die Materialien und Methoden der im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Untersuchungen erläutert und im Anschluss deren Ergebnisse vorgestellt. Diese werden weiterführend vor dem Hintergrund des zuvor geschilderten Forschungsstands kritisch diskutiert. Schließlich werden in der Schlussbetrachtung die wesentlichen Erkenntnisse dieser Arbeit zusammengefasst und ein Ausblick auf zukünftig zu erforschende Aspekte dieser Thematik gegeben.
Die FSME-Erkrankung ist die in Europa bedeutendste Viruserkrankung, welche von Zecken übertragen wird. Es handelt sich hierbei um eine virale Zoonose, eine Erkrankung, die vom Tier auf den Menschen übertragen wird. Sie kann in Ausnahmefällen zum Tod führen oder häufiger auch lebenseinschränkende Folgeschäden bedingen (Süss 2008). Der Name der Krankheit geht auf Moritsch und Krausler zurück und charakterisiert bereits den „Häufigkeitsgipfel“ der Erkrankung im Frühsommer (Stanek & Hofmann 1994, 18). Alternativ zu FSME wird auch häufig die englische Bezeichnung TBE (tick-borne encephalitis) verwendet.
Im Folgenden werden die Geschichte und geographische Verbreitung, das Virus, der Krankheitsverlauf, das Vorkommen und die Ausbreitung sowie die Wirte der FSME ausführlich erläutert.
Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde die Krankheit in Österreich als so genannte „Schneidersche Erkrankung“ erstmals erwähnt (Stanek & Hofmann 1994). Mitte der 30er Jahre wurde das Auftreten der Erkrankung in Waldgebieten erstmals in den asiatischen Teilen und zwischen 1938 und 1940 auch in den europäischen Teilen der damaligen Sowjetunion bekannt (Goldhofer 1983). Ein erster Beweis der Übertragung durch Zecken und eine Isolation des Virus gelang dort bereits im Jahre 1937 (Oehme 2005, 11). Nachfolgend wird ein kurzer Überblick über die Anzahlen der FSME-Fälle in Europa, in Deutschland und in Bayern dargestellt.
Erste FSME-Fälle wurden 1948 in Tschechien, wo 1949 auch die Isolierung des Virus erfolgte, und fortan auch in den meisten anderen Ländern Mitteleuropas nachgewiesen (Danielová & Beneš 1997). Ein Vergleich der 10 wichtigsten „FSME-Länder“ Europas zeigt eine 400%-ige Steigerung der FSME-Fälle im Vergleich der Zeiträume 1974-1983 und 1994-2003 (Süss 2008, 102). Dazu gehört auch Lettland, wo in den 70er und 80er Jahren im Durchschnitt jeweils zwischen 100 und 300 neue FSME-Fälle auftraten, wohingegen es im Jahre 1994 bereits ein neues absolutes Maximum von 1366 Fällen gab (Kunz 1995, 4, Tab. 1). Die Erkrankungszahlen sind seit dem ersten Auftreten der Krankheit grundsätzlich in Osteuropa sowie den angrenzenden Ländern Mitteleuropas am höchsten, wobei in Österreich durch die Einführung einer landesweiten Impfempfehlung zu Beginn der 90er Jahre die Fallzahlen um 90 % gesenkt werden konnten (Dobler et al. 2005, 49). Es ist aber auch eine weitere Ausbreitung in den Norden Europas zu beobachten, so wurde 1997 der erste FSME-Fall an der Südspitze Norwegens bekannt (Süss 2008).
Abb. 2: FSME-Fälle in Europa von 1990-2008
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: International Scientific Working Group on Tick-Borne Encephalitis (2009)
Insgesamt gab es in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten in ganz Europa eine extreme Ausbreitung von FSME (siehe Abb. 2), so dass derzeit von etwa 5.000 - 15.000 Neuerkrankungen pro Jahr in Europa auszugehen ist (Süss et al. 2008, 39).
Auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland wurde das Virus erstmals im Jahre 1959 durch Herbert Sinnecker in der damaligen DDR isoliert (Süss 2008, 71). Seit den 60er Jahren gilt sie als eigenständiges Krankheitsbild in beiden deutschen Staaten und es erfolgten die ersten epidemiologischen Erhebungen (Dobler et al. 2005).
In der ehemaligen DDR entwickelte sie sich in den 50er und 60er Jahren zu einem bedeutendem Problem und erreichte 1960 eine Morbiditätsrate an der Gesamtbevölkerung von 0,7 pro 100.000 (Oehme 2005, 151). Die Virusaktivität der Hochrisikogebiete ging jedoch seit den 70er Jahren zurück (vgl. 0,7/100.000 Morbiditätsrate in 60ern und 0,2/100.000 Morbiditätsrate ab den 70er Jahren bis 1992), so dass auch heute nur noch endemisch latente Herde in den neuen Bundesländern vorliegen (Süss et al. 1993, 31 und Süss 2008).
Auf dem Gebiet der alten Bundesländer der BRD, vor allem in Baden-Württemberg und Bayern, gibt es gegenteilig zur Situation in den neuen Bundesländern erst seit den 60er Jahren eine ständige Zunahme der FSME-Erkrankungen. Der erste Fall stammt aus dem Jahr 1962 im Würzburger Raum. Von 1969 bis 1976 konnten insgesamt 192 serologisch überprüfte Fälle in Süddeutschland nachgewiesen werden, von denen 72 direkt auf einen Zeckenstich zurückzuführen waren (Jusatz 1978). Zwischen 1976 und 1980 traten im selben Raum 62 FSME-Fälle auf (Goldhofer 1983, 25). In den 80er Jahren bis 1993 betrug die Anzahl der FSME-Erkrankungen durchschnittlich 40-140 Fälle pro Jahr bezogen auf ganz Deutschland, wobei jeweils mehr als zwei Drittel aller Fälle auf Bayern und Baden-Württemberg entfielen (Rieger et al. 1999 und Süss et al. 1993). Abbildung 3 zeigt die jährlichen Anzahlen von FSME-Fällen in Deutschland seit 1990.
Abb. 3: FSME-Fälle in Deutschland von 1969-2008[1]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quellen: Schmitz (1978), Ackermann et al. (1986), Roggendorf et al. (1997), Fiedler et al. (1999), Süss et al. (2004), Robert Koch-Institut (RKI) (2009)
Die Zahlen beruhen in erster Linie auf Fragebögen, welche an Diagnose-Labore und Kliniken verteilt wurden, und sind deshalb nicht als vollständig zu betrachten. Der vor allem in Baden-Württemberg zu Beginn der 90er Jahre erfolgte rapide Anstieg der Inzidenzen sei auch auf eine erhöhte Aufmerksamkeit bzgl. FSME und der verstärkten Ursachenforschung bei auftretenden Hirnhautentzündungen der behandelnden Ärzte zurückzuführen (Roggendorf et al. 1997, Haglund 2002).
Abb. 4: FSME-Fälle in Deutschland 2001-2008 nach Landkreisen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenAbbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: RKI (2009)
Seitdem ist die Anzahl der Erkrankungen weiter in einigen Regionen z.T. sehr stark angestiegen und beträgt im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends durchschnittlich mehr als 300 Fälle pro Jahr. Im Jahr 2006 in ihrem Maximum gab es insgesamt 546 Fälle, davon alleine 188 in Bayern (Robert Koch-Institut [RKI] 2009). Zudem findet eine allmähliche Ausbreitung nach Norden statt, die durch Einzelfälle in Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sowie durch gehäufte Erkrankungen in Rheinland-Pfalz, Hessen, Thüringen und Sachsen belegt wird (siehe Abb. 4).
Abbildung 5 zeigt die jährlichen Häufigkeiten der FSME-Fälle im Bundesland Bayern, auf welches sich die späteren Untersuchungen beziehen. Für die Vollständigkeit der von 1976-2000 aufgeführten FSME-Fälle in Bayern gelten ebenso die in Abschnitt 2.1.2 gemachten Einschränkungen, dass die Fälle auf private Initiative einzelner Wissenschaftler hauptsächlich über Erhebungen per Fragebogen erfasst wurden und aufgrund eines geringen Rücklaufs von unter 5 % nicht als vollständig zu betrachten sind (Fiedler et al. 1999). Der Verlauf des Graphen zeigt zu Beginn der 80er und Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts einzelne Spitzen von mehr als 50 Fällen im Jahr. Seit Beginn der Meldepflicht im Jahr 2001 stiegen die FSME-Fallzahlen für Bayern auf durchschnittlich mehr als 100 pro Jahr an mit einem absoluten Höchstwert von 212 Fällen im Jahr 2005.
Abb. 5: Jährliche FSME-Fälle in Bayern von 1976-2008
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quellen: Roggendorf (1983), Ackermann et al. (1986), Roggendorf et al. (1997), Fiedler et al. (1999), Süss et al. (2004), RKI (2009)
Abbildung 6 zeigt die räumliche Verteilung der FSME-Fälle in Bayern in den Jahren 2001-2008, für welche durch die eingeführte gesetzliche Meldefrist relativ gesicherte Kenntnisse der Anzahlen und des Auftretens der FSME-Fälle vorliegen. Deutlich wird ein gehäuftes Auftreten der FSME-Fälle in allen Jahren im Nordwesten Bayerns, im Raum Mittelfranken und Oberpfalz sowie im Südosten des Freistaats. Daneben gibt es seit 2003 auch im Nordosten vermehrte FSME-Fälle, wohingegen in allen Jahren im westlichen und südwestlichen Teil des Landes nur vereinzelt FSME-Fälle registriert wurden. Die Spitzen der FSME-Fallzahlen in den Jahren 2005 und 2006 resultierten vor allen Dingen aus vermehrtem Auftreten im Südwesten (2005), in Mittelfranken und der Oberpfalz (2005/2006) sowie im Nordwesten (2006).
Abb. 6: Räumliche Verteilung der FSME-Fälle in Bayern von 2001-2008
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: eigene Darstellung nach RKI (2009)
Das FSME-Virus gehört zur Familie der Flaviviren und stellt den „westlichen Subtyp des Virus der Zentraleuropäischen Enzephalitis“ aus dem Komplex der durch Zecken übertragenen Viren dar (tick-borne encephalitis-Komplex, tbe-Komplex) (Dobler et al. 2005, 44). Flaviviren werden grundsätzlich durch Arthropoden (Gliederfüßler) übertragen, weswegen das Virus früher auch als Arbovirus (aus engl. arthropod-borne virus) der Gruppe B bezeichnet wurde (Schmidtke 1973). Die meisten Flaviviren werden global durch Stechmücken übertragen (Oehme 2005). Neben dem FSME-Virus existiert noch ein östlicher Subtyp des Virus, der zur Russian Spring Summer Encephalitis (RSSE) führt, die sich durch eine deutlich höhere Letalitätsrate (20 - 40 %) von der FSME unterscheidet (Süss 2008, 69). Das Virus ist an so genannte Naturherde gebunden.
Das Naturherdkonzept geht auf den russischen Forscher Pavlovsky (1967) zurück, der hiermit Ende der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts die funktionellen Zusammenhänge der Ökologie von Zoonosen systematisch beschreiben wollte. Im Zentrum dieses Konzepts steht der Erreger, welcher in wildlebenden Wirbeltieren, den so genannten Reservoiren oder Reservoirwirten, auftritt und von Vektoren übertragen wird. Der Naturherd beschreibt das räumlich begrenzte (endemische) und dauerhafte Vorkommen eines Erregers in bestimmten Regionen. Für einzelne Naturherdkrankheiten lassen sich vielfach spezifische klimatische, geologische und pflanzliche Bedingungen ermitteln, welche die Summe der notwendigen Faktoren zum Bestehen des Erreger-Vektor-Reservoir-Systems bilden (Kahl 1993).
In dem in Form eines Dreiecks darstellbaren Abhängigkeitsverhältnis (vgl. Abb. 7) sind für die Übertragung des Erregers die Interaktionen (i, ii, iii) zwischen den beteiligten Faktoren von entscheidender Bedeutung. Der senkrechte Pfeil symbolisiert die Interaktion vom Erreger mit der Schnittstelle zwischen Vektor und Reservoirwirt, an der er über den Speichel der Zecke in beide Richtungen übertragen werden kann (Nuttall 1999).
Abb. 7: Das Dreieck der Erreger-Vektor-Wirt Interaktionen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Nuttall (1999, 493)
Essentiell für einen Naturherd ist, dass in ihm eine Reproduktion des Erregers stattfindet. Deswegen ist es zwingend erforderlich, dass sowohl Vektor als auch Reservoir die Fähigkeit besitzen eine Infektion weiterzugeben. Dies wird mit Vektor- bzw. Reservoirkompetenz bezeichnet. So kommt z.B. der durch den Vektor Zecke infizierte Mensch als Wirt des FSME-Virus (Erreger) in Frage, wird diesen aber in der Regel nicht an andere Vektoren weitergeben. Somit hat er keine Reservoirkompetenz und ist kein Bestandteil des Naturherdkreislaufs (Liebisch 1978 und Kahl 1993).
Weitere Voraussetzung eines FSME-Naturherds sind eine hohe Populationsdichte von Zecken und deren reservoirkompetenten Wirtstieren sowie der Virusnachweis in Zecken und die Durchseuchung in Tierpopulationen. Je höher die Durchseuchungsraten, desto größer und dichter wird auch der Naturherd angenommen (Roggendorf et al. 1995). Ergänzend oder sofern keine Daten über Durchseuchung von Zecken oder Wirtstieren vorliegen, werden die autochthonen FSME-Fälle beim Menschen sowie das Auffinden von Antikörpern in nicht-geimpften Menschen als Grundlage für die Bestimmung eines FSME-Naturherds herangezogen (Süss & Dorn 1997).
Naturherde eines Erregers sind in der Regel identisch mit dem Endemiegebiet der resultierenden Erkrankung beim Menschen. Die Naturherde des FSME-Virus in Europa sind seit Beginn des Auftretens von FSME in Europa weitestgehend konstant geblieben bzw. es sind neue hinzugekommen (Forsgren et al. 1997). In Ostdeutschland gibt es z.B. 11 historische FSME-Naturherde, welche sich zum Großteil weiterhin in endemischer Latenz befinden (Süss & Dorn 1997).
Die häufigste Infektion des Menschen mit dem FSME-Virus geschieht durch einen Stich einer Schildzecke (Ixodidae). Es gibt 18 verschiedene Arten in Europa, wobei in Mitteleuropa fast ausschließlich Ixodes ricinus relevant ist.
Der Erreger befindet sich im Speichel der Zecke, genauer auf den Speicheldrüsenalveolen der ungesogenen Zecke. Dabei sind 10-20 min Saugzeit schon ausreichend, da der Speichel direkt beim Stich in das menschliche Gewebe injektiert wird. Im Vergleich dazu ist die Übertragungswahrscheinlichkeit der Borrelien, welche die Erreger der Lyme-Borreliose sind, in den ersten 24 Stunden noch relativ gering, da diese sich im Darm der Zecke befinden (Dobler 2005).
Eine weitere Möglichkeit ist die Übertragung durch den Genuss von Milchprodukten von infizierten Haustieren. Im Jahre 1951 infizierten sich in der damaligen CSSR mehr als 600 Menschen durch das Trinken von verseuchter Ziegenmilch und 1974 in der Slowakei durch das Essen von Schafskäse (Gustafson 1993). Ferner wiesen Ende der 1970er Jahre 85,3 % der untersuchten Personen, die regelmäßig Ziegenmilch tranken, Antikörper gegen das FSME-Virus auf (Mayer 1978). Grundsätzlich erkrankt der Mensch nur durch das aktive Eindringen in den bestehenden Naturherd der Krankheit. An diesem ist er selber nicht beteiligt, kann aber auch auf vielfältige Art und Weise darauf Einfluss nehmen oder mit diesem in Berührung kommen (Dobler et al. 2005).
Es können verschiedene Einflussgrößen, welche sowohl direkt als auch indirekt auf die Epidemiologie einwirken, unterschieden werden. Zu den direkten zählt die soziologische Komponente mit gesteigerten Freizeit-Aktivitäten in der Natur oder auch eine Lebenseinstellung, die schützende Impfungen ablehnt. Daneben führte in Tschechien der Genuss von frischer exzessiv beworbener Ziegenmilch mit 100 - 1.000 mal mehr in der Milch zirkulierenden Viren als bei Kuhmilch zu einigen FSME-Fällen beim Menschen (Labuda et al. 2002).
Als indirekter Einflussfaktor ist z.B. die schlechte ökonomische Situation in den baltischen Staaten zu nennen. Dort sind die Menschen darauf angewiesen u.a. Pilze, Beeren und Feuerholz zu sammeln, was einer der Gründe für den dortigen Anstieg der FSME-Fallzahlen seit Mitte der 1990er Jahre ist (Mickiene et al. 2005). Als weiterer die FSME-Übertragung auf den Menschen fördernder Faktor kann der demographische Wandel angesehen werden. Die ältere Bevölkerung im Rentenalter hält sich vermehrt an der Natur auf und zeigt dabei gleichzeitig eine geringe Impfmotivation (Dobler et al. 2005). Darüber hinaus tragen auch verkürzte Arbeitszeiten und hohe Arbeitslosenraten zur erhöhten Nutzung von Naturräumen in der Freizeit bei (Süss 2008).
Ferner sorgen direkte politische Einflüsse wie auch die Freigabe von ehemals gesperrten Militärzonen mit einer hohen FSME-Durchseuchung zum Anstieg der FSME-Erkrankungen. Ebenso bedingen der Verzicht auf Pestizide in der Landwirtschaft sowie die Verminderung von Schadstoffemissionen durch den Abbau von Industrieanlagen vor allem in den osteuropäischen Staaten einen Anstieg der FSME-Fälle (Süss 2008). Zudem erweiterte die obligatorische Einführung von Stilllegungsflächen seitens der EU im Jahr 1992 die Fläche des potentiellen Verbreitungsgebietes von FSME. Im Jahr 2006 lagen alleine in Bayern 1.196 km2 vormals als Ackerland bewirtschaftete Fläche brach, wobei nach deren Aussetzung 2008 und endgültigen Abschaffung 2009 der Anteil auf mittlerweile 458 km2 (2009) sank (Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung 2009)
80-85 % aller FSME-Erkrankungen beim Menschen werden während Freizeitaktivitäten erworben (Dobler et al. 2005, 48 und Kunz 1995, 5). Ein infektiöser Zeckenstich führt in 2-3 % aller Fälle zur Erkrankung an FSME (Süss 2008, 94). Durchschnittlich erkranken mehr Männer als Frauen an FSME, wobei kein eindeutiges Verhältnis bestimmbar ist und es je nach Beobachtungsort und -zeitraum von 1,5:1 bis mehr als 2:1 schwankt (Křiž et al. 2004, 64 und Kaiser 1995, 21). Der Erkrankungszeitraum im Jahresverlauf orientiert sich an den Aktivitätsspitzen der Zecken und so sind drei bis vier Wochen nach diesen erhöhte Erkrankungsraten zu beobachten (Kunz 1993, 24).
Die FSME-Erkrankung ist in mehrere Phasen unterteilt. Die Inkubationszeit kann zwischen 4 und 28 Tagen schwanken, beträgt aber in der Regel 7-14 Tage (Schmidtke 1973, 78 und Süss 2008, 72). Bei einer relativ hohen Prozentzahl der Erkrankten (ca. zwei Drittel der Fälle) kommt die Infektion bereits während der Inkubationszeit zum Stillstand. In etwa einem Drittel aller Fälle tritt nach der Inkubationszeit die erste Phase der Erkrankung auf (Oehme 2005, 16). Diese verursacht grippeähnliche Beschwerden wie Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen sowie allgemeines Unwohlsein. Sie hält maximal etwa eine Woche an und endet durch die körpereigene Antikörper-Synthese (Kunz 1993 und Schmidtke 1973).
Bei einer Invasion des Virus in das Zentrale Nervensystem (ZNS) erfolgt nach einem asymptomatischen Intervall von 1 bis maximal 20 Tagen die zweite Erkrankungsphase. Diese tritt bei etwa einem Drittel der Erkrankten und bei somit ungefähr 10 % aller Infizierten auf (Gustafson 1993, 23). Etwa die Hälfte der schwer Erkrankten leiden in dieser Phase unter einer Meningitis (Hirnhautentzündung), die sich in starken Kopfschmerzen, Brechreiz, Genickstarre und hohem Fieber äußert. Bei ungefähr 40 % der Betroffenen kommt es zu einer Meningoenzephalitis (Virusbefall von Hirnhäuten und Gehirn). Diese verursacht zusätzlich Gleichgewichts- und Bewusstseinsstörungen, Rastlosigkeit, Sprach- und Schluckstörungen, Koma und Atemregulationsstörungen. In ca. 10 % der Fälle sind darüber hinaus auch noch die ins Rückenmark verlaufenden Nervenstränge betroffen. Hierbei handelt es sich um eine Myelitis, welche zusätzlich eine bis zur Lähmung führende Beeinträchtigung der Gesichts-, Arm- und Beinmuskulatur zur Folge hat (Kaiser 1995, 24 und Süss 2008, 72).
Die Dauer der gesamten Erkrankung erstreckt sich über mehrere Wochen bis zu einigen Monaten, wobei die Behandlung auf die Linderung der Symptome beschränkt ist (Kunz 1993). Bei einem Befall des ZNS liegt die Letalitätsrate der Erkrankten bei etwa 1-2 %, bei der RSSE jedoch mit 20-40 % deutlich höher (Pohl-Koppe 2005, 58).
Bei 35-58 % aller FSME-Erkrankten kommt es zu leichten oder schweren Folgeerscheinungen (Süss 2008, 72). Diese reichen von Kopfschmerzen über Konzentrationsstörungen, Depressionen bis hin zu Störungen des autonomen (vegetativen) Nervensystems, irreparablen Muskelatrophien oder Persönlichkeitsveränderungen (Kunz 1993 und Stanek & Hofmann 1994). Für etwa die Hälfte der Betroffenen bedeuten die Folgeschäden ein deutliches Einschränken der Lebensqualität (Forsgren et al. 1997). Nach einer Infektion mit dem FSME-Virus besteht eine lebenslange Immunität. Die Infektion verläuft darüber hinaus mit zunehmendem Alter gravierender und führt vermehrt zu Folgeschäden (Stanek & Hofmann 1994 und Süss 2008).
Vor der Diagnose von FSME ist eine Erhebung der Krankengeschichte besonders wichtig, da ein Zeckenstich als Auslöser für die Symptome ansonsten leicht vernachlässigt wird. Ein gesicherter direkter Nachweis ist nur im Labor durch die Untersuchung des Blutes der Erkrankten auf Antikörper möglich. Dies geschieht z.B. mit dem in den 70ern entwickelten Testverfahren ELISA (enzyme-linked immuno sorbent assay). Hierbei werden Frühantikörper vom Typ M (IgM), welche über maximal einige Monate im Blut persistieren, und spezifische Antikörper vom Typ G (IgG), die lebenslang nachweisbar sind, gesucht (Kunz 1993 und Süss 2008).
Seit 2001 ist in der Bundesrepublik Deutschland jede FSME-Erkrankung laut § 7 des Infektionsschutzgesetzes meldepflichtig. Im Jahre 1998 wurden zudem auf einer Expertenkonferenz die Kriterien für die Einstufung von FSME-Risikogebieten festgelegt. Es wurden Landkreise mit 5 autochthonen FSME-Erkrankungen in einer Periode von 5 Jahren oder mindestens 2 autochthonen FSME-Erkrankungen innerhalb eines Jahres als Risikogebiete und solche mit 25 FSME-Erkrankungen in einer 5-Jahres-Periode als Hochrisikogebiete definiert (Robert Koch-Institut 1998).
Aus Abbildung 8 folgt, dass 1998 in Bayern im Südosten die an den Bayerischen Wald Landkreise sowie die Ober- und Mittelfränkischen Landkreise als Risikogebiete bzw. der Landkreis Passau als Hochrisikogebiet eingeordnet wurden. Die Landkreise im Westen und Süden Baden-Württembergs wurden ebenfalls als Risikogebiete und einige Landkreise im Schwarzwald als Hochrisikogebiete eingestuft. In den angrenzenden Bundesländern Hessen, Thüringen und Rheinland-Pfalz wurde kein Landkreis als Risikogebiet eingestuft.
Abb. 8: FSME-Risikogebiete in Deutschland 1998
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenAbbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: RKI (1998, 27 194)
Im Jahre 2007 wurde die Einstufung neu definiert, so dass fortan die Anzahl der FSME-Erkrankungen in 5 aufeinander folgenden Jahren nach 2002 in einem Landkreis „oder in der Kreisregion (bestehend aus dem betreffenden Kreis plus allen angrenzenden Kreisen) signifikant (p < 0,05) höher liegt als die bei einer Inzidenz von 1 Erkrankung pro 100.000 Einwohner erwartete Fallzahl.“ (Robert Koch-Institut 2007, 131). Damit sind die alten Risikogebietskarten vor 2007 nicht mehr direkt mit den nachfolgend erstellten vergleichbar.
Aus Abbildung 9 geht hervor, dass 2009 nach der neuen Risikogebietsdefinition alle Landkreise Baden-Württembergs bis auf die Stadtkreise Stuttgart und Ulm als Risikogebiet eingestuft sind. Ebenso trifft dies für ungefähr drei Viertel der Landkreise Bayerns und die direkt an Bayern und Baden-Württemberg angrenzenden südlichen Landkreise Hessens und Thüringens zu. Darüber hinaus gilt der Landkreis Birkenfeld in Rheinland-Pfalz als Risikogebiet. Im Vergleich zum Vorjahr sind 4 Kreise (LK Heidenheim, LK Unterallgäu, SK Memmingen und LK Oberallgäu [blaue Schrift]) neu als Risikogebiet eingestuft worden. Des Weiteren wird im Vergleich mit Abbildung 4 deutlich, dass auch außerhalb der Risikogebiete eine FSME-Erkrankung nicht auszuschließen ist.
Abb. 9: FSME-Risikogebiete in Deutschland 2009
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: RKI (2009a, 170/171)
Seit sich Ende der 40er Jahre des 20. Jahrhunderts die FSME-Erkrankung in Ost- und Mitteleuropa immer stärker ausbreitete, wurde nach einem Impfstoff gegen die Viruserkrankung gesucht. Hierzu musste das Virus zunächst isoliert werden, um nach der Vermehrung in Zellkulturen abgetötete FSME-Viren in einem Impfstoff zu verabreichen (Süss 2008).
1971 entwickelte der Österreicher Kunz mit dem britischen Forscher Keppie den ersten FSME-Impfstoff aus in Kükenembryozellen vermehrten FSME-Viren. Dieser gelangte 1976 in den Handel. Eine Komplettimpfung erfolgt in drei Etappen, die ersten beiden innerhalb von zwei Monaten und die dritte 9-12 Monate nach der ersten Impfung. Danach verfügen zwischen 95 und 100 % aller Geimpften über Antikörper (Kunz 1993). Mittlerweile gibt es mehrere Hersteller von Impfstoffen und auch verschiedene Impfmethoden, die im Grundsatz jedoch alle der oben beschriebenen ähneln. Der Impfschutz liegt nach vorbeugenden FSME-Impfungen zwischen 98,7 und 99,3 % (Süss 2008). Es ist darüber hinaus laut Kunz auch möglich noch bis zu vier Tage nach einer Zeckenexposition FSME-Immunglobulin zu verabreichen, um damit einen 60-70 prozentigen Schutz vor der Erkrankung zu erreichen (Kunz 1993).
Äußerst anschaulich war der Nutzen der FSME- Impfung in Österreich. Dort gab es gegen Ende der 70er Anfang der 80er Jahre mehr als 600 FSME-Erkrankungen pro Jahr. Daraufhin wurde mit einer groß angelegten Impfkampagne die Bevölkerung überzeugt, dass die Zahlen durch die neu entwickelten Impfmöglichkeiten deutlich zu senken seien. 84 landesweite FSME-Fälle 1992 bei einer Impfquote von 67 % 1992 gegenüber 613 Fällen bei einer Impfquote von 6 % 1980 belegen die Wirksamkeit der FSME-Schutzimpfung deutlich (Kunz 1993). Heute sind etwa 90 % der österreichischen Bevölkerung gegen FSME geimpft und die Fallzahlen sind auf ein niedriges Niveau zwischen 60 und 70 pro Jahr um ca. 90 % gesenkt worden (Süss 2008). In Deutschland waren vergleichsweise im Jahr 2007 in Bayern und Baden-Württemberg laut Robert Koch-Institut (2009a) 35,6 % (Bayern) bzw. 28,1 % (Baden-Württemberg) der Einwohner in den als Risikogebiet eingestuften Landkreisen geimpft, während die Impfquote in den übrigen Landkreisen mit 5,6 % (Bayern) bzw. 26,1 % (Baden-Württemberg) z.T. deutlich niedriger war. Insgesamt war im Vergleich zu 2003 eine Zunahme aller geimpften Personen um ca. 150 % zu beobachten.
Laut Kunz sei eine Impfung der gesamten Bevölkerung notwendig, um die Erkrankungszahlen effektiv zu senken, da kein Rückgang der FSME-Fälle beobachtet wurde, nachdem ausschließlich Menschen aus Hochrisikogruppen (Landwirte, Waldarbeiter, Militär) geimpft worden waren (Kunz 1995). So stellt auch Dobler fest, dass zur Eindämmung der Krankheit das Impfverhalten (Impfpolitik, -akzeptanz und -einstellung) verbessert werden müsse (Dobler et al. 2005).
Die Zecke (Ixodida) ist der Hauptvektor zweier bedeutender Krankheiten. Zum einen übertragen sie Borrelien, Bakterien, die u.a. der Erreger der Lyme-Borreliose sind und zum anderen das FSME-Virus. Zecken sind bis zu 100 Millionen Jahre alt, was u.a. durch Funde in 50 Millionen Jahre altem baltischen Bernstein belegt wurde (Süss 2008). Es gibt weltweit 850 verschiedene Arten von Zecken. Sie gehören zum Stamm der Arthropoda (Gliederfüßer) und bilden in der Klasse der Arachnida (Spinnentiere) und der Unterklasse der Acari (Milben) eine Überfamilie. Diese ist noch unterteilt in die beiden großen Familien der Ixodidae (Schildzecken) und Argasidae (Lederzecken) (Kahl 1993).
Abb. 10: Schild- (Ixodes ricinus) und Lederzecke (Argas reflexus) im Vergleich
a) Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten b) Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quellen: a) Lindquist & Vapalahti (2008, 1862); b) Pabel, H. (2005)
Die Ixodidae sind in 650 Arten unterteilt und durchlaufen drei Stadien der Entwicklung von der Larve über die Nymphe hin zur adulten Zecke (Imago) (siehe Abb. 10 a). Allen gemein ist ein Rückenschild aus Chinin. Die Argasidae gliedern sich in 200 Arten und durchlaufen anders als die Ixodidae mehrere Nymphenstadien. Sie zeichnet ein ledersackartiger Leib aus (siehe Abb. 10 b). Bei den Schildzecken kommen die Männchen auf zwei und die Weibchen auf drei Blutmahlzeiten, während die Lederzecken im Durchschnitt 8-10 Blutmahlzeiten haben. Die Dauer der Blutmahlzeiten variieren je nach Entwicklungsstadium bei den Schildzecken zwischen zwei (Larven) bis zehn (Adulte Zecken) Tagen, während die Lederzecken maximal einige Stunden an ihren Wirten saugen. Die Lebenserwartung der Schildzecken beträgt dadurch mit bis zu 8 Jahren einige Jahre weniger als der der Lederzecken, deren Lebenszeit 10-15 Jahre betragen kann (vgl. Stanek & Hofmann 1994, Süss 2008, Oehme 2005).
Zecken sind Generalisten, das heißt, sie haben ein breites Wirtsspektrum (vgl. Abb. 11). Darüber hinaus haben sie so gut wie keine natürlichen Feinde außer bisher wenig verbreiteten Erzwespen und Fadenwürmern. Ferner sind sie außerhalb der Blutmahlzeiten trinkunfähig, das heißt, dass sie Feuchtigkeit mittels eines Speichelsekrets nur in Form von Wasserdampf ab einer Luftfeuchte von mindestens 80-85 % aufnehmen können. Des Weiteren sind sie augenlos und reagieren über Thermo-, Chemo- und Mechanorezeptoren u.a. auf Temperaturveränderung, CO2-Ausstoß und Bewegung. Um z.B. potentielle Wirtstiere zu orten, ist ihnen das Hallersche Organ dienlich, mit dem sie, an exponierter Stelle platziert, Aussonderungen von Tieren und Menschen wie Buttersäure und Ammoniak wahrnehmen können (Gustafson 1993, Stanek & Hofmann 1994).
Abb. 11: Der Entwicklungszyklus des gemeinen Holzbocks (Ixodes ricinus)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Süss (2008, 18)
Ixodida sind neben den Mücken unter den Arthropoden die bedeutendsten Überträger von Mikroparasiten, die den Menschen vorübergehend krank machen oder dauerhaft schädigen (Kahl 1993). Besonders große Bedeutung als Vektoren haben aber vor allem die Schildzecken. Sie sind außerordentlich überlebensfähig, so dass einem Erreger ein mehrjähriges Überdauern bei weiterbestehender Übertragungsmöglichkeit gegeben ist. Außerdem übertrifft ihre Lebenserwartung die anderer Wirte, vor allem die kleiner Wirbeltiere wie Mäuse, in vielen Fällen. Entscheidend für eine gute Eignung ist vor allen Dingen auch, dass das Virus nicht vom Immunsystem der Zecke vernichtet wird und sie somit Stadium übergreifend ein lebenslanger Virusträger bleibt. Dahingegen fällt die Infektion bei anderen Wirten nur temporär aus (Dobler et al. 2005). Im Vergleich zu den Lederzecken ist durch die mehrtägige Saugdauer der Schildzecken eine wesentliche Voraussetzung zur erfolgreichen Übertragung von Erregern gegeben (Kahl 1993). Für die Übertragung von FSME sind in Europa aber nur wenige Arten relevant (Süss 2008).
In Mitteleuropa ist der gemeine Holzbock (Ixodes ricinus) der wichtigste Vektor für die Übertragung von Infektionskrankheiten. Er stellt mit einem Anteil von ca. 95 % bei weitem die größte Zeckenart der heimischen Zeckenfauna und verursacht 90-95 % aller Zeckenstiche in Europa. Seine erste Erwähnung stammt wahrscheinlich von 1668 (Babos 1964, und Süss et al. 2008). Der Name basiert zum einen auf der Ähnlichkeit des vollgesogenen adulten Weibchens mit der Ricinus-Pflanze. Zum anderen beruht er auf dem lateinischen Wort für Mistel (Ixos), woraus die Römer Klebstoff herstellten, welches den nach dem Stich ausgeschieden Zement bezeichnet (Süss 2008). Sein Ausbreitungsgebiet erstreckt sich von Nordafrika bis Südskandinavien und von Irland bis zum Uralgebirge (Randolph et al. 2000).
Abb. 12: Die verschiedenen Entwicklungsstufen von Ixodes ricinus
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Süss (2008, 15)
Die Ixodes ricinus ist eine dreiwirtige Zecke, die jeweils nach einer Blutmahlzeit in ein neues Entwicklungsstadium eintritt (vgl. Abschnitt 3. und siehe Abb. 12). Die Befruchtung der Weibchen durch die Männchen erfolgt auf einem Wirtstier. Die Männchen (d) halten sich längere Zeit auf dem Wirt auf, um unterbrochen von kurzen Mahlzeiten mehrere Weibchen (e) zu begatten. Das Weibchen legt einige Wochen nach der Befruchtung (a) im feuchtgepufferten Laubstreu auf der oberen Erdschicht bis zu 3.000 Eier ab und stirbt anschließend (Bosch 2008, Gustafson 1993). Nur wenige der Eier durchlaufen den kompletten Lebenszyklus, laut Jacobi etwa zwei bis fünf Prozent (Jacobi et al. 1993). Süss geht grob davon aus, dass von 1.000 Eiern sich 100 Larven (b) entwickeln, von denen 10 das Nymphenstadium (c) erreichen und letztlich eine nur adulte Zecke das Ende des Entwicklungszyklus erreicht (Süss 2008, 18).
Tabelle 1 zeigt die spezifischen Größenunterschiede der einzelnen Stadien von Ixodes ricinus. Besonders ist die massive Gewichtszunahme des adulten Weibchens nach der letzten Blutmahlzeit. Alleine die Körperhülle ist nach dem Saugvorgang schwerer als die gesamte Zecke vorher. Die Kletterhöhe der verschiedenen Stadien ergibt sich aus der Größe ihrer bevorzugten Wirtstiere.
Tab. 1: Charakteristika der Entwicklungsstadien von I. ricinus
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: eigene Zusammenstellung nach Babos (1964), Goldhofer (1983), Gustafson (1993), Stanek & Hofmann (1994), Podbielski (2001), Randolph (2004), Süss (2008)
Geographisch beschränkt sich das Verbreitungsgebiet von Ixodes ricinus auf die kühl- und warmgemäßigten Breiten der nördlichen Hemisphäre. Vorzugsweise hält er sich an Orten mit ganzjährig hohen Regenmengen auf, vermeidet aber Stellen mit dauerhaft staunassem Boden (Kahl 1993). Aufgrund der dort gegebenen höheren Luftfeuchte ist die Häufigkeitsdichte des Holzbocks in der Nähe von Gewässern größer als an weiter von diesen entfernten Orten (Schmidtke 1973).
Grundsätzlich ist Ixodes ricinus im Wald, am Waldrand oder an Waldwegen anzutreffen. Wegen der großen Menge an Laubstreu, welches gerade während längerer Trockenperioden als optimaler Feuchtespeicher fungiert, kommt er hauptsächlich in Laub- oder Mischwald vor. In Deutschland sind vorwiegend Buchen- und Eichenwälder mit einer ganzjährigen zentimeterdicken Laubschicht als stabiles Feuchtereservoir der ideale Aufenthaltsort des Holzbocks. Orte mit langsam verrottender Laubschicht haben somit einen recht guten Indikatorcharakter für ein lokales Auftreten von Ixodes ricinus (vgl. Kahl 1993, Süss 2008).
Während Danielová & Beneš (1997) den Nadelwald als Vorkommensgebiet für Ixodes ricinus ausschließen, ist dieser laut Süss (2008) in extrem regenreichen und feuchten Gebieten auch als solches anzusehen. Des Weiteren bieten offen gelegene Wiesen nur bei Vorhandensein von Büschen oder nahegelegenen Gewässern einen Lebensraum (Kahl 1993). Auch Bach- und Flussauen, Hecken- und Strauchbestände sowie Wegränder mit hochstehenden Gräsern und Brennnesseln sind bevorzugte Aufenthaltsorte des Holzbocks (Jacobi & Dorn 1995).
Im Detail befinden sich Zecken häufig auf den Spitzen von Gräsern und krautigen Pflanzen, sowie im niederen Gebüsch und nicht zu bodenfernen Geländepunkten entlang von Tierpfaden, um dort potentielle Wirte zu erreichen (Süss 2008).
Als Wirt wird allgemein ein Lebewesen bezeichnet, welches einen Krankheitserreger (hier das FSME-Virus) in sich trägt, aber nicht zwangsläufig auch weitergibt. Die Fähigkeit eine Infektion weiterzugeben wird mit dem Begriff Vektorkompetenz charakterisiert (Kahl 1993).
Generell weisen Zecken nur eine geringe Wirtsspezifität auf (Kahl 1993). Es gibt mehr als 300 Wild- und Haustiere, 100 Vogelarten und auch wenige Reptilien, welche als Wirtstiere von Zecken aufgesucht werden. Die wichtigsten Tiere für die Übertragung von Krankheitserregern stellen Kleinsäuger dar (Süss 2008, 19). Nagetiere und hier vor allem Mäuse sind als Wirtstiere am effektivsten, da in ihrem Blut besonders viele Viren zirkulieren. Dies gilt insbesondere für die Langschwanzmaus (Dobler et al. 2005).
Zecken im Larven- und Nymphenstadium sind hierbei auf allen als Wirt in Frage kommenden Tieren zu finden, wohingegen bei adulten Zecken größere Nage- und Wildtiere als Hauptwirte anzusehen sind. Der Mensch tritt in dem Naturzyklus nur zufällig als Wirt auf (Gustaffson 1993). Zu beachten ist zusätzlich, dass nach Studien in Tschechien von Randolph et al. (1999) sich ungefähr zwei Drittel aller Larven und Nymphen auf nur 20 % aller Wirtstiere verteilen.
Die Wirtssuche findet bei Zecken passiv statt. Sie warten auf exponierten Stellen auf ihre potentiellen Wirtstiere und bewegen sich als Adulte dabei aktiv in einem Radius von maximal 40 m in der Horizontalen. In vertikaler Richtung bewegen sie sich hingegen häufig, um bei erfolgloser Wirtssuche die Luftfeuchtigkeit in der Laubstreu am Boden zur Wasseraufnahme gegen drohende Austrocknung zu nutzen (Schmidtke 1973). Mit dem Hallerschen Organ, dem hoch komplexen Sinnesorgan auf dem vorderen Beinpaar, spüren sie die Wirte anhand ihres Schattens, ihrer Körperwärme, ihrem Geruch und den durch ihre Bewegungen verursachten Vibrationen auf (Süss et al. 2008).
Nach dem erfolgreichen Aufsuchen eines Wirtes sucht sich die Zecke bis zu mehrere Stunden eine geeignete Stelle zum Einstechen. Im Gegensatz zur weit verbreiteten Annahme handelt es sich dabei nicht um einen „Biss“, sondern um einen „Stich“. Abbildung 13 zeigt, wie der Stechrüssel der Zecke nach dem Aufritzen der Haut des Wirts mittels der Mundwerkzeuge ins Wirtsgewebe versenkt wird (Süss 2008).
Abb. 13: Schema eines Zeckenstichs
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Süss (2008, 26)
Hierbei verankern sich die Mundwerkzeuge und die Zecke injektiert Speichel mit einer lokalanästhetischen Wirkung. Anschließend erfolgt die Bildung des sogenannten Zeckenzements, wonach dann ein „Sumpf“ aus Speichel, Blut und zerstörtem Gewebe eingesogen wird. Dieses Prozedere dauert bei adulten Zecken bis zu 11 Tage und führt zu einem Anschwellen des Weibchens auf bis zu Fingerkuppengröße (vgl. Tab. 1) (Goldhofer 1983).
Der Mensch wird nach einer Studie von Jacobi & Dorn (1995) an Jenaer Kliniken und bei Bundeswehrangehörigen zu 80 % von Nymphen, ca. 14 % von adulten Weibchen und zu ca. 6 % von adulten Männchen gestochen. Zeckenlarven spielen nach dieser Erhebung als potentielle Virusüberträger auf den Menschen keine Rolle.
Bei der Übertragung des FSME-Virus auf die Zecken werden verschiedene Infektionsmöglichkeiten unterschieden. Zum einen die virämische und nicht-virämische Infektion und zum anderen die transovarielle Übertragung und die während der Paarung (Süss 2008).
Die virämische Infektion erfolgt direkt über das verseuchte Blut vom Reservoirwirt, welches von der Zecke während eines Stichs aufgenommen wird. Dies kann jedoch nur in der relativ kurzen nur einige Tage andauernden Phase der akuten Virämie des Wirtes geschehen. Danach hat dieser lebenslang persistierende Antikörper gebildet, welche eine erneute virämische Infektion verhindern (Schmidtke 1973). Gerade bei den wichtigsten kompetenten Wirtstieren, den Nagetieren und hier insbesondere bei Mäusen, dauert die Virämie nur wenige Tage an und endet häufig letal (Sumilo et al. 2007).
Eine große Bedeutung kommt so der nicht-virämischen Infektion zu. Diese erfolgt durch das so genannte „co-feeding“ („gemeinsames Saugen“) von infizierten und nicht-infizierten Zecken auf einem Wirt. Hierbei gelangen FSME-Viren aus dem Speichel der Zecke in die Hautzellen des Wirtes und replizieren sich dort unterstützt durch Proteine aus den Speicheldrüsen der Zecke. Langerhans’sche Zellen des Immunsystems der Haut werden mit den Viren infiziert und transportieren diese über das Lymphsystem zu den Lymphknoten, wo es zu einer Übertragung des Virus auf die Hautlymphozyten kommt. Findet nun an einer anderen um bis zu einige Zentimeter entfernten Stelle ein Stich einer nicht-infizierten Zecke statt, gelangen die Lymphozyten aus dem befallenen Lymphknoten dorthin und können so das Virus auf die nicht-infizierte Zecke übertragen (Labuda et al. 1993, Labuda & Randolph 1999, Nuttall 1999, Randolph 2009).
Die nicht-virämische Übertragung während des co-feeding kommt auf infizierten als auch auf nicht-infizierten Wirtstieren vor. Auch auf solchen Wirten, welche bereits durch eine vorherige Infektion Antikörper gegen das FSME-Virus gebildet haben, findet wenn auch in geringerem Maße eine Übertragung während des gemeinsamen Saugens statt. Die Häufigkeit des Vorkommens der nicht-virämischen Übertragung unterliegt keiner Beschränkung, aber das akute Auftreten im Lymphsystem ist auf einen Tag begrenzt (Labuda et al. 1993). Um den Fortbestand des natürlichen Kreislaufs des FSME-Virus zu gewährleisten, kommt dem gemeinsamen Saugen vor allem von Larven und Nymphen entscheidende Bedeutung zu (Sumilo et al. 2007).
Die transovariale Übertragung erfolgt von adulten Zecken direkt auf ihre Nachkommen. Dies geschieht über Weitergabe des FSME-Virus auf einen Teil der gelegten Eier, so dass die daraus schlüpfenden Larven bereits den Erreger in sich tragen. Diese Art der Übertragung sei aber laut Labuda & Randolph von nicht allzu großer Bedeutung (1999), ebenso wenig wie die bei der Paarung von zwei Adulten Zecken auf einem Wirt.
Die Durchseuchungsrate der Zecken mit dem FSME-Virus beträgt in der Regel selten mehr als 5 % aller Zecken eines endemischen Gebiets. Grundsätzlich gilt für im Entwicklungsstadium weiter fortgeschrittene Zecken ein höheres Befallsrisiko. So geht von Larven generell ein nur sehr geringes Risiko als Überträger von FSME aus, da, wie oben beschrieben, nur ein sehr geringer Prozentsatz von ihnen durch die transovariale Übertragung verseucht ist (Kahl 1993, Kunz 1993).
Süss et al. (1999 und 2002) sammelten in den Jahren 1997-2000 jeweils im Mai und September an 13 als „hot spots“ angesehenen Mikroherden des FSME-Virus (fünf im Schwarzwald nahe Freiburg und acht im Raum Passau) insgesamt 8.500 Zecken und untersuchten diese auf das FSME-Virus. Tabelle 2 zeigt die durchschnittliche Durchseuchung von Nymphen und adulten Zecken im Raum Passau. Larven wurden bei der Erhebung nicht berücksichtigt. Deutlich wird, dass die höher entwickelten adulten Zecken (ca. jede 20.-50. Zecke) wesentlich größere Durchseuchungsraten als die Nymphen (ca. jede 30.-300. Zecke) aufweisen, in Bayern bis zu 12,5 % im September 1998 in einem Mikroherd. Des Weiteren sind anhand der Zahlen saisonale und jährliche Schwankungen erkennbar, wobei die äußeren Witterungsbedingungen (Temperatur, Wind und Niederschlag) während des Sammelns annähernd identisch waren (Süss et al. 1999 und 2002).
[...]
[1] Vor 1991 und vor allem 1977 und von 1985-1990 gab es keine gesicherten Aufzeichnungen, so dass die dargestellten Werte nicht verbindlich sind. Die Werte von 1991-2000 wurden aus Erhebungen von S. Bigl (Chemnitz), W. Dorn (Jena), U. Falk (Erbach), A. Haaß (Homburg/Saar), G. Jäger (München), R. Kaiser (Pforzheim), M. Roggendorf (Essen), F. Rosenow (Marburg), J. Süss (Berlin), J. Treib (Kaiserslautern) und dem Robert Koch-Institut zusammengetragen. Ab dem 01.01.2001 gilt die gesetzliche Meldepflicht, so dass von gesicherten Werten auszugehen ist.
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