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Mehr InfosDiplomarbeit, 2005, 96 Seiten
Diplomarbeit
Freie Universität Berlin (Wirtschaftswissenschaft, Betriebswirtschaftslehre)
2,3
II. Abbildungsverzeichnis
III. Tabellenverzeichnis
IV. Abkürzungsverzeichnis
I. Einleitung
II. Die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik
2.1 Was ist Glaubwürdigkeit und Zeitinkonsistenz?
2.2 Preisstabilität der EZB
2.3 Die Bedeutung der Unabhängigkeit der EZB für die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik
2.3.1. Die formelle Unabhängigkeit der EZB
2.3.2. Unabhängigkeit der EZB und die Tragfähigkeit der Fiskalpolitik
2.4. Konfliktfall von Geld- und Fiskalpolitik: Chicken-Spiel
III. Tendenz zur Überschuldung in der Europäischen Währungsunion
3.1 Rückgang der Seigniorage-Einnahmen
3.2 Versagen der Kapitalmärkte bei der Disziplinierung nationaler Fiskalpolitiken
3.2.1 Adverse Selektion
3.2.2 Glaubwürdigkeit der no-bailout-Regel
3.3 Wegfall des Wechselkursrisikos und free-riding
IV. Staatsverschuldung in der EU: Gefahren für die geldpolitische Stabilität im Euroraum
4.1 Gründe für die steigende Verschuldung seit den 70er Jahren
4.2 Aktuelle Entwicklungen der Verschuldung im Euroraum
4.3. Entwicklungen der Staatsverschuldung und der Defizite seit der Einführung des Stabilitätspakt (1997)
4.3.1. Fiskalpolitische Regeln im Euroraum
4.3.2. Defizite und Verschuldung seit
4.4 Der Einfluss der wachsenden Verschuldung auf die Zinsen in der EU
V. Institutionelle Reformen für eine nachhaltige Konsolidierung der Staatsfinanzen
5.1.2 Institutionelle Lösungen, die den Pakt ersetzen können
5.1.2.1 Das Konzept hinter den Fiscal Policy Committees (FPC) und National Fiscal Councils (NFC)
A. Vorteile
a. Verbesserte Effektivität der Fiskalpolitik als Stabilitätsinstrument
b. Verbesserung der Glaubwürdigkeit der Fiskalpolitik durch institutionelle Entscheidungen (Paralelle zur Geldpolitik)
aa. Die Nachteile von Regeln
bb. Institutionelle Lösung statt Regeln
c. Berücksichtigung der Länderspezifiken
d. Die nationale Regierungen bleiben zuständig für die Fiskalpolitik
e. Trennung von politischer Mandat und Konjunkturzyklus
B. Kontroversen in den Vorschlag von FPCs
5.1.3 Institutionelle Reformen als Ergänzung des Stabilitätspakt
5.1.3.1 Rainy Day Fonds: Verbessern das Sparverhalten von Regierungen
A. Darstellung des Vorschlags
B. Vorteile für den Euroraum
a. Antizyklische Wirkung
b. Der Staat gewinnt Zeit
C. Nachteile und offene Fragen
D. Erweiterung des Vorschlags von den RDFs
5.1.3.2 Fiskalpolitischer Index
A. Darstellung des Vorschlags
B. Vorteile
a. Verbesserung der Budgetprozeduren
b. Eine politisch akzeptable Lösung
C. Nachteile
a. Unpräzise Gestaltung
b. Ungewissheit der Wirksamkeit bei der Straffung der Finanzen
5.2 Zentralisierung der Fiskalpolitik
5.2.1 Die Rolle der Theorie optimaler Währungsräume für die Fiskalpolitik in der EWU
5.2.2 Argumente gegen Zentralisierung von fiskalpolitischen Aufgaben a. Automatische Stabilisatoren als Ausgleichsmechanismus gegen konjunkturelle Schwankungen
b. Heterogenität der Länder
c. Mangelndes ökonomisches Gewicht des EU-Budgets
5.2.4. Vorschlag für Zentralisierung von fiskalpolitischen Aufgaben
a. Europäisches Fiskalpolitisches Gremium
b. Modifizierung des Vorschlags: Bestimmung der zulässigen Defizithöhe der Regierungen durch das Executive Board der EZB
VI. Fazit und Ausblick
V. Anhang
VI. Literaturverzeichnis
Erklärung
Kapitel II
Abbildung 1: Grad der Unabhängigkeit der Zentralbank und durchschnittliche Inflationsrate in den Industrieländern im Zeitraum 1980-1995
Abbildung 2: Langfristiger Zins (r) und Wachstumsrate des BIP (g) im Euroraum
Abbildung 3: Entwicklung der Inflation im Euroraum 1996-2004
Kapitel III
Abbildung 4: Konvergenz der nominalen Zinsen in den 90erJahren
Kapitel IV
Abbildung 5: Staatsverschuldung im Euroraum 1996-2004
Abbildung 6: Staatsdefizit im Euroraum 1996-2004
Abbildung 7: Strukturelle Defizite im Euroraum 1996-2004
Abbildung 8: Entwicklung des realen BIP im Euroraum
Abbildung 9: Langfristige Zinsrate Budgetdefizit im Euroraum
Kapitel IV
Tabelle 1: Schuldenquoten in der EU-Ländern in der Periode 1974-1993
Tabelle 2: Zinskosten in der EU-Ländern in der Periode 1974-1993
Tabelle 3 : Budgetdefizite in den OECD-Ländern
Tabelle 4: Staatsverschuldung in den EU-Ländern
Tabelle 5: Budgetdefizite und strukturelle Defizite in den EU-Ländern
Tabelle 6: Reales BIP in den OECD Ländern
Tabelle 7: Langfristige Zinsraten in den OECD Ländern
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bei der Wechselwirkung von Geld- und Fiskalpolitik besteht die Gefahr, dass hohe Budgetdefizite bzw. Staatsschulden langfristig das Ziel der Preisniveaustabilität untergraben können. Parallel mit der Steigerung der Staatsschuld wächst der Druck auf die Zentralbank, die Geldpolitik zu lockern und dadurch die Finanzlage des Staates zu verbessern (Solveen, S. 1). Dieser Zusammenhang zwischen Inflation und Verschuldung deutet darauf hin, dass unsolide öffentliche Finanzen eine Bedrohung für die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik darstellen können. Diese Gefahr ist auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Zentralbank formell unabhängig ist.
Innerhalb der Europäischen Währungsunion, in der eine deutliche Asymmetrie zwischen einheitlicher Geldpolitik und nationalen Fiskalpolitiken existiert, kommt diese Problematik noch deutlicher zum Ausdruck.
Diese Arbeit wird sich auf die Staatsverschuldung in den Ländern der Europäischen Union (EU-15)[1] konzentrieren und ihre Rolle für die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) diskutieren. Es wird die Gefahr für die Stabilität erörtert und nach möglichen Lösungskonzepten bzw. institutionellen Reformen gesucht, die eine wirksamere Straffung der Staatsfinanzen erreichen könnten.
Für die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik ist es von besonderer Bedeutung, dass Geld- und Fiskalpolitik im Euroraum unabhängig voneinander ausgeübt werden (Gaspar, S. 57). Ziel ist, dass der Stabilitätskurs der Geldpolitik nicht durch Interessen der politischen Institutionen beeinflusst wird. Wenn die EZB und die Regierungen der Mitgliedsstaaten ihren Verpflichtungen bezüglich Preisstabilität bzw. ausgeglichenen Haushaltsfinanzen getrennt nachgehen, dann würde kein Glaubwürdigkeitsproblem existieren. Tatsächlich ist es aber im Euroraum möglich, dass die Fiskalpolitik Einfluss auf die Zentralbank erhält. Das kann direkt erfolgen, wenn etwa die Regierungen politischen Druck für eine expansive Geldpolitik ausüben. Indirekt besteht auch die Möglichkeit, dass über die Besetzung der Zentralbankpräsidenten und der Direktoriumsmitglieder die europäische Geldpolitik beeinflussbar ist (Beetsma/Bovenberg, S.300; Görgens/Ruckriegel/Seitz, S. 308). In dieser Hinsicht kann die zunehmende Verschuldung in Europa die Inflationsrate im gesamten Eurogebiet erhöhen und die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik in Frage stellen.
Um die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik zu schützen, wurden fiskale Regeln eingeführt, die die Länder abhalten sollen, übermäßige Defizite bzw. Schulden zu akkumulieren. In der EWU werden solche institutionellen Lösungen, wie der Vertrag von Maastricht und der Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP), eingeführt, um die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik zu festigen und die Arbeit der Europäischen Zentralbank bei der Gewährleistung der Preisstabilität zu erleichtern. Als übermäßig gelten nach dem Stabilitätspakt alle Defizite, die die 3%-Marke des Bruttoinlandsprodukts (BIP) überschreiten. Zusätzlich gilt ein Referenzwert von 60% vom BIP für die Staatsverschuldung. Langfristig sieht der Stabilitätspakt eine schrittweise Minderung der Gesamtverschuldung durch die Erwirtschaftung von Überschüssen vor. Ob diese Vereinbarungen wirklich notwendig für die geldpolitische Stabilität sind und ob sie effektiv zur Disziplinierung von Staatsfinanzen beitragen, soll in der Arbeit im Detail diskutiert werden.
Mit der Einführung des Euro am 1. Januar 1999 hat die Europäische Union die III. Stufe der wirtschaftspolitischen Integration erreicht. Dabei haben die Mitgliedsländer ihre wechselkurspolitische und geldpolitische Autonomie verloren. Zuständig für die Stabilität von Wechselkurs und Preisniveau ist seitdem die EZB. Die Fiskalpolitik blieb weiterhin in den Zuständigkeiten der nationalen Regierungen. Damit wirkt die Fiskalpolitik, die nun das einzige nationale wirtschaftspolitische Instrument ist, als Ausgleichmechanismus gegen asymmetrische Schocks. Inwieweit es der Zentralbank gelungen ist, die Preisstabilität im Euroraum zu kontrollieren und ob ihre funktionale Unabhängigkeit durch die steigende Verschuldung seit 2001 tatsächlich bedroht ist wird in Kapitel II und IV diskutiert.
Der Aufbau der Arbeit ist wie folgt: In Kapitel II wird die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik und der Unabhängigkeit der Zentralbank dargestellt. Eine Bedrohung für die Glaubwürdigkeit existiert, wenn sich die Wirtschaft in einem Regime der fiskalen Dominanz befindet. In diesem Fall ist die Zentralbank gezwungen von ihrem Preisstabilitätskurs abzuweichen und die Staatsschuld zu monetisieren. Kapitel III diskutiert die Tendenz zur Überschuldung innerhalb der Währungsunion. Dabei werden unterschiedliche Argumente dargestellt, die für eine steigende Verschuldung in der Europäischen Währungsunion sprechen. Kapitel IV konzentriert sich auf die aktuellen Entwicklungen der Staatsverschuldung im Euroraum und erörtert ihren Einfluss auf die Geldpolitik. Im Einzelnen werden Variablen, die die Verschuldung beeinflussen, wie Zinsraten, Wachstumsraten, und Primärdefizite, untersucht. Dabei sollen Trends und Gefahren für die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik aufgezeigt werden.
Kapitel V stellt Vorschläge für institutionelle Reformen vor, die Anreize für eine effektive Disziplinierung der Fiskalpolitik in Europa geben sollen. Dabei konzentriert sich dieser Abschnitt der Arbeit konkret auf drei Schwerpunkte: a) Reformen, die den Stabilitätspakt ersetzen b) Reformen, die den Stabilitätspakt ergänzen und c) Zentralisierung der Fiskalpolitik. In Kapitel VI werden die Schlussfolgerungen dargestellt.
Die Schnittstelle zwischen Geld- und Fiskalpolitik ist ein von der Forschung viel diskutiertes Thema. Die Europäische Währungsunion mit nationalen Fiskalpolitiken und einheitlicher Geldpolitik basiert auf einer Asymmetrie, die die Ursache für die existierenden Kontroversen über den Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt darstellt. Die Arbeit gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung und stellt Reformvorschläge vor, die zu einer wirksameren Gestaltung der Finanzpolitik in Europa führen können. Die Analyse soll die folgende Fragen beleuchten: Ist die Gefahr einer Finanzkrise in Europa präsent? Wie kann die Fiskalpolitik koordiniert werden, damit auch politisch und wirtschaftlich einflussreichere Länder ihre Finanzen disziplinieren? Sind fiskalpolitische Regeln notwendig bzw. effizient für die Gewährlistung einer glaubwürdigen Geldpolitik? Wann ist eine Zentralisierung der Fiskalpolitik in Europa sinnvoll?
Formal gesehen wird der Grad der Glaubwürdigkeit der Geldpolitik als die Differenz zwischen erwarteter und tatsächlicher Inflationsrate definiert (Kastner, S.6). Dabei spielen die Erwartungen der Investoren eine zentrale Rolle. Die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik ist um so höher, je geringer diese Differenz ist. Eine glaubwürdige Geldpolitik ist zeitkonsistent. Das bedeutet, dass der von der Zentralbank angekündigte Kurs auch ex post optimal ist.
Essenziell für die Glaubwürdigkeit der Zentralbank ist die Vermeidung des Zeitinkonsistenzproblems. Zur Erklärung dieses Problems dient das folgende Szenario (nach Borchert, S. 8): Die Zentralbank verkündet ein Preisniveauziel. Die Marktteilnehmer richten ihre Inflationserwartungen nach diesem Stabilitätsziel (πerw) und schließen entsprechende (Tarif-) Verträge. Die Zentralbank hat ex post den Anreiz, eine höhere Inflation zuzulassen (Überraschungsinflation), um den Output zu erhöhen. Wenn die Marktteilnehmer aber von Anfang an erwarten, dass die Zentralbank die Inflation anheben wird, werden sie ihre Dispositionen an einem höheren Preisniveau ausrichten. Das Ergebnis von inkonsistenter Geldpolitik ist die Steigerung der erwarteten Inflation bei unverändertem Output. Dieser Effekt wirkt sich ungünstig auf die Wirtschaftsentwicklung aus, weil die Inflation mit hohen Kosten verbunden ist.
Bei politisch abhängigen Zentralbanken wird die Geldpolitik von der Haltung der Regierung bestimmt. Die Entscheidungen und Präferenzen der politischen Institutionen orientieren sich an parteipolitischen und an Wiederwahlinteressen (Görgens/Rückriegel/Seitz, S. 76), was eine kurzfristige Orientierung der Wirtschaftspolitik nahe legt. Damit wird der Staat in jeder Periode sein Handeln neu optimieren (diskretionäre Wirtschaftpolitik) und die Geldpolitik wird zeitinkonsistent sein.
Damit die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik nicht durch diskretionäre politische Entscheidungen gefährdet wird, soll sie sich an einem mittel- bis langfristigen Ziel von Preisstabilität ausrichten. Entscheidend ist, dass durch diese explizite Regelbindung die Unabhängigkeit der Notenbank von der Fiskalpolitik garantiert wird. Damit wird die Zentralbank weniger Anreiz haben von ihrem ex ante verkündeten Inflationsziel abzuweichen. Lange Amtsperioden, finanzielle Anreize und Geldwertstabilität tragen zu einer Politik der Inflationsvermeidung und damit zu einer langfristigen Orientierung der geldpolitischen Strategie auf Preisstabilität bei (Görgens/Rückriegel/Seitz, S. 77).
Der Zusammenhang zwischen Geld- und Fiskalpolitik wird durch die Höhe der Inflationssteuer (Seigniorage) dargestellt. Es wird unterstellt, dass höhere Budgetdefizite bzw. Staatsschulden in Konflikt mit dem Preisstabilitätsziel der Zentralbank geraten können. Der Staat kann in einem solchen Fall Druck auf die Zentralbank ausüben, die Geldpolitik zu lockern, d.h. durch Geldschöpfung die öffentlichen Ausgaben zu finanzieren. In der Literatur wird diese Form der Finanzierung meist als Inflationssteuer oder Seigniorage bezeichnet. Sie gilt als eine zusätzliche Ressource für den Staat. Eine glaubwürdige Geldpolitik soll demnach nicht zulassen, dass kurzfristige politische Interessen die Preisstabilität gefährden.
Fiskale Regeln in der Währungsunion haben die Aufgabe, die Zentralbank in der Gewährleistung von Preisstabilität zu unterstützen. Preisstabilität ist definiert als „Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) für das Eurowährungsgebiet von unter 2% gegenüber dem Vorjahr“ (EZB, S. 87). Preisstabilität soll von der Zentralbank mittelfristig gewährleistet werden. Gleichzeitig unterstreicht der EZB-Rat, dass die Inflation unter, jedoch nah an der 2%-Marke sein soll. Diese Betonung stellt fest, dass sowohl Inflation als auch Deflation mit Preisstabilität unvereinbar sind.
Mit einer Inflation von 2% bleibt der Zentralbank genug Spielraum mit ihrer Zinspolitik effektiv auf asymmetrische Schocks zu reagieren. Preisstabilität im eigentlichen Sinne (d.h. Null-Inflation) kann die EZB bei der Umsetzung ihrer geldpolitischen Strategie einschränken, weil die Nominalzinsen nicht unter die Untergrenze von Null fallen können[2]. In der Deflation sind die Möglichkeiten der EZB, durch Senkung der Realzinsen die Nachfrage zu stimulieren und gegen den deflationären Druck zu wirken, eingeschränkt (EZB, S. 92). Aus diesem Grund kann eine Inflation von unter 2% als Sicherheitsmarge gegen Deflationsgefahren funktionieren.
Ein weiteres Argument für die Rechtfertigung geringfügiger Inflation hängt zusammen mit den dauerhaften Inflationsunterschieden in einer Währungsunion. Die Instrumente der Geldpolitik können in einem Währungsgebiet nicht zwischen Regionen oder Ländern mit verschiedenen Preissteigerungsraten differenziert werden (EZB, S. 94). D.h. eine Steigerung oder Minderung der Zinsen im gesamten Euroraum kann in den einzelnen Regionen der EU unterschiedliche Effekte haben.
Diesen Argumenten folgend, sollte die Geldpolitik für das gesamte Währungsgebiet eine Inflationsrate anstreben, die hoch genug ist, um zu vermeiden, dass Regionen mit niedrigen Inflationsraten mit dauerhaften Preisrückgängen zu kämpfen haben (EZB, S. 94).
Die Geldpolitik der EZB wird sich glaubwürdig und damit zeitkonsistent verhalten, wenn sie in der Lage ist, ihr Preisstabilitätsziel von unter 2% zu halten. Eine Steigerung des Preisniveaus von über 2% wird mit hohen Kosten für die Wirtschaftsstabilität verbunden sein. Man könnte annehmen, dass die ZB politischen Interessen verfolgt und aufgrund steigender Schuldenquoten versucht die Belastung für die Regierungen durch eine höhere Inflation zu mindern. In diesem Fall wird sich die Zentralbank nicht zeitkonsistent mit dem festgesetzten Stabilitätsziel verhalten und ihre Glaubwürdigkeit in Frage stellen.
Eine unabhängige Zentralbank hat weniger Anreiz von ihrem Stabilitätsziel bzw. Preisstabilitätsziel abzuweichen, weil sie nicht direkt mit den Finanzinteressen der einzelnen EU-Staaten verbunden ist. Empirische Studien belegen, dass die Unabhängigkeit der Zentralbank negativ mit der Höhe der Inflation korreliert (vgl. Solveen, 1998). Die so genannte „Alesina-Formel“ (Borchert, S. 7) besagt: Je höher die Unabhängigkeit der Zentralbank, desto niedriger die Inflationsrate (siehe Abbildung 1). Wenn die EZB formell und funktional von der Fiskalpolitik der einzelnen EU-Staaten unabhängig ist, dann sind die Grundvoraussetzungen für eine glaubwürdige Geldpolitik am ehesten erfüllt. Die Unabhängigkeit der Zentralbank wird zusätzlich von der Tragfähigkeit der Finanzen beeinflusst. Dieser Aspekt wird in Abschnitt 2.3.2 diskutiert.
Für die Gewährleistung von Preisstabilität im Euroraum ist das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) verantwortlich, bekannt auch unter dem Name „Eurosystem“ (Görgens/Rückriegel/Seitz, S. 64). Es besteht aus den rechtlich selbständigen nationalen Zentralbanken (NZBen) der EU-Mitgliedsstaaten und aus der rechtlich selbständigen Europäischen Zentralbank (EZB). Die nationalen Zentralbanken sind der EZB funktional untergeordnet (ebenda).
Die Unabhängigkeit des Eurosystems beruht auf vier „Säulen“: institutionelle, personelle, finanzielle und funktionelle Unabhängigkeit (Görgens/Rückriegel/Seitz, S. 79). Die institutionelle Unabhängigkeit der Zentralbank ist im Maastricht Vertrag verankert und besagt, dass die Zentralbanken unabhängig von Weisungen Dritter (z.B. Regierung und Parlament) sind (Art. 107 EGV, Art. 7 ESZB-Satzung).
In Bezug auf die personelle Unabhängigkeit verfügen der Präsident und die Mitglieder des Direktoriums über lange Amtsperioden (Art. 109a Abs. II EGV, Art. 11.2 ESZB-Satzung). Jedes Mitglied im EZB-Rat besitzt außerdem nur eine Stimme und agiert damit (zumindest theoretisch) als Interessenverstreter des gesamten Euroraums und nicht als Vertreter von nationalen Interessen (Borchert, S. 6f.).
Weiterhin ist die EZB finanziell unabhängig von politischen Institutionen, d.h. dem Eurosystem stehen ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung und sie ist verpflichtet, keine Kredite an die öffentlichen Haushalte zu vergeben (Art. 104a EGV) und kann nicht durch Ministerratbeschlüsse dazu verpflichtet werden, auf dem Devisenmarkt zu intervenieren (ebenda).
Ferner dürfen die Zentralbanken nur Funktionen wahrnehmen, die mit dem primären Ziel von Preisstabilität in Zusammenhang stehen (funktionelle Unabhängigkeit).
Nach Görgens, Rückriegel und Seitz (Görgens/Rückriegel/Seitz, S. 82 m.w.Nachw.) hat die ESZB/EZB im Vergleich zu anderen Zentralbanken den höchsten Stand an Unabhängigkeit erreicht. Zum Beispiel soll die Position vom Federal Reserve System (FED) im Vergleich deutlich schwächer sein. Die Entscheidungen vom FED werden vom US Kongress überwacht und das FED ist in seinen Entscheidungen an die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierung gebunden (Board of Governors, 1994, zitiert in: Görgens/Rückriegel/Seitz, S. 82). Dabei wird die Umschreibung „unabhängig innerhalb der Regierung“ („independent within the government“) als akkurate Bezeichnung des Status des FED genannt.
Die Unabhängigkeit der Zentralbank wird von der traditionellen ökonomischen Theorie als hinreichende Bedingung für die Gewährleistung von Preisstabilität betrachtet. Neuere Theorien, wie die Fiskalische Theorie der Preise (FT), vertreten hingegen die Ansicht, dass nicht nur die Unabhängigkeit der Zentralbank, sondern auch eine tragfähige Fiskalpolitik für das Preisstabilitätziel der EZB von Bedeutung ist.
Eine erste Version der FT konzentrierte sich auf den Fall der fiskalischen Dominanz (Görgens/Rückriegel/Seitz, S. 318). Die Fiskalpolitik legt eine Budgetposition fest und die Geldpolitik orientiert sich an dieser Position durch eine Anpassung der Preise (mit Hilfe der Inflationssteuer). Die Inflation ist in diesem Fall ein monetäres Phänomen.
In der zweiten Variante der FT verhält sich die Geldpolitik unabhängig von den Entwicklungen der Fiskalpolitik. Sie konzentriert sich auf die Preisstabilität. Nur wenn die Staatsschuld steigt, dann muss auch das Preisniveau steigen, damit die staatliche Budgetbeschränkung[3] ohne Seigniorage-Einnahmen eingehalten wird (ebenda). Das Preisniveau passt sich demnach an die erwarteten zukünftigen Schulden bzw. Überschüsse des Staates an. Die Existenz von finanzpolitischen Regeln (Maastrichter Vertrag und SWP) im Euroraum belegt, dass die Unabhängigkeit der Zentralbank allein nicht die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik gewährleisten kann.
Die Unabhängigkeit des Eurosystems verbietet nach Art. 101 des EG-Vertrags die monetäre Finanzierung von Haushaltsdefiziten (no-monetisation) und den unmittelbaren Erwerb von Staatsschulden (no-bailout). Das sind die s.g. harten Regeln der Geldpolitik. Die no-monetisation- bzw. no-bailout- Regeln gelten sowohl für die EZB als auch für die nationalen Zentralbanken. Aus diesem Grund entfällt die Möglichkeit, dass sich die Regierungen Seigniorage-Einnahmen verschaffen (Görgens/Rückriegel/Seitz, S. 307). Gleichzeitig entstand aufgrund der Disinflation (Rückgang der Inflationsraten) in den 90er Jahren (siehe Abbildung 2) eine zusätzliche Schuldenlast für die Finanzpolitik hochverschuldeter Länder[4].
Aufgrund des strikten stabilitätspolitischen Kurses der EZB müssen jetzt einzelne Staaten mit „härteren Budgetbeschränkungen“ (De Grauwe, 1992, S. 175) umgehen als vor der III. Stufe der Integration. Bis 2000 war die EZB sehr diszipliniert bei der Einhaltung ihrer Strategie von Preisstabilität (siehe Abbildung 3). Zwischen 2000 und 2004 aber lag der HVPI meistens über dem Preissteigerungsziel von 2%. 2001 hat die Inflation sogar die 3%- Marke überschritten. Auch die Kerninflation (HVPI abzüglich der Preise für Nahrungsmittel und Energie) ist im Bereich dieser Werten verblieben. Diese Daten verdeutlichen, dass die EZB nicht ihr Preisstabilitätsziel strikt eingehalten hat. Dies könnte die Erwartungen der Marktakteure beeinflussen und sich negativ auf die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik auswirken. Trotzdem ist eine Inflation von 3% relativ gering und stellt keine reale Gefahr für die Stabilität in Europa. Zum Vergleich orientieren sich andere Banken wie zum Beispiel die Bank of England an höheren Inflationszielen und gelten trotzdem als glaubwürdig.
Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass aufgrund der härteren Budgetbeschränkungen und der Disinflation in Zukunft die Geldpolitik unter Druck gerät und von ihrem Stabilitätskurs abweicht. In Bezug auf die ESZB ist es nicht klar, ob die formell definierten Regeln auch unter besonderen Umständen wie Bank- oder Liquiditätskrisen eingehalten werden können. Obwohl in den meisten europäischen Staaten seit dem Zweiten Weltkrieg keine außergewöhnlichen Tendenzen zu unglaubwürdigem Verhalten der Banken bestehen (vgl. Eichengreen, 2003, S. 10), gibt es zahlreiche Argumente, die eine Überschuldungsneigung innerhalb einer Währungsunion begründen können. Wenn die Überschuldung der einzelnen Regierungen so hoch steigt, dass sie von den Kapitalmärkten nicht mehr als tragfähig betrachtet wird, dann könnte die formelle Unabhängigkeit und dadurch die Preisstabilitätsziel der Zentralbank gefährdet werden. Die Argumente, die für eine Überschuldung in der Währungsunion sprechen, werden in Kapitel III diskutiert.
Die Geldpolitik funktioniert nicht in einem Vakuum (Artis/Winkler, S. 93). Sie braucht die Unterstützung der Fiskal- und der Lohnpolitik, um ihren stabilitätspolitischen Kurs zu halten. Die formelle Unabhängigkeit der Zentralbank, wie schon oben erläutert wurde, ist keine Garantie dafür, dass Preisstabilität gewährleistet werden kann. Die Glaubwürdigkeit ist nur gesichert, wenn die Zentralbank auch funktional unabhängig ist, d.h. wenn sie nicht gezwungen werden kann, durch Gesetze oder durch politische Institutionen Defizite bzw. Staatsschulden zu monetisieren. Dennoch ist die formale Unabhängigkeit nicht irrelevant. Die formale Unabhängigkeit gibt der Zentralbank Kontrolle über alle Quellen der Geldschöpfung: Monetarisierung von Defiziten bzw. Schulden, Monetarisierung durch Offenmarktgeschäfte und Monetarisierung durch Kauf von Fremdwährung (Buiter/Kletzer, S. 8).
Ein weiterer Aspekt soll an dieser Stelle betont werden, nämlich die traditionelle Rolle der Notenbank als Bank der Staatsfinanzen. Sie war in der Vergangenheit gehalten, für die Stabilität des Finanzsystems zu sorgen, in dem sie Finanzkrisen vermeidet und als lender-of-last-resort[5] agiert. Die Interdependenz zwischen Geld- und Fiskalpolitik ist damit historisch verankert. Der Trend zur Unabhängigkeit der Geldpolitik seit den 80er Jahren hängt immer mit einer gewissen Unsicherheit zusammen, dass die Notenbank von ihrer monetären Strategie abweichen könnte.
Um die Interaktion von Geld- und Fiskalpolitik zu illustrieren, wird ein strategisches Spiel, bekannt als das Chicken-Spiel, zwischen der Zentralbank und der Regierung modelliert (siehe Abbildung unten). Beide Spieler verhalten sich unglaubwürdig: der Staat kann seine Schulden nicht finanzieren und passt sich an die Restriktionen der Geldpolitik an oder die Zentralbank kann sich an die Preisstabilität nicht halten und monetisiert die Staatsschuld. Für beide Spieler ist die gewählte Strategie im Nash-Gleichgewicht, wenn der andere Spieler sich unglaubwürdig verhält und als Nachfolger auftritt. Daraus ergibt sich nach Stackelberg ein Dominanzkonflikt zwischen Geld- und Finanzpolitik (Buiter/Kletzer, S. 5). Die Auszahlungen in der Abbildung sind willkürlich gewählt und sollen lediglich den Antagonismus von Zentralbank und Regierung beschreiben.
Abbildung: Game of Chicken
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Artis/Winkler, S. 93.
Eine laxe Fiskalpolitik kombiniert mit einer restriktiven Geldpolitik führt zu einem unausgeglichenem Policymix, hohe Zinsraten, Währungsaufwertung und Outputverluste (Artis/Winkler, S. 93). In diesem Fall (-1,-1) haben beide Spieler den Anreiz, von ihrer jeweiligen Position abzuweichen. Aufgrund der laxen Fiskalpolitik der Regierung, gibt die Zentralbank nach (1,3) und monetisiert die Staatsschuld, um eine Finanzkrise zu vermeiden. Die zweite Möglichkeit (4,2) ist, dass die ZB ihre Preisstabilität unausweichlich verfolgt. Dann ist die Regierung gezwungen, ihre Finanzlage allein zu verbessern, zum Beispiel durch Anhebung der Steuern oder durch zusätzliche Sparmaßnahmen. Aus dem Verhalten der Spieler resultieren zwei Nash-Gleichgewichte: laxe Fiskal- und Geldpolitik und restriktive Fiskal- und Geldpolitik. Abhängig von dem Spieler, der die führende Rolle übernimmt, kann man zwei Regime unterscheiden: „fiskale Dominanz“ in (1,3) und „monetäre Dominanz“ in (4,2).
Die Verbindung von Geld- und Fiskalpolitik kommt in der fiskalen Budgetrestriktion zum Ausdruck, die besagt, dass die Ausgaben des Staates mit Hilfe von Steuern, Bonds oder Seignorage finanziert werden können (Artis/Winkler, S. 93). Eine steigende Verschuldung kann damit als Bedrohung für die geldpolitische Stabilität interpretiert werden, weil die Zentralbank den Anreiz haben wird, die Schuld zu monetisieren. Hohe Staatsschulden können somit inflatorische Wirkungen auf die Wirtschaft nach sich ziehen.
Sargent und Wallace (1981) verweisen auf diese Gefahr, für den Fall, dass die Zinsen durch zusätzliche Kredite finanziert werden und der Realzins (r) die Wachstumsrate des realen Volkseinkommen (g) übersteigt. Dabei wächst die Verschuldung im Verhältnis zum BIP selbst bei ausgeglichenem Primärsaldo an. Dieses Phänomen ist als staatliche Schuldenfalle bekannt (Görgens/Rückriegel/Seitz, S. 14). Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist die Gefahr, dass die Geldpolitik von ihrem Stabilitätskurs abweicht, besonders groß. Das Regime der fiskalischen Dominanz bedeutet, dass die laxe Politik der Regierung zur Akkumulierung von hohen Defiziten bzw. Schulden führt und dadurch die Geldpolitik gezwungen wird, diese zu monetisieren. Die Budgetrestriktion wird dabei von der Regierung nicht eingehalten. Die Inflation steigt, obwohl die Notenbank theoretisch unabhängig ist. Es folgt daraus, dass im Regime der fiskalischen Dominanz das Preisniveau vom Budgetdefizit determiniert wird (Artis/Winkler, S. 94).
Unter dem Regime der monetären Dominanz ist die Zentralbank funktional und nicht nur formell von den Entscheidungen der Regierung unabhängig. Es besteht keine Bedrohung für die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik, weil die Fiskalpolitik ihr Handeln an die Budgetrestriktion anpasst: die Budgetdefizite werden durch Überschüsse ausgeglichen.
Kurzfristig kann ein ungünstiger Policymix von Geld- und Fiskalpolitik die Inflationserwartungen und die Inflation selbst verschlimmern. Im Chicken-Spiel kann eine Kombination von laxer Fiskalpolitik und restriktiver Geldpolitik Ursache für Führungskämpfe zwischen den Spielern sein. Speziell in der EWU kann ein unausgeglichener Policymix die Zentralbank zwingen, höhere Zinsraten als üblich zu halten, um die inflationären Effekte auszugleichen (ebenda).
Ob sich eine Wirtschaft in einem fiskalischen oder monetären Regime befindet, hängt von der Überzeugung der Finanzmärkte ab, ob die Verschuldung durch Überschüsse kompensiert werden kann (Artis/Winkler, S. 94). In diesem Sinne ist es richtig, dass der Stabilitätspakt auf die Defizite der EWU-Länder zielt: langfristig sollen die Finanzen der Mitgliedsstaaten ausgeglichen oder im Überschuss sein. Damit wird versucht, die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik zu sichern, indem der Stabilitätspakt die funktionale Unabhängigkeit der EZB stärkt und für die monetäre Dominanz sorgt.
In einer Währungsunion entfallen die Geld- und Wechselkurspolitiken der Mitgliedsstaaten. Als einziges wirtschaftpolitisches Instrument zur Reaktion auf Konjunkturschwankungen und nationalspezifische (asymmetrische) Schocks bleibt die nationale Fiskalpolitik[6]. Dies stellt die Fiskalpolitik vor die Herausforderung als Ausgleichsmechanismus für die Wirtschaftsstabilität in den einzelnen Ländern zu dienen, in dem sie antizyklisch auf konjunkturelle Schwankungen reagiert. Gleichzeitig, aufgrund der wachsenden Integration der Kapital-, Arbeits- und Gütermärkte, gewinnen die spill-over Effekte innerhalb des europäischen Wirtschaftsraums an Bedeutung, d.h. Schocks können sich leichter auf den gesamten Euroraum ausbreiten und Krisen in Nachbarländern auslösen (Papademos, S. 74). Dies macht eine Einschränkung der Freiheiten nationaler Fiskalpolitiken bzw. Verschuldungspolitiken notwendig, um eventuell inflationäre Effekte auf die europäische Geldpolitik zu vermeiden. Geld- und Fiskalpolitik sollten daher immer getrennt von einander ausgeübt werden, damit die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik gewährleisten ist (Tomann, 1997, S. 145f.).
Die Forderung nach einer Disziplinierung der Fiskalpolitiken im Euroraum geht zurück auf den 1989 veröffentlichten Delors-Bericht zur Schaffung einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Dort wird festgelegt, dass die Disziplinierung nationaler Fiskalpolitiken mit Hilfe von supranationalen politischen Institutionen erfolgen sollte (Fuest, S. 124). Es wurde argumentiert, dass innerhalb einer Währungsunion die Regierungen der Mitgliedsstaaten Anreize haben werden, ihre Defizite durch Kreditaufnahme zu finanzieren. Da die Kapitalmärkte nicht in der Lage sind, die Fiskalpolitik ausreichend zu disziplinieren, wird die wirtschaftspolitische Stabilität bzw. die Preisstabilität im Euroraum gefährdet. Diese Argumentation wird im nachfolgenden Abschnitt vertieft.
Es werden 3 grundlegende Argumente in der Literatur dargelegt, die die Überschuldungstendenzen innerhalb der Währungsunion erklären und bindende Obergrenzen („binding rules“) für die Fiskalpolitik vorschreiben:
- Rückgang der Seigniorage-Einnahmen
- Versagen der Kapitalmärkte bei der Disziplinierung der nationalen Verschuldungspolitiken
- Wegfall des Wechselkursrisikos und free-riding
Seigniorage sind die Einnahmen, die die Zentralbank durch das Monopol der Geldschöpfung zufließen (Görgens/Rückriegel/Seitz, S. 73f.). Es gibt zwei Möglichkeiten für den Staat, Seigniorage-Einnahmen zu erzielen: Monetarisierung der Staatsschuld und Gewinnausschüttung der Zentralbank (ebenda). Zur Verdeutlichung der ersten Möglichkeit wird angenommen, dass der Staat bei der Notenbank verschuldet ist. Die Schuld des Staates wird mit Hilfe einer Überraschungsinflation real entwertet. Es wird angenommen, dass ex post die erwartete Inflation der Investoren (πerw) kleiner als die tatsächliche Inflation ist (πerw<π). Die Einnahmen aus Seigniorage sind umso größer, je niedriger die Inflationserwartungen liegen. Die zweite Möglichkeit, Zentralbankgeld zu schaffen, ist, wenn sich die Geschäftbanken bei der Zentralbank verschulden. Die Seigniorage-Einnahmen des Staates entstehen aus den resultierenden Zinseinnahmen (Görgens/Rückriegel/Seitz, S. 300f.). Für die Zentralregierung und für die Geschäftsbanken agiert die Notenbank in beiden Fällen als lender-of-last-resort, also als eine Finanzinstitution, die liquide Mittel zur Verfügung bereit hält, um Krisen zu vermeidet.
Durch die Zentralisierung der Geldpolitik hat sich die Zuständigkeit über das Geldangebot im europäischen Währungsraum auf die Europäische Zentralbank (EZB) verlagert. Die nationalen Regierungen sind nicht mehr in der Lage, die Staatsschulden mit Hilfe der Notenpresse zu finanzieren. Damit entfallen die Seigniorage-Einnahmen als Quelle zur Finanzierung von nationalen Staatsschulden. Dies könnte als einer der Gründe für das anhaltende Verschuldungsproblem im Euroraum seit dem Eintritt in die III. Stufe der Integration gesehen werden.
Aufgrund des Konsolidierungszwangs des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP), besteht die Möglichkeit, dass solche überschuldeten Regierungen ihre Schulden durch zusätzliche Kreditaufnahme finanzieren[7]. Es ist denkbar, dass die Regeln des Stabilitätspakts eine steigende Kapitalnachfrage im Euroraum verursacht haben (Fuest, S. 125ff.). Insbesondere in Ländern mit schlecht funktionierenden Steuersystemen könnte diese Konstellation erfüllt sein. Falls die Nahfrage nach Liquiditätsmitteln in der EWU seit der Einführung des Stabilitätspakts gestiegen ist, könnten die Überschuldungprobleme in manchen Staaten dazu führen, dass sie Druck auf die EZB ausüben (beispielsweise, um die Zinsen künstlich niedrig zu halten). Eine solche Politik ist nicht mit dem Stabilitätsziel der Zentralbank vereinbar und könnte sich negativ auf ihre Glaubwürdigkeit auswirken.
Trotzdem sollte das Überschuldungsargument aufgrund niedriger Seigniorage-Einnahmen nicht überschätzt werden. Empirische Studien belegen, dass die Einnahmen aus Seigniorage in den Industrieländern relativ gering sind. Sie liegen zwischen 0,1% und 4% des Bruttosozialproduktes (Kastner, S. 13). Eine viel größere Bedeutung für die Verschuldung im Euroraum wird dem nächsten Punkt über das Versagen der Kapitalmärkte beigemessen.
Die Vertreter der neoklassischen Theorie sind der Ansicht, dass die Finanzmärkte die entscheidende Rolle bei der Disziplinierung der Fiskalpolitik spielen. Ihrer Argumentation zufolge wächst das Defaultrisiko (Ausfallwahrscheinlichkeit, dass die Schulden nicht bezahlt werden) parallel zu einer steigenden Verschuldung. Damit sind Staaten mit exzessiven Haushaltsdefiziten gezwungen, höhere Risikozuschläge im Zins zu zahlen (Rolf, S. 7). Auf diese Weise führen steigende Staatsschulden zu steigenden Kosten bei der Kreditaufnahme und/oder zur Mengenbeschränkungen bei der Aufnahme neuen Krediten. Die steigenden Kreditkosten bzw. der erschwerten Zugang zu liquiden Mitteln geben dem Staat Anreize, die Haushaltslage zu disziplinieren.
Einer der Hauptgründe gegen eine effektive Marktdisziplinierung der Staatsverschuldung durch die Kapitalmärkte basiert auf der informationstheoretischen Überlegung der Informationsasymmetrien. Mangelnde Informationen über die Verschuldungspositionen und die Bonität eines Landes (eines Kreditnehmers) erschweren die Einschätzung des Risikos, d.h. die Festsetzung des Zinses, bei der Kreditvergabe (Rolf, S.43). Problematisch ist dabei die unterschiedliche Verteilung von Informationen zwischen Gläubiger und Schuldner (adverse Selektion). Kreditnehmer verfügen immer über bessere Informationen über ihre Zahlungsfähigkeit. Da die Kreditgeber bzw. die Banken nicht in der Lage sind, realistisch das Defaultrisiko zu schätzen, setzen sie die durchschnittlichen Zinsen höher an (Rolf, S. 45), um das adverse Selektion Problem abzumildern. Diese Imperfektion der Kreditmärkte führt dazu, dass nur risikobereite Kreditnehmer liquide Mittel ausleihen werden, weil sie diejenigen sind, die hohe Zinssätzen akzeptieren würden (Gros/Thygesen, S. 278).
Steile Steigerungen der Zinsraten in der Vergangenheit haben zahlreiche Finanzkrisen verursacht (Mishkin, 1997, S. 330f.). Wenn die Zinsraten auf dem Markt steigen, weil die Kreditnachfrage hoch ist oder weil das Geldangebot abgenommen hat, wird das Problem der adversen Selektion vertieft, weil die Schuldner, die in riskante Objekte investieren wollen, auch bereit sein werden die hohen Zinsraten zu bezahlen. Eine Steigerung der Zinsen auf dem Kapitalmarkt würde daher eine ineffiziente Lenkung der Kapitalressourcen verursachen. Investitionen, die viel versprechend sind und ein niedriges Risiko aufweisen, werden nicht getätigt, weil der Preis für Kapital für die Kreditnehmer real nicht dem Risiko der Investition entspricht. Kreditnehmer mit niedriger Bonität werden dagegen nicht abgehalten, auch bei hohen Zinsen Kapital auszuleihen (ebenda). In Bezug auf öffentliche Kreditnehmer wird behauptet, dass sie bei der Rechnungslegung im Unterschied zu privaten Unternehmen vielfältigere Möglichkeiten haben, die wahre Verschuldung zu „verschleiern“ (Rolf, S. 44). Die Anreize für creative accounting („kreative Buchführung“) (ebenda) würden das Problem der adversen Selektion vertiefen. In einer solchen Situation wird die Risikoprämie im Zins aufgrund mangelnder Informationen nicht den Grad der Verschuldung widerspiegeln. Die Banken werden es bevorzugen, keine weiteren Kredite zu vergeben, statt die Zinsen zu erhöhen. Dadurch würde der hoch verschuldete Staat vor einer Liquiditätskrise stehen. In diesem Zusammenhang wurde oft die Finanzkrise in New York im Jahre 1974 genannt. Die Regierung des Staates New York hat besondere Staatsbonds ausgegeben, die nicht zur Gesamtverschuldung gerechnet wurden. Dadurch wollte die Verwaltung die bestehenden Restriktionen zur Neuverschuldung umgehen (Rolf, S. 44). Die Überschuldung hat solche Maße erreicht, dass die Banken gezwungen waren, die weitere Vergabe von Krediten zu stoppen.
Das Problem der adversen Selektion spiegelt das Unvermögen der Finanzmärkte wieder, durch die ungleichmäßige Verteilung von Informationen die richtige Höhe der Zinsen zu bestimmen. Wenn das Defaultrisiko der Kreditnehmer (in diesem Fall der Staat) nicht leicht eingeschätzt werden kann, dann ist es unwahrscheinlich, dass eine Marktdisziplinierung mit Hilfe der Zinsen erfolgt. In Bezug auf die Informationsasymmetrien im Europäischen Währungsraum wird behauptet, dass das Problem der adversen Selektion nicht sehr stark ausgeprägt ist, wie beispielsweise in Lateinamerika (Eichengreen/Wyplosz, S. 80). Wenn aber die Finanzkrise des Staates New York als Beispiel dienen könnte, dann besteht immer ein starker Anreiz für die Regierung, die Verschuldung exzessiv zu erhöhen, weil die Märkte nicht die Staatsschuld entsprechend antizipieren und darauf reagieren können.
Einer der Hauptgründe für die mangelnde Disziplinierungsfunktion der Finanzmärkte in der EWU ist die ungenügende Wirksamkeit der no-bailout- Klausel des Maastrichter Vertrags. Die no-bailout- Regel setzt fest, dass die Gemeinschaft nicht für die Verbindlichkeiten der einzelnen Mitgliedsstaaten verantwortlich ist (Art. 104b, Absatz I, EGV). Die Notwendigkeit für die no-bailout - Regel hat zwei Hauptgründe: Zuerst wird die europäische Wirtschafts- und Währungsunion als Solidargemeinschaft angesehen. In Art. A des Vertrages über die Europäische Union (EUV) steht:
„Aufgabe der Union ist es, die Beziehungen zwischen den Mitgliedsstaaten sowie zwischen ihren Völkern kohärent und solidarisch zu gestalten“ (Artikel A, EUV). Weiterhin wird gesagt, dass es Ziel und Aufgabe der Gemeinschaft ist, …“die wirtschaftliche und soziale Zusammenarbeit und die Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten zu fördern “ (Artikel 2, EGV). Diese Klauseln können zu der Vermutung führen, dass Staaten die hohe Staatsschulden akkumulieren bzw. zahlungsunfähig geworden sind, finanzielle Hilfe von anderen EWU-Staaten oder von der Gemeinschaft erwarten können. Ökonomisch kann das Solidaritätsprinzip daher als Versicherung gegen Bonitätsschwierigkeiten eines Mitglieds betrachtet werden (Rolf, S.70) und stellt sich in Widerspruch zur no-bailout -Regel.
Der zweite und ökonomisch wichtigere Grund für die mangelnde Glaubwürdigkeit der no-bailout -Regel ist die Wahrscheinlichkeit, dass die EZB unter politischen Druck gerät und die Schuld monetisiert. Der no-bailout- Regel des Maastrichter Vertrags wurde bisher eine besonders wichtige Bedeutung für das Funktionieren der Kapitalmärkte in der EWU beigemessen. Durch diese Regelung wurde die Glaubwürdigkeit der Zentralbank geschützt und der Disziplinierungseffekt der Märkte auf die Fiskalpolitik verstärkt. Das bedeutet, dass die no-bailout- Regel als Schutz für die Marktteilnehmer gegen Monetarisierung von Staatsschulden durch die Zentralbank (no-monetarisation) und gegen eine Übernahme der Schulde durch die Gemeinschaft in Form von Transferzahlungen (no-bailout) gedacht ist (Rolf, S. 5).
Trotzdem ist ein bailout nicht ausgeschlossen. Ein worst-case-Szenario kann folgendermaßen sein (nach Eichengreen/Wyplosz, S.71): Die Investoren in einem Land befürchten Suspendierung oder Modifizierung der Zahlungen von Bonds und verkaufen ihre Staatsanleihen. Die Preise für Bonds fallen. Banken, die solche Anleihen halten, erleiden Liquiditätsverluste. Investoren und Kontoinhaber verlieren ihr Vertrauen in die Banken und ziehen ihr Kapital ab. Augrund der integrierten Kapitalmärkte in der EWU verbreitet sich die Krise im gesamten Euroraum. Um den Zusammenbruch des Banken- und Finanzsystems zu vermeiden, kauft die EZB die Anlehen der hoch verschuldeten Regierung auf.
In diesem Fall würden die formellen Regelungen des EGV nicht die Priorität haben, weil die Stabilität des Zahlungs- und Finanzsystems in Europa ruiniert werden könnte. Dieses Externalitätenproblem ist der Grund, weshalb ein bailout durch die Zentralbank wahrscheinlich erscheint. Der bailout könnte ex post oder ex ante auftreten: (Eichengreen/von Hagen, S. 2). Um ein ex post bailout handelt es sich, wenn die Zentralbank die Staatsschuld monetisiert; ein ex ante bailout ist dann realisiert, wenn die Regierungen von hoch verschuldeten Ländern Druck auf die Zentralbank ausüben, die Zinsen künstlich niedrig zu halten. In beiden Fällen würde die Inflation in Europa steigen, die strikte Verfolgung von Preisstabilität untergraben werden und destabilisierende Auswirkungen für den Euro haben (ebenda).
Wenn die no-bailout -Regel von den Marktakteuren nicht als glaubwürdig antizipiert wird, dann kann sie realistisch gesehen die Zentralbank bei der Ausübung ihrer Stabilitätsstrategie nicht unterstützen. Die Möglichkeit, dass der Staat die Kredite nicht zurückzahlen muss, führt zu einem moral hazard Verhalten und erhöht gleichzeitig den Anreiz für die Regierungen der EWU-Staaten, eine unsolide Defizitpolitik[8] zu führen.
Die mangelnde Glaubwürdigkeit der no-bailout -Regel und das Problem der advesen Selektion stellen zwei Erklärungsansätze für die gestiegenen Überschuldungstendenzen innerhalb der EWU dar. Offensichtlich können die Kapitalmärkte nicht ausreichend durch den Zins reguliert werden. Mit Steigerung der Staatschuld wird ein Punkt erreicht, nach dem die Vergabe von Krediten aufgrund der gestiegenen Ausfallwahrscheinlichkeit verweigert wird. In einer solchen Situation kommen zwei Alternativen in Frage: bailout bzw. Monetarisierung der Schuld oder Default[9]. Die Liquiditätskrisen in New York und Mexiko belegen, dass die Probleme der adversen Selektion und das Bank- bailout nicht nur theoretischer Natur sind. In Bezug auf die EWU verweisen Gros und Thygesen (1992) darauf, dass eine kleine Verschlechterung des Kreditangebots im Euroraum dazu führen könnte, dass hoch verschuldete Staaten illiquid werden.
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Vor der geldpolitischen Integration konnte eine expansive Fiskalpolitik mit einer Abwertung der heimischen Währung kompensiert werden. Bei steigenden Schulden sollten die Marktteilnehmer mit steigenden Inflationserwartungen, fallendem Vertrauen in die heimische Währung und Monetarisierung der Staatsschuld rechnen (Beck, S. 61). Der Wechselkurs war ein wirtschaftspolitisches Instrument, das die Effekte von asymmetrischen Schocks mildern könnte.
[...]
[1] Alle Länder der Europäischen Währungsunion (EUR-12) plus Großbritannien, Dänemark und Schweden.
[2] Eine Senkung der nominalen Zinsraten unter Null würde die Einleger dazu bringen, dass sie Bargeld halten, statt Geld oder Einleihen zu einem negativen Zinssatz.
[3] Bt – Bt-1 = (Gt – Tt) + (i – π) * Bt-1 - St
[4] Diese Aspekte werden in Kapitel IV vertieft.
[5] Der Bezeichnung „Lender-of-last-resort“ wurde 1797 von Sir Francis Baring eingeführt und bezieht sich auf die Aufgabe der Zentralbank, eine krisenverursachende Steigerung des Geldangebots zu vermeiden. Als lender-of-last-resort ist die ZB verpflichtet 1) für ein gleichmäßiges Wachstum des Geldangebots zu sorgen, 2) kurzfristige Instabilitäten in der Wirtschaft abzuweichen und damit die langfristige Orientierung von Zentralbanken zu unterstützen und 3) ihr Handeln bekannt zu machen, um Krisen zu vermeiden (Humphrey, S. 391f.).
[6] Solange die Güter- und Faktormärkte unvollkommen sind und eine Anpassung nicht über den Marktmechanismus ablaufen kann.
[7] Eine Konsolidierung der Staatsschulden könnte durch a.)Erhöhung der Steuern; b.) Einspaarungen bei der Staatsausgaben oder c.) zusätzliche Kreditaufnahme erfolgen.
[8] Die Definition von unsolider Defizitpolitik hängt eng mit der Solvenzbedingung (Budgetrestriktion) des Staates zusammen. Wenn die Anleger erwarten, dass der Staat nicht in der Lage ist, die Solvenzbedingung zu erfüllen, dann wird die Vergabe von Krediten mit einem Ausfallrisiko verbunden (Rolf, S. 14).
[9] Eine dritte Möglichkeit besteht, wenn das Mitgliedsland die Union verlässt.
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