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Mehr InfosStudienarbeit, 2009, 42 Seiten
Studienarbeit
DIPLOMA Fachhochschule Nordhessen; Zentrale (Wirtschaftsrecht)
1,3
Einleitung
I. Erster Teil: Aufgabenstellung
1. Vertragliche Ansprüche
1.1 Anspruch auf außerordentliche Kündigung aus § 543 BGB
1.2 Anspruch auf außerordentliche Kündigung wegen Störung des Hausfriedens aus § 569 II i.V.m. § 543 I BGB
1.3 Anspruch auf ordentliche Kündigung aus § 542 I BGB
1.4 Anspruch auf Unterlassungsklage aus § 541 BGB
2. Dingliche Ansprüche
2.1 Ansprüche aus dem Eigentum
2.1.1 Anspruch auf Herausgabe aus § 985 BGB
2.1.2 Anspruch auf Beseitigung der Eigentumsstörung aus § 1004 I i.V.m. § 903 BGB
2.1.2.1 Anspruchsteller ist Eigentümer
2.1.2.2 Bewegliche oder unbewegliche Sache
2.1.2.3 Beeinträchtigung
2.1.2.4 Fortdauer der Beeinträchtigung
2.1.2.5 Anspruchsgegner ist Störer
2.1.2.6 Keine Duldungspflicht der Beeinträchtigung nach § 1004 II BGB
2.1.2.6.1 Duldung aufgrund rechtsgeschäftlicher Verpflichtung
2.1.2.6.2 Duldungspflicht nach § 906 BGB
2.1.2.6.3 Duldungspflicht nach § 904 BGB
2.2 Ansprüche aus dem Besitz
3. Deliktische Ansprüche
3.1 Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 I BGB
3.2 Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 II BGB i.V.m. Art. 297 EGStGB,
§ 184e StGB, § 120 OWiG
3.3 Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB
4. Schlussbetrachtung
II. Zweiter Teil: Aufgabenstellung 2
A) Ansprüche der K gegen S
1. Vertragliche Ansprüche
2. Dingliche Ansprüche
2.1 Ansprüche aus dem Eigentum
2.1.1 Anspruch auf Herausgabe aus § 985 BGB
2.1.2 Anspruch auf Beseitigung der Beeinträchtigung aus § 1004 I i.V.m. § 903 BGB
2.2 Ansprüche aus dem Besitz
2.2.1 Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes aus § 861 I BGB
2.2.2 Anspruch auf Beseitigung der Besitzstörung aus § 862 I BGB
2.2.3 Anspruch auf Herausgabe aus § 1007 I BGB
2.2.4 Anspruch auf Herausgabe aus § 1007 II BGB
3. Deliktische Ansprüche
3.1 Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 I BGB
3.2 Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 II i.V.m. § 858 BGB
4. Bereicherungsrechtliche Ansprüche
4.1 Anspruch auf Herausgabe aus § 812 I S. 1 Alt. 1 BGB
4.2 Anspruch auf Herausgabe aus § 812 I S. 1 Alt. 2 BGB
5. Schlussbetrachtung
B) Ansprüche des S gegen H
1. Vertragliche Ansprüche
1.1 Anspruch auf außerordentliche Kündigung aus § 490 I BGB
1.2 Anspruch auf außerordentliche Kündigung aus § 314 I BGB
1.3Anspruch auf Schadensersatz aus § 311a II BGB
1.4 Anspruch auf Rücktritt vom Vertrag aus § 326 V i.V.m. § 323 I BGB
2. Dingliche Ansprüche
2.1 Ansprüche aus dem Eigentum
2.1.1 Anspruch auf Herausgabe aus § 985 BGB
2.2 Ansprüche aus dem Besitz
3. Deliktische Ansprüche
3.1 Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 I BGB
3.2 Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 II BGB i.V.m. § 263 I StGB
4. Bereicherungsrechtliche Ansprüche
5. Schlussbetrachtung
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Eidesstattliche Erklärung
Die Hausarbeit befasst sich mit sachenrechtlichen und inzident mit schuldrechtlichen Problemstellungen aus dem Bürgerlichen Recht. In diesem Zusammenhang soll erörtert werden, welche Ansprüche sich ergeben können, wenn es zu Beeinträchtigungen des Eigentums oder des Besitzes kommt. Im Einzelnen werden aus sachenrechtlicher Sicht mögliche Ansprüche des Eigentümers oder des Besitzers auf Herausgabe einer Sache sowie auf Beseitigung einer Beeinträchtigung erörtert. Ferner wird die Thematik der Bestellung eines Pfandrechts an einer beweglichen Sache geprüft. Als Grundlage hierzu dienen zwei Fallkonstellationen.
Direkt am Regensburger Bahnhof in einem Mietshaus finden sich u. a. folgende Mietparteien: Computer-Service Penzkofer (P), ein Blumenladen und der drei Etagen umfassende Privatclub „Mon Amour“ von Michael Meyerhöfer (M). Während der Geschäftszeiten kommt es häufiger zu unerfreulichen Konfrontationen zwischen Freiern und Zuhältern u. a. wegen des Liebeslohns. Gelegentlich muss auch die Polizei wegen des Verdachtes auf Drogenhandel eingeschaltet werden.
Der Vermieter Valentin Vogelsang (V) befürchtet nun persönliche Nachteile, insbesondere eine Minderung des Verkehrs- und Mietwerts seines Gewerbeobjektes. Privat ist V dem katholischen Kolpinghaus e.V. Regensburg verbunden, wo er bereits wegen der „unchristlichen Verhältnisse in seinem Gewerbeobjekt kritisiert wird. V möchte deshalb so schnell wie möglich M kündigen und einen seriösen Mieter gewinnen. M versteht die ganze Aufregung nicht, er könne sich auf das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostitution vom 20.12.2001 berufen. Danach sei die Prostitution nicht mehr sittenwidrig. Der Wandel der sozialethischen Vorstellungen müsse auch von V berücksichtigt werden.
Frage:
Wie ist die Rechtslage? Insbesondere kann V von M verlangen, dass M seinen Privatclub schließt?
Zwischen V als dem Vermieter und M als dem Mieter wurde ein Vertrag über eine Sache (§ 90[1] ) zum Gebrauch auf Zeit gegen Zahlung einer Miete (Mietvertrag) begründet (§ 535). Mietgegenstand ist dabei ein drei Etagen umfassender Privatclub. Es handelt sich somit um die Vermietung von Geschäftsräumen. Geschäftsräume sind demnach solche Räume, die nach dem Zweck des Vertrags zu geschäftlichen, insbesondere gewerblichen Zwecken angemietet werden.[2]
V könnte einen Anspruch auf außerordentliche Kündigung gemäß § 543 I S. 1 haben. Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen eines wichtigen Grundes. An das Vorliegen eines die fristlose Kündigung rechtfertigenden wichtigen Grundes sind dabei strenge Anforderungen zu stellen.
Ein wichtiger Grund könnte sich aus § 543 II S. 1 ergeben. Für eine erhebliche Verletzung des vertragsmäßigen Gebrauchs der Mietsache durch M infolge Vernachlässigung der ihm obliegenden Sorgfaltspflicht (§ 543 II S. 1 Nr. 2) gibt es jedoch keine Anhaltspunkte. Dies käme beispielsweise nur in Betracht, wenn eine Nutzungsänderung eingetreten wäre; etwa die Nutzung von privaten Wohnräumen in einem bürgerlichen Wohnhaus zur Prostitution.[3] M hat jedoch die Geschäftsräume von vornherein zum Zwecke der Prostitution angemietet, so dass eine Vertragsverletzung auszuschließen ist.
Darüber hinaus könnte ein sonstiger wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung gegeben sein. Nach der Generalklausel des § 543 I S. 2 liegt ein wichtiger Grund vor, wenn dem V als dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls (Gesamtschau), insbesondere eines Verschuldens des M und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zugemutet werden kann, das Mietverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Für die Prüfung der Zulässigkeit bedarf es zunächst eines wichtigen Grundes. D. h. es müssen Tatsachen vorliegen, die objektiv geeignet sind, einen wichtigen Grund darzustellen. Hier könnte zunächst der Mietvertrag über den Privatclub in Betracht kommen. Der zwischen V und M geschlossene Mietvertrag über den Privatclub ist nicht sittenwidrig[4] und erfüllt deshalb nicht die Voraussetzung für einen wichtigen Kündigungsgrund. Auch sind im Sachverhalt keine Angaben darüber enthalten, dass von den Prostituierten außerhalb der Räumlichkeiten des Privatclubs sittenwidrige Handlungen ausgehen.
Weiterhin ist zu prüfen, ob die Vorfälle im Mietobjekt geeignet sind, einen wichtigen Grund darzustellen. Die Konfrontationen zwischen Freiern und Zuhältern in einem erträglichen Maß sind in diesem Milieu durchaus üblich und erfüllen deshalb ebenfalls nicht das Merkmal eines wichtigen Grundes. Dem V dürfte beim Abschluss des Mietvertrages auch bekannt gewesen sein, dass der Betrieb eines derartigen Gewerbes gewisse Beeinträchtigungen mit sich bringt. Gleiches darf wohl auch für die gelegentlichen polizeilichen Ermittlungen gelten, da bei Prostitution der Handel mit Drogen generell nicht auszuschließen ist. Hinzu kommt, dass es sich um ein Gewerbeobjekt und nicht um ein reines Wohngebäude handelt. Überdies kann nicht beurteilt werden, wie lange das Mietverhältnis bereits Bestand hat, was für die Interessenabwägung von Bedeutung wäre. Daher wird das Vorliegen eines wichtigen Grundes abgelehnt, so dass bereits deshalb eine außerordentliche Kündigung nach § 543 I S. 2 nicht in Betracht kommt.
Selbst wenn man die Konfrontationen und Polizeieinsätze als wichtigen Grund anerkennen würde, kann es dem V aufgrund der relativ kurzen Kündigungsfrist von drei bis zu maximal sechs Monaten (§ 580a II) zugemutet werden, das Mietverhältnis bis zu dessen Ablauf fortzusetzen, so dass letztendlich eine außerordentliche Kündigung aufgrund fehlender Unzumutbarkeit scheitern würde.[5]
1.2 Anspruch auf außerordentliche Kündigung wegen Störung des Hausfriedens aus § 569 II i.V.m. § 543 I V könnte ferner einen Anspruch auf außerordentliche Kündigung gem. § 569 II analog i.V.m. § 543 I wegen nachhaltiger Störung des Hausfriedens haben. Die Vorschrift des § 569 II gilt unmittelbar nur für Wohnräume. Gemäß § 578 II S. 1 ist die Norm jedoch auf Geschäftsräume entsprechend anzuwenden.
Für V würde eine außerordentliche Kündigung als ultima ratio nur dann in Betracht kommen, wenn der Hausfrieden durch M nachhaltig gestört wird (§ 569 II). Unter dem Begriff des Hausfriedens ist das Erfordernis gegenseitiger Rücksichtsnahme durch die Nutzer der Räume in einem Gebäude zu verstehen.[6] M muss sich dabei auch das Verhalten der im Privatclub verkehrenden Personen zurechnen lassen.[7] Da V die Schließung des Privatclubs verlangt, weil er eine Wertminderung seines Gewerbeobjekts befürchtet, müsste er auch tatsächlich von der Störung betroffen sein. V müsste deshalb auch in dem Geschäftshaus wohnen oder es in sonstiger Weise (z. B. als Büroräume) nutzen. Fehlt es daran, wovon auszugehen ist, liegt deshalb keine Störung des Hausfriedens vor. Auf die weiteren Voraussetzungen, insbesondere die Nachhaltigkeit und die Beeinträchtigung der anderen Mieter kommt es nicht mehr an. In diesem Fall gelten für die Kündigung die Regelungen des § 543 II S. 1 Nr. 2 und § 543 I S. 2.[8] Unabhängig davon würde es ohnehin an der Nachhaltigkeit fehlen, da es dem V zuzumuten ist, das Mietverhältnis bis zum nächsten ordentlichen Beendigungszeitpunkt fortzusetzen.[9] Schließlich fehlt es auch an der Zumutbarkeit (siehe Nr. 1.1) und daran, dass V wegen der von M ausgehenden Hausfriedensstörungen grundsätzlich zuvor eine Abmahnung (§ 543 III S. 1) hätte erteilen müssen, da gegen eine vertragliche Nebenpflicht aus dem Mietvertrag verstoßen wurde. Das gilt auch, wenn die Störung von einer dritten Person herrührt.[10]
Da sich die Störung nicht auf V auswirkt, hat dieser kein Recht auf außerordentliche Kündigung aus § 569 II analog i.V.m. § 543 I.
Da die außerordentliche Kündigung nicht in Frage kommt, könnte V das Mietverhältnis im Wege der ordentlichen Kündigung beenden.
Sofern die Mietzeit im Regelfall nicht bestimmt ist, kann V unter Einhaltung der Kündigungsfrist für Geschäftsräume[11] nach § 580a II dem K jederzeit die Kündigung erklären (§ 542 I). Die ordentliche Kündigung ist grundsätzlich nicht an einen Kündigungsgrund gebunden.[12] Im Gegensatz zur Kündigung über Wohnraum (vgl. § 573) bedarf es für die Kündigung von Geschäftsräumen auch keines berechtigten Interesses seitens des Vermieters (Umkehrschluss aus § 578 II S. 1 i.V.m. I).
Somit kann V aufgrund seiner Befürchtungen um die Wertminderung seines Gewerbeobjekts dem M unter Einhaltung der maßgeblichen Kündigungsfrist ordentlich kündigen.
V könnte gegen M schließlich einen Unterlassungsanspruch nach § 541 geltend machen.
Der Unterlassungsanspruch setzt voraus, dass der Mieter die Mietsache vertragswidrig gebraucht. Vertragswidrig ist der Gebrauch, der nicht vertragsgemäß ist.[13] Die Vertragswidrigkeit bestimmt sich dabei nach Inhalt und Zweck des Mietvertrages. V hat dem M die Mieträume für die gewerbliche Nutzung als Privatclub überlassen. Dem V war somit bei Abschluss des Mietvertrages bekannt, dass M die Mieträume als Privatclub nutzen wird. Der Betrieb des Privatclubs stellt somit keinen vertragswidrigen Gebrauch der Mietsache dar, sondern entspricht vielmehr der vertraglichen Vereinbarung, so dass V gegen M keinen Anspruch aus § 541 geltend machen kann.
V könnte gegen M einen Herausgabeanspruch (rei vindicatio) gem. § 985 haben. Der Anspruch aus § 985 findet auch auf Geschäftsräume als unbewegliche Sache (§ 90) Anwendung.[14]
Danach müsste V als Anspruchsteller Eigentümer und M gegenwärtiger Besitzer der gemieteten Geschäftsräume sein. Ferner darf M gegenüber V kein Recht zum Besitz haben.
V ist Vermieter einer Gewerbeimmobilie. Allgemein gilt, dass betreffend dem Eigentum an Grundstücken derjenige als Eigentümer gilt, für den ein Recht im Grundbuch eingetragen ist (§ 891 I). Aufgrund des geschilderten Sachverhalts kann diese These zwar nicht bekräftigt, jedoch auch nicht widerlegt werden.[15] Somit ist davon auszugehen, dass V auch zugleich Eigentümer (§ 903) des Mietshauses ist. Darüber hinaus ist M als Anspruchsgegner aufgrund des Mietverhältnisses auch unmittelbarer Fremdbesitzer (§ 854 I) der Sache, da er in dem Anwesen einen drei Etagen umfassenden Privatclub betreibt. Durch den zwischen V und M geschlossenen Mietvertrag obliegt dem V die Gebrauchsüberlassung der Gewerberäume an M (§ 535 I S. 1). M hat aufgrund des Mietvertrages (obligatorisches Vertragsverhältnis) somit ein Recht zum Besitz gegenüber V als dem Eigentümer.
Deshalb kann M als rechtmäßiger Besitzer berechtigte Einwendungen erheben und demzufolge die Herausgabe der gemieteten Geschäftsräume verweigern (§ 986 I S. 1). Dies würde jedoch nur solange gelten, wie V das Mietverhältnis gegenüber M nicht ordentlich kündigt, weil nach Beendigung des Mietverhältnisses – neben dem vertraglichen Rückgabeanspruch (§ 546 I) – das Besitzrecht entfallen würde.
V hat deshalb gegen M keinen Anspruch auf Herausgabe der Mietsache aus § 985.
Aufgrund des (Allein-)Eigentums als dem umfassendsten Herrschaftsrecht an einer Sache folgt die grundsätzlich uneingeschränkte Befugnis des S, mit der Sache nach Belieben zu verfahren und zum anderen das Recht, alle anderen von jeglicher Einwirkung auszuschließen (§ 903 S. 1). Somit könnte V gegen M einen das Ausschließlichkeitsrecht durchsetzenden Beseitigungs- und/oder Unterlassungsanspruch wegen der Eigentumsstörung (actio negatoria) gem. § 1004 I haben.[16]
Der Beseitigungsanspruch dient der Abwehr einer gegenwärtigen Beeinträchtigung (Störung) gem. § 1004 I S. 1. Dagegen ist der Unterlassungsanspruch auf die Vermeidung künftiger Störungen gerichtet (§ 1004 I S. 2). Da die Beeinträchtigung bereits eingetreten ist und auch fortbesteht, kommt demzufolge die Beseitigung der Störung nach § 1004 I S. 1 in Betracht. Auf den Unterlassungsanspruch – der neben dem Beseitigungsanspruch insbesondere bei Wiederholungsgefahren – in Frage kommt, wird nicht näher eingegangen. Der Beseitigungsanspruch verspricht Erfolg, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
Voraussetzung ist zunächst, dass V Eigentümer der beeinträchtigten Sache ist. Als dinglicher Abwehranspruch kann der Beseitigungsanspruch nur vom Eigentümer geltend gemacht werden. Wie bereits oben (siehe Nr. 2.1.1) ausgeführt, ist aufgrund nicht widerlegbarer Vermutung davon auszugehen. Somit ist V als Eigentümer der Gewerbeimmobilie auch rechtmäßiger Anspruchsteller.
Der Schutzbereich des § 1004 bezieht sich auf bewegliche und unbewegliche Sachen. Gem. § 90 sind Sachen im Rechtssinne körperliche Gegenstände. Das sind bewegliche Sachen und Grundstücke sowie deren Bestandteile. Das Mietsgebäude als wesentlicher Bestandteil des Grundstücks (§ 94 I S. 1) ist somit eine Sache i.S.v. § 90 und fällt damit unter den Schutzbereich des § 1004.
Weiterhin muss eine Eigentumsbeeinträchtigung vorliegen. Darunter ist jede Störung des Eigentums zu verstehen, die nicht unter § 985 fällt, d. h. die keine vollständige Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes darstellt, und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine bewegliche oder unbewegliche Sache handelt.[17] Somit kommt jeder von außen kommende, dem Inhalt des Eigentums (§ 903) widersprechende Eingriff in die rechtliche oder tatsächliche Herrschaftsmacht des Eigentümers in Betracht, welcher nicht von seinem Willen gedeckt ist.[18]
Als Beeinträchtigungen kommen neben gegenständlichen Einwirkungen auf eine Sache, wie beispielsweise das Zuführen unwägbarer Stoffe i.S.v. § 906 (Immissionen) auch immaterielle Immissionen (ideelle Störungen) in Frage, die in die Rechtsposition des Eigentümers eingreifen. Hierbei handelt es sich um alle ästhetischen oder sittlichen Einwirkungen auf das menschliche Empfinden, die nicht gegenständlicher Art sind.[19] Zu den ideellen Einwirkungen zählt u.a. der Betrieb eines Bordells.[20] Ein Bordell ist ein Gebäude oder ein Teil eines Gebäudes, in dem (überwiegend) Frauen sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt (Prostitution) anbieten.[21] Somit ist auch der von M geführte Privatclub als Bordell einzustufen. Da ideelle Immissionen dem Wortlaut nach nicht von § 906 erfasst werden, stellt sich die Frage, wie derartige Eigentumsbeeinträchtigungen zu werten sind.
In der Rechtsprechung und Literatur gibt es Kontroversen darüber, ob ideelle Einwirkungen als Eigentumsbeeinträchtigungen i.S.v. § 1004 eingestuft werden können, da es sich insoweit nicht um grenzüberschreitende Immissionen unwägbarer Stoffe handelt, sondern vielmehr um Beeinträchtigungen des seelischen Empfindens des Eigentümers. Die Rechtsprechung[22] vertritt die Auffassung, dass sittliche Einwirkungen grundsätzlich nicht als Eigentumsbeeinträchtigungen zu werten sind, sofern sie nach außen nicht wahrnehmbar sind. Mindestvoraussetzung für einen negatorischen Abwehranspruch bei ideellen Immissionen müsse vielmehr sein, dass der zu beanstandende Zustand vom Anspruchsteller überhaupt wahrgenommen werden kann.[23] Ein Teil der Literatur ist der Auffassung, dass § 906 auf ideelle Einwirkungen analog anzuwenden ist,[24] so dass extreme und nicht ortsübliche ideelle Störungen im Einzelfall über § 1004 I abgewehrt werden können.
Demgegenüber ist die h. M. anderer Auffassung. Danach ist es verfehlt, den Ausgangspunkt über § 906 zu suchen. Nach § 906 lässt sich nur die Frage beantworten, ob ein etwaiger Beseitigungsanspruch wegen Unwesentlichkeit oder Ortsüblichkeit der Beeinträchtigung abgelehnt werden kann.[25] Vielmehr ist der richtige Ansatz über die §§ 903 und 1004 zu finden, wonach grundsätzlich jede Einwirkung auf die Sache, durch welche die Nutzung beeinträchtigt wird, eine Beeinträchtigung des Eigentums darstellt, und zwar unabhängig davon, ob unwägbare oder wägbare Stoffe auf die Sache einwirken.[26] Deswegen findet der Abwehranspruch aus § 1004 I auch auf ideelle Immissionen Anwendung, sofern diese wahrnehmbar sind.
Des Weiteren gibt es unterschiedliche Ansichten, wenn es um das Maß der Beeinträchtigung geht. Während die Zivilgerichte als Maßstab nur Einwirkungen anerkennen, wenn hierdurch das gesundheitliche Wohlbefinden gestört oder ein körperliches Unbehagen hervorgerufen wird,[27] erkennt ein Teil der Literatur auch Einwirkungen an, welche lediglich das Sitten- bzw. Schamgefühl (sog. moralische Immissionen) verletzen.[28] Folgt man der Literaturmeinung, führt dies zu einem erweiterten Abwehranspruch. Im Einzelfall können deshalb auch Beeinträchtigungen, die gegen die guten Sitten verstoßen, als ideelle Einwirkung gewertet werden.
Auf den Sachverhalt bezogen bedeutet dies, dass die vom Privatclub ausgehenden ideellen Immissionen eine Einwirkung auf das Eigentum i.S.v. § 903 S. 1 Alt. 2 darstellen, da von dem Privatclub zumindest eine sinnliche Wahrnehmung[29] dahingehend ausgeht, dass es während der allgemeinen Geschäftszeiten häufiger zu unerfreulichen Konfrontationen zwischen Freiern und Zuhältern und auch zu gelegentlichen Polizeieinsätzen kommt. Dadurch, dass Dritte die Konfrontationen wahrnehmen, kommt es zu einem Verstoß gegen das Anstandsgefühl, zumal in dem Mietshaus weitere Geschäfte untergebracht sind. Es ist allgemein nicht üblich, dass Kunden beim Einkauf Zeugen von Auseinandersetzungen und Polizeieinsätzen werden.
Die Vorkommnisse können deshalb als ein Verstoß gegen die guten Sitten gewertet werden. Sittenwidrigkeit im Rechtssinne (vgl. § 138) ist gegeben, wenn ein Verhalten gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkender verstößt.[30] Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass sich ein Teil der Kundschaft von den Geschäften abwendet. Des Weiteren könnten auch die anderen Mieter aufgrund der ständig wiederkehrenden Vorfälle und etwaiger rückläufiger Kundenzahlen eine Verlegung ihrer Betriebsstätte in Erwägung ziehen. Somit sind die Störfälle als ideelle Einwirkung zu betrachten, welche den Verkehrswert, zumindest aber den Mietwert der Immobilie beeinträchtigen.
Die Tatsache, dass V dem katholischen Kolpinghaus e.V. verbunden ist und diesbezüglich eine gesteigerte Wahrnehmung gegenüber unsittlichen Verhältnissen in dem Mietshaus hat, ist hierbei ohne Belang. Bei der Beurteilung des Tatbestandes der Sittenwidrigkeit was den Privatclub insgesamt betrifft, ist von einem durchschnittlichen Maßstab auszugehen, besonders strenge Ansichten sind deswegen unbeachtlich.[31] Hinzu kommt, dass aufgrund geänderter Moralvorstellungen der Bordellbetrieb nicht mehr als sittenwidrig gilt, sofern die gesetzlichen Bestimmungen (§ 14 GewO, § 180a StGB) beachtet werden. Insofern kann dem M bei seiner Argumentation Recht gegeben werden. Das Prostitutionsgesetz (ProstG) hingegen dient ausschließlich der Verbesserung der Rechtsstellung Prostituierter. Es ist auf den Betreiber eines Bordells nicht anwendbar. Für M bedeutet dies, dass er sich nicht auf das ProstG berufen kann.
Aus den genannten Gründen geht vom Privatclub eine ideelle sittliche Immission aus, durch die sich V in seinem Eigentum beeinträchtigt fühlt, weil er persönliche Nachteile, insbesondere eine Minderung des Verkehrs- und Mietwerts seiner Immobilie befürchtet und demzufolge die Beeinträchtigung auch nicht von seinem Willen gedeckt ist.
[...]
[1] Paragraphen ohne nähere Angabe sind solche des BGB.
[2] Palandt/Weidenkaff, 66. Auflage, Verlag C.H. Beck München 2007, Einf. v. § 535 Rdnr. 92.
[3] LG Lüb NJW-RR 93, 525.
[4] Vgl. Palandt/Heinrichs, (FN 2), § 138 Rdnr. 52.
[5] Vgl. Soergel, BGB, Band 8, Schuldrecht 6, 13. Auflage, Verlag W. Kohlhammer 2007, § 543 Rdnr. 2.
[6] Palandt/Weidenkaff, (FN 2), § 569 Rdnr. 12.
[7] Vgl. Palandt/Weidenkaff, (FN 2), § 569 Rdnr. 13.
[8] Vgl. Palandt/Weidenkaff, (FN 2), § 569 Rdnr. 13.
[9] Vgl. Soergel, (FN 5), § 569 Rdnr. 13.
[10] Vgl. Soergel, (FN 5), § 569 Rdnr. 15.
[11] Vgl. Soergel, (FN 5), § 580a Rdnr. 5.
[12] Vgl. Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht, 30. Auflage, Verlag C.H. Beck München 2005, § 13 Rdnr. 9.
[13] Soergel, (FN 5), § 541 Rdnr. 3.
[14] Vgl. Palandt/Bassenge, (FN 2), § 985 Rdnr. 1.
[15] Vgl. Wilhelm, Jan, Sachenrecht, 3. Auflage, De Gruyter Recht Berlin 2007, Rdnr. 1178.
[16] Vgl. Wilhelm, Jan, (FN 15), Rdnr. 740.
[17] Vgl. Prütting, Hanns, Sachenrecht, 33. Auflage, Verlag C.H. Beck München 2008, § 49 III 1; Wolf, Manfred, Sachenrecht, 23. Auflage, Verlag C.H. Beck München 2007, Rdnr. 305.
[18] Vgl. Palandt/Bassenge,(FN 2), § 1004 Rdnr. 6.
[19] Prütting, Hanns, (FN 17), § 28 II 1 c.
[20] Vgl. Prütting, Hanns, (FN 17), § 49 III 1 b.
[21] Wikipedia Enzyklopädie.
[22] RGZ 76, 130, 131/132; BGHZ 95, 307/308.
[23] BGHZ 95, 307, 309.
[24] Vgl. Prütting, Hanns, (FN 17), § 28 II 1 c; Wolf, Manfred, (FN 17), Rdnr. 356.
[25] Vgl. Palandt/Bassenge, (FN 2), § 1004 Rdnr. 10.
[26] Vgl. Baur/Stürner, Sachenrecht, 18. Auflage, Verlag C.H. Beck München 2009, § 25 Rdnr. 26; Wolf, M. (FN 17), Rdnr. 306.
[27] RGZ; BGHZ (FN 22).
[28] Vgl. Wolf, Manfred, (FN 17), Rdnr. 313.
[29] BGHZ 95, 307, 309.
[30] Vgl. Palandt/Heinrichs, (FN 2), § 138 Rdnr. 2.
[31] Vgl. Palandt/Heinrichs, (FN 2), § 138 Rdnr. 2.
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