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Mehr InfosMasterarbeit, 2009, 105 Seiten
Masterarbeit
1,7
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Anlagenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Einführung
1.2. Ziel der Arbeit
2. Risiko- und Extremsport
2.1. Risikobegriff
2.2. Popularität von Risiko- und Extremsport
2.3. Definition Risiko- und Extremsport
2.4. Risiko- und Extremsport aus der Sicht der Versicherer
2.5. Fragebögen für Risiko- und Extremsportarten
2.6. Kritische Betrachtung der Fragebögen
3. Lebens-, Berufsunfähigkeits- und Unfallversicherung
3.1. Versicherung
3.2. Lebensversicherung
3.3. Berufsunfähigkeitsversicherung
3.4. Unfallversicherung
3.5. Rückversicherer
4. Terminologie Klettersport
4.1. Historie
4.2. Terminologie
4.3. Ausrüstung
4.4. Bewertung der Schwierigkeit
4.5. Wettkampfklettern
5. Unfall- und Todesfallrisiko im Klettersport
5.1. Definitionen und Bergunfallstatistik des DAV
5.2. Verletzungsscoring
5.3. Datenerfassung und Kalkulation der Expositionszeit
5.4. Alpines Klettern, Sportklettern und Bouldern
5.5. Indoorklettern und Wettkampfklettern
5.6. Eisklettern
5.7. Vergleich Klettern mit Bergsteigen
6. Vergleich Risiko Klettersport zu populären Sportarten
7. Risikobewertung Klettersport nach Literatur
8. Risikobewertung Klettersport durch Rückversicherer
9. Synopsis und Ausblick
9.1. Empfehlungen zur Risikoeinstufung
9.2. Praktische Umsetzung
9.2.1. Umsetzung mit den Versicherern
9.2.2. Internationale Studienkoordination – Scoring
Tabellen
Literaturverzeichnis
Anlagen
Eidesstattliche Erklärung
Anlage: Datenträger mit elektronischer Version der Arbeit
Abb. 1: Titelbild des „Time Magazine“ September 1999
Abb. 2: Werbeplakat Accu-chek Ò, Roche, Archiv Schöffl
Abb. 3: Titelbild Alpinwelt 3/2007
Abb. 4: Isabelle Schöffl klettert „Dream Catcher“ 9-, Laos 2007, Foto: V. Schöffl
Abb. 5: „Crash pad“ und „Spotter“ beim Bouldern, Frankenjura 2007, Foto: I. Schöffl
Tab. 1: Vergleich verschiedener Schwierigkeitsgrade beim Felsklettern
Tab. 2: NACA Score
Tab. 3: Unfälle, Verletzungen und Todesfälle im Alpin- und Sportklettern
Tab. 4: Unfälle, Verletzungen und Todesfälle beim Indoor- und Wettkampfklettern
Tab. 5: Unfälle, Verletzungen und Todesfälle beim Eisklettern (Wasserfallklettern)
Tab. 6: Unfälle, Verletzungen und Todesfälle beim Bergsteigen
Tab. 7: Verletzungshäufigkeit verschiedener Sportarten pro 1000 Stunden Sportausübung
Anlage 1: Risikomanifest des Deutschen Alpenvereins
Anlage 2: Versicherungsbedingungen des BMC
Anlage 3: Expeditionsversicherung des DAV
Anlage 4: Expeditionsdefinition des DAV
Anlage 5: „Expeditionsberge“ und „Expeditionsdefinition“
Anlage 6: Fragebogen Gerling Konzern
Anlage 7: Fragebogen Zürich
Anlage 8: Fragebogen Skandia
Anlage 9: Fragebogen Alte Leipziger
Anlage 10: Fragebogen Canada Life
Anlage 11: Inauguration Konsensusgruppe
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„Risiko ist nun weder eine grundsätzlich negative noch eine grundsätzlich positive Größe menschlichen Erlebens. Eine heile Welt ohne Risiko ist nicht überlebensfähig; sie würde den Menschen nicht anregen und fordern, sondern langweilen, demotivieren und damit auf diese Art und Weise neue Risikofaktoren produzieren.“
Reinhold Bergler[1]
Das Titelbild des „Time Magazine“ September 1999 zeigt einen Sportkletterer und trägt die Überschrift “Why we take risks - From extreme sports to unprotected sex, thrill seeking is becoming more popular“.[2]
Abb.1: Titelbild des „Time Magazine“ September 1999
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dies demonstriert anschaulich das Bild der Öffentlichkeit vom Klettersport als Risikosport. Weiter genährt wird dieses durch reißerische Bilder und Medienberichte sowie durch die Implementierung von Klettersport in die Werbung. Paradoxerweise verkörpert Klettersport im Werbebereich zweierlei Qualitäten: Einerseits Sicherheit, Verantwortungsbewusstsein und Vertrauen, so wie von Roche für das Blutzuckermessgerät Accu-chek Ò (siehe Abb. 2)[3] genutzt. Andererseits genau das Gegenteil: Freiheitsbewusstsein, Draufgängertum und Risikobereitschaft (siehe Abb. 3). Paradoxerweise bewegt sich der Kletterer auf dem Titelbild des „Time“-Magazin direkt am Bohrhaken, ein zweiter Haken ist nur einen Meter entfernt in überhängendem Gelände und somit fast völlig gefahrenfrei. Währendessen hat der Kletterer in der Roche-Werbung zwar seine Route bereits vollendet, allerdings einen fatalen Fehler begangen, indem er die Karabiner in den Hosenbund einhängt. Sich mit diesem in einen Haken einzuhängen, verschafft falsche Sicherheit und kann schnell ernste Konsequenzen erzeugen.
Abb.2 Werbeplakat Accu-chek Ò, Roche
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3. Titelbild Alpin 3-2007[4]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dennoch demonstriert vor allem das „Time“-Magazin Bild deutlich die geltende „Volksmeinung“ von Klettersport als Risiko- und Abenteuersport.
Allgemein steigt das erwartete Gesundheitsrisiko einer Sportart mit der Abnahme der persönlichen Beteiligung, gleichzeitig werden die Akteure der fraglich gefährlichen Sportarten überwiegend bewundert (solange keine Fremdgefährdung besteht). Sportarten, die von einer größeren Bevölkerungsschicht betrieben werden, gelten hingegen subjektiv als ungefährlich.[5] Andererseits weisen Extremsportler eine überdurchschnittliche Bildung und Intelligenz auf. Unter „Freeclimbern“ finden sich vermehrt Hochschulprofessoren und Akademiker.[6] Dies entspricht nicht dem klassischen Bild vom Extremsportler. Welche Sportart ist nun aber "extrem" und "risikoreich"? Meyers Lexikon definiert dies wie folgt: „Extremsport…, das Ausüben außergewöhnlicher sportlicher Disziplinen, wobei der Betreffende höchsten physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt ist. Ist bei Durchführung der betreffenden Disziplin ein objektiv vorhandenes und/oder subjektiv empfundenes Gesundheits- bis Lebensrisiko vorhanden, spricht man von Risikosport“.[7] Diese Definition ist zwar sehr treffend, sagt aber nichts über das tatsächliche Risiko aus, dem sich der Sportler bei der Sportausübung aussetzt.
Unabhängig von diesen Risikoanalyen erlebte der Klettersport durch die zunehmende Anzahl an Felsklettergebieten, Indoor-Kletteranlagen und Kletterwettkämpfen in den letzten zwei Jahrzehnten einen rasanten Aufstieg mit mittlerweile über 500.000 Aktiven in Deutschland. Des Weiteren hielt er Einzug in den Schul- und Rehasportbereich, die Sozialpädagogik und die Physiotherapie. Nachdem Bienia[8] bereits 1962 Klettern in der Physiotherapie und medizinische Rehabilitation einsetzte, hat es inzwischen dort seinen festen Platz.[9] Obwohl Klettern eine Aktivierung aller Muskelgruppen bewirkt ist dennoch die Hand- und Fingerkraft leistungslimitierend.[10] Die verschiedenen Grifftechniken (z.B. aufgestellte Fingerposition oder Einfingerlochgriff[11] ), welche Verwendung finden, übertragen dabei sehr hohe Kräfte auf die Finger.[12] Als logische Konsequenz stehen Verletzungen und Überlastungserscheinungen der Hand und hier vor allem der Finger im Vordergrund.[13] Schwere Verletzungen mit eventuell gar tödlichem Ausgang finden sich nur selten.[14] Klettern kann, quasi natürlich, bereits in jungen Jahren[15] begonnen werden und bis ins hohe Alter hindurch ausgeübt werden.[16] Zunehmend hat sich auch Eisklettern in der Form von Wasserfallklettern eine eigene stetig wachsende Anhängerschaft geschaffen.[17]
Ganz anders stellt sich allerdings die Einschätzung des Unfall- und Todesfallrisiko durch die Versicherer im Bereich der Unfall-, Berufsunfähigkeits- und Lebensversicherung dar. Nur der Versicherer des British Mountaineering Counsil (BMC) bietet seinen Mitgliedern einen umfassenden Versicherungsschutz (Ausnahme Eiskletten) für die verschiedenen Spielarten des Klettersportes an.[18] Anders ist die Situation im deutschsprachigen Europa. Generell gilt, dass in der Privatversicherung Personen mit höherem Risiko eine höhere Prämie bezahlen. In der Lebensversicherung werden daher für Sonderrisiken Risikozuschläge verrechnet. Zu diesen Sonderrisiken zählen neben Berufs- und Aufenthaltsrisken auch Extrem- oder Risikosportarten. Rückversicherer in Deutschland sowie Österreich und der Schweiz versichern Klettersport nur mit entsprechenden Einschränkungen. So darf z.B. der sechste Schwierigkeitsgrad nach UIAA nicht überschritten werden, nur innerhalb Europa geklettert werden, Eisklettern überhaupt nicht betrieben werden usw..[19] Dies scheint mehr auf subjektiver Wahrnehmung denn auf objektiven Daten zu beruhen und führt immer wieder zur Diskussion.
Ziel der vorliegenden Arbeit soll es sein, eine exakte und wissenschaftlich basierte Risikoeinschätzung des Klettersportes durchzuführen sowie einen Vergleich zu populären Sportarten zu ziehen. In einem zweiten Schritt soll dann die derzeitige Risikoeinschätzung durch die Rückversicherer geprüft und bei Diskrepanz Lösungswege erarbeitet werden.
Hierzu werden zunächst die Begriffe Risikosport und Extremsport definiert sowie die Versicherungstypen der Unfall-, Berufsunfähigkeits- und Lebensversicherung analysiert. Im Weiteren wird der Klettersport aus alpinmedizinischer Sicht vorgestellt und eine evidenzbasierte Risikoevaluation durchgeführt. Hierzu wird zunächst eine komplette Analyse der Fachliteratur erstellt, die Ergebnisse werden tabellarisch zusammengefasst (siehe Tab. 3-6). Da bisher in der Literatur jegliche Übersichtsarbeit zum Unfallrisiko im Bergsport fehlten, wurden all diese Daten für die vorliegende Arbeit gesammelt und bewertet. Diese Risikoevaluation im Klettersport wird populären Sportarten gegenübergestellt, eine objektive Risikoanalyse durchgeführt und verglichen mit der Sichtweise der Rückversicherer. In der Synopsis sollen dann Empfehlungen zur Risikoeinstufung gegeben werden. Zusätzlich sollen Lösungswege eventueller Diskrepanzen in der Einstufung aufgezeigt werden, um letztlich eine für „beide Seiten“ akzeptable Lösung zu erreichen.
„Was wäre das Leben, hätten wir nicht den Mut, etwas zu riskieren.“
(Vincent van Gogh)[20]
Die Herkunft des Wortes „Risiko“ ist nicht eindeutig geklärt. Es wird einerseits zurückgeführt auf das arabische „rizq“ (Lebensunterhalt, tägliches Brot), andererseits aber auch auf das vulgärlateinische „resecum“ (Felsklippe) bzw. „riscare“ (Klippe umschiffen) oder das griechische „rhiza“ (Klippe, Wurzel).[21] Daraus lässt sich einerseits die Bedeutung „Wagnis“, andererseits auch die Bedeutung „Gefahr“ ableiten. „Wagnis“ ruft hierbei eher positive, „Gefahr“ eher negative Assoziationen hervor. Bereits hier zeigt sich, dass es eine eindeutige Definition nicht geben kann, und so ist auch im modernen Sprachgebrauch das Wort „Risiko“ nicht einheitlich definiert. Der Risikobegriff wird in unterschiedlichen Bereichen divers gebraucht, insgesamt meist mit einer eher negativen Bedeutung (z.B. „Risiken und Nebenwirkungen von Pharmaka“, „Komplikationsrisiko“ chirurgischer Eingriffe, etc.).[22] Als „Risikomanagement“ wird bezeichnet, wie mit dem „Risiko“ umgegangen wird.
Der Begriff Risikomanagement kommt ursprünglich aus den Wirtschaftswissenschaften und aus Unternehmen, welche unter unsicheren Bedingungen Entscheidungen mit teilweise hohem Schadenspotential treffen müssen. Dabei werden Planungs- und Entscheidungsprozesse so systematisiert, dass die Risiken so gering als möglich gehalten werden können. Gleichzeitig wird jedoch akzeptiert, dass es eine Welt ohne Risiken nicht gibt.[23]
Im alpinistischen Bereich, bzw. im Bergsport hat seit den neunziger Jahren das Risikomanagement im Ausbildungsbereich verstärkt Einzug gefunden.[24]
Es wird unterschieden zwischen:
- Basisrisiko:
- Objektive Risiken: Alle Unternehmen in Naturräumen, die ein objektives Gefahrenpotential haben (z.B. Gletscher mit Spalten usw.)
- Subjektive Risiken: Gefahren die von den teilnehmenden Personen ausgehen können (z.B. Müdigkeit usw.)
- Restrisiko:
- Objektives Restrisiko: Das Wetter lässt sich nie genau vorhersagen usw.
- Subjektives Restrisiko: z.B. Teilnehmer erkrankt[25]
Allgemein gilt, das Bergsteigen auch heißt „Grenzen zu erleben“[26], was mit Risiken verbunden ist. Grenzen sind dabei nicht zwingend etwas Negatives. Auch der Deutsche Alpenverein (DAV)[27] beschäftigt sich intensiv mit dem Risikobegriff sowie der Sicherheitsforschung und beschäftigt eine eigene Sicherheitskommission.[28] Die Kernaussagen des DAV sind im „Risikomanifest des Deutschen Alpenvereins“ niedergeschrieben, das von der Hauptversammlung 2005 verabschiedet wurde (siehe Anlage 1).[29]
In der Wohlstandsgesellschaft Ende des 20. bzw. im 21. Jahrhundert werden neue immer riskantere Herausforderungen und gefährlichere Sportarten gesucht.[30] Sport soll nicht nur gesundheitsfördernd wirken, sondern auch eine individuelle Herausforderung darstellen. Risiko steigert die erlebte individuelle Herausforderung ebenso wie auch den zu erwartenden „Kick“ des Sportausübenden. Eine allgemeine Abkehr vom "Breitensport" (z.B. Skifahren, Schwimmen, Hand- und Fußball, Tennis,…) hin zu „neuen“ Sportarten beschreibt auch Opaschowski.[31] Vor allem „ Fun“-, Abenteuer- und Extremsportarten[32] (wie z.B. Tauchen, Surfen, Segeln, Sky Diving, Wakeboarding, Canyoning, River Rafting, Mountain biking, Downhill biking, Skitouren, Heli-skiing, Carving, Schneeschuhwandern, Bungee Jumping, Parcour, Free Climbing, Eisklettern, Paragleiten, Base Jumping und vieles mehr) erfahren eine neue Anhängerschaft.
Wie bereits zuvor bemerkt, steigt das erwartete Gesundheitsrisiko einer Sportart mit der Abnahme der persönlichen Beteiligung, gleichzeitig werden die Akteure der fraglich gefährlichen Sportarten überwiegend bewundert (solange keine Fremdgefährdung besteht). Sportarten, die allerdings von einer größeren Bevölkerungsschicht betrieben werden, gelten hingegen als subjektiv ungefährlich.[33]
"Extremsport ist nur für denjenigen extrem, der ihn nicht beherrscht."
(Heiner Geissler, Politiker)[34]
Meyers Lexikon definiert Extremsport wie folgt: „Extremsport ist das Ausüben außergewöhnlicher sportlicher Disziplinen, wobei der Betreffende höchsten physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt ist. Ist bei Durchführung der betreffenden Disziplin ein objektiv vorhandenes und/oder subjektiv empfundenes Gesundheits- bis Lebensrisiko vorhanden, spricht man von Risikosport.[35] Diese Definition ist zwar sehr treffend, sagt aber nichts über das tatsächliche Risiko aus, dem sich der Sportler aussetzt, der diesen Sport ausübt. Bässler[36] definiert als Extremsportarten jene Disziplinen, welche in irgendeiner Form extrem ausgeübt werden – aufgrund der Häufigkeit, Dauer, Intensität oder aufgrund des Trainingszustandes. Im Grunde genommen kann allerdings jeder Sport extrem betrieben werden (Laufen als Extremsport in Form eines Ultra-Marathons, Schwimmen, Laufen und Radfahren in Form eines Ultra-Triathlon usw.).[37] Bei Risikosportarten wiederum besteht ein objektiv vorhandenes und subjektiv empfundenes hohes Lebens- bzw. Unfallrisiko.[38] Als Beispiel im Klettersport, aber auch im Ski- oder Reitsport, wäre hier der Sturz/Absturz mit Todesfolge zu nennen. Bässler[39] verwendet ebenfalls noch den Begriff der "extrem verrückten" Trendsportarten, wie Canyoning, Snow Downhill, Iron Man, Extrembergsteigen "Non plus Ultra", High Speed Skiing, usw.. Andere Definitionen für Extremsport werden wiederum viel enger gefasst und verstehen darunter Sportarten, die objektiv mit einem höheren Risiko verbunden sind bzw. deren Unfallschwere höher liegt als bei anderen Sportarten (z.B. Bungee Jumping, Ice-Diving, Steilwandfahren usw.). Die Anzahl der Ausübenden ist dabei relativ gering.[40] Kajtna and Tusak[41] wiederum definieren Risikosport als jeden Sport, bei dem der Ausübende akzeptieren muss, dass die Möglichkeit schwerer Verletzungen oder des Todesfalls besteht. Im großen Gegensatz dazu definiert Backx et al.[42] Risikosport durch eine hohe Sprungrate sowie Kontaktrate und Indooraktivität, also z. B. Volleyball, Basketball, Fußball usw. . Young[43] dagegen erklärt, dass die Kategorie des Extremsports fließend ist und die Definition nicht exakt gegeben werden kann. Viele der Extremsportarten seien durch die X-Games[44] populär gemacht worden, die ebenfalls wiederum über die Jahre unterschiedliche Sportarten in ihrem Programm haben.
Die Mehrheit der Nicht-Extremsportler beurteilen die Antriebskraft zum Betreiben eines Extremsports in der "Flucht vor der Langeweile" (63%) und "im Erleben des ultimativen Kicks" (59%).[45] Ganz anders sehen die „Extremsportler“ selbst ihre Motive. Sie betreiben ihren Sport vorrangig um "Spaß zu haben" (66%).[46] Gründe dafür sind, das Leben als Herausforderung anzunehmen sowie Mut zum Risiko zu beweisen. Anzumerken ist allerdings, dass z.B. unter den sogn. Free-Climbern[47] Hochschulabsolventen überpräsentiert sind, welche nicht dem klassischen Bild eines risikofreudigen "Draufgängers" entsprechen.[48]
Zu den Nicht-Extremsportarten zählen nach Hlavac und Baumgartner[49] Sportarten, die ein relativ geringes Gefährdungspotential (geringe Todesrate, mittlere Verletzungsrate) aufweisen. Als Beispiele werden z.B. Beach-Volleyball, Carving, Golf und Rafting aufgeführt, was den oben genannten Definitionen bereits zum Teil widerspricht. So kann z.B. beim Rafting selbstverständlich ein Todesfall auftreten, ebenfalls beim Carving. Abschließend kann zusammengefasst werden, dass sich keine einheitliche Definition der Begriffe Risiko- und Extremsport finden lässt und somit diese Begriffe an sich nur mit Vorsicht zu verwenden sind.[50]
Versicherungsverträge zu Unfall-, Berufsunfähigkeits- und Lebensversicherungen nennen oft als Ausschlüsse: „Unfälle die dem Versicherten bei der Ausübung von Abenteuer-, Extrem- und Risikosportarten zustoßen.“[51] Eine genaue Definition dieser Sportarten fehlt im Vertrag und lässt wohl einen weiten Interpretationsspielraum offen.
Aus Sicht der Versicherung (Rückversicherung und Erstversicherung) zählen zu den Extremsportarten – von den Versicherern meist als Risikosportarten bezeichnet – jene, die eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit des Leistungseintrittes haben als Personen, die im Alltag eine körperliche Schädigung erfahren. Es gibt jedoch keine eindeutige Aufzählung jener Sportarten, die als Risikosportarten zu klassifizieren sind. Kurz gesagt kann festgestellt werden, dass damit Sportarten bewertet werden, die mit einem erhöhten Verletzungs- oder Todesfallrisiko verbunden sind, ohne ein Breitensport (wie z.B. Skisport oder Fußball) zu sein.[52] Auf der anderen Seite ist Fußball ein Breitensport, unter Berufsunfähigkeitsgesichtpunkten aber auch kein normales Risiko (Münchener Rück).[53] Unter den Sonder-Sportrisiken werden von Rückversicherungen beispielsweise Sportarten wie Bergsteigen, Klettern, Tauchen, Motorsport, Reitsport, usw. verstanden.[54]
Bergsport wird dabei von den verschiedenen Versicherern und Rückversicherern unterschiedlich betrachtet. So weigern sich z.B. viele Versicherer Eiskletterer zu versichern oder verlangen hohe Zuschläge, obwohl es bis vor kurzem noch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse gab, die es erlauben, das Verletzungsrisiko zu beurteilen.[55] Die persönlich (Schwarz, U.[56] und der Autor) angeschriebene „Standard Life“ und die „Alte Leipziger Versicherung“ verweigern z.B. für Eiskletterer den Versicherungsschutz. Dagegen akzeptiert z.B. die „Canada Life“ Bergsport in Europa (Ausnahme Eisklettern), lehnt ihn aber in der „übrigen Welt“ ab.[57] Rugby, Fußball und Tauchen bis zu einer Tiefe von 30 Metern wird gebilligt. Laut Auskunft des Vereins deutscher Berg- und Skiführer e.V. (VDBS), der für seine Mitglieder einen Gruppenvertrag bei der Bayerischen Versicherungskammer anbietet, wird bei ihrem Vertrag kein Unterschied zwischen Eisklettern und z.B. Expeditionen gemacht. Der Versicherungsschutz gilt dabei weltweit.[58] Einen der umfassendsten Versicherungsschutze bietet der Versicherer des „British Mountaineering Counsil“ (BMC)[59], welcher außer Eisklettern und schweren Gletscherüberquerungen quasi alle Kletteraktivitäten weltweit absichert (siehe Anlage 2). Der Deutsche Alpenverein bietet zunächst für alle Mitglieder, welche den Mitgliedsbeitrag bezahlt haben, über den Alpinen Sicherheits-Service einen Grundschutz in Europa an.[60] Expeditionen und Höhenbergsteigen sind hierbei ausgeschlossen, es kann aber ggf. über den DAV zusammen mit der Elvia-Versicherung eine Expeditionsversicherung abgeschlossen werden (siehe Anlagen 3-5).[61] Als Kriterium für eine Expedition bzw. eine extreme körperliche Leistung gilt dabei auch schon Sportklettern ab dem achten Grad (siehe Anlage 4).[62]
Zur Risikoeinschätzung der einzelnen Extremsportarten werden beim Abschluss einer Unfall-, Berufsunfähigkeits- oder Lebensversicherung von den Versicherungsunternehmen bzw. den Rückversicherern Risiko-Fragebögen für die einzelnen Risiko- und Extremsportarten verwendet.[63] Exemplarisch werden in den Anlagen 6-10 die Risikofragebögen zum Bereich Bergsport und Klettern einiger Versicherer und Rückversicherer dargestellt.[64] Innerhalb dieser Bögen wird vor allem abgefragt:
- Art des Bergsteigens (Fels-, Eisklettern, Skitouren, Expeditionen usw.)?
- Private oder berufliche Ausübung?
- Seit wann üben Sie diesen Sport aus?
- Anzahl der Touren pro Jahr?
- Schwierigkeitsgrad (v.a. UIAA-Skala)?[65]
- Wo wird der Bergsport ausgeübt: Europa, Afrika, Asien … ?
- Bis zu welcher Höhe?
- welche Sicherungsmaßnahmen: Sitzgurt, Brustgurt, Helm, Seilsicherung, Hüftgurt?
- Berg- und Kletterunfälle in der Vergangenheit?
- Aktives Mitglied in einem Club oder Verein / Ausbildung?
- usw.
Während einige dieser Fragen logisch erscheinen, können andere aus der Sicht des Sportmediziners kaum nachvollzogen werden. So ist z.B. die Frage der Art des Klettergurtes sehr von der Subdisziplin, d.h. zum Beispiel alpines Klettern mit Rucksack oder reines Sportklettern, abhängig. Ein Komplettgurt kann, auch wenn er dem Laien sicherer erscheint, beim reinen Sportklettern gefährlicher sein als der reine Hüftgurt.[66] Die wissenschaftliche Diskussion um die „Gurtfrage“ ist noch in keinster Weise abgeschlossen.[67] Ebenso ist die Frage nach „der Höhe“ offen und nicht klar definiert, handelt es sich hier um die Frage nach der Höhe der Wand oder um die Höhe, in welcher das Klettergebiet liegt, um einen eventuellen Einfluss einer Höhenkrankheit zu diskutieren?[68] Der Sinn der Frage bleibt unklar. Auch der wissenschaftliche Hintergrund der Frage „wo“ (geographisch) die Sportausübung stattfindet ist nicht eindeutig. So zeigte z.B. Eisklettern in Europa das gleiche Todesfallrisiko wie in den USA und Kanada.[69] Es scheint, dass gerade bei der Fragebogenentwicklung noch mehr Fachkompetenz gefragt ist, was sich z.B. durch Konsensusgespräche mit den Spezialisten der Fachverbände (z.B. Sicherheitskommission des DAV) und den Medizinischen Kommissionen der UIAA und der IFSC erreichen ließe (siehe Kapitel 9). Innerhalb der Fragebögen wird ein Zusammenhang zwischen Kletterschwierigkeit und Verletzungsrisiko angenommen, da Klettern in höheren Schwierigkeitsgraden zum Ausschluss führt. Dies lässt sich wissenschaftlich nicht beweisen und widerspricht den Ergebnissen von Kapitel 5 und 7.
Unter Versicherung versteht man "die Deckung eines im einzelnen ungewissen, insgesamt geschätzten Mittelbedarfs auf der Grundlage des Risikoausgleichs im Kollektiv und in der Zeit."[70]
Der Versicherungsvertrag wird zwischen Versicherer (Versicherungsunternehmen)
und Versicherungsnehmer abgeschlossen. Auf der einen Seite übernimmt der Versicherer Risiko, auf der anderen Seite zahlt der Versicherungsnehmer dafür Prämie. Das Risikogeschäft bildet den Hauptteil des Versicherungsgeschäftes. Vor allem im Lebensversicherungsbereich ist das Risikogeschäft mit einem planmäßigen Spar- und Entspargeschäft verbunden.[71] Beim Risikogeschäft sind die Risikokalkulation und der Risikoausgleich entscheidend.
Beim Versicherungsgeschäft ergeben sich drei Hauptmerkmale:
- Finanzierung aus Entgelt,
- Ungewissheit des versicherten Ereignisses,
- Risikokalkulation und der Risikoausgleich im Kollektiv.[72]
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, eine Risikoeinstufung des Klettersportes in Hinblick auf Unfall-, Berufsunfähigkeits- und Lebensversicherung zu erstellen. Im Folgenden sollen nun zur besseren Verständlichkeit einige allgemeine Begriffe des Versicherungsgeschäftes erläutert und definiert werden.
„Die Lebensversicherung ist eine Versicherung welche als Versicherungsfall den Tod oder das Erreichen eines bestimmten Alters der versicherten Person deckt. Grundlage ist ein Versicherungsvertrag, der zwischen der Lebensversicherungsgesellschaft und dem Versicherungsnehmer abgeschlossen wird.“[73]
Nach Gabler´s Kompaktlexikon „Wirtschaft“[74] können folgende Arten von Lebensversicherungen genannt werden:
- Risikolebensversicherung: Bei dieser wird bei Tod der versicherten Person die Versicherungssumme ausbezahlt. Sie dient vor allem der Absicherung von Angehörigen und zur Sicherung von Verbindlichkeiten.
- Kapitallebensversicherung: Diese kombiniert Todesfallabsicherung mit Sparanlage und ist wohl die am häufigsten abgeschlossene Form. Hierbei wird die Versicherungssumme im Todesfall an die Bezugsberechtigten ausbezahlt, im Erlebensfall meist an den Versicherungsnehmer selbst, bzw. an die Bezugsberechtigten.
- Fondsgebundene Lebensversicherung: Die in den Beiträgen enthaltenen Sparanteile werden in einem Investmentfonds angelegt.
- Private Rentenversicherung: Es wird ab dem vereinbarten Rentenbeginn eine Rente gezahlt.[75]
Wenn die Lebensversicherung zur Altersvorsorge abgeschlossen wurde, können die Versicherungsbeiträge steuerlich angesetzt werden. Zur Lebensversicherung werden zahlreiche Zusatzversicherungen, wie z.B. die Berufsunfähigkeitsversicherung, angeboten.
In der vorliegenden Arbeit sollen unter der Sparte Lebensversicherung nur Lebensversicherungsverträge behandelt werden, die eine Ablebenskomponente beinhalten. Dazu zählen beispielsweise: Ablebensversicherung, Todesfallversicherung, Risikoversicherung usw.[76] Sie alle haben gemeinsam, dass der Versicherungsfall eintritt, wenn die versicherte Person innerhalb der Laufzeit stirbt.[77] Lebensversicherungsverträge, die ausschließlich Erlebenskomponenten, also Sparkomponenten beinhalten, wie z.B. die Erlebensversicherung, werden hier nicht betrachtet.
Berufsunfähigkeit liegt im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung vor, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge von Krankheit oder Behinderung im Vergleich zu einem gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Die Rente für Erwerbsminderung ist im Gesetz zur Reform der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im dritten Sozialgesetzbuch (SGB) geregelt.[78]
Meist im Rahmen einer privat abgeschlossenen Lebensversicherung kann zusätzlich eine private Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen werden. Ansonsten wird sie in der Regel als Teil einer Rentenversicherung oder als selbstständige Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Die Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt dem Versicherten eine vereinbarte Berufsunfähigkeitsrente, wenn er den zuletzt ausgeübten Beruf
nicht mehr ausüben kann. Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich für die Dauer von mindestens 6 Monaten (Prognosezeitraum) außer Stande ist, seinen Beruf, wie er vor Eintritt der Krankheit, Körperverletzung oder des Kräfteverfalles beschaffen war, auszuüben. Die Formulierungen der verschiedenen Versicherungsunternehmen unterscheiden sich hier oft im Wortlaut im Rahmen des allgemeinen Sprachgebrauches. Weiterhin wird in der Regel (vertragsabhängig) auch dann eine Zahlung geleistet, wenn man nur noch zu 50% im Stande ist, seinen Beruf auszuüben. Zur Beitragseinstufung wird in der Regel eine individuelle Risikoeinstufung durchgeführt. Dies ist z.B. abhängig vom Eintrittsalter, dem Beruf oder den Freizeitaktivitäten.
Bei der Unfallversicherung ist generell zwischen privater und gesetzlicher Unfallversicherung zu unterscheiden. Die gesetzliche Unfallversicherung hat die Aufgabe, den Versicherten bei einem Arbeitsunfall (Berufsgenossenschaft) oder einer Berufskrankheit abzusichern. Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung beinhalten die Heilbehandlung, Berufshilfe, Berentung, Wiedereingliederung, Verletztengeld usw. . Träger sind die Berufsgenossenschaften, der Bund und die Unfallkassen. Die Beiträge werden durch die Unternehmen, d.h. die Arbeitgeber, bezahlt.[79] Zusätzlich können sich Personen, die nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung abgesichert sind, wie z.B. Selbstständige versichern, oder für den privaten Lebensbereich eine private Unfallversicherung abgeschlossen werden. Diese gewährleistet bei Erwerbsunfähigkeit durch einen Unfall oder im Todesfall eine Renten- oder Kapitalzahlung an den Versicherungsnehmer, bzw. an die Hinterbliebenen. Hierbei werden bei der privaten Unfallversicherung die Leistungen anders bewertet als bei der gesetzlichen Unfallversicherung. Für die gesetzliche Unfallversicherung gilt die sogen. Minderung der Erwerbsfähigkeit in Prozent, während bei der privaten Unfallversicherung eine Einstufung nach der Gliedertaxe stattfindet. Bei Verbleib einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigter Höhe (ab 20%) über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus bezahlt die gesetzliche Unfallversicherung Rente, Leistungen ab 10% MdE gehen in eine mögliche Stützrente ein.[80]
Versicherungsfall in der privaten Unfallversicherung ist der Unfall. Wesensmerkmale des Unfalles im Sinne der Versicherung sind das plötzlich und unvorhersehbar von außen auf den Versicherten wirkende Unfallereignis und die dadurch verursachte Verletzung.
Die übliche Definition des Unfallbegriffes lautet: Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf den Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine länger andauernde oder bleibende Gesundheitsschädigung erleidet (§8 Abs. 1 S. 2 SGB VII).[81]
Im Gegensatz zur gesetzlichen Unfallversicherung bietet die private Unfallversicherung darüber hinaus Versicherungsschutz an für Fälle, in denen aufgrund einer erhöhten Kraftanstrengung, also ohne plötzliche Einwirkung von außen, an Gliedmaßen oder Wirbelsäule ein Gelenk verrenkt wird oder Muskeln, Sehnen, Kapseln oder Bänder zerreißen.
Bergsportunfälle im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung sind nur bei Berg- und Skiführern relevant. Hier ist auch bereits in Einzelfällen bei Bergführern die sportartspezifische Epikondylitis (Tennis- und Werferellbogen) als Berufskrankheit anerkannt worden.[82]
Rückversicherung (auch Reassekuranz genannt) definiert nach Gabler[83] eine Versicherung der Versicherer zur Absicherung der übernommenen Risiken. Der Erstversicherer überträgt dabei das von ihm zu versichernde Risiko auf einen anderen Versicherer, den Rückversicherer. Dadurch schützt sich der Erstversicherer gegenüber sehr hohen Einzelrisiken oder Katastrophen. Zusätzlich gibt die Rückversicherung dem Erstversicherer die Möglichkeit, Risiken die wegen ihrer Höhe seine wirtschaftliche Kraft übersteigen, zu versichern. Die Kölnische Rückversicherung war die erste professionelle Rückversicherung, weitere große Gesellschaften wie die Aachen Re, Frankfurt Re, Swiss Re und die Münchner Rück wurden Ende des 19ten Jahrhunderts gegründet.
Insgesamt wird unterschieden zwischen einer obligatorischen Rückversicherung und einer fakultativen Rückversicherung, welche eine Rückversicherung auf Einzelfallbasis darstellt. Zusätzliche Aufgaben bzw. Leistungen der Rückversicherungen bestehen in der Schadensforschung, der Prüfung und Einschätzung von Sonderrisiken sowie der Übernahme versicherungsmathematischer Berechnungen.
Die Risikofragebögen, wie sie z.B. im Bergsport verwendet werden (siehe Kapitel 2.4. und Anlage 6-10), sowie die Risikoeinschätzung und Empfehlungen gehen damit also mehr auf die Rückversicherer zurück als auf die Erstversicherer. In unserem Kontext, der möglichen Versicherung eines Bergsportlers, wird somit der Erstversicherer das Zusatzrisiko „Klettersport“ an seinen Rückversicherer abgegeben und seine Annahme bzw. Risikoeinschätzung sich nach dessen Vorgaben richten. Folglich kann eine evtl. Änderung der Risikoeinschätzung „Klettersport“ nur durch eine gemeinsame Kontextbearbeitung mit Vertretern der Rückversicherer stattfinden.
Das extreme und alpine Klettern fand Anfang der 70er Jahre eine radikale Wende. War oft „nur“ der Gipfel und nicht der Weg dahin das Ziel, so wurde nun die Idee des „freien Kletterns“ geboren. Hierunter versteht man die Bewältigung einer Kletterroute ohne Zuhilfenahme künstlicher Hilfsmittel zur Fortbewegung; Seil und Haken dienen nur der Sicherung des Kletterers und werden nicht zur Fortbewegung selbst eingesetzt.
Die Idee des „freien Steigens“ wurde allerdings bereits seit über 100 Jahren im Elbsandsteingebirge praktiziert: Emanuel Strubich kletterte mit der „Westkante“ am Wilden Kopf bereits 1918 die weltweit erste Route im 7ten Schwierigkeitsgrad. Doch erst in der Mitte der 70er Jahre erlebte das Freiklettern seinen rasanten Aufschwung, als die Idee des „freien Steigens“ u.a. von den Kletterern der „Hippie“-Generation im Yosemite Valley wieder aufgegriffen wurde und sich dann auch in Europa verbreitete. Bereits 1965 wurden die ersten Routen im unteren 8ten Schwierigkeitsgrad geklettert („Crack of Doom“, City of Rocks, USA (Erstbegeher unbekannt), „Königshangel“, Freistein, Elbsandstein durch Fritz Eske. Die offizielle jahrzehntelang nach oben geschlossene Schwierigkeitsskala der UIAA wurde offiziell erstmals durch die Begehung der „Pumprisse“ (Fleischbankpfeiler, Wilder Kaiser, Reinhard Karl und Helmut Kiene, 1977) gesprengt, der 7te Schwierigkeitsgrad war nun auch im alpinen Bereich erreicht. Seither wurde die Skala rasant nach oben erweitert, 1974 kletterte Steve Wunsch mit „Supercrack“ in den Shawangunks, USA, den ersten 9er. Die magische Grenze zum unteren zehnten Schwierigkeitsgrad wurde erstmals von Jerry Moffat mit der Begehung von „The Face“ (10-, 1983, Altmühltal) durchbrochen. Einige deutsche Kletterer waren maßgeblich an der weiteren Entwicklung beteiligt, so schaffte es z.B. Wolfgang Güllich, immer wieder neue Schwierigkeitsgrade zu etablieren (z.B. „Wallstreet“ 11-, 1987, oder „Aktion direkt“ 11, 1991, beide Frankenjura). Markus Bock eröffnete mit der Route „Corona“ 2007 die erste Route in Deutschland die den Schwierigkeistsgrad 11+ trägt, der zwölfte Grad ist im Visier![84]
Abb. 4: Isabelle Schöffl klettert „Dream Catcher“ 9-, Laos 2007
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Mit dem rasanten Emporschnellen der gekletterten Schwierigkeitsgrade wuchs auch das Bedürfnis der Kletterer, sich gegeneinander unter objektiven Kriterien zu messen. So kam es Mitte der 80er Jahre zur Geburt des Wettkampfkletterns. Zunächst noch ohne größere internationale Organisation finden seit 1991 regelmäßig Welt- und Europameisterschaften sowie Weltcups und nationale Wettkämpfe statt. Nachdem die Veranstaltungen der ersten Jahre noch am Naturfels ausgetragen wurden, finden diese seit ca. 10 Jahren, auch aus Naturschutzgründen, an künstlichen Kletterwänden statt. Zunächst noch unter Leitung der UIAA[85] hat sich inzwischen ein eigener Weltwettkletterverband, die IFSC (International Federation of Competition Climbing)[86], gebildet. Ziel ist u.a. die Anerkennung als olympische Disziplin. So entstanden in den letzten Jahren alleine in Deutschland circa 500 künstliche „Indoor-Kletteranlagen“. Sportklettern wurde vom Individualsport für Extremisten zum Freizeitsport für alle Alterstufen. Derzeit gibt es nach Zahlen des Deutschen Alpenvereins etwa 200.000 Aktive, die in Klettergärten und Kletterhallen regelmäßig ihren Sport ausüben.
In der Terminologie des Sport- bzw. Freikletterns wird eine Vielzahl von Begriffen verwendet, die der näheren Definition bedürfen, da sie oft falsch angewendet werden und damit Verwirrung stiften. Freiklettern („free climbing“) bezieht sich auf die freie Durchsteigung einer Klettertour, das heißt das Seil und die Sicherungsmittel dienen nur der Absicherung des Kletterers und nicht als Fortbewegungsmittel oder Rastpunkt. Eine so in einem Stück im Vorstieg durchstiegene Route, wird als „Rotpunkt“ bezeichnet. Bei der „On-sight“ Begehung ist die Route dem Kletterer zusätzlich zu den „Rotpunkt“-Kriterien unbekannt. Der Alleingang mit Seilsicherung wird als „Solo“ -Begehung bezeichnet, der ungesicherte Alleingang als „free-solo“. Allerdings sind wirkliche „free-solo“ -Begehung entgegen der Darstellung in den Medien äußerst selten. Eine Routenbegehung unter Seilsicherung von oben wird als „top-rope“ angegeben.[87]
Neben dem reinen Schwierigkeitsklettern gibt es eine weitere, wesentliche Unterdisziplin des Sportkletterns, das „Bouldern“. Ein „Boulder“ ist im Englischen ein Felsblock. Unter „Bouldern“ versteht man das seilfreie Klettern in Absprunghöhe. Hierbei gibt es wie bei den Klettertouren eigene, definierte Routen oder Boulderprobleme, seit 1999 sogar einen eigenen „Boulder-Weltcup“. Als Sicherung werden beim „Bouldern“ sogenannte „Crash-Pads“ oder Absprungmatten verwendet (siehe Abb. 4.), welche unangenehme Stürze auf den Rücken abfangen sollen. Das extreme Eis- und Wasserfallklettern, welches auch eine eigene Wettkampfform besitzt, sei hier nur am Rande erwähnt.
[...]
[1] Vgl. Schwarz, U. (2009), S. 0 (Vorwort)
[2] Vgl. Titelblatt Time Magazine, September 1999
[3] Vgl. Werbung Accu-chek Ò, Roche, Archiv Schöffl
[4] Vgl. Alpinwelt 3 (2007).
[5] Vgl. Henke, T. und Glaser, H (2000), S. 300-318.
[6] Vgl. Veraszto, A. (2008), S. 2.
[7] Vgl. Meyers Lexikon (2008).
[8] Vgl. Bienia, J. (1962). S. 643-51.
[9] Vgl. Hochholzer, T., Schöffl, V. (2007), Heitkamp, H. C., Fichter, C., Grau, S., Rapp, W., Nieß, A.,
Horstmann, T. (2005), S. 288, Heitkamp, H. C., Worner, C., Horstmann, T. (2005). S. 28-32, Heit
kamp, H. C., Mayer, F., Böhm, S. (1999), S. 40-46, Schlageter, M. (2004). S. 168-181, Scharler,
D. und Nepper, H. U. (2000). S. 22-25, Forster, R., Penka, G., Bosl, T., Schöffl, V. R (2008),
Schöffl, V. (2006).
[10] Vgl. Schöffl, I., Einwag, F., et al. (2007). S. 52-62, Schöffl, I., Oppelt, K., et al. (2009). In print,
Schöffl, V. (2008). S. 85-90, Schöffl, V., Einwag, F., Strecker, W., Schöffl, I. (2006). S. 637-643, Quaine, F. und Vigouroux, L. (2004). S. 634-7, Quaine, F., L. Vigouroux, Martin, L. (2005), S. 424-7, Vigouroux, L. und F. Quaine (2006). S. 181-6, Schweizer, A. (2001), S. 217-23.
[11] Vgl. Hochholzer, T., Schöffl, V. (2007).
[12] Vgl. Schöffl, I., Einwag, F., Strecker, W., Schöffl, I. (2006). S. 52-62, Quaine, F. und Vigouroux, L.
(2004). S. 634-7.
[13] Vgl. Schöffl, V., T. Hochholzer, Karrer, A., Winter, S., Imhoff, A (2003). S. 317-22, Schöffl, V., T.
Hochholzer (2004a), Schöffl, V., Hochholzer, T. et al. (2004b). S. 6-7, Schöffl, V. und Schöffl, I.
(2007). S. 70-8, Haas, J. C. und Meyers, M. C. (1995). S. 199-205, Jones, G., Asghar, A., Llewel
lyn, D. J. (2007), Josephsen, G., Shinneman, S., Tamayo-Sarver, J., Josephsen, K., Boulware, D.,
Hunt, M., Pham, H. (2007). S. 271-80, Logan, A. J., Makwana, N., Mason, G., Dias, J. (2004).
S. 545-8.
[14] Vgl. Schöffl, V. (2002). S. 41-5, Schöffl, V. und Küpper, T. (2008). S. 146-9, Schöffl, V. und Küpper,
T. (2006). S. 187-90, Josephsen, G., Shinneman, S., Tamayo-Sarver, J., Josephsen, K., Boulware,
D., Hunt, M., Pham, H. (2007). S. 271-80.
[15] Vgl. Hartsock, L. A., Feagin, J. A., Jr., Ogilvie, B. C. (1991). S. 257-67, Morrison, A. B. und Schöffl,
V. R. (2007), Küpper, T. (2005). S. 163-70.
[16] Vgl. Hartsock, L. A., Feagin, J. A., Jr., Ogilvie, B. C. (1991). S. 257-67
[17] Vgl. Schwarz, U., Küpper, T., Schöffl, I., Dickschas, J., Schöffl, V. (2008). S. 235-8, Schöffl, V.,
Schöffl, I., Schwarz, U., Hennig, F., Küpper, T. (2009).
[18] Vgl. British Mountaineering Counsil (2009).
[19] Vgl. Risikofragebögen, Anlage 6-10.
[20] nach Rohwedder, P. (2007), S.13.
[21] Vgl. Schöffski et al. (2008), Kap.55, Modul 6, S. 4-5, Rohwedder, P. (2007), S.14.
[22] Vgl. Schöffski et al. (2008), Kap.55, Modul 6, S. 4-5.
[23] Vgl. Rohwedder, P. (2007), S.13-14.
[24] Vgl. Rohwedder, P. (2007), S.14.
[25] Vgl. Rohwedder, P. (2007), S.14.
[26] Vgl. Dick, A. (2007), S. 3.
[27] www.alpenverein.de
[28] in welcher der Autor aktives Mitglied ist
[29] Risikomanifest DAV (2005)
[30] Vgl. Opaschowski, H. (2000), S. 30.
[31] Vgl. Opaschowski, H. (2000), S. 30 – 85.
[32] Vgl. Opaschowski, H. (2000), S. 82.
[33] Vgl. Henke, T. und Glaser, H. (2000). S. 300-18.
[34] Vgl. Geissler (o.J.): in Opaschowski, H. (2000) (Hrsg), S. 112.
[35] Vgl. Meyers Lexikon online (2008).
[36] Vgl. Bässler, R. (2002), S. 5.
[37] Vgl. Bässler, R. (2002), S. 5.
[38] Vgl. Bässler, R. (2002), S. 5 ff.
[39] Vgl. Bässler, R. (2002), S. 6.
[40] Vgl. Hlavac, C. und Baumgartner, C. (2000), S. 14.
[41] Vgl. Kajtna, T., Tusak, M. (2004), S. 96-105.
[42] Vgl. Backx, F. J. G., Beijer, H. J. M., Bol, E., Erich, W. B. M. (1991), S.124-30.
[43] Vgl. Young, C. C. (2002), S. 306-11.
[44] Extremsportveranstaltung. Die X Games wurden von ESPN (Entertainment and Sports Programming
Network) erstmals 1994 veranstaltet und werden seitdem jährlich in verschiedenen Städten der
USA ausgetragen.
[45] Vgl. Opaschowski, H. (2000), S. 126.
[46] Vgl. Opaschowski, H. (2000), S. 126.
[47] Free Climber sind Kletterer, die die technischen Hilfsmittel (Seil, Haken, usw.) nur als Sicherungsmit-
tel und nicht als Fortbewegungsmittel verwenden; vgl. auch Glowacz, S. und Pohl, W. (1992), S.
8.
[48] Vgl. Opaschowski, H. (2000), S. 126.
[49] Vgl. Hlavac, C. und Baumgartner, C. (2000), S. 15.
[50] Vgl. Schöffl, V., Schöffl, I., Schwarz, U., Hennig, F., Küpper, T. (2009), Schwarz, U.
(2009). S. 61 f.
[51] Vgl. z.B. DEVK Versicherungen: Verbraucherinformation zur DEVK Familien-Unfallversicherung,
Stand 1.1.2004, S. 5.
[52] Vgl. Sollinger, R. (2008) nach Varaszo, A. (2008), S. 6.
[53] Vgl. Varaszo, A. (2008), S. 6.
[54] Vgl. Varaszo, A. (2008), S. 6.
[55] Vgl. Annahmerichtlinien und Berufsverzeichnis für die Grundfähigkeitsversicherung, Canada Life
(2002).
[56] Vgl. Schwarz, U. (2008), S.13.
[57] Vgl. Schwarz, U. (2008), S.13.
[58] Auskunft VDBS vom 30.12.2007 in Schwarz, U. (2008), S.13.
[59] Vgl. British Mountaineering Counsil 2009
[60] www.alpenverein.de
[61] Vgl. www.alpenverein.de
[62] Siehe Definition „Expeditionsberge“, DAV, S. 2., Anlage 5
[63] Vgl. Milbrodt, H. und Helbig, M. (1999), S. 365.
[64] Hier wird explizit darauf hingewiesen dass kein Vergleich zwischen den einzelnen Versicherern ange-
strebt wird und die Auswahl der abgebildeten Fragebögen rein zufällig ist.
[65] UIAA-Skala = Kletter-Schwierigkeitsskala der UIAA (Union Internationale des Associations d'
Alpinisme), www.uiaa.ch.
[66] Vgl. Schöffl, V. und Küpper, T. (2008), S. 146-9.
[67] Vgl. Schöffl, V. und Küpper, T. (2008), S. 146-9, Mägdefrau, H. (1991). S. 85-95, Hohlrieder, M.,
Lutz, M., M., Schubert, H., Eschertzhuber, S., Mair, P. (2007) S. 30-5, Welch, T. R. (1999),
S. 3-5.
[68] Vgl. Basnyat, B., Lemaster, J., Litch, J. A. (1999), S. 867-73.
[69] Vgl. Schwarz, U. (2008), S. 54 ff.
[70] Vgl. Milbrodt, H. und Helbig, M. (1999), S. 2.
[71] Vgl. Farny, D. (2006), S. 22.
[72] Vgl. Milbrodt, H. und Helbig, M. (1999), S. 3.
[73] Vgl. Gabler (2006), S. 220.
[74] Vgl. Gabler (2006), S. 220 f.
[75] Vgl. Gabler (2006), S. 220 f.
[76] Vgl. Varaszo, A. (2008), S. 4.
[77] Vgl. Isenbart, F. und Münzer, H. (1994), S. 38.
[78] Vgl. Gabler (2006), S. 42.
[79] Vgl. Gabler (2006), S. 341.
[80] Vgl Schönberger, A., Mehrtens, G., et al. (2009) S. 149 ff.
[81] Vgl Schönberger, A., Mehrtens, G., et al. (2009) S. 66 ff.
[82] Schöffl, V. BG-Gutachten zur Epikondylitis als Berufskrankheit bei Bergführern
[83] Vgl. Gabler (2006), S. 295.
[84] Vgl. Hochholzer, T., Schöffl, V. (2007), S. 4-6., Schöffl, V. (2006), S.1-2.
[85] www.uiaa.ch
[86] www.ifsc.com
[87] Vgl. Hochholzer, T., Schöffl, V. (2007), Schöffl, V. (2006), S.1-2., Schöffl, V., Hochholzer, T. (1998),
S. 1-24, Schöffl, V. (2004b), S. 34-36, Schöffl, V., Hochholzer, T. (2004a).
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