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Mehr InfosDiplomarbeit, 2008, 146 Seiten
Diplomarbeit
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (Sozialwissenschaften)
1,0
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitender teil
1. Einleitung
1.1 Thematische Hinführung
1.2 Aufbau und Gliederung
Theoretischer Teil
2. Die ökologische Landwirtschaft
2.1 Wesensbestimmung
2.2 Geschichte
2.3 Organisation
2.4 Ausdehnung
3. Das Oldenburger Münsterland
3.1 Kurze Darstellung der geschichtlichen Entwicklung
3.2 Soziale und kulturelle Hintergründe
3.3 Geschichte und aktuelle Struktur der Agrarwirtschaft
3.4 Probleme und Herausforderungen
4. Ergebnisse aus der bisherigen Forschung
4.1 Kölsch und Dettmer: „Agrarfabriken oder bäuerliche Wirtschaftsweise?“
4.2 Nischwitz: „Die Veredelungswirtschaft in Südoldenburg unter dem Einfluss sich wandelnder sozioökonomischer und politischer Rahmenbedingungen“
4.3 Best: „Die Umstellung auf ökologische
Landwirtschaft als Entscheidungsprozess“
4.4 Sattler, Friedmann und Schmidt: „Umstellung auf den Ökolandbau“
4.5 Larcher und Vogel: „Einstellung und Verhalten von Biobäuerinnen und Biobauern im Wandel der Zeit“
Empirischer Teil
5. Empirisch-methodische Vorgehensweise
5.1 Anforderungen an das Forschungsdesign und theoretische Grundlagen
5.2 Abfolge der empirischen Forschungspraxis
5.2.1 Feldforschung
5.2.2 Schrittfolge einer Fallanalyse
5.2.3 Fallreihenbildung
6. Lebensgeschichtliche Fallstudien
6.1 Eduard Brönstrup
6.1.1 Kurzdarstellung des bisherigen Lebensverlaufs
6.1.2 Biographische Großgeschichten
6.1.3 Bezug zum Oldenburger Münsterland
6.1.4 Fazit der Fallanalyse
6.2 Brigitte de Vries
6.2.1 Kurzdarstellung des bisherigen Lebensverlaufs
6.2.2 Biographische Großgeschichten
6.2.3 Bezug zum Oldenburger Münsterland
6.2.4 Fazit der Fallanalyse
6.3 Franz-Josef Richert
6.3.1 Kurzdarstellung des bisherigen Lebensverlaufs
6.3.2 Biographische Großgeschichten
6.3.3 Bezug zum Oldenburger Münsterland
6.3.4 Fazit der Fallanalyse
6.4 Andreas Schuster
6.4.1 Kurzdarstellung des bisherigen Lebensverlaufs
6.4.2 Biographische Großgeschichten
6.4.3 Bezug zum Oldenburger Münsterland
6.4.4 Fazit der Fallanalyse
6.5 Stefan Thorwal
6.5.1 Kurzdarstellung des bisherigen Lebensverlaufs
6.5.2 Biographische Großgeschichten
6.5.3 Bezug zum Oldenburger Münsterland
6.5.4 Fazit der Fallanalyse
7. Fallvergleich
7.1 Vergleich der biographischen Kerndimensionen
7.2 Vergleich der Einflussfaktoren
7.2.1 Vergleich der endogenen förderlichen Einflussfaktoren
7.2.2 Vergleich der exogenen förderlichen Einflussfaktoren
7.2.3 Vergleich der endogenen hemmenden Einflussfaktoren
7.2.4 Vergleich der exogenen hemmenden Einflussfaktoren Schlussteil
8. Schlussfolgerungen zur Thematik
8.1 Zu den Beweggründen für die ökologische Betriebsumstellung
8.2 Zu den untersuchten Ökolandwirten
8.3 Zum Oldenburger Münsterland Ökolandwirte im Oldenburger Münsterland. Eine Frage der Persönlichkeit
Literaturverzeichnis
Internetquellenverzeichnis
Erklärung
Abb. 1 Das deutsche Bio-Siegel
Abb. 2 Ökologisch bewirtschaftete Fläche und Anzahl der Öko-Betriebe in Deutschland
Abb. 3 Das aktuelle Logo des Oldenburger Münsterlandes
Abb. 4 Die niedersächsischen Landkreise
Abb. 5 Öko-Anteile an landwirtschaftlich genutzter Fläche in Niedersachsen
Tab. 1 Die in Deutschland tätigen Anbauverbände
Tab. 2 Viehbestand im Mai 2003
Tab. 3 Bruttoinlandsprodukte ab 1992
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„Auf einem Hof, der nach dem Konzept des alternativen Landbaus
betrieben wird, ist [...] der Bruch von Tradition und Moderne ein doppelter:
Während die derzeitige konventionelle Agrarwirtschaftsrationalisierung
mit der traditionellen entfalteten Bauernwirtschaft bricht, bricht der
alternative Landbau jetzt wieder mit der agrarindustriellen Bewegung [...]“
(Hildenbrand et al. 1992: 93)
Die Landwirtschaft gehört zu den traditionellsten Tätigkeiten der Menschen. Über Jahrhunderte war sie geprägt von geschlossenen Kreisläufen zwischen Natur und bäuerlichem Betrieb. Doch mit dem Beginn der industriellen Revolution im Europa des späten 18. Jahrhunderts setzten gleichzeitig auch Rationalisierungstendenzen im Agrarsektor ein, die ein erstes Aufweichen der traditionellen Stoffkreisläufe zur Folge hatten (vgl. Hildenbrand et al. 1992: 25ff).
Ihren bisher tiefgreifendsten Strukturwandel erlebte die Landwirtschaft nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im 20. Jahrhundert. Die Bevölkerung in den Industrienationen wuchs und musste ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgt werden. Gleichzeitig erzielten Wissenschaft und Technik große Fortschritte, weltumspannende Märkte gewannen an Dynamik. Diese Entwicklungen führten dazu, dass die Ökonomie und das Kapital zunehmend in den traditionsreichen Agrarsektor eindrangen – und mit ihnen die Technisierung, Chemisierung und Standardisierung der Produktion. Ein Prozess, der heute auch als „Industrialisierung der Agrarwirtschaft“ (Klohn/Windhorst 2001: 31) bezeichnet wird. Moderne Landwirtschaftsbetriebe konnten und mussten sich erstmals auf einzelne Betriebszweige spezialisieren, wodurch die traditionellen betrieblichen Stoffkreisläufe weiter aufgebrochen wurden. Dadurch gelang es, die Ernährung in den aufstrebenden Nationen sicherzustellen.
Doch bei allem Fortschritt blieb der neuzeitliche Strukturwandel nicht ohne negative Folgen. Der Industrialisierungsprozess machte zahlreiche menschliche Arbeitskräfte in der Landwirtschaft überflüssig, Nutztiere wurden zunehmend in Massen gehalten und dabei nicht selten nur als Mittel zur ökonomischen Profitmaximierung betrachtet. Zudem griffen die modernen Landbaumethoden in die natürlichen Ökosysteme ein und erzeugten diverse Umweltprobleme, wie etwa hohe Nitratbelastungen im Grundwasser (vgl. ebd.: 14). Nicht zuletzt fanden sich in den produzierten Lebensmitteln mehr und mehr Rückstände chemischer Einsatzmittel.
Durch die gesellschaftlichen Umbrüche ab den späten 1960er Jahren, die in Westdeutschland zunächst von der Studentenbewegung und danach von den Neuen Sozialen Bewegungen geprägt wurden (vgl. Klein/Falter 2003: 15ff), verstärkte sich die Suche nach verträglicheren Alternativen. Diese wurden schließlich in den Ideen des Ökolandbaus gefunden, der neben dem Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz auch die Wiederherstellung der geschlossenen Stoffkreisläufe zum Ziel hat. Einige Forscher sprechen bei dieser Wirtschaftsform daher von einer „Gegenbewegung“ (Best 2006: 2) oder einem „Alternativmodell“ (Kuhnert et al. 2004: 1) zur industriellen Landwirtschaft. Und nachdem der Ökolandbau lange Zeit ein Nischendasein fristete, fand er zunehmend Eingang in die politische Gesetzgebung und wurde im Jahr 2001 sogar zu einem Schwerpunkt der von der damaligen Bundesregierung ausgerufenen „Agrarwende“ (ebd.: 7) in Deutschland.
Im Mittelpunkt dieser Diplomarbeit steht eine Region, die ein Paradebeispiel für die Industrialisierung der konventionellen Agrarwirtschaft abgibt. Es handelt sich um das Oldenburger Münsterland, auch Südoldenburg genannt, das aus den beiden Landkreisen Cloppenburg und Vechta besteht und zwischen Weser und Ems im westlichen Niedersachsen gelegen ist. Hier schlug die agrarische Modernisierung nach dem Zweiten Weltkrieg besonders stark durch. Die Region gilt daher als „Prototyp der industrialisierten Landwirtschaft in Deutschland“ (Klohn/Windhorst 2001: 7) und gleichzeitig als „Zentrum der deutschen Veredelungswirtschaft“ (ebd.: 8). Das bedeutet, dass die meisten der fast 5.000 regionalen Landwirtschaftsbetriebe auf die Produktion von tierischen Gütern spezialisiert sind (vgl. ebd.: 24). Nirgendwo sonst in Deutschland sind größere Schweine- und Geflügelbestände auf einem Gebiet konzentriert als hier. Da die Betriebe gleichzeitig relativ flächenarm sind, ist das traditionelle bäuerliche System der betrieblichen Nährstoffkreisläufe praktisch ausgehebelt. Was auf der einen Seite dafür sorgt, dass vielen landwirtschaftlichen Familienbetrieben, auch den kleineren, eine Existenzgrundlage gegeben ist und der Wirtschaft positive Wachstumszahlen beschert, hat auf der anderen Seite zur Folge, dass das Ökosystem im hohen Maße strapaziert wird und die Nutztiere zu ethisch umstrittenen Bedingungen gehalten werden. Diese Problemfelder zeigten sich schon bald, nachdem die Entwicklung zu einem Veredelungsgebiet einsetzte (vgl. ebd.: 14).
Doch anders, als es erwartet werden könnte, hat im Oldenburger Münsterland keine mit dem allgemeinen westdeutschen Trend vergleichbare „Gegenbewegung“ in Form des Ökolandbaus stattgefunden. Im Gegenteil: Bis heute werden dort Umweltschutzambitionen als unverträglich mit der regionalen Agrarwirtschaft und daher als bedrohlich angesehen (vgl. Klohn/Windhorst 2001: 116).
Zusätzlich zu dieser Erscheinung weist das Oldenburger Münsterland noch weitere Besonderheiten auf. Die Region ist gekennzeichnet von einem hohen Grad an Homogenität. In wirtschaftlicher Hinsicht zeigt sich dies daran, dass neben den landwirtschaftlichen Veredelungsbetrieben im Familienbesitz vor allem agrarisch ausgerichtete mittelständische Industrieunternehmen überwiegen. In soziokultureller und religiöser Hinsicht sind es insbesondere die konventionelle Agrarwirtschaft sowie der katholische Glaube, die das soziale Leben prägen und zur Mentalitätsbildung der Einwohner beitragen (vgl. Kölsch/Dettmer 1990: 65). In politischer Hinsicht zeigt sich die Homogenität in der Dominanz der CDU. Bei Wahlen erreicht die Partei in der Regel eine Zweidrittelmehrheit – und das schon seit Jahrzehnten. In Folge dieser Erscheinungen haben sich enge personelle Verflechtungen zwischen regionaler Wirtschaft, Politik, Kirche, Wissenschaft und Bauernschaft entwickelt (vgl. ebd.: 84).
Auch wenn die Region einen hohen Grad an Homogenität aufweist, so ist sie eben doch nur relativ homogen. Und tatsächlich finden sich auch im Oldenburger Münsterland einige wenige Landwirtschaftsbetriebe, die nach ökologischen bzw. alternativen Maßstäben wirtschaften. In der Regionalforschung scheinen diese wenigen Ökobetriebe bislang kaum Beachtung zu finden.[1] Diesem Defizit möchte die vorliegende Diplomarbeit Abhilfe leisten, denn aus agrarsoziologischer und regionalwissenschaftlicher Sicht ist die Existenz dieser Betriebe durchaus interessant: Angesiedelt in einem relativ homogenen Umfeld weichen sie von der gängigen Norm ab. Das wirft die Frage auf, aus welchen Gründen die Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter[2] ihre Höfe umgestellt haben. Welche Rolle spielten ihre Familien dabei? Wie reagierte das soziale Umfeld? Hinzu kommen praktische Fragen: Boten ihre Höfe günstige Voraussetzungen für eine Umstellung? Und ist die für die konventionelle Intensivlandwirtschaft ausgerichtete Infrastruktur des Oldenburger Münsterlandes auch für Ökobetriebe nutzbringend? Diese Überlegungen führen schließlich zur Kernfragestellung dieser Arbeit:
Was hat einzelne Landwirtinnen und Landwirte aus dem
Oldenburger Münsterland dazu bewegt, ihre Betriebe auf die
ökologische bzw. alternative Wirtschaftsweise umzustellen?
Diese Frage soll exemplarisch untersucht werden anhand von lebensgeschichtlichen Fallstudien über fünf Ökolandwirte aus der Region. Dazu sollen fünf Betriebsleiter in offenen Interviews nach ihrer Biographie, ihrem Betrieb und dem regionalen Umfeld befragt werden. Die gewonnenen Daten sollen anschließend nach qualitativen sozialwissenschaftlichen Methoden ausgewertet werden, um einerseits die Kernfragestellung zu beantworten und andererseits weitere Aussagen über die untersuchte Forschungsthematik zu formulieren.
Diese Arbeit gliedert sich in einen theoretischen und einen empirischen Teil. Der theoretische Teil soll die erforderlichen Grundkenntnisse über die Thematik vermitteln. Dazu wird in Kapitel 2 zunächst der Ökolandbau näher beleuchtet: Nach einer grundsätzlichen Wesensbestimmung folgt ein Überblick über seine Geschichte, Organisation und Ausdehnung – schwerpunktmäßig bezogen auf Deutschland. Das dritte Kapitel widmet sich dem Oldenburger Münsterland: Auch hier wird zunächst ein Blick auf die Geschichte geworfen, bevor auf soziale und kulturelle Hintergründe eingegangen wird. Es folgt eine Fokussierung auf den regionalen Agrarsektor und die damit verbundenen Probleme und Herausforderungen. Der theoretische Teil wird abgeschlossen mit dem vierten Kapitel: Hier sollen die Ergebnisse einiger Studien vorgestellt werden, die für diese Arbeit von besonderer Relevanz sind. Dazu gehören Untersuchungen über das Oldenburger Münsterland, über allgemeine Beweggründe für Betriebsumstellungen auf Ökostandards und eine Studie über die Einstellungen und das Verhalten von Ökolandwirten.
Der empirische Teil beginnt mit dem fünften Kapitel, in dem die empirisch-methodische Vorgehensweise erläutert wird, auf der die Untersuchung dieser Arbeit fußt. In Kapitel 6 werden die relevanten Teile der lebensgeschichtlichen Fallstudien über vier aktive Ökolandwirte und eine ehemalige Ökolandwirtin aus dem Oldenburger Münsterland aufgeführt, die an der Untersuchung teilgenommen haben. Es handelt sich dabei um:
Eduard Brönstrup[3], einem qualitätsorientierten Direktvermarkter, der mit Hilfe der alternativen und später der ökologischen Wirtschaftsweise Hoftradition und innovative Betriebsführung in Einklang bringen möchte,
Brigitte de Vries, einer engagierten Ex-Ökolandwirtin, die Umweltschutz aus christlicher Überzeugung betreibt und deren Berufsbiographie von postmaterialistischen Selbstverwirklichungsbestrebungen gekennzeichnet ist,
Franz-Josef Richert, einem Pionier, der seine Motivation aus tiefster Überzeugung schöpft und dabei entgegen jeglicher Skepsis aus seinem sozialen Umfeld handelt,
Andreas Schuster, einem modernen Öko-Agraringenieur mit ökonomischem Verstand, der sich ein gutes Maß an Anerkennung, auch über die Region hinaus, erarbeitet hat und
Stefan Thorwal, einem Hobby-Weltenbummler, der seinen Beruf als Landwirt zwar im Sinne einer ‚zweiten Wahl’ betrachtet, darin aber seinen Überzeugungen in Form des Ökolandbaus folgt.
Ein intensiver Vergleich, der die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Teilnehmern herausstellen soll, folgt in Kapitel 7. Der Fokus wird hier insbesondere auf den Vergleich der verschiedenen Einflussfaktoren gerichtet, die auf eine ökologische Betriebsumstellung hingewirkt haben.
Das achte und letzte Kapitel soll als Fazit die Ergebnisse aus dem theoretischen und dem empirischen Teil zusammenführen. Hier werden die Schlussfolgerungen zu der untersuchten Thematik dargelegt; erstens im Hinblick auf die Beweggründe für die Betriebsumstellungen, zweitens im Hinblick auf die Biographien der untersuchten Ökolandwirte und drittens im Hinblick auf das Oldenburger Münsterland. Diese Schlussfolgerungen verdichten sich daran anschließend zu einem letzten Fazit zur Kernfragestellung dieser Diplomarbeit.
Im separaten Anhang dieser Diplomarbeit befinden sich das für die Interviews verwendete Stichwort- und Fragencluster, die einzelnen Transkriptionen der Interviews sowie ein Exemplar einer lebensgeschichtlichen Fallstudie.
Die ökologische Landwirtschaft[4] ist gekennzeichnet von einer umweltschonenden und ganzheitlich ausgerichteten Wirtschaftsweise, bei der das Prinzip der Nachhaltigkeit einen hohen Stellenwert genießt. Der landwirtschaftliche Betrieb gilt als Organismus, der aus den Elementen „Mensch, Tier, Pflanze und Boden“ (BMELV 2008) besteht und auf dem möglichst geschlossene betriebliche Nährstoffkreisläufe verwirklicht werden sollen. Zu den Zielen der Ökolandwirtschaft gehören der Umweltschutz, die artgerechte Haltung und Fütterung der Tiere (vgl. ebd.), der Erhalt der Bodenfruchtbarkeit und die Erzeugung besonders gesunder Nahrungsmittel. Darüber hinaus sollen bäuerliche Strukturen erhalten (vgl. Best 2006: 5) und der ländliche Raum gestaltet werden (vgl. BMELV 2008). Nicht zuletzt spielt auch die weltweite Energie- und Ressourcenfrage eine Rolle.
Der internationale Dachverband der Ökoanbauverbände ‚IFOAM’ hat vier Prinzipien des Ökolandbaus aufgestellt, die weltweit als Orientierungsmaßstab dienen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Ziele und Prinzipien des Ökolandbaus finden Ausdruck in verschiedenen Maßnahmen. So wird bspw. im Bereich des Ackerbaus auf den Einsatz synthetischer Dünge- und Pflanzenschutzmittel zu Gunsten von natürlichen Einsatzmitteln verzichtet. Die Verwendung von Gentechnik ist verboten. Im Bereich der artgerechten Tierhaltung wird mit dem Medikamenteneinsatz spar- und sorgsam umgegangen. Auch hier wird auf natürliche Heil- und Vorsorgemethoden zurückgegriffen. Um das Prinzip der geschlossenen Nährstoffkreisläufe einzuhalten, ist der Umfang des Viehbestandes zudem streng an die verfügbare Fläche gebunden (vgl. BMELV 2008).
Ökologische Betriebe erwirtschaften in der Regel geringere Erträge als konventionelle. Zudem stehen den niedrigeren Ausgaben für Pflanzenschutz und Düngung ungleich höhere Personalkosten gegenüber, die aus dem größeren Arbeitsaufwand resultieren. Insgesamt sind für Ökoprodukte daher höhere Preise als für konventionelle Erzeugnisse notwendig (vgl. i.m.a 2006: 24).
Zwischen ökologischen und konventionellen Betrieben existiert eine weitere Mischform, die in dieser Arbeit mit den Begriffen ‚alternative Landwirtschaft’ bzw. ‚alternative Wirtschaftsweise’ bezeichnet werden soll. Es handelt sich dabei um solche Betriebe, die nach den tierartgerechten Richtlinien des ‚Neuland’-Verbandes agieren. Diese Wirtschaftsform kann deswegen nicht als ökologisch bezeichnet werden, weil sie in wesentlichen Punkten von den Prinzipien des ‚IFOAM’ abweicht. Beispielsweise darf bei ‚Neuland’ konventionell erzeugtes Futter eingesetzt werden (vgl. Neuland 2008).
Der Ökolandbau geht auf zwei Strömungen aus den 1920er Jahren zurück, die sich kritisch mit den damaligen Modernisierungen, auch abseits der Landwirtschaft, auseinandergesetzt haben. Aus der einen Strömung entwickelte sich die „biologisch-dynamische Wirtschaftsweise“ (Sattler et al. 2004: 24), die in der Anthroposophie Rudolph Steiners begründet liegt. Auf seinen im Jahr 1924 in Schlesien gehaltenen Vorträgen über die „Geisteswissenschaftliche[n] Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft“ (ebd.) beruhen die strengen „Demeter-Richtlinien“ (ebd.).
Aus der zweiten Strömung ging der „organisch-biologische Landbau“ (ebd.: 26) hervor. Sein Fundament geht auf die Schweizer Dr. Hans und Maria Müller sowie auf Dr. Hans Peter Rusch zurück und wurde von der „Lebensreform-Bewegung“ (Best 2006: 7) und ihren Ideen zum „natürlichen Landbau“ (SÖL 2008a) inspiriert. Heute findet diese im Vergleich zu ‚Demeter’ weniger strenge Anbaumethode weite Verbreitung (vgl. SÖL 2008b).
Die ‚Stiftung Ökologischer Landbau’ (‚SÖL’) unterscheidet drei Entwicklungsphasen des Ökolandbaus in Deutschland. Die erste Phase ist zwischen 1968 und 1988 angesiedelt (vgl. SÖL 2008a) und in den Kontext der damaligen gesellschaftlichen Umbrüche einzuordnen. In den westlichen Zivilisationen vollzog sich ein „Wertewandel“ (Klein/Falter 2003: 23): Klassische, materielle Werte wie Wohlstand und innere Sicherheit wurden durch neue, postmaterialistische Werte wie Selbstverwirklichung, Emanzipation und Naturschutz ergänzt und von verschiedenen sozialen Bewegungen artikuliert (vgl. ebd.: 19ff). Die Umweltbewegung, die gegen die Atomkraft und die zunehmende Umweltverschmutzung mobil machte, entdeckte dabei den Ökolandbau als „Gegenmodell“ (Kuhnert et al. 2004: 2) zur fortschreitenden Industrialisierung der konventionellen Landwirtschaft und den damit verbundenen Belastungen für die Natur. Gleichzeitig avancierten Ökoprodukte zum Ausdrucksmittel bestimmter Wert- und Lebenshaltungen: Sie wurden zu „symbolischen Produkten für Konsumenten mit einer umweltorientierten und auch gesellschaftskritischen Einstellung“ (ebd.). Auch bestimmte Bücher und Filme prägten die Bewegung. Im Oldenburger Münsterland waren es besonders die im März 1984 im ARD-Hauptabendprogramm ausgestrahlte Reportage „Und ewig stinken die Felder“ von Kleinschmidt und Eimler und deren Buch „Wer hat das Schwein zur Sau gemacht?“ (Kleinschmidt/Eimler 1984), die der regionalen Umweltdebatte Nahrung gaben. Der Film und das Buch zeigen mit deutlichen Bildern und Worten die negativen Seiten der regionalen Intensivlandwirtschaft.
Die zweite Phase der Ausdehnung des Ökolandbaus fand laut ‚SÖL’ zwischen 1988 und 2000 statt. Die Gründe für die zweite Ausbreitungswelle liegen insbesondere in der Einführung von staatlichen Subventionen ab 1989 und in der Verbesserung der institutionellen Rahmenbedingungen, etwa durch die Gründung eines bundesweiten Dachverbandes der Ökoanbauverbände (‚Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau’, ‚AGÖL’). Auch die Wiedervereinigung spielt eine Rolle: In den neuen Bundesländern breitete sich der Ökolandbau nach der Wende rasch aus (vgl. SÖL 2008a).
Seit dem Jahr 2001 befindet sich der Ökolandbau in seiner dritten Ausdehnungsphase. Deren Auslöser war die von der damaligen Bundesverbraucherschutzministerin Renate Künast ausgerufene „Agrarwende“ (vgl. Kuhnert 2004: 7) in Deutschland, die einen Anteil von 20% ökologisch bewirtschafteter Fläche an der gesamten Agrarfläche bis zum Jahr 2010 zum Ziel hatte und durch verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Ökosektor erreicht werden sollte (vgl. ebd.: 6). Dazu gehörten etwa der Ausbau der im Jahr 1989 eingeführten staatlichen Förderungen oder die Etablierung eines einheitlichen Bio-Siegels (vgl. SÖL 2008b).
Traditionell wird die Organisation des Ökolandbaus in Deutschland von verschiedenen, selbstorganisierten Anbauverbänden übernommen. Dabei ist ‚Demeter’ mit dem Gründungsjahr 1924 der Älteste und ‚Bioland’ mit über 4.500 Betrieben der Größte (vgl. SÖL 2008b). Die Verbände verfügen über eigene Regelwerke, nach denen die zugehörigen Landwirte wirtschaften. Die Waren werden dann mit einem verbandsspezifischen Logo gekennzeichnet und vermarktet. Dafür stellen die Verbände meist ein logistisches Netzwerk zur Verfügung. Doch neben der passiven Vermarktung über den Verband ist in der Ökobranche auch die aktive Direktvermarktung ab Hof oder auf Wochenmärkten weit verbreitet. Neben der Vermarktungsorganisation sind die Verbände beratend tätig, vertreten die Interessen ihrer Mitglieder (vgl. BÖL 2008a) und bieten ihnen die Möglichkeit, untereinander Erfahrungsaustausch zu betreiben. Meist geschieht dies in regionalen Arbeitsgruppen (vgl. Sattler et al. 2004: 30).
Tab. 1: Die in Deutschland tätigen Anbauverbände
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: SÖL 2008b
Während der ‚Bund Ökologischer Lebensmittelwirtschaft’ (‚BÖLW’; Nachfolger des ‚AGÖL’) als deutscher Dachverband fungiert (vgl. BMELV 2008), ist auf internationaler Ebene die ‚Internationale Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen’ (IFOAM) tätig, zu der ca. 750 Verbände aus über 100 Staaten gehören (vgl. ebd.). An dessen Prinzipien (siehe Kap. 2.1) ist auch die EG-Öko-Verordnung aus dem Jahr 1991 angelehnt, die die Richtlinien des Ökolandbaus auf eine europäische Gesetzesgrundlage stellt und mehrfach den modernen Anforderungen angepasst wurde. Sie „schützt die Verbraucher vor Täuschungen und verhindert unlauteren Wettbewerb – europaweit. Ihren Standards müssen alle in der Europäischen Union erzeugten und verkauften Öko-Produkte entsprechen“ (BMELV 2008). Dabei sind die Richtlinien meist weniger streng als die der Anbauverbände (Best 2006: 6). Sie ermöglicht es Ökolandwirten jedoch, Bioprodukte zu erzeugen und zu verkaufen, ohne einem Verband angeschlossen zu sein. Die Produkte können dann in Deutschland mit dem im Jahr 2001 eingeführten Bio-Siegel versehen werden, das auf den Richtlinien der EG-Öko-Verordnung beruht. Seitdem hat der Anteil der verbandsfreien Ökobetriebe stark zugenommen und lag im Jahr 2006 schon bei 45,06% (vgl. SÖL 2008a).
Da die Ökobetriebe strengen Qualitätsrichtlinien verpflichtet sind, müssen sie sich auf der einen Seite regelmäßigen Kontrollen unterziehen (vgl. BMELV 2008). Auf der anderen Seite genießen sie besondere staatliche Förderungen. Die EU, der Bund und die Länder teilen sich die Subventionen zu unterschiedlichen Anteilen. Für einen Ökobetrieb stellen die ersten Jahre nach der Umstellung in der Regel eine besondere Härte dar, weil zwar schon die ökologischen Richtlinien eingehalten werden müssen, aber die Erzeugnisse erst nach einer Frist von zwei bis drei Jahren als ‚Bio’ verkauft werden dürfen (vgl. ebd.).
Abb. 1:
Das deutsche Bio-Siegel
Quelle: Bio-Siegel 2008b
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Ökolandbau verzeichnet in Deutschland kontinuierliche Wachstumszahlen, was in den Medien auch als „Bioboom“ (Daniels 2007: 38, Bonstein et al. 2007: 36) bezeichnet wird. Während im Jahr 1996 noch 7.353 Ökobetriebe 354.171 ha Agrarfläche ökologisch bewirtschafteten, waren es zehn Jahre später schon 17.557 Ökobetriebe und 825.539 ha Ökofläche. Das sind 4,6% aller Landwirtschaftsbetriebe und 4,9% der gesamten Agrarfläche in Deutschland (vgl. SÖL 2008a). Die folgenden Diagramme vermitteln einen Eindruck über die enormen Wachstumsraten im Bereich der Flächenausdehnung und der Zahl der Ökobetriebe:
Abb. 2: Ökologisch bewirtschaftete Fläche u. Anzahl der Öko-Betriebe in Deutschland
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: SÖL 2008a
Dem starken Wachstum auf Seiten der Ökoproduzenten steht auf der Konsumentenseite eine kontinuierlich steigende Nachfrage nach Ökolebensmitteln gegenüber. Alleine im Jahr 2006 wurde auf dem Öko-Markt ein Umsatz von 4,6 Milliarden Euro erzielt – ein Plus von 18% im Vergleich zum Vorjahr (vgl. SÖL 2008a). Gleichzeitig nimmt die Zahl und die Vielfalt der Lebensmittel zu, die das Bio-Siegel tragen. Im Januar 2008 nutzten es 2.599 Firmen auf 45.010 Produkten (vgl. Bio-Siegel 2008a). Laut einer Umfrage des Magazins ‚Der Spiegel’ über die wesentlichen Gründe für den Kauf von Ökoprodukten ist für 71% der befragten Kunden der gesundheitliche Wert ausschlaggebend. Für weitere 20% stehen Tier- und Umweltschutzaspekte im Vordergrund, während schließlich 5% der Kunden Ökoprodukte aus sozialen und politischen Gründen kaufen (vgl. Bonstein et al. 2007: 35).
Ein baldiges Abflauen des Biobooms ist nicht zu erwarten (SÖL 2008a). Dabei kann die steigende Nachfrage an Ökoprodukten schon jetzt nicht mehr mit dem vorhandenen Angebot aus Deutschland gedeckt werden, weshalb ein immer größerer Anteil aus dem Ausland importiert werden muss. Laut ‚SÖL’ hat sich der Bioboom bisher immer noch nicht ausreichend „auf die Bereitschaft einer steigenden Zahl deutscher Landwirte ausgewirkt, ihre Betriebe auf den Öko-Landbau umzustellen“ (ebd.).
Doch das starke Wachstum des vormals so überschaubaren Ökosektors bringt auch wieder jene Entwicklungen mit sich, gegen die „die Urväter der Bewegung einst antraten: Preiskämpfe, Rationalisierungen, Einkauf in Billiglohnländern. Dazu üppige Verpackungsfluten und eine anonyme Massenproduktion“ (Bonstein et al. 2007: 24). Weiter forciert wurden diese Begleiterscheinungen durch den Einstieg der Discounterketten in den Handel mit Ökoprodukten im Jahr 2006. Schon jetzt ist ‚Aldi’ „Deutschlands größter Verkäufer von Bio-Kartoffeln“ (ebd.: 26). Die traditionellen Vermarktungswege verlieren indessen zunehmend an Bedeutung. Davon betroffen sind die Direktvermarktung einschließlich der Wochenmärkte und die Reformhäuser (vgl. SÖL 2008a).
Das Oldenburger Münsterland, das sich aus den beiden niedersächsischen Landkreisen Cloppenburg und Vechta zusammensetzt, gilt als „Prototyp der industrialisierten Landwirtschaft in Deutschland“ (Klohn/Windhorst 2001: 7). Es hat in 110 Jahren eine enorme Entwicklung vollzogen; vom „Armenhaus Deutschlands“ (Verbund OM 2005: 2), einem naturräumlich kargen Landstrich, der von landwirtschaftlicher Selbstversorgung und Armut geprägt war (vgl. Schubert 2000: 65, 73), hin zu einem „agrarischen Intensivgebiet“ (Klohn/Windhorst 2001: 7), in dem die konventionelle Landwirtschaft mit den ihr vor- und nachgelagerten Industriezweigen ein tragender Wirtschaftspfeiler ist. Daher finden sich für die Region heute einerseits rühmende Zuschreibungen wie etwa „Wachstumsmotor Niedersachsens“ (Verbund OM 2005: 2). Andererseits existieren auch kritische Begrifflichkeiten wie etwa „Land der Güllelagunen“ (Kleinschmidt/Eimler 1984: 11), die meist auf die vielschichtigen Folgen der dortigen Intensivtierhaltung anspielen.
Wie auch immer die Entwicklung bewertet wird, kann konstatiert werden, dass die 2.230 Quadratkilometer große Region mit ihren ca. 288.500 Einwohnern (vgl. Verbund OM 2005: 1) ihre „endogenen Potentiale“ (Hartke 1995: 219f) nutzen konnte. Es hat eine hohe „räumliche“ und „sektorale Konzentration“ (Klohn/Windhorst 2001: 55) der Agrarwirtschaft stattgefunden. Die Ursache dafür liegt insbesondere in der Geschichte des Oldenburger Münsterlandes begründet, aber auch in seinen sozialen und kulturellen Besonderheiten. Darauf wird im Folgenden näher eingegangen. Auch die aktuelle Struktur der Agrarwirtschaft und die daraus resultierenden Probleme sollen erläutert werden. Dabei wird sich zeigen, dass die Region von relativer Homogenität gekennzeichnet ist.
Abb. 3: Das aktuelle Logo des Oldenburger Münsterlandes
Quelle: Tourismusverband Niedersachsen 2008
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: Die niedersächsischen Landkreise
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Diese Abbildung gewährt einen Überblick über die
niedersächsischen Landkreise. Das Oldenburger Münsterland im westlichen Teil des Bundeslandes ist hervorgehoben dargestellt.
Quelle: Niedersachsen 2008; eigene Hervorhebungen
Das Jahr 1400 markiert den Anfang der Geschichte des Oldenburger Münsterlandes (vgl. Schubert 2000: 45). In jenem Jahr wurde das tecklenburgische Amt Cloppenburg offiziell dem Fürstbistum Münster angeschlossen, nachdem es zuvor von diesem erobert worden war. Damit gehörte es erstmals zum gleichen Herrschaftsgebiet wie das Amt Vechta, welches bereits seit dem Jahr 1252 einen Teil des Fürstbistums bildete (vgl. Frerichs 2000: 11). Der Bischof von Münster war geistliches und weltliches Oberhaupt zugleich (vgl. Schubert 2000: 45).
Eine weitere markante Jahreszahl ist 1803: Im Juli jenen Jahres wechselten Cloppenburg und Vechta erneut ihre Zugehörigkeit. Die beiden münsterschen Ämter wurden säkularisiert und dem Herzogtum Oldenburg angegliedert, nachdem dies im Reichsdeputationshauptschluss vom März 1803 festgelegt wurde (Eberspächer 2003: 6f). Dieses Reichsgesetz sollte die weltlichen Fürsten, die durch Napoleon linksrheinische Gebiete verloren hatten, mit geistlichen Fürstentümern entschädigen. Zwar hatte das Herzogtum Oldenburg keine Gebietsverluste erlitten, jedoch wurde es mit diesem Gesetz gezwungen, den Elsflether Weserzoll einzustellen (ebd.). Im Gegenzug erhielt Oldenburg das Fürstbistum Lübeck, das hannoversche Amt Wildeshausen und eben die münsterschen Ämter Cloppenburg und Vechta (vgl. ebd.: 7). Kirchenrechtlich blieben diese jedoch auch weiterhin dem Bistum Münster zugeordnet (Baumann/Sieve 2006: 57). Trotz der Angliederung des Oldenburger Münsterlandes an das Herzogtum Oldenburg gab es bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kaum Verbindungen zwischen den beiden Landesteilen, da „Moor und Heide wie eine natürliche Grenze“ (Schubert 2000: 61) zwischen ihnen wirkten.
Im Jahr 1817 wurde der territoriale Zuschnitt Südoldenburgs durch einen Gebietstausch mit dem Königreich Hannover leicht verändert. „Damme und Neuenkirchen sowie Goldenstedt bis auf Rüssen“ (ebd.) gehörten im Tausch mit Twistringen nun auch zum Oldenburger Münsterland.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ging das inzwischen zum Freistaat gewordene Land Oldenburg, und damit auch das Oldenburger Münsterland, schließlich im neu gegründeten Land Niedersachsen auf. Da Cloppenburg und Vechta aber trotz mehrfacher Zugehörigkeitswechsel seit dem Jahr 1400 territorial wie auch „kulturell, wirtschaftlich, mental und konfessionell“ (Frerichs 2000: 11) miteinander verbunden blieben, stellte sich das ein, was heute oft als „Einheit in der Zweiheit“ (ebd.) beschrieben wird: Als Zweiergespann bilden die heutigen Landkreise Cloppenburg und Vechta eine einheitliche Region innerhalb Niedersachsens. Die feste Verankerung als Region zeigt sich auch darin, dass sie unter zwei identitätsstiftenden Namen bekannt ist: Während sich die Bezeichnung Oldenburger Münsterland aus dem Zugehörigkeitswechsel von Münster nach Oldenburg im Jahr 1803 erklärt (vgl. Schubert 2000: 64), weist der alternative Name „Südoldenburg“ (Klohn/Windhorst 2001: 8) auf die geographische Lage hin.
Was die soziale und kulturelle Dimension angeht, ist das Oldenburger Münsterland von relativer Homogenität gekennzeichnet. Bis heute lassen sich eine eigene Identität und ein Abgrenzungsverhalten gegenüber den Nachbarkreisen erkennen, dessen Ursache in der Geschichte („Einheit in der Zweiheit“) begründet liegt.
Trotz der Angliederung an das Herzogtum Oldenburg im Jahr 1803 wirkten im Oldenburger Münsterland die kulturellen, mentalen und wirtschaftlichen Orientierungen an Münster und Westfalen noch über Jahrzehnte nach (vgl. Schubert 2000: 64). Zum einen lag dies an der schlechten Verkehrsanbindung an den alten Teil des Herzogtums Oldenburg und an den damit einhergehenden geringen sozialen Kontakten zu den Nachbarregionen. Zum anderen hatte es auch mit der unterschiedlichen konfessionellen Ausrichtung des alten und des neuen Landesteils zu tun. Während das alte Herzogtum protestantisch geprägt war, kam mit dem Oldenburger Münsterland ein katholisch ausgerichteter Landesteil hinzu (vgl. ebd.). Zudem wurde dieser trotz seiner neuen politischen Zugehörigkeit zu Oldenburg kirchenrechtlich immer noch von Münster gelenkt. Diese in mehrfacher Hinsicht eingekapselte Lage führte bei den Bewohnern des Oldenburger Münsterlandes zu der Herausbildung einer eigenen Identität, die bis heute wahrnehmbar ist. Nach Schubert entwickelte sich „ein Eigenbewusstsein, das aus dem Nebeneinander der beiden ehemals münsterschen Ämter ein Miteinander werden ließ“ (ebd.). Frerichs geht sogar von einem „engen Konsens der Bevölkerung“ (Frerichs 2000: 11) aus. Die Homogenität zeigt sich u.a. an der noch heute bestehenden konfessionellen Situation und am Wahlverhalten. Die Bewohner des Oldenburger Münsterlandes sind zu 80% katholisch (vgl. Klohn/Windhorst 2001: 8) und weisen mehrheitlich eine starke Parteibindung an die CDU auf. Beispielsweise lag ihr Stimmenanteil bei den Kreistagswahlen im Jahr 2006 bei etwa 70% (vgl. NLS 2008).
Diese Persistenzen finden ihren Ursprung in den sozialen Verhältnissen der vorigen Jahrhunderte – vor allem in der allgegenwärtigen „Armut als prägendem Faktor“ (Schubert 2000: 69) und in dem marginalen Vorhandensein eines Bürgertums als gesellschaftliche Oberschicht (vgl. ebd.). Die „mentale Konstante“ (ebd.: 75) der Einwohner bildete durch alle sozioökonomischen und politischen Veränderungen hindurch stets der katholische Glaube. Daher hatten nach Schubert sowohl die im Jahr 1543 durchgesetzte „protestantische Kirchenordnung“, die die Reformation im Oldenburger Münsterland einleiten sollte, als auch die Ablösungsgesetzgebung (Bauernbefreiung) und die Gemeinheitsteilungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wenig Einfluss auf die konfessionelle und soziale Situation in der Region (vgl. ebd.: 50f, 68f). Auch die Ideologien des Kommunismus und des Nationalsozialismus fanden dort kaum Verankerung (vgl.: Mütter 1989: 253, Schubert 2000: 75).
Neben der Dominanz der Agrarwirtschaft, des Katholizismus und des Christdemokratismus ist für die Region heute auch eine überdurchschnittlich hohe Geburtenrate charakteristisch. Entgegen dem Bundestrend von 1,3 Kindern je Frau (vgl. Statistisches Bundesamt 2008) liegt die Geburtenrate im Landkreis Cloppenburg bei 1,9. Zusammen mit dem Landkreis Vechta gehört er damit zu den fertilsten Kreisen in Deutschland (vgl. Spiegel Online 2006). Insgesamt wird prognostiziert, dass die Bevölkerung des Oldenburger Münsterlandes durch Geburten und Zuwanderung bis zum Jahr 2021 um 8,1% zunehmen wird (Verbund OM 2005: 1), was erneut gegen den Bundestrend verläuft (vgl. Statistisches Bundesamt 2006: 25).
Was die „agrarwirtschaftliche Entwicklung“ (Klohn/Windhorst 2001: 11) der Region angeht, grenzen Klohn und Windhorst sechs Phasen voneinander ab, wobei die Forscher den Fokus ausschließlich auf die konventionelle Landwirtschaft legen.
Die Zeit bis zum Jahr 1894 bezeichnen sie als „Phase der Subsistenzwirtschaft“ (ebd.), die vor allem von „Armutsökonomie“ (Schubert 2000: 73) und einer hohen Kriminalität (vgl. ebd.) gekennzeichnet war. Die zumeist unfruchtbaren Böden hatten zur Folge, dass die Bauern kaum Vieh halten konnten, da die Futtergrundlage fehlte; aufgrund der geringen Viehzahl stand wiederum wenig natürlicher Dünger zur Verfügung. Die Einfuhr von Futtermittel oder Mineraldünger konnte kaum bewerkstelligt werden, da die Verkehrsanbindung mangelhaft war. Daher war auch ein regionsübergreifender Absatz der Erzeugnisse schwierig (vgl. Klohn/Windhorst 2001: 11). Ein Teufelskreis. Die stetig wachsende Bevölkerung der Region, die mit der heimischen Landwirtschaft kaum noch zu ernähren war, verschärfte die Situation zusätzlich. Wer von den bäuerlichen Existenzen nicht Voll- oder Halberbe war, galt als arm. Besonders betroffen waren die „Heuerlinge“ (vgl. Schubert 2000: 69), die einen Ausweg in der Saisonarbeit als Hollandgänger oder der Auswanderung suchten (vgl.: Klohn/Windhorst 2001: 11, Schubert 2000: 69). Zu dieser kleinbäuerlichen Schicht gehörten u.a. abgehende Bauernsöhne, die von Erbbauern Land erhielten und die Pacht abarbeiten mussten (vgl. Schubert 2000: 69), so dass sie sich in „’quasi-feudaler’ Abhängigkeit“ (Kölsch/Dettmer 1990: 9) von ihren Verpächtern befanden. Die Heuerlinge machten zu Beginn des 19. Jahrhunderts über 50% der Einwohner im Oldenburger Münsterland (vgl. Mütter 1989: 240) aus.
Der Bau von Eisenbahnlinien durch das Gebiet läutete die „1. Phase der Intensivierung“ (Klohn/Windhorst 2001: 11) ein. Sie liegt nach Klohn und Windhorst zwischen 1895 und 1914. Mit der Bahn konnten nun sowohl Futter und Mineraldünger von den Küstenhäfen eingeführt als auch die Agrarerzeugnisse in die Industriegebiete an Rhein und Ruhr und in weitere urbane Räume abgesetzt werden (vgl. Klohn/Windhorst 2001: 11). Besonders die Heuerlinge nutzten diese neuen Möglichkeiten. Sie zeichneten sich in der Folgezeit „durch einen hohen Grad an Innovations- und Risikobereitschaft sowie an wirtschaftlicher Flexibilität“ (Nischwitz 1996: 21) aus. Die relativ kleinen Betriebsgrößen und die neuen Rahmenbedingungen begünstigten im Zusammenspiel eine Spezialisierung auf die tierische Veredelung (vgl. ebd.).
Von 1914 bis 1949 folgte eine „Phase der Instabilität“ (Klohn/Windhorst 2001: 12), die von den beiden Weltkriegen eingerahmt wurde. Die Kriegsjahre, die Weltwirtschaftskrise und die Autarkiebestrebungen während der Zeit des Nationalsozialismus hatten ein „dauerndes Auf und Ab“ (ebd.) der agrarischen Entwicklung des Oldenburger Münsterlandes zur Folge (vgl. ebd.).
Als „2. Phase der Intensivierung“ (Klohn/Windhorst 2001: 12) bezeichnen Klohn und Windhorst die Jahrzehnte zwischen 1950 und 1980, die im Hinblick auf die Entwicklung der Region zu einem landwirtschaftlichen Intensivgebiet besonders bedeutend waren. „Eine lange Friedensphase, wachsender Wohlstand, steigende Nachfrage nach tierischen Nahrungsmitteln, nahezu unbegrenzte Importmöglichkeiten für Futter, die konsequente Nutzung von technischen Neuerungen, die enge Kooperation mit vor- und nachgelagerten Unternehmen und der kontinuierliche Ausbau einer leistungsfähigen Infrastruktur waren es, die diesen Expansionsprozess steuerten“ (ebd.). Günstig wirkten sich auch neue rechtliche Organisationsmöglichkeiten der Produktion und Verbesserungen in der Tierzucht aus (vgl. ebd.: 13). Zu den dominierenden bäuerlichen Familienbetrieben kamen eine Reihe von neu gegründeten Wirtschaftsunternehmen im Agrarsektor hinzu (vgl. ebd: 12), wobei die „Industrialisierung der Agrarwirtschaft“ (ebd.: 31) mit den Attributen Technisierung, Kapitalisierung und Standardisierung bei beiden Betriebsformen Einzug hielt (vgl. ebd.).
Die negativen Folgen der industrialisierten Agrarwirtschaft standen in der „Phase zunehmender ökologischer Probleme“ (Klohn/Windhorst 2001: 14) von 1980 bis 1992 im Mittelpunkt. Darauf soll in Kapitel 3.4 ausführlich eingegangen werden.
Die sechste und seit 1992 andauernde Phase nennen Klohn und Windhorst „Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen“ (ebd.). Die regionale Landwirtschaft steht modernen Herausforderungen gegenüber, die teilweise aus „Veränderungen in den sozioökonomischen und politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen“ (Nischwitz 1996: 23) herrühren. Es geht bspw. um den Umgang mit ökologischen Problemen oder die Anpassung an veränderte Konsumentenansprüche (vgl. Klohn/Windhorst 2001: 14). Aktuell bestimmen insbesondere die Möglichkeiten und Grenzen von Biogasanlagen den regionalen Diskurs (vgl. Windhorst 2007: 1ff). Gleichzeitig herrscht unter den Landwirtschaftsbetrieben ein permanenter Verdrängungswettbewerb unter dem Motto „Wachsen oder Weichen“ (vgl. Mose 2005: 574).
Im Jahr 2001 gab es 4.984 Landwirtschaftsbetriebe im Oldenburger Münsterland, die zusammen 163.047 ha Land bewirtschafteten und eine durchschnittliche Betriebsgröße von 32,3 ha im Landkreis Cloppenburg und 33,4 ha im Landkreis Vechta hatten, was unter dem niedersächsischen Durchschnitt von 42,3 ha liegt (vgl. Klohn/Windhorst 2001: 24, 29). Die Mehrheit der Betriebe ist in beiden Landkreisen auf die tierische Veredelung spezialisiert. Während die Milchkuh- und die Schweinehaltung dabei meist in der Hand von bäuerlichen Familienbetrieben liegen, haben sich in der Geflügelhaltung agrarindustrielle Unternehmen herausgebildet (vgl. ebd.: 26). In der folgenden Tabelle lassen sich für Mai 2003 u.a. die enorm hohen Tierbestandszahlen im Oldenburger Münsterland sowie ihr relativer Anteil an den Gesamttierzahlen in Niedersachsen ablesen:
Tab 2: Viehbestand im Mai 2003
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Verbund OM 2007: 21
Um den primären Sektor der Agrarwirtschaft herum hat sich im Laufe der Jahrzehnte eine Vielzahl von vor- und nachgelagerten Wirtschaftsunternehmen im sekundären und tertiären Sektor gebildet, die eng mit den Landwirtschaftsbetrieben zusammenarbeiten (vgl. Klohn/Windhorst 2001: 18). Dazu gehören die Nahrungs- und Genussmittelindustrie, die Kunststoffverarbeitung und der Maschinen- und Anlagenbau (vgl. Verbund OM 2007: 1). Die regionalen Wirtschaftsdaten weisen insgesamt positive Werte auf; darunter auch das Bruttoinlandsprodukt. Während es im Land Niedersachsen seit 1992 um rund 28% und im Weser-Ems-Gebiet um rund 38% wuchs, legte das Bruttoinlandsprodukt im Oldenburger Münsterland um rund 86% zu (vgl. ebd.: 17; eigene Berechnungen).
Tab 3: Bruttoinlandsprodukte ab 1992
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Verbund OM 2007: 17
Parallel dazu stieg in den vergangenen Jahren auch die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs im Industrie- und im Dienstleistungssektor (vgl. Verbund OM 2007: 37, 39, 41). Die regionale Arbeitslosenquote liegt seit Anfang der 1990er Jahre unter dem Landesschnitt und unter dem des Weser-Ems-Gebietes (vgl. ebd.: 15). Insgesamt hat der Agrarsektor für die regionale Gesamtwirtschaft und den Arbeitsmarkt eine hohe Bedeutung.
Im Gegensatz zum konventionellen Agrarsektor ist der Ökolandbau im Oldenburger Münsterland nahezu bedeutungslos. Während die Öko-Flächen im Landkreis Cloppenburg im Jahr 2003 einen Anteil von 1,1% an den gesamten landwirtschaftlich genutzten Flächen hatten, lag dieser Wert im Landkreis Vechta gerade einmal bei 0,5%. Einen geringeren Anteil weist in Niedersachsen nur das Ammerland mit 0,3% auf (vgl. KÖN 2007). Ohnehin werden in Niedersachsen nur 2,5% der gesamten Landwirtschaftsfläche nach den EU-Bio-Standards bewirtschaftet, womit das Bundesland im deutschlandweiten Vergleich das Schlusslicht bildet (vgl. ZMP 2008).
Eine von Best durchgeführte Stichprobenuntersuchung ergab, dass ca. 15% der niedersächsischen Ökolandwirte die Umstellung vor 1995 vollzogen haben. Rund 30% stellten ihren Betrieb im Zeitraum zwischen 1995 und 1999 um und über die Hälfte nach dem Jahr 2000 (vgl. Best 2006: 41).
Abb. 5: Öko-Anteile an landwirtschaftlich genutzter Fläche in Niedersachsen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Diese Abbildung zeigt den Anteil ökologisch bewirtschafteter Fläche an der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche pro niedersächsischem Landkreis. Das Oldenburger Münsterland ist hervorgehoben dargestellt.
Quelle: KÖN 2007; eigene Hervorhebung
Durch die extrem hohe regionale und sektorale Konzentration der Agrarwirtschaft im Oldenburger Münsterland, verbunden mit deren industrieller Produktionsweise, haben sich im Laufe der Zeit teils schwerwiegende Problemfelder herausgebildet, die im folgenden näher erläutert werden sollen. Im Kern handelt es sich um ökologische Probleme, um seuchenhygienische Risiken, ethische Bedenken sowie um Raumnutzungskonflikte.
Dadurch, dass die Landschaft des Oldenburger Münsterlandes stark in die agrarischen Produktionsprozesse eingebunden ist, kommt es immer wieder zu Konflikten, was allgemeine Fragen der Raumnutzung angeht. Besonders bei Klohn wird deutlich, dass Landwirtschaft, Industrie, Gewerbe, Tourismus, Wohnbebauung und Umweltschutz teils divergierende Ansprüche an die Landschaft stellen (Klohn 1993: 7ff). Aufgrund gültiger Rechtsvorschriften haben die Landkreise und Kommunen nur eingeschränkte Möglichkeiten, die Raumnutzung nach ihrem Sinne zu lenken (vgl. Klohn/Windhorst 2001: 135).
Die ethischen Bedenken betreffen vor allem die intensiven Tierhaltungsbedingungen. Sie werden meist von diversen Naturschutzverbänden (vgl. ebd.: 71, 82), aber auch von kritischen Autoren und Regisseuren artikuliert (vgl. Kleinschmidt/Eimler 1984).
Darüber hinaus bringen die hohen Tierbestände auch seuchenhygienische Risiken mit sich. Der Grund dafür liegt in der „außerordentlichen Verdichtung der Stallanlagen“ (Klohn/Windhorst 2001: 34), die das Risiko einer schnellen Ausbreitung einer Seuche erhöht. Befürchtungen, die Verdichtung führe auch zu Atemwegserkrankungen beim Menschen, konnten nach einer in der Region durchgeführten Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München zwar nicht bestätigt werden, jedoch wurde von den Teilnehmern eine „subjektive Geruchsbelästigung eng mit einer Einschränkung der körperlichen und emotionalen Lebensqualität assoziiert“ (vgl. LMU München 2004).
Die ökologischen Probleme zeigen sich am deutlichsten und werden seit Anfang der 1970er Jahre diskutiert (vgl. Klohn/Windhorst 2001: 14). Neben den bedenklichen Monokulturen, wie sie im Oldenburger Münsterland vor allem in Form von Mais zu beobachten sind, stellt der hohe Anfall von tierischen Exkrementen (Gülle) aufgrund der stetigen Ausweitung der Tierbestände die größte Gefahr für das regionale Ökosystem dar. Während die Bevölkerung mit einer starken Geruchsbelästigung konfrontiert wird, wenn die Gülle als Wirtschaftsdünger auf die Felder ausgebracht wird, stellt die stetige Überdüngung des Bodens das Kernproblem dar. Die Ursache ist das zugekaufte Tierfutter. Es wirkt später wie ein „zusätzlicher Input“ (ebd.: 111) in das Ökosystem des Oldenburger Münsterlandes, wodurch der natürliche Stoffkreislauf aus dem Gleichgewicht gerät. Die Nutzpflanzen können die dem Boden zugeführten Nährstoffe, vor allem Phosphat und Stickstoff, nicht mehr verwerten; ein Nährstoffüberschuss entsteht. Dies hatte u.a. zur Folge, dass Anfang der 1980er Jahre „steigende Nitratwerte im Wasser des Wasserwerks Holdorf im Südkreis Vechta und außerordentlich hohe Werte in den privaten Trinkwasserbrunnen nachgewiesen“ (ebd.) wurden, so dass die Aufsichtsämter die Nutzung dieser Brunnen untersagen mussten. Ein weiteres Problem ist die Belastung durch Gase wie Ammoniak, Methan oder Kohlendioxid. Sie entweichen vor allem über die Stallluft und können das Klima, Pflanzen und Böden schädigen (vgl.: Klohn/Windhorst 2001: 110, Nischwitz 1996: 68f).
Der Gesetzgeber hat im Laufe der Jahre verschiedene Instrumente entwickelt, die den Problemen entgegenwirken sollen. Als Wichtigstes sei hier die seit 1996 geltende bundesweite „Düngeverordnung“ (Klohn/Windhorst 2001: 112) erwähnt, die im Kern vorgibt, dass die „Anwendung von Düngemitteln zeitlich und mengenmäßig so zu bemessen [ist], dass die Nährstoffe von den Pflanzen weitestgehend ausgenutzt werden können“ (ebd.: 114).
Während der Recherchen zu dieser Diplomarbeit stellte sich heraus, dass die Umstellungsgründe von Ökolandwirten aus dem Oldenburger Münsterland bisher noch nicht erforscht zu sein scheinen. Wissenschaftliche Lektüre zu diesem Thema war nicht aufzufinden. Es gibt allerdings eine Reihe von Arbeiten, die sich auf die Umstellung im Allgemeinen oder bezogen auf andere Regionen konzentrieren. Ebenso existiert eine breite Forschungslektüre über das Oldenburger Münsterland an sich.
In diesem Kapitel sollen die Ergebnisse einiger Studien vorgestellt werden, die im Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit besonders relevant sind. Zunächst werden mit Kölsch/Dettmer und Nischwitz zwei Untersuchungen über die Region exzerpiert, wonach dann mit Best und Sattler et al. der Fokus auf mögliche Beweggründe für eine Umstellung gelegt wird. Abschließend geht es bei Larcher/Vogel um den Wandel vom Verhalten und den Einstellungen von Ökolandwirten.
In ihrer Studie „Agrarfabriken oder bäuerliche Wirtschaftsweise?“ (Kölsch/Dettmer 1990: 1) haben Kölsch und Dettmer die Einstellungen und Motive von Landwirten aus dem Landkreis Vechta sowie deren Umwelthandeln untersucht – stets im Hinblick auf die von ihnen praktizierte Wirtschaftsweise (vgl. ebd.: 5). Dazu führten die Forscher mit 44 konventionellen Landwirten, 4 Agrarindustriellen und 13 Experten aus dem Agrarbereich themenzentrierte Interviews durch, welche sie mit qualitativen sozialwissenschaftlichen Methoden auswerteten (vgl. ebd.: 6).
Interessant dabei sind besonders die Ergebnisse, die im Hinblick auf soziale, religiöse und ökologische Handlungsmuster gewonnen wurden. Die Forscher entdecken ein widersprüchliches Nebeneinander aus „Individualismus“ (ebd.: 50), der sich im fortschrittlichen ökonomischen Handeln der Betriebsleiter zeige, und einer konservativen „Ideologie der Gemeinschaft“ (ebd.: 50), die sich durch Vereine, Nachbarschaftshilfe und Traditionspflege ausdrücke (vgl. ebd.). Die öffentliche Kritik an der industrialisierten Landwirtschaft und die „Brandmarkung der Region und ihrer Agrarproduzenten als religiös-kulturell andersartig“ (ebd.: 66) bestärke zusätzlich „die lokale Solidarität und Identität“ (ebd.) – ein Phänomen, das auch Nischwitz beschreibt (Nischwitz 1996: 165). Das Gemeinschaftsgefühl führe dabei einerseits zu „vielen sozialen Bindungen“ (Kölsch/Dettmer 1990: 47), andererseits aber auch zu „einer starken sozialen Kontrolle“ (ebd.) und zu Ausgrenzungsverhalten gegenüber denjenigen, „die sich abweichend verhalten“ (ebd.). Dies wirft unter Berücksichtigung der Zielsetzung dieser Diplomarbeit die Frage auf, ob sich die regionalen Ökolandwirte dementsprechend als Abweichler fühlen und ob die Kenntnis über das zu erwartende ausgrenzende Sozialverhalten ihre Umstellungsentscheidung beeinflusst hat.
Die Widersprüche zwischen Tradition und Modernisierung zeigten sich neben dem sozialen auch im religiösen Handeln. Den Forschern fiel in den Interviews auf, dass von den Befragten trotz der starken Präsenz des Katholizismus „kaum christlich-religiöse Inhalte angesprochen wurden“ (ebd.: 64). Nur einer der 61 Befragten bezog sich auf ein Zitat aus der Bibel, das allerdings eine ökonomische Lehrformel beinhaltet (vgl. ebd.: 64). Dementsprechend finde die „Ehrfurcht vor der Schöpfung“ (ebd.: 65) auch keine Verankerung im Umwelthandeln.
Obwohl der Umweltschutz von allen Befragten als wichtig angesehen werde (vgl. ebd.: 95), ließen nur wenige von ihnen Betroffenheit über die ökologischen Schäden und eine kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln erkennen (vgl. ebd.: 98). Verantwortlich für die Umweltschäden seien vielmehr vereinzelte „schwarze Schafe“ (ebd.: 104) sowie „die Agrarindustrieellen“ (ebd.: 106). Kölsch und Dettmer führen als Erklärung für das Verhalten der Landwirte „Abwehrhaltungen“ gegen die kritische Öffentlichkeit (ebd.: 101), aber auch Entfremdungstendenzen von der Natur an, die von der „Flächenunabhängigkeit der heutigen Veredlung“ (ebd.: 107) herrühren (vgl. ebd.: 107).
Die Forscher nehmen abschließend eine Typisierung verschiedenartiger Agrarproduzenten vor. Von den insgesamt sieben Typen sind für diese Diplomarbeit besonders der „Typ des traditional naturorientierten Landwirts“ (ebd.: 135) und der „Typ des modernen naturorientierten Landwirts“ (ebd.: 139) interessant. Während für den Ersten traditionelle bäuerliche Werte handlungsrelevant seien, lasse der Zweite eher postmaterialistische Wertmuster erkennen (vgl. ebd.: 139). Gemeinsam sei ihnen, dass ihr ökonomisches Handeln als „Moralökonomie“ (ebd.: 136) bezeichnet werden kann, bei der auch ökologische Fragen einbezogen würden. Kölsch und Dettmer schreiben daher beiden Typen zu, dass sie „auch ohne gesetzlichen Druck in Zukunft umweltverträglicher wirtschaften und eine weitere Ökologisierung ihrer Produktionsweise anstreben“ (ebd.: 186). Obwohl von den Autoren nicht explizit erwähnt, legt diese Zuschreibung die Vermutung nahe, dass von diesen Typen das Potential für eine ökologische Betriebsumstellung ausgehen könnte. Über die prozentuale Verteilung der sieben Typen über die Grundgesamtheit der Vechteraner Agrarproduzenten sagen die Forscher aber nichts aus. Für diese Diplomarbeit stellt sich nun zusätzlich die Frage, ob bei den Ökolandwirten aus dem Oldenburger Münsterland Merkmale der beiden naturorientierten Typen von Agrarproduzenten erkennbar sind.
Nischwitz legt in seiner Studie den Fokus auf „die Veredelungswirtschaft in Südoldenburg unter dem Einfluss sich wandelnder sozioökonomischer und politischer Rahmenbedingungen“ (Nischwitz 1996: 1). Er geht davon aus, dass die Landwirtschaft seit den frühen 1980er Jahren einem „Umstrukturierungsprozess“ (ebd.: 17) unterworfen ist. Zum einen haben sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschärft, zum anderen werden bedingt durch den gesellschaftlichen Wertewandel neue Anforderungen an die Landwirtschaft gestellt. Waren ihre Hauptfunktionen traditionell die Nahrungsmittelproduktion und die ländliche Beschäftigung (ebd.: 17), kommen nun u.a. auch gesellschaftliche Forderungen nach „einer umweltverträglichen, tierartgerechten und qualitativ hochwertigen tierischen Erzeugung“ (ebd.: 18) hinzu. Verankert wurden die neuen Anforderungen in verschiedenen agrar- und umweltpolitischen Maßnahmen. Da dies für das Oldenburger Münsterland mit seiner ökologisch bedenklichen Intensivlandwirtschaft eine besondere Brisanz besitzt, untersucht Nischwitz, wie regionale Landwirte und Experten aus Politik und Verwaltung die aktuellen Probleme wahrnehmen und beurteilen (vgl. ebd.: 18). Zu diesem Zweck führte er mit 36 konventionellen Landwirten teilstandardisierte und mit 16 Experten problemzentrierte Interviews durch, die er dann nach den Regeln qualitativer Sozialforschung auswertete (vgl. ebd.: 33f).
Interessant für diese Diplomarbeit ist dabei, welche Erkenntnisse der Forscher über die Wahrnehmung von Umweltproblemen gewonnen hat. Ähnlich wie Kölsch und Dettmer stellt auch Nischwitz fest, dass die untersuchten Landwirte generell „zu einer positiven Selbstwahrnehmung des eigenen Verhaltens und der regionalen Umweltsituation“ (ebd.: 149) neigten. 20 der 36 Landwirte zeigten sich „unfähig oder nicht willens“ (ebd.), ökologische Probleme der Region zu benennen. Nur zwei von ihnen räumten schließlich Kritik am eigenen Umwelthandeln ein. Die Probleme würden vielfach für nichtig erklärt oder die Schuld bei Dritten gesucht (vgl. ebd.: 151), wobei auch hier „schwarze Schafe“ als Verursacher (ebd.: 143) angeführt würden. Während sich hier deutliche Übereinstimmungen mit den Befunden von Kölsch und Dettmer zeigen, beschreitet Nischwitz bei der Ursachenerschließung einen eigenen Weg. Er sieht die Gründe für das Verhalten der Landwirte in ihrer „ausgeprägt betriebsbezogenen Sichtweise“ (ebd.: 152) und ihrer „ausgeprägten Individualität im Handeln“ (ebd.: 191, 234). Dies habe zur Folge, dass die neuen gesellschaftlichen Anforderungen, was etwa den Umweltschutz betreffe, „als persönliche Angriffe auf ihre wirtschaftliche Existenz“ (ebd.: 152) bewertet würden, was zu der bekannten „Abwehrhaltung“ (ebd.) nach außen führe. Denn „das Eingeständnis einer umweltbelastenden Wirtschaftsweise wäre letztlich eine Legitimation für die umweltpolitischen Instrumentarien, die sie so vehement ablehnen“ (ebd.: 169). Überdies stellt der Autor fest, dass die Landwirte aus dem Oldenburger Münsterland ein „starkes Beharrungsvermögen in ihren Denk- und Handlungsmustern“ (ebd.: 237) aufwiesen, was es ihnen schwer mache, sich den neuen Anforderungen anzupassen. Genau darin liege aber auch die Krux, denn nach Nischwitz sei das Oldenburger Münsterland an einem „Wendepunkt in [seiner; W.S.] Entwicklungsgeschichte“ (ebd.: 235) angelangt, der einen „hohen Anpassungsbedarf“ (ebd.) erfordere.
Gleichwohl entdeckt der Forscher bei einzelnen Landwirten durchaus die Bereitschaft, sich auf eine umweltgerechtere Produktionsweise einzulassen – unter der Voraussetzung, dass sie sich ökonomisch auszahlt (vgl. ebd.: 156).
Angesichts dieser ernüchternden Befunde, die der Mehrheit der konventionellen Landwirte im Oldenburger Münsterland – zumindest im Hinblick auf ihr Umwelthandeln – eher Beharrungsvermögen, Nichtwahrnehmung von Problemen und ökonomisches Bilanzierungsdenken zuschreiben, stellt sich für diese Diplomarbeit erst recht die Frage, welche Motive bei den wenigen Ökolandwirten zu einer Betriebsumstellung geführt haben. Weichen sie in ihren mentalen Mustern von ihren konventionellen Berufskollegen ab und/oder veranlasste sie schlichtweg eine positive Nutzen-Kosten-Rechnung zu einer Umstellung?
Die Studie von Best „Die Umstellung auf ökologische Landwirtschaft als Entscheidungsprozess“ (Best 2006: I) beschäftigt sich nicht mehr speziell mit der Landwirtschaft im Oldenburger Münsterland, sondern konzentriert sich allgemein auf die Betriebsumstellung auf ökologische Standards.
Der Autor bemerkt einleitend, dass „die zunehmende Verankerung von umweltbewussten Einstellungen und Werthaltungen in der Bevölkerung“ (ebd.: 1) eines der „bedeutendsten sozialen Phänomene der vergangenen drei Jahrzehnte“ (ebd.) sei. In der Landwirtschaft drücke sich dies durch den Ökolandbau aus, der eine „Gegenbewegung“ (ebd.: 2) zur konventionellen Wirtschaftsweise darstelle und sich stets ausweite. Best interessiert dabei, wie und aus welchen Gründen sich Landwirte für eine Umstellung auf Öko entschieden haben (vgl. ebd.: 2).
Die Umstellung selbst betrachtet er als „dreistufigen Entscheidungsprozess“ (ebd: 28). Die erste Stufe beginne damit, dass die Handlungsroutine des Betriebsleiters gestört werde. Dies geschehe aufgrund einer „veränderten sozialen Situation“ (ebd.: 28), z.B. einer „strukturellen oder individuellen Krise“ (ebd.: 28). Sie veranlasse den Landwirt dazu, betriebliche Änderungen zu erwägen. Auf der zweiten Stufe begebe er sich auf die Suche nach neuen Alternativen. Auf der dritten Stufe überprüfe er die in Frage kommenden Alternativen auf ihre Konsequenzen hin und gleiche sie mit seinen „Präferenzen, Zielen und Werthaltungen“ (ebd.: 29) ab. Nach dieser Evaluation sei der Landwirt schließlich in der Lage, eine Entscheidung pro oder kontra Umstellung zu fällen (vgl. ebd.: 28f).
Dabei spielen nach Best auch die Familie des Landwirts, der Freundes- und Kollegenkreis sowie die Nachbarn eine große Rolle. „Soziale Netzwerke sind zum einen ein wichtiger Weg der Informationsvermittlung, zum anderen üben sie eine soziale Kontrolle über den Akteur aus und beeinflussen seine (Selbst)Wahrnehmung.“ (ebd.: 13) Er verweist auf diverse Forschungsergebnisse, die aussagten, dass „mangelnde Unterstützung in der Familie“ (ebd.) und „ein schlechtes Bild in der Nachbarschaft“ (ebd.) Hemmnisse bei einer Betriebsumstellung darstellen (vgl. ebd.).
Vor dem Hintergrund dieser Prämissen formuliert Best verschiedene Hypothesen, die er empirisch auf ihre Gültigkeit hin überprüft. Die Daten erhob er nach quantitativen statistischen Methoden, wozu er 826 Fragebögen von konventionellen Landwirten und 969 von Ökobauern auswertete, die alle aus Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen stammen (vgl. ebd.: 31ff). Die Ergebnisse der Stichprobenuntersuchung ermittelt und formuliert er im Rahmen der soziologischen „Rational Choice Theorie“ (ebd.: 16), die davon ausgeht, dass sich „ein Akteur in einer gegebenen Situation für die Alternative und ihre Realisierung entscheidet, die ihm (subjektiv) den insgesamt größeren Gewinn verspricht“ (Hill et al. 2006: 293).
Im Hinblick auf die erste Stufe, Störung der Handlungsroutine und Erwägung von Veränderungen, findet Best heraus, dass die generelle Bereitschaft zu Betriebsänderungen mit dem Alter des Landwirts sinke und mit der Schulbildung steige (Best 2006: 139). Die Bereitschaft wachse zudem mit der Unzufriedenheit: Je schlechter der Landwirt die allgemeine Situation in der Landwirtschaft einschätze, desto eher ziehe er grundsätzliche Änderungen in Betracht (vgl. ebd.). Negative Äußerungen in der Familie und im Bekanntenkreis über die Landwirtschaft hätten auf dieser Stufe noch keinen Einfluss auf die Routine des Betriebsleiters (vgl. ebd.: 80).
Auf der zweiten Stufe, der Suche nach Alternativen, zeige sich, dass Landwirte eher den Ökolandbau als Möglichkeit in Betracht ziehen, wenn sie höher gebildet und umweltbewusster sind (vgl. ebd.: 139). Hier bekomme nun auch die Familie einen Einfluss: Je häufiger in ihrem Kreis über Ökolandwirtschaft gesprochen werde, desto eher nehme der Betriebsleiter eine Umstellung als Alternative wahr (vgl. ebd.). Indirekt wirke dabei auch die Anzahl der Ökobetriebe in der Umgebung: Je höher sie sei, desto eher werde im Bekanntenkreis und letztlich auch in der Familie darüber gesprochen (vgl. ebd.), was wiederum eine positive Rückwirkung auf die Wahrnehmung von Öko als Alternative habe. Bedeutet dies für das Oldenburger Münsterland mit seinem niedrigen Anteil an Biobetrieben, dass der Ökolandbau auch deshalb kaum als Alternative in Erwägung gezogen wird, weil er so wenig in Erscheinung tritt?
Auf der dritten Stufe, der eigentlichen Umstellung, hätten die Bildung und das Alter nach den empirischen Befunden keinen Einfluss mehr auf die Entscheidung (vgl. ebd.: 113). Dafür steige die Wahrscheinlichkeit einer Umstellung mit dem Umweltbewusstsein des Landwirts und einer positiven Beurteilung des Ökolandbaus auf Seiten des sozialen Netzwerkes (vgl. ebd.: 117), womit der starke Einfluss von Familie und Bekanntenkreis an dieser Stelle deutlich wird. Das größte Gewicht im Entscheidungsprozess hätten aber subjektive Nutzenerwägungen: Erwarte der Landwirt vom Ökolandbau einen höheren Nutzen als von der konventionellen Wirtschaftsweise, steige die Wahrscheinlichkeit einer Umstellung deutlich an (vgl. ebd.: 117).
Best konnte schließlich herausfinden, dass „fast 20% der befragten konventionellen Landwirte“ (ebd.: 144) schon einmal eine Umstellung erwogen hätten, sie dann aber nicht durchgeführt haben, weil der subjektive Nutzen des Ökolandbaus im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft geringer eingeschätzt wurde (vgl. ebd.). Bei den Nutzenerwägungen beschäftigten die Betriebsleiter in erster Linie betrieblich-praktische Fragen, etwa über die Feldpflege oder den Ertrag. Erst an zweiter Stelle folgten ökonomische Erwägungen, etwa zur Vermarktung und zur finanziellen Absicherung. Die Umweltfreundlichkeit stünde erst an dritter Stelle (vgl. ebd.: 145). Insgesamt zieht er den Schluss, „dass die meisten Betriebsleiter [...] ihre Höfe weniger deswegen auf Ökolandbau umgestellt haben, weil sie ihn konkurrenzlos gut finden, sondern vielmehr, weil sie mit gewissen Aspekten der konventionellen Landwirtschaft sehr unzufrieden waren und der ökologische Landbau dazu eine akzeptable Alternative bot“ (ebd.: 145).
Bests Befunde werfen weitere Fragen auf, die für den empirischen Teil dieser Diplomarbeit von Bedeutung sind. Wurde die Umstellung bei den Ökolandwirten aus dem Oldenburger Münsterland auch als Reaktion auf eine „veränderte soziale Situation“ (ebd.: 28), gar eine Krise, eingeleitet? Welches Alter und welchen Bildungsgrad haben die Befragten? Waren auch sie unzufrieden mit „gewissen Aspekten der konventionellen Landwirtschaft“ (ebd.: 145), eventuell mit der regionalen Veredelungswirtschaft? Und welchen Einfluss hatte das soziale Netzwerk, insbesondere die Familie, auf ihre Entscheidung?
Das Buch „Umstellung auf den Ökolandbau“ (Sattler et al. 2004: 1) von Sattler, Friedmann und Schmidt ist in erster Linie als Ratgeber für Landwirte zu verstehen, die an einer Umstellung interessiert sind. Daher erscheint es vorwissenschaftlich und tendenziös zu Gunsten des Ökolandbaus. Der federführende Autor, Sattler, war „über 40 Jahre Betriebsleiter auf dem zweitältesten biologisch-dynamischen Hof von Deutschland“ (ebd.: 4). Von Interesse sind hier die Kapitel, in denen die Autoren auf die Beweggründe für eine Umstellung und die Voraussetzungen dafür eingehen.
Sattler et al. nennen drei elementare Gründe für eine Umstellung: ethische, ökologische und ökonomische. In Bezug auf die Ethik machen sie darauf aufmerksam, dass die konventionelle Landwirtschaft „abhängig von Pflanzenschutzmitteln, Futtermitteln, Düngemitteln, Saatgut“ (ebd.: 12) sei. Mit der Nutzung von Gentechnik, deren Folgewirkungen heute noch nicht abzuschätzen seien, geriete der Landwirt zusätzlich in die Abhängigkeit von Pflanzenzucht-Konzernen. Auch globale Zusammenhänge werden genannt: Der Import von Futtermitteln aus armen Ländern führe dort zu Armut und Hunger (vgl. ebd.). Des Weiteren spiele die Bewahrung „des Erholungs- und Erlebniswertes der Kulturlandschaft“ (ebd.) eine Rolle und die Frage, welche Auswirkungen die Erzeugnisse aus der konventionellen Landwirtschaft auf die menschliche Gesundheit haben. Sattler et al. behaupten: „Solche Fragen führen den aufmerksamen Landwirt häufig zur Umstellung.“ (ebd.)
Es folgen ökologische Beweggründe. Eine „einseitige Bewirtschaftung“ (ebd.) und chemische Einsatzmittel wirkten sich negativ auf die Fruchtbarkeit des Bodens und auf Luft und Wasser aus (vgl. ebd.: 12f). Es schließt sich eine Textstelle an, bei der die Autoren die Situation im Oldenburger Münsterland vor Augen zu haben scheinen: „[...] Massentierhaltung ohne ausreichende landwirtschaftliche Flächen [führt] durch die anfallenden organischen Düngermengen zur Belastung von Luft und Grundwasser“ (ebd.: 13). In diesem Zusammenhang wird auch die Nitratproblematik angeschnitten.
Im Hinblick auf die ökonomischen Beweggründe stellen Sattler et al. mehr Fragen an den interessierten Landwirt, als sie Antworten geben. Im Vorwort und in der Zusammenfassung begründen sie das Fehlen „betriebswirtschaftlicher Details“ (ebd.: 133) mit dem ausreichenden Vorhandensein diesbezüglicher Literatur. Sie konstatieren lediglich, dass bei einer Umstellung „ein gewisses Restrisiko unter den heutigen und wahrscheinlich auch morgigen Verhältnissen nicht ganz ausgeschlossen werden [kann]“ (ebd.: 13), was aber auch bei der Beibehaltung der konventionellen Wirtschaftsweise der Fall sei. Und obwohl die Autoren in einem späteren Kapitel über die Fördermöglichkeiten im Ökolandbau informieren (ebd.: 33f), bleiben sie dem Leser dennoch die Antwort auf die Frage nach den ökonomischen Beweggründen schuldig.
Für eine Umstellung sollten vier Voraussetzungen gegeben sein: Familiäre, betriebliche, fachliche und geistig-seelische. Zunächst sei es eine „unabdingbare Voraussetzung, dass die Belange, Wünsche und Fähigkeiten aller Familienmitglieder genügend berücksichtigt werden“ (ebd.: 14). Auch wird auf mögliche Spannungen mit Freunden, Verwandten und Nachbarn hingewiesen.
Eine Umstellung sei dabei umso schwieriger, je spezialisierter der Betrieb ist. Es folgt eine deutliche Restriktion, die in Bezug auf die Verhältnisse im Oldenburger Münsterland von besonderer Bedeutung zu sein scheint: „Eine flächenunabhängige Tierhaltung [...] schließt eine erfolgreiche Umstellung nahezu gänzlich aus.“ (ebd.: 14)
Die Ausführungen zu den fachlichen Voraussetzungen bleiben eher vage. Im Kern heißt es, dass der Ökolandwirt neben einer „guten fachlichen Ausbildung im allgemeinen Landbau“ (ebd.: 17) vor allem über ein „Interesse an Neuem“ (ebd.) verfügen sollte.
Diese Fähigkeit korrespondiert auch mit den geistig-seelischen Vorraussetzungen. Der Ökobauer sollte offen dafür sein, eine flexible Sichtweise, auch über „weltweite ökologische Zusammenhänge“ (ebd.), einzunehmen. „Eine betont konservative, einseitige Haltung bereitet sicherlich Schwierigkeiten, während eine tolerante, Neuem aufgeschlossene Lebenseinstellung bei der Umstellung [...] sehr nützlich ist.“ (ebd.)
Für diese Diplomarbeit ist nun die Frage interessant, ob bei den Ökolandwirten aus dem Oldenburger Münsterland tatsächlich nur ethische, ökologische und ökonomische Beweggründe zu einer Umstellung geführt haben oder ob auch weitere Faktoren, etwa betriebliche oder persönliche, relevant waren? Im Gedächtnis bleiben des Weiteren die vier Voraussetzungen, darunter auch die restriktiven Aussagen, die für das Oldenburger Münsterland Geltung zu haben scheinen, und die Hinweise über Spannungen mit dem sozialen Netzwerk.
Zum Schluss soll nun der Blick auf eine Studie aus Österreich gerichtet werden. Dort ist die Zahl der Ökobetriebe von rund 1.500 im Jahr 1990 auf aktuell rund 20.000 angestiegen. Gleichzeitig veränderten sich die „politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen“ (Larcher/Vogel 2007: 1) für den Ökolandbau. Das hat Larcher und Vogel dazu veranlasst, die Veränderungen aus der Perspektive der Ökolandwirte zu erforschen und eine Längsschnittuntersuchung über „Einstellung und Verhalten von Biobäuerinnen und Biobauern im Wandel der Zeit“ (ebd.: 1) durchzuführen, die an eine Untersuchung aus dem Jahr 1991 anknüpft. Für die aktuelle Studie wurden 74 leitfadengestützte Interviews mit Ökolandwirten durchgeführt und nach qualitativen sozialwissenschaftlichen Methoden ausgewertet (vgl. ebd.: 2). Die Ergebnisse sind für diese Diplomarbeit insofern interessant, als sie Parallelen zu den Einstellungen der Ökolandwirte aus dem Oldenburger Münsterland aufzeigen könnten.
[...]
[1] Der Verfasser dieser Arbeit konnte zumindest keine wissenschaftlichen Arbeiten über die Ökolandwirtschaft im Oldenburger Münsterland ausfindig machen.
[2] Zum Zwecke der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden auf die Unterscheidung in weibliche und männliche Begriffsformen verzichtet, sofern es nicht anders aufgeführt wird.
[3] Zum Zwecke der Anonymisierung wurden allen Teilnehmern Pseudonyme verliehen.
[4] Analog zum Fachjargon (vgl. Bio-Siegel 2008c) werden auch in dieser Diplomarbeit mehrere Begriffe synonym verwendet: Ökologischer-/Biologischer Landbau, Öko-/Biolandbau, Öko-/Biolandwirtschaft, ökologische–/biologische Wirtschaftsweise oder biologische Landwirtschaft sind gleichbedeutend mit dem Wesen der ökologischen Landwirtschaft. Ökoprodukte entsprechen Bioprodukten.
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