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Mehr InfosDiplomarbeit, 2009, 82 Seiten
Diplomarbeit
2,0
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Grundregelung der Diplomarbeit
1.1 Einführung in die Thematik
1.2 Zielsetzung und Vorgehensweise bei der Erstellung der Arbeit
2 Beweggründe für das Streben nach Work-Life Balance
2.1 Strukturwandel in der Arbeitsgesellschaft
2.2 Bedeutung der Work-Life Balance heute
3 Theoretische Modelle der Work-Life Balance
3.1 Vorüberlegung
3.2 Definition der Begriffe Arbeit, Leben und Balance
3.3 Interaktion zwischen Erwerbs- und Privatleben
3.3.1 Einleitung
3.3.2 Drei klassische Modelle von Arbeit und Leben
3.3.3 Die Border Theory (Clark)
3.3.4 Modell der Wippe als Metapher für Work-Life Balance (Kastner)
4 Betriebliche Work-Life Balance Maßnahmen
4.1 Status Quo
4.2 Maßnahmen zur Flexibilisierung von Zeit und Ort
4.2.1 Teilzeitarbeit
4.2.2 Telearbeit
4.2.3 Sabbatical
5 Schöne neue Arbeitswelt?
5.1 Die Gewinner der Work-Life Balance Maßnahmen
5.2 Mythos Work-Life Balance
6 Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis
Abbildung 1: Arbeitnehmer nach Wirtschaftssektoren
Abbildung 2: Zusammenhang zwischen Erwerbsleben und Privatleben
Abbildung 3: Das Segmentationsmodell
Abbildung 4: Das Kompensationsmodell
Abbildung 5: Indirekte und direkte Spillover Effekte
Abbildung 6: Die Border Theory
Abbildung 7: Modell der Wippe als Metapher für WLB
Abbildung 8: Flexible Arbeitszeiten und Telearbeit
Abbildung 9: Kinder- und Angehörigenpflege
Abbildung 10: Work-Life Balance Maßnahmen
Abbildung 11: Gründe für Teilzeitarbeit nach Geschlecht
Abbildung 12: Verbreitung von Telearbeit nach Branchen
Abbildung 13: Dreifache Win-Win Situation durch WLB Maßnahmen
Tabelle 1: Die Top 10 Gefahren der psychosozialen Risiken
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Angestellte der Universitätsbibliothek hält einen Moment inne, als sie die Titel der Ausleihe begutachtet. In diesem Moment wird es um sie herum still und sie vergisst für einen Augenblick wo sie ist. Sie entschuldigt sich mit den Worten: „Tut mir leid, ich finde Ihr Thema so interessant. Damit sollte ich mich auch einmal beschäftigen“. So wie dieser Angestellten geht es vielen Arbeitnehmern. Das Thema Work-Life Balance ist in aller Munde und zugleich auf vielen To-Do-Listen weit oben. Nur die Zeit fehlt, um sich mit dieser Thematik auseinander zu setzen. Auch die Unternehmen spüren den Druck, ausgelöst nicht zuletzt durch die neue Generation der Berufseinsteiger, die nach ihrem Hochschulabschluss in das Arbeitsleben einsteigen. Sie haben sich schon während des Studiums mit dem Phänomen Work-Life Balance beschäftigt und viele davon sind nicht mehr bereit für den Job ihr Leben aufzugeben. In einer Studie von Johnson/Lero/Rooney (2001) wurden die Arbeitnehmer von 220 kanadischen Betrieben zu den Themen Arbeit, Familie und Gesundheit befragt. Dabei gaben 73% der teilgenommenen Arbeitnehmer an, dass der Stress im Zusammenhang mit der Arbeit zumindest teilweise daraus resultiert, dass die Balance zwischen Arbeit und Leben nicht gegeben sei[1]. Im Jahre 1989 wurde die Frage von 58% der Arbeitnehmer positiv beantwortet. Demnach kann von einer negativen Entwicklung ausgegangen werden.
Unter den Hochschulabgängern existiert Angst davor, dass der Aufbau einer eigenen Familie, die Erhaltung der bisher aufgebauten Freundschaften, die eigenen Hobbies und Freizeitzeitaktivitäten sowie die Regenerierung der eigenen Kraftreserven sich nicht mit dem zukünftigen Beruf vereinbaren lässt. Der Wettbewerb um neue Leistungsträger ist auch deshalb so stark wie nie. Das Image eines Unternehmens wird nun zusätzlich an seinen angebotenen Maßnahmen zur Erreichung einer ausgeglichenen Work-Life Balance gemessen. Laut Führungsexpertin Jutta Rump, von der Fachhochschule Ludwigshafen, ist Work-Life Balance zurzeit ein strategisches Thema für viele Unternehmen. Personaler werben neuerdings Mitarbeiter an, indem sie ihnen Teleheimarbeit, Sabbaticals und/oder mehr Kontrolle über ihre eigene Zeit in Aussicht stellen[2].
Aber woher kommt diese Sehnsucht nach einer ausgeglichenen Work-Life Balance? Hat sich die Welt, insbesondere die Arbeitswelt, so verändert, dass dies die logische Konsequenz der Veränderung ist? Ist das die Antwort auf den Sinnverlust der Arbeit? Angeblich haben Work-Life Balance Maßnahmen auch das Potential der Leistungssteigerung und führen zu mehr Zufriedenheit unter den Arbeitnehmern. Davon gehen zumindest zahlreiche Studien aus. In dieser Arbeit soll dem Phänomen Work-Life Balance auf den Grund gegangen werden. Der Untertitel der Arbeit „Schöne neue Arbeitswelt?“ ist eine Anlehnung an Miranda, aus Shakespeares „Der Sturm“, die sich irrte, als sie zum ersten Mal anderen Menschen begegnete. Sie rief: „O Wunder! … Schöne neue Welt, die solche Bürger trägt!“[3]. Auch Aldous Huxley übernahm in seinem Roman „Schöne neue Welt“ diese Fehleinschätzung. Er beschreibt eine Welt im Jahre 2540, die von einem alles kontrollierenden und regulierenden Staat beherrscht wird. In dieser neuen Welt sollte Gemeinschaft, Gleichheit und Stabilität den Menschen Glück bringen. In der heutigen schnelllebigen, unruhigen und von der Globalisierung gekennzeichneten Arbeitswelt sollen betriebliche Work-Life Balance Maßnahmen den Arbeitnehmern eine neue Zufriedenheit und den Unternehmen dadurch höhere Produktivität bringen. Doch ist das Modell der Work-Life Balance die große Antwort auf alle Probleme der Beziehung zwischen Erwerbsstätigen und Unternehmen? In der Personalplanung herrscht Ressourcenknappheit. Die hohen Anforderungen, der demografische Wandel und die sinkende Zahl der qualifizierten Nachwuchskräfte stellen die Personalplanung vor eine Herausforderung. Kann diesem Problem mit einer ausgeglichenen Work-Life Balance begegnet werden? Können die bestehenden Ressourcen dadurch länger „haltbar“ gemacht werden und werden nicht so schnell „verschlissen“?
Work-Life Balance kann als eine Art Lifestyle-Begriff verstanden werden. Dahinter verbergen sich sowohl theoretische Modelle als auch Beratungs- und Marketingstrategien. In dieser Arbeit soll Work-Life Balance als mögliche Lösung der derzeitigen und zukünftigen Probleme der Personalplanung und Personalentwicklung untersucht werden. Zu diesem Zweck wird zunächst der Wandel der Arbeit erläutert, die Herkunft des Begriffs geklärt und die theoretischen Modelle der Work-Life Balance aufgearbeitet. Anschließend sollen betriebliche Work-Life Balance Maßnahmen in der Praxis vorgestellt werden. Nachfolgend wird das Phänomen Work-Life Balance auf seine Fehleinschätzung bzw. Mythenhaftigkeit untersucht und zuletzt ein Fazit dahingegen gezogen werden, ob Work-Life Balance eine Chance für das Unternehmen, den Arbeitnehmer und die Volkswirtschaft ist und zur Performance der Unternehmen beiträgt oder ob Work-Life Balance über den Anspruch eines Beratungs- und Marketingkonzeptes nicht hinausgeht.
Inhaltlich erfolgt die Ausarbeitung auf Basis von Literatur. Eine Vollständigkeit kann dabei nicht erreicht werden und die behandelten Aspekte können nur Ausschnitte aus den jeweiligen Wissensbereichen sein.
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie scheint untrennbar von der Genderforschung zu sein. Trotzdem soll hier auf die explizite Trennung von Mann und Frau nur marginal eingegangen werden. Der Mensch als solches steht im Mittelpunkt. Aus Gründen der Vereinfachung wird auch auf die Nennung der jeweils weiblichen und männlichen Form verzichtet und nur die männliche genannt.
Der Strukturwandel der Arbeitswelt erstreckt sich über viele Ebenen. Die Dynamik und Komplexität des Wandels kann mit dem künstlich geschaffenen Begriff der „Dynaxität“, der eine Adaption des englischen Kunstwortes „dynaxity“ darstellt, beschrieben werden. Zu den wesentlichen Aspekten des Strukturwandels zählen laut Hoff (2002) insbesondere die Transformierung von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, die Entwicklung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, die Veränderungen im System der Berufe, die Relationen zwischen Lernen und Arbeiten, die neuen Organisations- und Beschäftigungsformen sowie die Veränderung der Geschlechterverhältnisse[4].
Bis zum Ende des 19. Jhd. dominieren die Land- und Forstwirtschaft sowie die Fischerei, als primärer Wirtschaftssektor, die Arbeitsgesellschaft. Fast die Hälfte aller Arbeitsnehmer ist zu diesem Zeitpunkt im primären Sektor beschäftigt. Die handwerkliche und industrielle Produktion, der sekundäre Sektor, gewinnt wie auch der Handel und die Dienstleistung, der tertiäre Sektor, immer mehr an Bedeutung. In der Mitte des 20. Jhd. vollzieht sich die Transformation zur Industriegesellschaft. Nun arbeitet etwa die Hälfte aller Erwerbstätigen im sekundären Sektor der Produktion, insbesondere im Maschinenbau, in der Automobilbranche und in der chemischen Industrie[5].
Ende des 20. Jhd. hat in nahezu allen Volkswirtschaften der Dienstleistungssektor, der tertiäre Wirtschaftssektor, deutlich an Bedeutung gewonnen. Die sog. Tertiarisierung in Westdeutschland beginnt in den siebziger Jahren und geht mit einer relativen De-Industrialisierung einher. Der starke Einbruch der Industrie folgt in den frühen neunziger Jahren und ermöglicht damit dem Dienstleistungssektor im Jahre 1996 auf über 67 Prozent zu steigen. Seit einigen Jahren hält sich der Industrieanteil jedoch konstant. Etwa ein Viertel aller Berufe sind im Wirtschaftssektor Produktion angesiedelt. Die De-Industrialisierung in Deutschland ist seitdem gestoppt[6]. Dennoch zeichnet sich ein massives Übergewicht der Dienstleistungsberufe in Deutschaland genauso wie in anderen hochentwickelten Gesellschaften ab. Die postindustriellen Gesellschaften zeichnen sich insgesamt durch eine hohe Dynamik im tertiären Sektor aus, die dazu geführt hat, dass anstelle von der Dienstleistungsgesellschaft zunehmend von einer Kommunikations- und Informationsgesellschaft gesprochen wird. Der Anteil der Erwerbstätigen im IT-Bereich ist derart gewachsen, dass teilweise auch von einem quartären Sektor, der Internet-Ökonomie, gesprochen wird[7]. Die aktuelle Verteilung der Wirtschaftsektoren in Deutschland zeigt die Abbildung 1.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Arbeitnehmer nach Wirtschaftssektoren (Quelle: Statistisches Bundesamt, Erwerbstätige nach Wirtschaftsbereichen, 2008, eigene Darstellung)
Laut dem Statistischen Bundesamt waren im Jahre 2008 rund 73% der Arbeitnehmer im Dienstleistungssektor beschäftigt[8]. Das produzierende Gewerbe hat sich im Zuge der De-Industrialisierung auf rund 26% reduziert. Die Land- und Forstwirtschaft sowie die Fischerei spielen mit gut einem Prozent eine geringe Rolle in der deutschen Wirtschaft. Die Erstarkung des Dienstleistungssektors kann durch folgende Gründe erklärt werden. Der steigende Wohlstand führt zu einer Konsumverlagerung womit sich die Nachfrage von der Produktion hin zur Dienstleistung verschiebt. Durch das zunehmende Outsourcing wird ein Teil der industriellen Wertschöpfung in Dienstleistungsunternehmen ausgelagert. Weiterhin sind Dienstleistungsunternehmen viel weniger vom sog. Offshoring, dem verlagern der Produktion an kostengünstigere Standorte, betroffen. Dienstleistungen sind weniger vergleichbar als Produkte der Produktion und unterliegen einem geringeren Preiswettbewerb. Zudem haben Dienstleistungen weniger unter der starken Aufwertung des Euro gelitten[9].
Mit der Umverteilung in den Wirtschaftssektoren hat sich auch die Art der Arbeit als solche verändert. Heute rückt anstelle des Handwerks vermehrt die sog. Wissensarbeit, die z.B. von Ingenieuren, Wissenschaftlern, Managern oder Softwareentwicklern gefordert wird. Wissensarbeiter sind hochqualifiziert und mit theoretischem und analytischem Wissen ausgestattet. Dieses Wissen setzen sie ein, um neue Produkte zu entwickeln oder Serviceangebote anzubieten. In Organisationen wird das Wissen permanent weitergegeben. Wissensarbeit bedeutet selten wiederkehrende Abläufe und erfordert auch, dass das Wissen kontinuierlich hinterfragt wird und immer als verbesserungswürdig angesehen wird. Wissen ist demnach keine Wahrheit, sondern eine Ressource. Ergebnisse und Leistungen der Wissensarbeiter sind schwierig zu quantifizieren oder zu bewerten. Organisationen bieten ihren Wissensarbeiter häufig attraktive Karrierewege an, um sie an das Unternehmen zu binden[10].
Die Umwertung der Arbeit erreicht durch die Informatisierung der Arbeitswelt eine neue Stufe der Entwicklung. Der Einsatz von neuen Informations- und Kommunikationstechnologien hat die Rahmenbedingungen in den vergangenen Jahrzehnten in den Unternehmen und für die Produktion weiter verändert. Im Zuge dessen haben sich die Produktionsprozesse und die Arbeitsorganisation gewandelt. Die neue Arbeitsorganisation bündelt bspw. bisher getrennte Aufgaben zu einer Aufgabe und stellt den neu geschaffenen Aufgabekomplex einem Team in Verantwortung. Durch Jobrotation innerhalb des Teams erhält jedes Teammitglied einen Einblick in die Aufgaben der jeweils anderen Teammitglieder und kann dadurch mehrere Aufgaben durchführen. Das Team teilt sich nun die Verantwortung für den gesamten ihm zugeteilten Prozess. Diese neue Zusammenarbeit wird erst durch die neuen Informations- und Kommunikationsmittel ermöglicht. Die Kosten der Informationsgewinnung und -verarbeitung haben sich drastisch reduziert. Die schnelle Datenverarbeitung und Übermittlung großer Datenmengen trägt wesentlich zu einer flexiblen Organisation der Arbeit bei. Netzwerke machen große Datenmengen für eine große Zahl von Nutzern abrufbar und große räumliche Distanzen sind durch die neue Technologie kostengünstig zu überwinden[11]. Die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie hat zur Informatisierung der Arbeitswelt geführt. An vielen Arbeitsplätzen werden neue Arbeitsmittel, insbesondere Computer- bzw. Internetarbeitsplätze und lokale Netzwerke, eingesetzt. Damit hat die Informationsverarbeitung eine neue Bedeutung erhalten. Potenziert wird diese Entwicklung durch weiter sinkende Kosten der Technologie und die zunehmende Vielfalt. Die industrielle Massenproduktion kann in vielen Unternehmen durch eine flexible Industrieproduktion abgelöst werden und dadurch Synergieeffekte, wie z.B. bei der gemeinsamen Produktion mehrerer Güter, realisiert werden. Unternehmen können durch diese neue Flexibilität schnell auf neue Marktsituationen reagieren. Indes ändert sich auch die Arbeitsnachfrage der Unternehmen[12]. Die modernen Technologien erfordern sowohl bei der Entwicklung als auch bei der Bedienung einen hohen Bildungs- bzw. Ausbildungsstandart. Zudem sind die neuen Aufgaben wenig konkretisiert. Mit diesem neuen Umfeld können sich hoch qualifizierte Arbeitsnehmer besser identifizieren als geringqualifizierte Arbeitskräfte[13]. Die Einführung neuer Technologien und die damit verbundene Veränderung der Arbeitsorganisation beeinflussen daher auch die Qualitätsstruktur der Unternehmen. Diese Entwicklung geht mit einer steigenden relativen Nachfrage nach hochqualifizierten Arbeitsnehmern einher[14].
Die betrieblichen Flexibilisierungsprozesse in der Produktion und der Arbeitsorganisation erfordern auch von den Arbeitnehmern eine deutlich höhere Flexibilität. Der Arbeitsmarkt fordert von den Beschäftigten eine flexible Anpassung auf Veränderungen der wirtschaftlichen Situation, indem sie neue Kompetenzen erwerben, auf Sicherheit einer langen Beschäftigung verzichten und sogar ihren Beruf wechseln, wenn es nötig ist[15]. Der Soziologe Richard Sennett (1998) versteht diese neue Verantwortung des Arbeitsnehmers unter dem Begriff des flexiblen Kapitalismus[16]. Die Betonung liegt laut Sennett (1998) dabei auf der Flexibilität, die dabei ist die Bedeutung der Arbeit zu verändern. Der flexible Kapitalismus verschiebt den Erwerbstätigen immer wieder von einem Arbeitsbereich in den nächsten und verbreitet dabei Angst. Niemand weiß mehr welcher Pfad zu gehen ist. Die Arbeitnehmer werden zum Risiko gezwungen und müssen kurzfristige Arbeitsverhältnisse eingehen. Die neue Flexibilität hat auch Auswirkungen auf den persönlichen Charakter des Erwerbstätigen. Emotionale Erfahrung, Treue, gegenseitige Verpflichtung sowie die Verfolgung langfristiger Ziele bilden den Charakter. Jedoch können langfristige Ziele in einer auf das Kurzfristige ausgelegten Ökonomie nicht verfolgt werden. Loyalität und gegenseitige Verpflichtungen können innerhalb sich ständig umstrukturierenden und zerbrechenden Institutionen nicht aufrecht gehalten werden. Der Charakter bleibt in einer ungeduldigen Gesellschaft auf der Strecke[17]. Die neue Flexibilität zwingt den Arbeitsnehmer zu einem psychologischen Kontrakt mit dem Arbeitgeber, der keine Beschäftigungsgarantie enthält, sondern lediglich die Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit, der sog. Employability, verspricht[18].
Daraus folgt, dass der Arbeitnehmer die Unsicherheit des Arbeitsplatzes erwartet und sich daher eher mit der Arbeitsaufgabe identifiziert als mit der Unternehmung als solche. Der Arbeitnehmer bekommt dadurch eine ganz neue Verantwortung für sich selbst, die im klassischen Arbeitsverhältnis noch vom Unternehmen getragen wurde. Ihm obliegen damit die kontinuierliche Weiterentwicklung seiner Arbeitskraft und die ständige Anpassung an Veränderungen der Arbeitsumgebung. Mitarbeiter werden zu Arbeitskraftunternehmer, die einerseits mehr Freiräume genießen dürfen, aber andererseits unter deutlich höherem Leistungsdruck stehen. Arbeitskraftunternehmer werden häufig mit flexiblen Arbeitskontrakten ausgestatten. Dazu gehören Werkverträge, befristete Arbeitsverträge, Leiharbeit und insbesondere Verträge, die ein bestimmtes Projekt betreffen und nach dessen Beendigung auslaufen. Unternehmer können dadurch ihre Kostenstruktur maßgeblich optimieren, jedoch bedeutet dies für die Arbeitnehmer vermehrt unsichere und prekäre Arbeitsbedingungen. Unternehmen transferieren ihr Risiko damit auf die Lebensbasis und Altersversorgung der Arbeitsnehmer. Dies bedeutet für die Arbeitnehmer eine stärkere Eigenverantwortung, berufliche Vielseitigkeit und die Notwendigkeit Netzwerke aufzubauen und zu pflegen[19]. Der Arbeitnehmer wird zum Arbeitskraftunternehmer und muss seine Arbeitskraft selbst weiterentwickeln und vermarkten.
Der Strukturwandel der Arbeit geht auch mit dem Verlust der Identifikation mit der eigenen Arbeit einher. Das in Frage stellen und Nachdenken über die eigene Stellung und den Sinn des Ganzen nimmt zu. Dieser Strukturwandel verändert das Verständnis von Arbeit und das Selbstverständnis des Erwerbstätigen. Die Arbeit verliert ihre historisch gewachsene Stellung im Leben des Menschen und erfährt somit eine Art Abwertung im Vergleich zum Privatleben. Diese Abwertung wird auch bei der heutigen Wortwahl deutlich, wenn es darum geht die Arbeitsstelle zu beschreiben. Wo früher von Beruf bzw. Berufung gesprochen wurde, wird heute das Wort „Job“ benutzt, was in der englischen Sprache des 14. Jhd. einen Klumpen beschrieben hat, den man schieben oder verladen kann[20]. Bezieht man die alte Bedeutung des Wortes „Job“ nun auf die Arbeit, wird klar, dass die Menschen latent von einem Klumpen zum Verladen sprechen, sie ihre Arbeit demnach mal hier und mal dort verrichten und sich wenig mit ihr oder ihrer Organisation identifizieren. Ähnlich verhält es sich mit dem Wort „Karriere“, welches ursprünglich eine Straße für Kutschen beschrieben hat[21]. Für die Infrastruktur des 14. Jhd. wurde ein komfortabler und sicherer Weg erschaffen, um Kutschen gerade und ohne Umwege von „A“ nach „B“ zu leiten. In der Arbeitswelt wurden auch Karrieren erschaffen, um Arbeitnehmer sicher von einer Position in die nächst höhere zu leiten. Es war nicht unüblich bspw. bei Opel in der 3. Generation zu arbeiten und sukzessive neue Positionen zu erklimmen. Heute haben diese gerade Karrieren immer mehr Kurven, Berge und Täler. Der Aufstieg scheint nur zu gelingen, wenn der Erwerbstätige bereit ist sowohl seine Arbeitstätigkeit als auch seine Organisation mehrfach zu wechseln. Dabei verliert der Sinn der Arbeit an Bedeutung.
Laut C. G. Jung ist kleinstes mit Sinn immer lebenswerter als größtes ohne Sinn (Grundwerk, 1, 40)[22]. Demnach würde ein Sinnverlust der Arbeit den Wert des Lebens bzw. des Arbeitslebens verringern oder die Quelle des Wertes auf andere Lebensbereiche, wie z.B. das Privatleben, transferieren. Robeck (2001) fordert, trotz Reduktion der Bedeutsamkeit der Arbeit, die Bedeutung der Arbeit dennoch als Quelle von Lebenssinn einen höheren Stellenwert zu geben[23]. Doch wer seinen Arbeitstag mit Aufgaben verbringt, die er mit seinen Fähigkeiten, Fertigkeiten, Hoffnungen, Träumen und insbesondere mit seiner eigenen Person nicht in Einklang bringen kann hat ein großes Problem[24]. Niemand kann seine Persönlichkeit dauerhaft ohne psychische Folgen am Eingang zum Büro ausblenden bzw. unterdrücken. Letztendlich kann die Arbeit nicht pauschal abgewertet werden, da es Möglichkeiten einer zumindest partiellen Aufwertung gibt. Erwerbsarbeit ermöglicht den Menschen die Teilhabe am öffentlichen und gesellschaftlichen Leben. Durch zweckmäßige Arbeit können sich die Erwerbstätigen von persönlichen Abhängigkeiten befreien, Qualifikationen und soziale Anerkennung erwerben. So gesehen verleiht die Erwerbsarbeit dem Individuum eine gesellschaftliche Existenz und Wohlstand. Durch die Grenze zwischen Arbeit und Leben erhält lt. Robeck (2001) das Privatleben seine Konturen, da erst diese Grenze es möglich macht, das Privatleben als souveränes Gegenbild zu gesellschaftlichen Verpflichtungen wahrzunehmen[25].
In der Rollenstressperspektive, die in der stress- und ressourcentheoretischen Tradition steht, erhöht eine hohe Zahl von Rollen die Konfliktwahrscheinlichkeit und mindert die Zufriedenheit der Betroffenen. In der soziologischen Rollenforschung gibt es jedoch auch die Annahme, dass gerade diese hohe Anzahl von Rollen und die damit verbundene Teilhabe an verschiedenen Umwelten mit einem Ressourcengewinn einher geht und darüber hinaus auch Impulse für die eigene Entwicklung gibt[26].
Hoff (2005) geht davon aus, dass der Begriff Work-Life Balance für immer mehr Menschen in der postindustriellen Gesellschaft an Bedeutung gewinnt, da es für sie immer schwieriger wird eine Balance zwischen den beiden Lebensbereichen Arbeit und Privatleben herzustellen. Ferner spitzen sich die Konflikte zwischen Handlungsanforderungen und persönlichen Zielen in beiden Bereichen immer weiter zu[27]. Hoff (2005) nennt als Grund dafür zwei Kennzeichen für den Strukturwandel der Arbeit: die Subjektivierung und Entgrenzung von Arbeit auf der einen Seite und die Zunahme der Erwerbstätigen Frauen auf der anderen Seite. Unter Subjektivierung und Entgrenzung von Arbeit wird die völlige Vereinnahmung durch den Beruf bzw. die Unternehmung verstanden. Von Erwerbstätigen, insbesondere in hoch qualifizierten Berufen, wird zunehmend verlangt sich mit allen persönlichen Ressourcen in den Dienst der Unternehmung zu stellen. Dadurch wird die Rollentrennung zwischen Berufs- und Privatperson erheblich erschwert und führt zu Rollenkonflikten. Private Lebensziele, wie z.B. die Familienplanung, können dabei mit den beruflichen Anforderungen kollidieren und zu intrapsychischen Konflikten führen, die mit einer verstärkten subjektiven Reflektion über das eigenen Leben eihergehen. Dettmer (2006) nennt insbesondere drei Dimensionen der Entgrenzung von Arbeit: zeitliche Flexibilität, räumliche Mobilität und erwerbsbiographische Diskontinuität[28].
Innerhalb der zeitlichen Dimension der Entgrenzung von Arbeit nimmt Schicht- und Nachtarbeit sowie Wochenendarbeit, insbesondere die Samstagsarbeit, immer mehr zu. Überstunden und Arbeitszeitkontenmodelle breiten sich weiter aus. Unter den Schlachtrufen „Ziel- statt Zeitorientierung“ und „Vertrauensarbeitszeit“ werden die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Feierabend zunehmend blasser. Die klaren und traditionellen Lebensphasen: Bildung, Ausbildung, Beruf und Verrentung werden zunehmend flüssiger[29].
In der räumlichen Dimension der Entgrenzung von Arbeit nimmt die Mobilität der Arbeitsnehmer zu. Der Arbeitsplatz ist durch moderne Kommunikationskanäle nicht nur an das Büro gebunden. Durch die globale Markterweiterung nehmen Geschäftsreisen deutlich zu. Häufig sind diese länger und der Auslandsaufenthalt ist weiter entfernt. Der Weg zur Arbeitsstelle ist ebenfalls oft länger und die steigenden Arbeitgeber- und Berufswechsel gehen nicht selten mit einem Ortswechsel einher[30]. Dieser hat insbesondere für das Privat- und Familienleben gravierende Folgen. Die Ehefrau muss evtl. ebenfalls eine neue Arbeitsstelle finden und die Kinder müssen sich an eine neue Schule und Umgebung gewöhnen sowie einen neuen Freundeskreis aufbauen. Ein mehrfacher Ortswechsel kann dazu führen, dass der Ein- und Umgewöhnungsprozess deutlich länger dauert oder bewusst heraus gezögert wird, da sich aus Erfahrung das Einleben nicht lohnt. Folglich ist die Psyche der Familie gespannt was sich unmittelbar negativ auf jedes Familienmitglied auswirkt.
Unter erwerbsbiographische Diskontinuität wird die schnelle Veränderung des Wissens und des Marktes verstanden, die häufig eine Veränderung der beruflichen Tätigkeit auch innerhalb des gleichen Berufsfeldes erfordert. Die Berufsbilder unterliegen einer zunehmenden Dynamisierung. Darüberhinaus nehmen Berufswechsel deutlich zu welche mit einer lebenslangen Lern- und Weiterbildungsbereitschaft einhergehen. Die Arbeitnehmer befinden sich zunehmend in einem Grenzbereich zwischen abhängiger und selbstständiger Beschäftigung, in dem sie ihre Arbeitskraft selbst qualifizieren, vermarkten und organisieren müssen. Nicht selten werden im Verlauf des Arbeitslebens verschiedene Status, wie z.B. abhängige- und selbstständige Beschäftigung, Erwerbslosigkeit, Teilzeit- und Vollzeitarbeit, durchlaufen[31].
Die Entgrenzung von Arbeit kann lt. Voß (1994) zur partiellen Aufweichung der bislang strukturell starken Trennung von Arbeit und Leben führen. Dadurch würden die beiden Domänen Arbeit und Leben eine komplizierte und stark wechselseitig durchdrungene Stellung zueinander bekommen[32].
Die von Hoff (2005) beschriebene Zunahme der Erwerbstätigen Frauen, insbesondere in hoch qualifizierten Berufen, potenziert das Problem für die Familien und verstärkt das Bedürfnis einen Weg zu finden eine ausgeglichene Work-Life Balance herzustellen.
Wiese (2007) nennt neben dem Strukturwandel und der Zunahme erwerbstätiger Frauen noch weitere Gründe für die steigende Bedeutung des Phänomens Work-Life Balance. Nach Wiese (2007) zählen auch das steigende Bildungsniveau, der demografische Wandel und die Zunahme instabiler Paarbeziehungen zu den Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie[33]. Die Hälfte aller Ehen wird geschieden und die Zahl der sog. Patchwork-Familien nimmt stetig zu. Zum Teil arbeiten beide Partner in verschiedenen Städten und unterhalten zwei Wohnsitze. Laut Kastner (2004) wird es immer schwieriger ein komplexes soziales System, wie das einer Familie, auf Kurs zu halten, da die Bekanntheit künftiger Systemzustände sinkt und die Werte und Vorbilder sowie der soziale Begleitkonvoi (z.B. eine Zweierbeziehung) immer mehr verloren gehen. Zudem sinkt das Vertrauen in die Politik und in das Management. Dieser Vertrauensverlust geht mit einem erhöhten Orientierungsdruck einher[34].
Die Globalisierung, der technische Fortschritt und die neue geforderte Flexibilität der Arbeitnehmer und Arbeitsplätze haben den Arbeitsrhythmus, insbesondere im letzten Jahrhundert, sukzessive erhöht. Das Internet hat die Arbeitsproduktivität nochmal erhöht. Ein Blick auf die Gesundheitsstatistik der westlichen Welt schärft den Verdacht, dass der menschliche Körper und Geist auf ein Leben in Hektik nicht eingerichtet ist. Waren im letzten Jahrhundert noch Unfälle am Arbeitsplatz, Staublunge und abgetrennte Gliedmaßen die „Leiden der Arbeit“, so sind es heute Bandscheibenvorfälle, Herz-Kreislauf-Störung, Depression, Zustände der Angst und Überwicht. Die Bandscheibe reagiert auf unsere Bewegungsarmut genauso wie unser Herz-Kreislauf-System auf den schnellen Rhythmus der postmodernen Gesellschaft. Sozialpsychater sehen in naher Zukunft die seelischen Störungen auf dem ersten Platz der deutschen Krankheitsstatistik[35].
George Orwell hatte schon im Jahre 1948 eine Vermutung, die er in seinem Zukunftsroman „1984“ niederschrieb. Er fantasierte von einer beängstigenden Arbeitswelt, in der die Menschen 60 Stunden und mehr in der Woche vor dem Bildschirm arbeiten und dabei unter hohem emotionalem Druck stehen. Viele Manager arbeiten heute achtzig Stunden pro Woche, viele auch am Wochenende. Nach einer Forsa Umfrage im Jahre 2001 haben 80 Prozent der 30- bis 39-jährigen Bundesbürger das Gefühl, wegen ihrer Vielarbeit ihre Familien und Freunde zu vernachlässigen[36]. Dieses Gefühl bestätigt die Bundesanstalt für Arbeit (heute Bundesagentur für Arbeit) mit Zahlen. Die Überstunden sind in dem befragten Zeitraum deutlich gestiegen[37]. Laut Untersuchungen der European Agency for Safety and Health at Work gehören lange Arbeitszeiten zu den zehn größten psychosozialen Risiken[38]. Auch unter den zehn größten Risiken ist eine schwach ausgeprägte Work-Life Balance im Allgemeinen (siehe Tab. 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Die Top 10 Gefahren der psychosozialen Risiken (Quelle: European Agency for Safety and Health at Work, European risk observatory report, 2007, S. 27, eigene Darstellung)
Mit Blick auf die obige Tabelle ist es nicht verwunderlich, dass Work-Life Balance bei allen großen Konzernen auf der Tagesordnung steht. Kienbaum Consultants International befragte im Dezember 2007 Mitarbeiter verschiedener Unternehmen danach, ob das Thema Work-Life Balance ihrer Meinung nach eine strategische Relevanz besitzt. Das Ergebnis der Studie ist, dass drei von vier Mitarbeitern das Thema Work-Life Balance für strategisch relevant halten. Konzerne wie Siemens oder Porsche haben flexible Arbeitszeiten, Sabbaticals und Jobsharing in ihrem sog. Work-Life-Portfolio. Porsche bietet seinen Managern samt Partner ein Programm namens „ Boxenstopp “ an. Das ist ein mehrtägiger Klinikaufenthalt bei dem die Manager Tipps von Experten zum Umgang mit Stress, zur Fitness und zur richtigen Ernährung bekommen[39]. Der Druck ist insbesondere im mittleren Management besonders hoch, da hier die Erwartungen des Topmanagements und der Mitarbeiter einen erhöhten Druck aus zwei Richtungen verursachen. Die Manager erleben dabei ein Gefühl der Ohnmacht und Kontrolllosigkeit, denn oft müssen sie Entscheidungen vertreten an denen sie nicht beteiligt waren und hinter denen sie nicht stehen[40]. Piazza (2008) schildert eine Welt in der die Menschen ausgebremst am Rande der Hochleistungsgesellschaft sitzen und darauf warten, dass ihre Seele nachkommt[41].
Der Mode-Begriff „Work-Life Balance“ wurde in den 60er Jahren in Groß-Britannien geboren. Dort hatten ihn Arbeitsorganisationen im Zusammenhang mit prekären Arbeitsbedingungen der unqualifizierten Arbeiter und arbeitenden Mütter benutzt, um auf diesen Zustand aufmerksam zu machen. In den 80er Jahren überquerte der Begriff den Ozean und wurde von Amerikas Marketing- und Beratungsindustrie zum Szene- und Lifestyle Begriff modifiziert. Heute gibt es hunderte deutschsprachige Sachbücher bzw. Lebensberater zum Thema Work-Life Balance, die mit der Versprechung aufwarten zu Glück und Erfolg zu führen, mindestens aber das Arbeits- und Privatleben zum Besseren zu wenden[42]. Im folgenden Kapitel soll das Thema Work-Life Balance theoretisch untersucht und aufgearbeitet werden.
Das Phänomen Work-Life Balance beschäftigt die Wissenschaft interdisziplinär. So beschäftigen sich Soziologen und Psychologen primär mit den Zusammenhängen von Berufs- und Privatleben, beziehungsweise mit der Frage, wie sich die verschiedenen Rollen, die der Mensch innerhalb dieser sog. Domänen einnimmt, auf ihn und seine Umwelt auswirken[43]. Die Arbeits- und Organisationspsychologie interessiert sich in diesem Zusammenhang für die Verschärfung der Konflikte bzw. Imbalancen zwischen den außerberuflichen Lebensbereichen und der Berufstätigkeit[44]. Die Genderforschung sowie die Betriebswirtschaftslehre, insbesondere im Bereich des Personalmanagements, suchen indes nach einem praxisorientierten bzw. anwendungsorientierten Zugang[45]. Für sie verbirgt sich hinter dem Titel Work-Life Balance ein Maßnahmenkatalog, der von Arbeitszeitflexibilisierung über Entspannungsseminare bis hin zur betrieblichen Kinderbetreuung reicht[46]. Der interdisziplinäre Charakter erschwert eine einheitliche Definition des Untersuchungsfeldes Work-Life Balance.
Der Begriff Work-Life Balance impliziert latent, dass die Erwerbsarbeit nicht direkt zum Leben dazugehört, sondern dass diese einem dem Leben gegenübergestellten Bereich zugeordnet wird. Dies würde jedoch bedeuten, dass der Mensch während seiner Erwerbsarbeit nicht lebt bzw. nicht aktiv am Leben teilnimmt. Darüber hinaus finden viele Menschen in ihrer eigenen Erwerbsarbeit sowohl Selbstverwirklichung als auch Selbstbestätigung. Die Arbeit kann demzufolge nicht nur als ökonomische Notwendigkeit und Belastung verstanden werden. Sowohl das Arbeits- als auch das Privatleben werden durch positive und negative Elemente geprägt[47].
Zur Definition soll die Begrifflichkeit Work-Life Balance in seine Einzelteile gelegt werden, um die Elemente „Work“, „Life“ und „Balance“ gesondert untersuchen zu können.
Zunächst bezieht sich das „Work-Element“ im Allgemeinen auf die Erwerbsarbeit. Doch auch im Privatleben gibt es Bereiche, die eine Arbeitsleistung erfordern, wie z.B. die Kindererziehung, die Hausarbeit oder eine freiwillige Tätigkeit im Verein. Deklariert man die Arbeit als für den Lebensunterhalt notwendige, fremdbestimmte Tätigkeit, stößt man unweigerlich auf Berufsgruppen, die ihr Hobby zum Beruf gemacht haben, wie z.B. Künstler oder im weiteren Sinne auch Geistliche. Nimmt man eine einfache Unterscheidung in Erwerbsarbeit und Nicht-Erwerbsarbeit vor, ist dies sehr problematisch, da diese Separation wesentliche Bereiche außer Acht lassen würde. Die An- und Abreise zur Arbeitsstätte sowie notwendige gesellschaftliche Verpflichtungen, die mit der Erwerbsarbeit unmittelbar verbunden sind, lassen sich durch den Begriff des Erwerbslebens in die Erwerbsarbeit eingliedern[48]. In dieser Arbeit wird das „Work-Element“ als Erwerbsleben verstanden.
Die Eingrenzung des „Life-Elements“ ist ebenso problematisch. In erster Linie beschreibt „Life“ in einer weiten Definition die Zeitspanne zwischen der Geburt und dem Ableben. Demzufolge ist innerhalb dieser Definition das Arbeitsleben auch ein Teil des „Life-Elements“. In diesem Zusammenhang ist eine Balance zwischen den beiden Elementen unmöglich, da sie zusammen ein großes Ganzes ergeben. Der Versuch das Life-Element als Freizeit zu beschreiben hält den Anforderungen einer Definition nicht stand, da hier eine frei zur Verfügung stehende Zeit impliziert würde. Tatsächlich birgt auch die Freizeit Arbeiten, die als fremdbestimmt verstanden werden können, wie z.B. die Hausarbeit oder das Mitwirken innerhalb der Gemeinde. Noch eindeutiger wird die empfundene Fremdbestimmtheit bei familiären Verpflichtungen, wie z.B. bei Hochzeiten oder Geburtstagen von entfernten oder unbeliebten Verwandten. Zweckmäßig ist daher das „Life-Element“ als Privatleben zu definieren, da hier neben dem Familienleben im engeren Sinne auch fremdbestimmte Tätigkeiten, Partnerschaften und enge Freundschaften impliziert werden[49].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Zusammenhang zwischen Erwerbsleben und Privatleben (Quelle: Zaugg, Diskussionspapier WLB, 2006, S.8, eigene Darstellung)
Die Abbildung 2 fasst die obigen Überlegungen grafisch zusammen. Die Elemente Work und Life werden als Erwerbsleben und Privatleben verstanden. Die Schnittmenge zeigt einen Bereich der nicht eindeutig dem einen oder dem anderen Bereich zugeordnet werden kann[50]. Dies könnte eine Geschäftsreise sein, bei der die Familie integriert werden kann. Weiterhin vorstellbar ist hier eine Betriebs- oder Weihnachtsfeier, das private Treffen mit Kollegen zwecks Meinungsaustausches oder der Geschäftsabschluss im Fußballstadion bzw. auf dem Golfplatz. Die kleineren Ellipsen verdeutlichen die wahrgenommene Fremdbestimmtheit in jedem der Bereiche und innerhalb der Schnittmenge. Da diese Fremdbestimmtheit eine Wahrnehmung ist, ändert sie sich je nach Einstellung der individuellen Person. Die Größe der Ellipse im Erwerbsleben ändert sich, neben der persönlichen Einstellung, auch bei Bewegungen auf der Hierarchieebene. So nimmt die wahrgenommene Fremdbestimmt beim Erreichen der nächten Stufe der Hierarchie eher ab. Im Privatleben ändert sich die Größe der Ellipse, neben der persönlichen Einstellung, mit zu- oder abnehmender Verantwortung. Somit ist die Größe der Fremdbestimmtheit bei einer ledigen, nicht liierten Person eher gering. Dahingegen ist die wahrgenommene Fremdbestimmtheit bei Familien mit Kindern und/oder mit Verantwortung für einen Pflegefall eher groß. Auch bei zunehmendem Engagement innerhalb von Vereinen oder bei der Aufnahme einer Ehrenamtlichen Tätigkeit in der Gemeinde wächst die Ellipse der Fremdbestimmtheit.
Im Sinne der Work-Life Balance gilt es nun die Bereiche Erwerbsleben und Privatleben in Balance zu bringen. Die Terminologie der Balance beschreibt im Allgemeinen ein Gleichgewicht, welches physikalischer oder auch psychologischer Natur sein kein. Als physikalisches Gleichgewicht könnte bei der Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Privatleben die Größe der Zeit zur Hilfe genommen werden. Dazu müssten auf beide Lebensbereiche explizit die gleichen Zeitanteile entfallen. Geht man von einem „normalen“ Achtstundentag aus und rechnet einen 30-minütigen An- und Abreiseweg und eine 30-minütige Erholungspause hinzu, fallen auf den Bereich des Erwerbslebens mindestens neun Stunden. Abzüglich einer siebenstündigen Nachtruhe ist in diesem Beispiel ein physikalisches Gleichgewicht schon nicht mehr möglich. In der Realität nimmt das Erwerbsleben insgesamt sogar eher zehn Stunden eines Tages ein. Demzufolge führt die Heranziehung der Zeit als Ausdruck des Gleichgewichts zu keiner sinnvollen Lösung. Dahingegen erlaubt die Heranziehung des psychologischen Gleichgewichts bzw. Ausgleichs eine individuelle Evaluierung der beiden Sektoren[51]. Hier wird deutlich, dass ein Ausgleich der beiden Lebensbereiche weniger auf dem Papier, sondern vielmehr im Kopf des Individuums stattfinden muss. Neben der körperlichen Gesundheit ist ein Gleichgewicht im Geiste von großer Bedeutung, um in jedem der Lebensbereiche einen konstanten Antrieb aufrecht erhalten zu können und dauerhaft gute Leistung zu erbringen bzw. Zufriedenheit zu empfinden.
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[1] Vgl. Johnson/Lero/Rooney, Work-Life Compendium, 2001, S. 66.
[2] Vgl. Albers, Arbeitsmodell Freiheit, 2008, S.22ff.
[3] Zit. Shakespeare, Der Sturm, 1993, fünfter Akt, vierte Szene.
[4] Vgl. Hoff, Arbeit und berufliche Entwicklung, 2002, S. 4.
[5] Vgl. Ewers, Arbeit als Lebensinhalt?, 2005, S. 11-12.
[6] Vgl. IW, Die Zukunft der Arbeit in Deutschland, 2008, S. 66.
[7] Vgl. Hoff, Arbeit und berufliche Entwicklung, 2002, S. 5.
[8] Vgl. Statistisches Bundesamt, Erwerbstätige nach Wirtschaftsbereichen, 2008.
[9] Vgl. IW, Die Zukunft der Arbeit in Deutschland, 2008, S. 68.
[10] Vgl. Nerdinger/Blickle/Schaper, Arbeits- und Organisationspsychologie, 2008, S. 540f.
[11] Vgl. IW, Die Zukunft der Arbeit in Deutschland, 2008, S. 106.
[12] Vgl. ebd., S. 100.
[13] Vgl. ebd., S. 108.
[14] Vgl. IW, Die Zukunft der Arbeit in Deutschland, 2008, S. 109.
[15] Vgl. Nerdinger/Blickle/Schaper, Arbeits- und Organisationspsychologie, 2008, S. 541.
[16] Vgl. Sennett, Der flexible Mensch, 1998, S. 10.
[17] Vgl. ebd., S. 10-12.
[18] Vgl. Nerdinger/Blickle/Schaper, Arbeits- und Organisationspsychologie, 2008, S. 541.
[19] Vgl. Nerdinger/Blickle/Schaper, Arbeits- und Organisationspsychologie, 2008, S. 541-542.
[20] Vgl. Sennett, Der flexible Mensch, 1998, S. 10.
[21] Vgl. Sennett, Der flexible Mensch, 1998, S. 10.
[22] Vgl. Jung, Von Sinn und Wahn-Sinn, 1986, S. 11.
[23] Vgl. Robeck, Umwertung der Arbeit, 2001, S. 141.
[24] Vgl. Piazza, Kümmerte sich Goethe um seine WLB?, 2008, S. 10.
[25] Vgl. Robeck, Umwertung der Arbeit, 2001, S. 143.
[26] Vgl. Wiese, WLB, 2007, S. 247.
[27] Vgl. Hoff, WLB, 2005, S. 197.
[28] Vgl. Dettmer, Berufliche und Private Lebensgestaltung, 2006, S. 17-19.
[29] Vgl. ebd., S. 17f.
[30] Vgl. ebd., S. 18.
[31] Vgl. Dettmer, Berufliche und Private Lebensgestaltung, 2006, S. 19.
[32] Vgl. Voß, Arbeit und Leben, 1994, S. 284f.
[33] Vgl. Wiese, WLB, 2007, S. 247.
[34] Vgl. Kastner, WLB als Zukunftsthema, 2004, S. 21.
[35] Vgl. Piazza, Kümmerte sich Goethe um seine WLB?, 2008, S.8-9.
[36] Vgl. Gloger, Schwierige Balance, 2001, S. k01.
[37] Vgl. ebd., S. k01.
[38] Vgl. European Agency for Safety and Health at Work, European risk observatory report, 2007, S. 27.
[39] Vgl. Schmitz, Balance-Akt, 2008.
[40] Vgl. ebd.
[41] Vgl. Piazza, Kümmerte sich Goethe um seine WLB?, 2008, S. 9.
[42] Vgl. Piazza, Kümmerte sich Goethe um seine WLB?, 2008, S.8.
[43] Vgl. Schobert, Grundlagen zum Verständnis von WLB, 2007, S.19.
[44] Vgl. Resch/Bamberg, WLB - Ein neuer Blick, 2005, S. 171.
[45] Vgl. Schobert, Grundlagen zum Verständnis von WLB, 2007, S.19.
[46] Vgl. Resch/Bamberg, WLB - Ein neuer Blick, 2005, S. 172.
[47] Vgl. Wiese, WLB, 2007, S. 246.
[48] Vgl. Zaugg, Diskussionspapier WLB, 2006, S. 5-6.
[49] Vgl. Zaugg, Diskussionspapier WLB, 2006, S. 7-8.
[50] Vgl. ebd., S. 7-8.
[51] Vgl. Zaugg, Diskussionspapier WLB, 2006, S. 9.
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