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Mehr InfosDiplomarbeit, 2008, 175 Seiten
Diplomarbeit
Hochschule für angewandte Wissenschaften München (Angewandte Sozialwissenschaften, Soziale Arbeit)
1,3
1 Einleitung
2 Vereinbarkeit von Familie und Beruf
2.1 Familiengerechtigkeit im Unternehmen als neuer „Trend“
2.1.1 Ursachen für den Bewusstseinswandel
2.1.2 Unterstützungsmöglichkeiten der Hochschulen
2.1.2.1 Employability Management Konzept
2.1.2.2 Initiativen
2.1.2.3 Audit der Beruf und Familie gGmbH
2.1.3 Nutzen für Arbeitnehmer und Studierende
2.1.4 Nutzen für Arbeitgeber
2.1.5 Rechtslage
2.1.5.1 Überblick über staatliche Leistungen
2.1.5.2 Mutterschutz und Mutterschaftsgeld
2.1.5.3 Elternzeit und Elterngeld
2.1.5.4 Weitere relevante Regelungen
2.1.6 Gesellschaftliche und politische Verpflichtung
2.1.7 Ist-Situation
2.1.7.1 Situation von Beschäftigten mit Kindern
2.1.7.2 Situation von Studierenden mit Kindern
2.2 Das Zertifikat „Familiengerechte Hochschule“ als Managementinstrument
2.2.1 Inhalte, Ablauf und Funktionsweise
2.2.2 Schlüsselrollen im Zertifizierungsprozess
2.2.3 Hintergründe
2.2.4 Erfolgs- und Risikofaktoren
2.2.5 Kosten- und Nutzenanalyse
2.3 Familienbewusste Arbeits- und Studienbedingungen an der Hochschule
2.3.1 Arbeitszeit
2.3.1.1 Teilzeitbeschäftigung
2.3.1.2 Arbeitszeitkonten
2.3.1.2.1 Jahresarbeitszeit
2.3.1.2.2 Einfache Gleitzeit
2.3.1.2.3 Qualifizierte Gleitzeit
2.3.1.3 Vertrauensarbeitszeit
2.3.1.4 Freistellung und Sonderurlaub
2.3.1.5 Jobsharing
2.3.2 Arbeitsort und Arbeitsorganisation
2.3.2.1 Telearbeit
2.3.2.2 Familiengerechte Gremien- und Besprechungstermine
2.3.3 Personalentwicklung
2.3.3.1 Förderung von „Dual Career Couples“
2.3.3.2 Gleichstellung von Bewerbern mit und ohne Familienaufgaben
2.3.3.3 Planung und Begleitung einer längeren Freistellung
2.3.3.4 Familiengerechte Fortbildungen und Weiterbildungsmaßnahmen
2.3.4 Führungskompetenz
2.3.4.1 Sensibilisierung von Führungskräften für das Thema „Familiengerechte Hochschule"
2.3.4.2 Leitbildveränderung
2.3.4.3 Regelmäßige Feedbackrunden und Gespräche mit den Beteiligten
2.3.5 Informations- und Kommunikationspolitik
2.3.5.1 Bedarfserhebungen und Begleitforschung
2.3.5.2 Interessenvertretung
2.3.5.3 Öffentlichkeitsarbeit
2.3.5.4 Vernetzung mit anderen Hochschulen
2.3.6 Studium und weitere wissenschaftliche Qualifizierung
2.3.6.1 Kontakthaltemaßnahmen während Urlaubssemestern
2.3.6.2 Flexibilisierung von Prüfungsregelungen
2.3.6.3 Regelungen zur Kompensation von Leistungsausfällen
2.3.6.4 Teilzeitstudium oder „Individueller Stundenplan“
2.3.6.5 Familiengerechte Organisation von Pflichtveranstaltungen
2.3.6.6 Lehrangebote im Internet und E-Learning
2.3.6.7 Studiengebührenbefreiung für Eltern
2.3.6.8 Finanzielle Unterstützung
2.3.6.9 Teilzeitpraktika und Vermittlung an familienbewusste Unternehmen
2.3.6.10 Netzwerkförderung und Mentoring-Programme
2.4 Aufgabenfeld einer Familienservicestelle
2.4.1 Zentrale Servicestelle für Familien
2.4.2 Bedarfsgerechter Ausbau und Flexibilisierung der Regelbetreuung
2.4.3 Flexible Ergänzungsangebote der Regelbetreuung
2.4.4 Vermittlung von Tagesmüttern
2.4.5 Nachmittags- und Ferienbetreuung für Schulkinder
2.4.6 Kinderbetreuung bei Tagungen und Kongressen
2.4.7 Angebote zum Thema „Pflege“
2.4.8 Familiengerechte Gestaltung des Campus
2.4.9 Wohnsituation
2.4.10 Weitere Angebote
3 Vereinbarkeit von Familie und Beruf an der TU München
3.1 Das Zertifikat „familiengerechte Hochschule“
3.2 Der Familienservice
3.3 Die Exzellenzinitiative
4 Empirische Studie: Vereinbarkeit von Familie und Beruf an der TU München
4.1 Fragestellung
4.2 Zur Methode
4.2.1 Qualitative und quantitative Sozialforschung
4.2.2 Erhebungsinstrumente
4.2.3 Befragte
4.2.4 Durchführung der Teilstudien
4.2.5 Auswertung
4.3 Ergebnisse der Studie
4.3.1 Interview Familienservice
4.3.2 Interview Exzellenzinitiative
4.3.3 Elternbefragung
4.3.3.1 Organisatorischer Rahmen
4.3.3.2 Programminhalte
4.3.3.3 Familienservice & Vereinbarkeit von Familie und Beruf
4.3.3.4 Persönliche Daten
4.3.3.5 Anmerkungen
4.3.4 Verknüpfung der Teilstudien
5 Fazit
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Anhang 1: Zertifikat familiengerechte Hochschule der TU München
Anhang 2: Interviewleitfaden Familienservice
Anhang 3: Auswertung Experteninterview Familienservice
Anhang 4: Interviewleitfaden Exzellenzinitiative
Anhang 5: Auswertung Interview Exzellenzinitiative
Anhang 6: Elternbrief
Anhang 7: Elternbefragung
Anhang 8: Auswertung Elternbefragung – offene Fragen
Erklärung
Betriebliche Kinderbetreuung, Beratung und Informationen zur Kinderbetreuung, Teilzeitarbeit auch für Führungskräfte oder Spitzenwissenschaftler, Telearbeit, Kinderbetreuung in Notfällen oder während Sonderveranstaltungen, Beratung zur Pflege von Angehörigen, Berücksichtigung der speziellen Situation von studierenden Eltern in der Prüfungsordnung und vieles mehr. Das sind nur Beispiele für die Vielzahl von Möglichkeiten und Angeboten, die in Personalabteilungen vieler Unternehmen aber auch Hochschulen in den letzten Jahren entwickelt wurden, um für berufstätige oder studierende Eltern die Vereinbarkeit von Familie möglich zu machen oder zu erleichtern.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf – ein Themenkomplex, der schon lange unter ethisch-moralischen sowie sozialpolitischen Aspekten diskutiert wird und erst seit kurzer Zeit auch unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet wird. Unternehmen wie auch Hochschulen sehen in familienfreundlichen Maßnahmen und Strukturen die Möglichkeit, zum einen die Lage und Situation von berufstätigen oder studierenden Eltern zu verbessern, zum anderen werden auch Standortvorteile und Kosteneinsparungen auf Unternehmensseite wahrgenommen. Nicht zuletzt profitiert auch der Staat vom unternehmerischen Engagement für Familie und Beruf, da er sowohl bei der Umsetzung seiner sozialpolitischen Aufgaben unterstützt wird, als auch durch die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung höhere Steuereinnahmen und Sozialbeiträge erhält.
Aufgrund dieses neuen Engagements der Arbeitgeber für Beschäftigte bzw. der Hochschule für Studierende, möchte ich zum Einen darstellen, welche Möglichkeiten es gibt Strukturen zu schaffen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erhöhen. Zum Anderen stellt die empirische Studie in dieser Arbeit zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf und zum Familienservice an der TU München eine Evaluation aus unterschiedlichen Perspektiven der Hochschule dar: es wurde eine Elternbefragung mit den Nutzern der Ferienbetreuung durchgeführt. Ein Interview mit der Leitung des Familienservices sowie dem Leiter der Exzellenzinitiative runden die wissenschaftliche Betrachtung ab.
Zu Beginn der Arbeit geht es allgemein um Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es wird ein Überblick über die Gründe für ein Engagement für Familiengerechtigkeit gegeben und betriebliche Unterstützungsmodelle werden diskutiert. Die bestehenden familienpolitischen Leistungen sind neben der Ist-Situation von Studierenden und Beschäftigten mit Kindern Thema im ersten Kapitel.
Im Anschluss wird das Zertifikat „Familiengerechte Hochschule“ vorgestellt. Thema ist dabei insbesondere der Zertifizierungsprozess sowie die Voraussetzungen und Inhalte des Audits. Außerdem werden die Kosten und Nutzen des Audits aufgeführt. Die Inhalte des Zertifikates lassen sich acht Handlungsfeldern zuordnen. In Orientierung an diese werden im folgenden Abschnitt mögliche familienbewusste Maßnahmen und Strukturen dargestellt.
Im darauf folgenden Kapitel ist die Familienservicestelle mit ihren Leistungen und Aufgaben Thema. Es werden verschiedene Angebote diskutiert.
Daraufhin wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf an der TU München thematisiert. Es geht dabei zum Einen um die Familienservicestelle als direkten Ansprechpartner für Studierende und Beschäftigte mit Kindern. Außerdem wird das Zertifikat „familiengerechte Hochschule“, das die TU München seit 2007 besitzt, mit den Maßnahmen dargestellt. Zum Anderen wird auch die Exzellenzinitiative behandelt, die aufgrund der Finanzierung und fachlichen Leitung der Familienthemen großen Einfluss auf die Familiengerechtigkeit an der TU München hat.
In der empirischen Studie dieser Diplomarbeit geht es um den Beitrag des Familienservices zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf an der TU München. Dazu wurden die Nutzer der vom Familienservice angebotenen Ferienbetreuung befragt sowie Interviews mit der Leitung vom Familienservice und mit der Leitung des Planungsstabs Exzellenzinitiative durchgeführt. Die Beschreibung, Auswertung und Verknüpfung der Teilstudien werden im Kapitel 4 dargestellt.
Im Verlauf dieser Arbeit wird zur Vereinfachung zeitweise auf die Nennung beider Geschlechtsformen (Mitarbeiterinnen/ Mitarbeiter) verzichtet.
Für die freundliche Unterstützung möchte ich mich herzlich bei Dr. Markus Zanner und Elisabeth Pentenrieder bedanken. Ebenso danke ich allen Eltern, die an der Elternbefragung teilgenommen haben.
„Unser Berufssystem ist nicht familienkonform und umgekehrt unsere Familien- und Haushaltsstruktur ist nicht berufskonform; die an der Wurzel der industriellen Gesellschaft liegende Trennung von Dienst- und Privatleben wird hier zum strukturellen Widerspruch der beiden großen Bindungen und sozialen Lebensnotwendigkeiten, auf denen die Sicherheit des Menschen in der modernen Gesellschaft beruht. Ausgetragen wird dieser fundamentale Widerspruch des Systems auf dem Rücken der berufstätigen Mutter.“[1] Diese soziologische Betrachtung stammt von Schelsky aus dem Jahr 1972. Dies zeigt, dass das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Sozialwissenschaft schon sehr früh erkannt wurde. Dennoch war es bis vor wenigen Jahren üblich, das Privatleben und die Familie dem Berufsleben unterzuordnen.[2]
Das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ ist erst in den letzten Jahren zum Politikum geworden, lange Zeit jedoch galt es als privates Problem, für das jeder individuelle Lösungen zu finden hatte. In den meisten Familien zeigte sich daher die traditionelle Rollenverteilung: Der Vater arbeitet Vollzeit, die Mutter arbeitet - wenn überhaupt - Teilzeit und ist für die Kinderbetreuung verantwortlich. Für Vollzeitbeschäftigungen oder Karrieren blieb bzw. bleibt den Müttern im Gegensatz zu den Vätern oft kaum eine Chance.
Man hat jedoch erkannt, dass die in der deutschen Verfassung garantierte Gleichberechtigung von Frau und Mann auch eng mit Bildungs- und Erwerbschancen verknüpft ist. Somit steht der Staat in der Verpflichtung, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass sich die Chancen von Frauen und Männern nicht voneinander unterscheiden.[3]
Hinzu kommt, dass die Geburtenrate in Deutschland beständig sinkt bzw. sich mittlerweile auf einem konstant niedrigen Niveau eingependelt hat. Es zeichnet sich ein demografischer Wandel ab, das heißt, es werden immer weniger Kinder geboren, gleichzeitig steigt aber die Lebenserwartung an, so dass immer mehr ältere Menschen von den Jüngeren versorgt werden müssen. Durch diese Entwicklung sind auch die sozialen Sicherungssysteme gefährdet. Wegen der demografischen Entwicklung wird der Anteil älterer Erwerbstätiger in Zukunft steigen und somit auch der Anteil derjenigen, die pflegebedürftige Angehörige zu versorgen haben.
Auffällig ist, dass in Deutschland die Entscheidung für oder gegen Kinder immer später und differenzierter fällt. So sind Mütter bei der Geburt ihres ersten Kindes schon durchschnittlich 30 Jahre alt. Deutschland ist zudem das einzige Land weltweit, in dem die niedrige Geburtenrate durch die lebenslange Kinderlosigkeit eines Drittels der Bevölkerung verursacht wird.[4]
Die Gründe hierfür sind vielfältig:
- Verschiebung der Familiengründung aufgrund von Ausbildung und Beruf
- Instabilität von Lebensentwürfen
- Steigende Lebenshaltungskosten
- Umgang mit sinkender Beschäftigungssicherheit
- Veränderte Anforderungen der Arbeitswelt
- Fehlende familienorientierte Infrastruktur
- Streben nach individueller Unabhängigkeit
- Steigende Bedeutung von Erwerbstätigkeit für die Altersvorsorge[5]
Um diesen Trend zu stoppen, ist es notwendig, dass sich sowohl die Familienpolitik als auch Unternehmen bzw. Hochschulen in der Verantwortung sehen, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf günstige Strukturen zu entwickeln. Diese zahlen sich auch für den Arbeitgeber aus, da diese zu einem verbesserten Betriebsablauf und -ergebnis beitragen können.
Die Hochschulen sehen den Bedarf an Familienfreundlichkeit vor allen Dingen daran, dass Frauen in der Wissenschaft unterdurchschnittlich vertreten sind, dass der Anteil der kinderlosen Akademikerinnen überdurchschnittlich hoch ist oder dass sie verzögert Familien gründen und dass sich auch das Rollenverständnis von Vätern leicht wandelt.
Für die Einführung familienfreundlicher Maßnahmen spielen also aus Sicht der Hochschulen vor allem folgende Gründe eine Rolle:
- Wettbewerb um qualifiziertes Personal und Studierende
- effizientere Arbeitsorganisation und Lehre
- der gesetzliche Auftrag zur Gleichstellung der Geschlechter
Obwohl der Anteil von Frauen und Männern unter den Studierenden noch ausgeglichen ist und Frauen auch im Erstabschluss durchschnittlich besser abschneiden, sinkt ihr Anteil bei den Promovierten auf ein Drittel, bei den Habilitierten auf 15 % und bei den Professuren auf 10 %. Ursächlich für diese Zahlen ist unter anderem die fehlende Vereinbarkeit von Familie und Beruf, da Altersgrenzen für Einstellungen und Berufungen, die Abschaffung unbefristeter Stellen im wissenschaftlichen Mittelbau und Anforderungen an zeitliche Verfügbarkeit eher als familienfeindlich zu werten sind. Die Annahme, die sich in vielen Köpfen über Wissenschaftler festgesetzt hat, dass die Quantität der Veröffentlichungen auf ihre wissenschaftliche Exzellenz schließen lässt, trägt ihr Übriges dazu bei.
In Konsequenz dieser Rahmenbedingungen entscheiden sich viele Frauen mehr oder weniger bewusst gegen eine wissenschaftliche Karriere oder gegen Kinder, da sie keine Möglichkeit sehen, beides zu realisieren. Schließlich bleiben 40% von ihnen kinderlos.
Auch im Verwaltungsbereich ist der Konkurrenzdruck um gute Mitarbeiter spürbar, da die Vergütung im öffentlichen Dienst sehr viel niedriger ist als in der freien Wirtschaft. Zudem sind häufig auch die Arbeitszeiten weniger flexibel geregelt.[6]
Die individuelle Entscheidung Kinder zu haben und als Mutter einer Erwerbstätigkeit nachzugehen ist demnach maßgeblich von äußeren Einflüssen und Anreizen geprägt, die entsprechend gestaltbar sind.
Betrachtet man die Gruppe der hochqualifizierten Frauen eingehender, so wird deutlich, dass besonders bei diesen Kinderwunsch und realisierte Kinderzahl auseinanderklaffen. Die Erklärung hierzu liefert eine ökonomische Kosten-Nutzen-Betrachtungsweise: Kinder verursachen nicht nur direkte Kosten wie Kleidung, Ausbildung und Wohnraum, sondern auch indirekte Kosten. Darunter versteht man Opportunitätskosten, die durch den Einkommensverlust entstehen, wenn zumindest ein Elternteil zeitweise seine Berufstätigkeit aufgibt. Die Opportunitätskosten fallen dabei umso höher aus, je mehr die Frau oder der Mann vor der Geburt des Kindes verdient hat. Folglich sind die Kosten für hochqualifizierte Eltern höher als für niedrig qualifizierte, da sie während der Elternzeit auf mehr Einkommen verzichten. Eine längere Abwesenheit bedeutet hier auch einen größeren Verlust von Humankapital.
In diversen Studien wird darüber hinaus das bisher ungenutzte volkswirtschaftliche Potential der Mütter erwähnt. Man geht davon aus, dass sich dadurch Einkommenssteuer-Mehreinnahmen von bis zu 12 Milliarden Euro im Jahr und Sozialversicherungs-Mehreinnahmen von bis zu 18,2 Milliarden pro Jahr ergeben würden, wenn alle 1,7 Millionen arbeitslosen oder aussetzenden Mütter eine Arbeit aufnehmen würden.
Dieses „schlafende“ Potenzial gilt es zu wecken, indem Familienfreundlichkeit in Unternehmen durch ein umfassenderes und transparenteres Angebot von familienunterstützenden Dienstleistungen verbunden mit finanziellen Anreizen erreicht wird. Letztendlich könnten damit die Opportunitätskosten für Kinder deutlich gesenkt werden.[7]
Doch nicht nur berufstätige Eltern stehen vor der Schwierigkeit trotz familien-unfreundlicher Strukturen Familie und Beruf zu vereinbaren, sondern auch die rund 180.000 Studierenden mit einem oder mehreren Kindern (7%). Da Hochschulstrukturen nur im Ausnahmefall auf die Bedürfnisse von studierenden Eltern ausgerichtet sind, führt dies in 10 % der Fälle zum Studienabbruch aus familiären Gründen. Schwierigkeiten ergeben sich vor allem durch folgende Faktoren:
- die zeitliche Organisation des Studiums im Sinne von Veranstaltungszeiten und Prüfungsfristen
- geringe Bereitschaft von Lehrenden auf ihre Bedürfnisse einzugehen, z.B. bezüglich der Sprechzeiten oder Sonderregelungen
- fehlende Kinderbetreuungsangebote vor allem für Klein- und Grundschulkinder
- sowie durch die finanzielle Lage und die Wohnsituation.[8]
Bei der Einführung familienfreundlicher Maßnahmen werden nach Rump et al. eher selten vorab Bedarfsabfragen durchgeführt. Als Anhaltspunkt dienen demnach in vielen Fällen die Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen oder -gesprächen. Bei der Realisierung der gewünschten Maßnahmen spielen verschiedene Kriterien eine Rolle. Ein wichtiges Entscheidungskriterium stellt der finanzielle Aufwand der Maßnahmen dar. Unternehmen wählen bevorzugt Varianten, die möglichst wenige Kosten verursachen, aber dennoch wirkungsvoll sind, so zum Beispiel die Einrichtung eines Eltern-Kind-Arbeitsplatzes. Maßnahmen, die sowohl kostspielig in der Errichtung als auch im Unterhalt sind, empfinden viele Hochschulen bzw. Unternehmen als nicht umsetzbar. Davon betroffen sind insbesondere die Unterstützung von Kinderbetreuungseinrichtungen oder der Betrieb eigener Einrichtungen.
Weiterhin ist es für viele Arbeitgeber wichtig, dass sich familienfreundliche Maßnahmen ohne größeren organisatorischen Aufwand in den betrieblichen Ablauf integrieren lassen. Dies ist von Hochschule zu Hochschule unterschiedlich und hängt im Wesentlichen von den bestehenden Strukturen sowie der Hochschulkultur ab.
Nicht selten stehen bei familienfreundlichen Maßnahmen auf Unternehmens- bzw. Hochschulseite die Vereinbarkeitsproblematik für die Leitungsebene eher im Hintergrund, vielmehr reagiert sie vermeintlich selbstlos auf betriebliche Zwänge. So will man mit Arbeitszeitmodellen Mehrarbeit vermeiden oder Schichtbetrieb umsetzen. Auch ein optimiertes Wissensmanagement, welches durch Kontakthaltemaßnahmen während der Elternzeit erfolgt, ist für Unternehmen oder Hochschulen von Interesse.[9]
Grundgedanke des Employability Management Konzeptes ist die „Sicherung der nachhaltigen Beschäftigungsfähigkeit (employability) unter Berücksichtigung der Lebensphasen, die durch unterschiedliche Lebenssituationen und Lernmuster gekennzeichnet sind“[10] als Reaktion auf die demografische Entwicklung. Für Unternehmen würde dies bedeuten, dass sie die Motivation und Leistungsfähigkeit ihrer Beschäftigten bis ins hohe Alter erhalten können.
Mit diesem Modell werden erstmals die Förderung der Beschäftigungsfähigkeit, die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Berücksichtigung der Demografieorientierung im Unternehmen kombiniert.
Dies gelingt, indem der Arbeitgeber Strukturen schafft, die den „Lebensstau“ verringern. So werden Beschäftigte entlastet und spüren weniger Druck sowohl Karriere als auch Familie nur in einem sehr engen Zeitfenster realisieren zu können.
Zur erfolgreichen Implementierung dieses ganzheitlichen und integrativen Konzeptes ist es notwendig, dass alle betroffenen Unternehmensbereiche einbezogen werden und Maßnahmen in Bezug auf die Beschäftigungsfähigkeit und Lebensphasenorientierung aufeinander abgestimmt und miteinander verknüpft sind.
Das Konzept fokussiert dabei die im Folgenden dargestellten Handlungsfelder:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Das Konzept/ Handlungsfelder des lebensphasenorientierten Employability Managements. Quelle: vgl. Rump, Eilers (2006, S. 145)
Entscheidend an diesem Konzept ist, dass der Mitarbeiter als Wettbewerbsfaktor wahrgenommen wird, der an das Unternehmen zu binden ist. Demnach soll den Mitarbeitern ein Umfeld mit Entwicklungs- und Entfaltungspotenzial geboten werden. Alle Mitarbeiter erfahren in ihren unterschiedlichen Lebensphasen Wertschätzung, die insbesondere durch Führungskräfte vermittelt werden soll.
Das Handlungsfeld „Personalentwicklung“ behält Familien- und Demografieorientierung stets im Fokus und sichert somit nachhaltig die Beschäftigungsfähigkeit. Das Feld „Gesundheitsförderung“ dient zur Reduzierung und Prävention von Belastungen, daneben umfasst der Service für Familie sowohl Aspekte zur Familien- als auch Demografieorientierung. Demnach könnte dieser folgende Angebote enthalten: Kinderbetreuung, Ferien- und Notfallbetreuung, Vermittlung von Betreuungsmöglichkeiten, Unterstützung bei der Pflege, haushaltsnahe Dienstleistungen.[11]
Laut einer Studie an der Universität Köln nutzen studierende Eltern nur sehr selten Selbsthilfegruppen oder Elterninitiativen zur Kinderbetreuung. Diese geringe Nutzung begründen die Studierenden unter anderem damit, dass für derartige nicht universitätszugehörige Einrichtungen oftmals lange Wartezeiten zu überbrücken sind oder dass aufgrund der informellen Organisation häufig Informationen über die Einrichtungen fehlen.
Daher hat man an der Kölner Universität folgende Lösungen entwickelt, die eine bessere Vereinbarkeit ermöglichen könnten.
- Zeitfensterbörse: Gedacht ist diese kaum Infrastruktur fordernde Variante als Ergänzung zur Regelbetreuung. Registrierte studierende Eltern haben die Möglichkeit auf einer Internetplattform freie Zeiten einzutragen, in denen sie die Kinderbetreuung für andere Eltern übernehmen können. Eltern, die Betreuungsbedarf haben, können so überprüfen, ob andere Eltern ihre Kinder für einen Zeitraum übernehmen können, und deren Betreuungsangebot nutzen. Die Nutzungsfrequenz kann durch die Beschränkung auf registrierte Eltern einfach nachvollzogen werden. Gegebenenfalls können Ausgleichskosten festgelegt werden, wenn zwischen Betreuung und Nutzung ein Ungleichgewicht vorliegt. Vorteil dieser Betreuungsvariante ist, dass Kinder kurzfristig oder auch nur stundenweise während Lehrveranstaltungen betreut werden können. Außerdem entsteht ein Netzwerk unter den Eltern für weitere gegenseitige Unterstützung.
- Tagesmutterbörse: Diese Betreuungsmöglichkeit kann nach demselben Prinzip wie die Zeitfensterbörse aufgebaut sein. Ein einziger Unterschied ist, dass die Tagesmütter von Extern angeworben werden. Gegebenenfalls ist hier eine finanzielle Unterstützung durch das Studentenwerk notwendig.
- Flexible Kinderbetreuung: Vorbild für diese Variante sind Kinderbetreuungen in Möbelhäusern, d.h. Kinder können kurzfristig an einem zentralen Ort mit professioneller Betreuung abgegeben werden.[12]
Eine weitere Möglichkeit, mit Hilfe derer die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder Studium verbessert werden kann, stellt das Zertifikat „familiengerechte Hochschule“ der Beruf und Familie gGmbH dar. Im Kapitel „2.2 Das Zertifikat „Familiengerechte Hochschule“ als Managementinstrument“ wird dieses ausführlich erläutert.
Beschäftigte wie auch Studierende profitieren gleichermaßen von familiengerechten Strukturen an der Hochschule. In Bezug auf Beschäftigte haben familienfreundliche Maßnahmen den positiven Effekt, dass Mütter oder Väter nach familienbedingten Pausen früher an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Kurze Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit werden dann möglich, wenn sich die Hochschule beispielsweise dafür einsetzt, dass Telearbeitsplätze eingerichtet werden, dass Eltern während der Elternzeit in einem Teilzeitarbeitsverhältnis weiter beschäftigt werden oder dass eine bedarfsgerechte Betreuungsinfrastruktur zur Verfügung gestellt oder vermittelt wird. Für Mütter oder Väter in Eltern- oder Erziehungszeit hat dies den Vorteil, dass ihre Abwesenheit weniger stark ins Gewicht fällt und somit die Chance auf eine erfolgreiche Karriere bestehen bleibt.
Von Kontakthaltemaßnahmen während familienbedingter Unterbrechungen der Erwerbs-tätigkeit oder des Studiums profitiert neben dem Arbeitgeber bzw. der Hochschule auch der abwesende Elternteil. Sie bleiben trotz ihrer Auszeit in das System Hochschule eingebunden. Das heißt soziale Bindungen bleiben bestehen und sie werden durch den Austausch mit Kollegen über aktuelle hochschulinterne Änderungen auf dem Laufenden gehalten.
Schafft die Hochschule Strukturen zur Erhöhung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, führt dies sehr wahrscheinlich zur Stressreduktion bei Studierenden oder Beschäftigten mit Familienaufgaben. So können ihre Kinder beispielsweise in Einrichtungen betreut werden, deren Öffnungszeiten auf den betrieblichen oder studentischen Alltag ausgerichtet sind.
Außerdem wirkt sich ein Mehr an Freizeit und eine bessere Balance von Arbeit und Privatleben positiv auf das gesundheitliche Wohlbefinden der Betroffenen aus, so dass letztlich mehr Energie für beide Bereiche übrig bleibt.
Zudem ist zu bedenken, dass feste und stabile partnerschaftliche Bindungen bis ins hohe Alter immer seltener werden. Eine kurze Elternzeit entspricht somit auch dem Wunsch nach ökonomischer Unabhängigkeit von Seiten der Frauen. Aber auch in Partnerschaften kann eine kurze Elternzeit dazu beitragen, die finanzielle Existenz zu sichern oder den Lebensstandard zu halten.[13]
Betrachtet man familienfreundliche Maßnahmen aus Sicht der Studierenden, so profitieren diese unter anderem von niedrigeren Betreuungskosten, vorausgesetzt die Hochschule hat eine eigene oder eine Kooperations-Betreuungseinrichtung. Die hochschulinternen Einrichtungen sind in den meisten Fällen auf das akademische Jahr ausgerichtet, das heißt sie berücksichtigen, dass in manchen Familien während der Semesterferien kein Betreuungsbedarf besteht. Auch durch stundenweise Betreuung oder durch Bezuschussung der Betreuungskosten durch das Studentenwerk und andere Institutionen kann die finanzielle Belastung von studierenden Eltern reduziert werden.
Nicht zuletzt reduzieren familiengerechte Strukturen für studierende Eltern unnötige Verlängerungen der Studienzeit zum Beispiel durch die Berücksichtigung der Situation von studierenden Eltern in der Prüfungsordnung (siehe auch 2.3.6.2 Flexibilisierung von Prüfungsregelungen).
Familiengerechte Maßnahmen sind jedoch nicht als Geschenke an den Mitarbeiter zu verstehen, sondern als gezielte Instrumente der Personalpolitik einer Hochschule. Das heißt letztendlich profitiert auch die Hochschule in vielfacher Hinsicht von der Einführung familienfreundlicher Strukturen und Maßnahmen.
Durch gezielte Förderung von Frauen und kurze Elternzeiten steht der Hochschule als Arbeitgeber ein häufig noch nicht genutztes Potenzial an qualifizierten Arbeitskräften zur Verfügung. Gerade in Zeiten des sinkenden Erwerbspersonenpotenzials ist es wichtig, qualifizierte Arbeitnehmer zu rekrutieren und diese auch an der Hochschule zu halten. Allerdings ist hier zu beachten, dass familienfreundliche Maßnahmen oder Strukturen häufiger den höher qualifizierten Mitarbeitern oder denen mit erfolgskritischem Wissen zur Verfügung stehen, als niedriger gestellten Beschäftigten. Im Vordergrund steht hier die Bindung der Top-Beschäftigten, eine aus Sicht der Hochschule lohnende Investition.
Bleibt der Kontakt zu Mitarbeitern in der Elternzeit erhalten, so werden diese zusätzlich an das Unternehmen gebunden und brauchen bei ihrer Rückkehr eine weniger lange Einarbeitungszeit. Hinzu kommt, dass bei kurzen Auszeiten oder einer Teilzeittätigkeit während der Elternzeit in den meisten Fällen keine Ersatzkraft eingestellt werden muss, sondern die Aufgaben durch Umverteilung auf Kollegen anderweitig bearbeitet werden können. Dadurch eröffnen sich der Hochschule Einsparmöglichkeiten, denn es werden weder Ressourcen zur Rekrutierung noch zur Einarbeitung benötigt.
Werden auch die Probleme eines Beschäftigten mit Kind bei Krankheit des Kindes wahrgenommen und wird dafür eine adäquate Lösung gefunden, wie zum Beispiel die Vermittlung einer Notfallbetreuung, so macht sich dies auch in einer geringeren Krankheitsquote bemerkbar.
Die Investition in familienfreundliche Maßnahmen zahlt sich zudem durch die Steigerung der Motivation, Konzentration und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten aus, denn die Beschäftigten fühlen sich in ihrer Situation wertgeschätzt und unterstützt, wenn die Hochschule ihre Bedürfnisse und Probleme wahrnimmt und zu ihren Problemen macht. Wenn arbeitende oder studierende Eltern wissen, dass ihre Kinder gut betreut werden und zum Beispiel in Notsituationen auch in die Hochschule mitgenommen werden können, steigert dies auch deren Produktivität und Leistungsbereitschaft.
Das Engagement für Familienfreundlichkeit bewirkt außerdem einen Imagegewinn, da die Attraktivität der Hochschule als Arbeitsplatz und Studienort zunimmt. Da im Rekrutierungsprozess immer mehr die zusätzlichen Angebote und das soziale Engagement eines Arbeitgebers für den Arbeitnehmer eine tragende Rolle spielen, können diese für die Hochschule einen entscheidenden Standortfaktor darstellen. Der Imagegewinn ist jedoch nicht nur bei potenziellen neuen Mitarbeitern sondern auch bei aktuell Beschäftigten von Bedeutung und deren Identifikation mit dem Arbeitgeber steigt.
Nicht zuletzt sehen Unternehmen familienfreundliche Maßnahmen, wie Elternzeit oder Arbeitszeitreduzierungen, auch als unkomplizierte Möglichkeit auf wirtschaftlich schwierigere Zeiten mit Kapazitätsausgleich zu reagieren. Schwierig wird in solchen Fällen eine vom Vater oder von der Mutter angestrebte schnelle Rückkehr in den Beruf.
Hinzuzufügen ist jedoch, dass eine Hochschule vor Einführung familienfreundlicher Maßnahmen eine Kosten-Nutzen-Analyse vornehmen wird, da ökonomische Interessen trotz allem sozialen Engagement im Vordergrund stehen.
Daher findet man wie bereits erwähnt in den meisten Hochschulen vor allem familienfreundliche Strukturen, die vergleichsweise kostengünstig realisierbar sind, wie zum Beispiel eine Kinderkiste mit Spielzeug. Ein ebenso wichtiges Entscheidungskriterium für oder gegen eine Maßnahme ist der organisatorische Aufwand zur Umsetzung. Am häufigsten werden daher Maßnahmen gewählt, die sich unproblematisch in den Hochschulalltag integrieren lassen oder die leicht umzusetzen sind.[14]
Für die Hochschulen haben familienfreundliche Strukturen den weiteren Vorteil, dass diese in Statistiken zur Studiendauer unter Umständen besser abschneiden, da durch Familienfreundlichkeit Verzögerungen im Studium oder Abbrüche vermieden werden können.
Die familienpolitischen Leistungen in Deutschland umfassen Transferzahlungen und steuerliche Vergünstigungen wie auch Leistungen zur Unterstützung von Familien und die Bereitstellung entsprechender Infrastruktur. Vom Bruttoinlandsprodukt werden derzeit insgesamt 2,7 % in den Bereich Familienpolitik investiert, davon gehen 1,9 % als Transferleistung direkt an die Familien und 0,8 % werden für Infrastruktur und andere Leistungen verwendet.[15]
Die folgende Übersicht gibt einen Überblick über familienpolitische Leistungen des Bundes:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Überblick über familienpolitische Leistungen. Quelle: Rump et al (2008, S. 60)
In den folgenden Kapiteln werden die für die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf besonders relevanten Leistungen gesondert und ausführlich aufgeführt.
Die gesetzlichen Regelungen des Mutterschutzes gelten für alle Mütter sechs Wochen vor und bis acht Wochen nach der Geburt eines Kindes, sofern diese in einem Arbeitsverhältnis stehen. Dabei spielt die Art der Erwerbstätigkeit keine Rolle, denn die Bestimmungen umfassen Voll- und Teilzeitbeschäftigte, geringfügig Beschäftigte, Hausangestellte sowie Heimarbeiterinnen und Auszubildende. Mit dem Mutterschutzgesetz soll die Gesundheit der werdenden Mutter und des Kindes vor Gefahren des Arbeitsplatzes geschützt werden. Über die Einhaltung der Bestimmungen wacht das Gewerbeaufsichtsamt oder das Arbeitsschutzamt. Da der gesetzliche Schutz erst gewährt wird, wenn der Arbeitgeber über die Schwangerschaft informiert ist, sollte dieser im Interesse der werdenden Mutter so früh wie möglich in Kenntnis gesetzt werden. Die Mutterschutzreglungen umfassen folgende zentrale Punkte:
- grundsätzlicher Schutz vor Kündigungen
- in den meisten Fällen Schutz vor vorübergehender Minderung des Einkommens
- Freistellungen für ärztliche Untersuchungen ohne Entgeltkürzungen während der Arbeitszeit
- Mutterschaftsgeld
- Zahlung des bisherigen Durchschnittsverdiensts (Mutterschutzlohn) bei Arbeitsunfähigkeit der Mutter aus gesundheitlichen Gründen[16]
Während der Schutzfristen sechs Wochen vor dem errechneten Geburtstermin und acht Wochen nach dem tatsächlichen Geburtstermin erhält die berufstätige Mutter von Arbeitgeber und Krankenkasse bei bestehender Mitgliedschaft Mutterschaftsgeld, ansonsten erfolgt die Zahlung über Sozialhilfe. Grundsätzlich besteht ein Leistungsanspruch über mindestens 14 Wochen, d.h. bei vorzeitiger Entbindung werden die Tage auf den Leistungszeitraum nach der Geburt hinzugerechnet. Bei Mehrlingsgeburten wird nach der Entbindung über zwölf Wochen Mutterschaftsgeld bezahlt.[17]
Tabelle 2 gibt einen Überblick über die staatlichen Mutterschaftsleistungen. Es werden zum einen die Anspruchsvoraussetzungen und zum anderen die Leistungen und Leistungsträger dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2 Mutterschaftsleistungen. Quelle: Rump et al. (2008, S. 34)
Das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) trat am 01. Januar 2007 an die Stelle des bisherigen Bundeserziehungsgeldgesetzes. Den Anspruch auf Elternzeit können alle Mütter und Väter geltend machen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen. Das heißt, dass auch befristet Beschäftigte, Teilzeitbeschäftigte, geringfügig Beschäftigte, Auszubildende, Umschüler oder zur beruflichen Fortbildung Beschäftigte Elternzeit nutzen können. Dabei besteht der Anspruch auf Elternzeit zur Betreuung von
- Kindern, für die Personensorge besteht
- Kindern unverheirateter Väter, die nicht sorgeberechtigt sind (mit Zustimmung der sorgeberechtigten Mutter)
- Kindern des Ehegatten oder eines eingetragenen Lebenspartners
- Kindern, die zur Vollzeitpflege aufgenommen wurden
- Kindern, die mit dem Ziel der Annahme in Obhut genommen wurden
- Enkelkindern, Brüdern, Neffen, Schwestern oder Nichten (in Härtefällen).
Als weitere Voraussetzungen müssen folgende Kriterien erfüllt sein:
- Das Kind lebt mit der anspruchstellenden Person in einem Haushalt,
- wird von dieser überwiegend selbst betreut und
- arbeitet während der Elternzeit nicht mehr als 30 Wochenstunden.
Eltern haben bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes einen Anspruch auf Elternzeit, wobei ein Anteil von bis zu zwölf Monaten bis zur Vollendung des achten Lebensjahres des Kindes genutzt werden kann. Macht man davon Gebrauch ist die Zustimmung des Arbeitgebers notwendig. In allen anderen Fällen bedarf es keines Einverständnisses des Arbeitgebers. Für eine bessere Planbarkeit auf Arbeitgeberseite sind der Beginn und Umfang der Abwesenheit aufgrund von Elternzeit jedoch sechs Wochen vor Beginn bei Inanspruchnahme der Elternzeit unmittelbar nach der Geburt eines Kindes bzw. acht Wochen vor Beginn bei späterer Elternzeit schriftlich mitzuteilen. Mit der Anmeldung ist eine verbindliche Festlegung für die Inanspruchnahme der Elternzeit innerhalb der ersten beiden Jahre erforderlich. Stellt man den Anspruch vorerst nur für ein Jahr, so verliert man das zweite Jahr Elternzeit.
Für Väter beginnt die Elternzeit unmittelbar nach der Geburt des Kindes, bei Müttern erst nach dem Mutterschutz, wobei dieser auf die Gesamtdauer der Elternzeit angerechnet wird. Beide Elternteile haben Anspruch auf eine dreijährige Elternzeit, wie sie diese gestalten, bleibt ihnen selbst überlassen. Es besteht die Möglichkeit, dass Eltern die gesamte Elternzeit gemeinsam nutzen, dass nur ein Elternteil seinen Anspruch geltend macht oder dass sie aufgeteilt wird.[18]
Da im Hochschulbereich viele Arbeitsverträge an (Forschungs-) Projekte gebunden sind, handelt es sich meistens um befristete Arbeitsverhältnisse. In der Regel verlängern sich diese durch Elternzeit nicht, allerdings gibt es Ausnahmen für Verträge wissenschaftlicher Mitarbeiter nach dem Hochschulrahmengesetz § 57b HRG. In diesen Fällen verlängern sich die Vertragslaufzeiten um die Dauer der Elternzeit.[19]
Während der Elternzeit ist eine Teilzeitbeschäftigung möglich, die 30 Wochenstunden nicht übersteigt. Dies gilt für beide Elternteile, falls sich beide in Elternzeit befinden. Nach § 15 Abs. 4 Satz 3 BEEG ist auch eine Erwerbstätigkeit bei einem anderen Arbeit-geber oder selbstständige Arbeit möglich, wobei dafür die Zustimmung des Arbeitgebers erforderlich ist. Es kann auch beim Arbeitgeber eine Verringerung der Arbeitszeit beansprucht werden, wenn nach § 15 Abs. 7 BEEG mehr als 15 Arbeitnehmer beschäftigt werden, das Arbeitsverhältnis ohne Unterbrechungen schon seit mindestens sechs Monate besteht, die verringerte Arbeitszeit für mindestens zwei Monate zwischen 15 und 30 Wochenstunden beträgt, keine dringenden betrieblichen Gründe entgegenstehen und der Arbeitgeber sieben Wochen vor Beginn eine schriftliche Mitteilung zu Umfang und Beginn der Abwesenheit erhalten hat. Während der Elternzeit kann eine Verringerung der Arbeitszeit höchstens zweimal geltend gemacht werden.
Für den Fall, dass eine vorzeitige Beendigung der Elternzeit gewünscht ist, bedarf dies laut §16 Abs. 3 Satz 1 BEEG der Zustimmung des Arbeitgebers. Eine Ablehnung des Arbeitgebers ist auch hier nur unter dringenden betrieblichen Gründen möglich. Die Elternzeitbeendigung ist nicht möglich, wenn die Mutterschutzfrist für ein weiteres Kind beginnt.[20]
Während der Elternzeit besteht ein besonderer Kündigungsschutz für Arbeitnehmer. Eine Kündigung durch den Arbeitgeber ist rechtlich unwirksam ab dem Zeitpunkt der An-meldung der Elternzeit (frühestens acht Wochen vor Beginn) bis zum Ende der Elternzeit. Nur in besonderen Härtefällen wie Einstellung des Betriebes oder Existenzgefährdung ist eine Kündigung unter einer Zulässigkeitserklärung der für Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde möglich. Arbeitnehmer können während der Elternzeit entsprechend der gesetzlichen, tariflichen bzw. vertraglichen Kündigungsfrist das Arbeitsverhältnis auflösen, wobei zum Ende der Elternzeit eine Sonderkündigungsfrist von drei Monaten gilt.[21]
Neben der Elternzeit regelt das BEEG auch den Bezug des Elterngeldes über einen Zeitraum von maximal 14 Monaten. Mit dieser staatlichen Transferleistung sollen Einkommenseinbrüche vermieden werden und eine tatsächliche Wahlmöglichkeit einer Betreuung durch Mutter oder Vater eröffnet werden. Zudem soll die wirtschaftliche Selbstständigkeit beider Elternteile gefördert werden und die durch die Geburt eines Kindes entstehenden Opportunitätskosten angemessen ausgeglichen werden.
Das Elterngeld berechnet sich auf Grundlage des Nettoeinkommens der letzten zwölf Monate vor der Geburt des Kindes, es werden 67 % des wegfallenden Einkommens weiter bezahlt, wobei die Obergrenze bei 1.800 € monatlich liegt. Betrug das durchschnittliche Nettogehalt weniger als 1.000 € monatlich, so erhöht sich nach § 2 Abs. 2 BEEG der Prozentsatz um 0,1 % für je 2 € unter der Grenze von 1.000 € bis maximal 100 %.
Auch nicht erwerbstätige Eltern haben Anspruch auf einen Sockelbetrag von 300 € monatlich, der nicht auf andere Leistungen angerechnet wird. Ebenso leistungsberechtigt sind Studierende und Auszubildende. Bei diesen ist eine Unterbrechung der Ausbildung nicht notwendig und die Wochenstunden, die für die Ausbildung verwendet werden, spielen hier keine Rolle. Familien mit mehreren Kindern erhalten einen Geschwisterbonus von 10 %, mindestens jedoch in Höhe von 75 €. Die Dauer dieser Bonuszahlung ist abhängig vom Alter der Geschwisterkinder, es muss mindestens ein weiteres Kind unter drei Jahren oder zwei weitere Kinder unter sechs Jahren zur Familie gehören. Auch Eltern von Mehrlingen haben einen erhöhten Anspruch, ihnen stehen 300 € zusätzlich für das zweite und jedes weitere Kind zur Verfügung.
Der Elterngeldanspruch besteht über die Dauer von maximal 14 Monaten, vorausgesetzt Vater und Mutter wechseln sich mindestens für zwei Monate ab. Die so genannten „Partnermonate“ gewähren die verlängerte Zahlung über 14 Monate, die auch Alleinerziehenden zusteht. Unterbricht nur ein Elternteil seine Erwerbstätigkeit, so besteht der Anspruch auf Elterngeld nur für die Dauer von zwölf Monaten.[22]
- Teilzeitbeschäftigung: Im Teilzeit- und Befristungsgesetz ist der gesetzliche Anspruch auf Teilzeitarbeit verankert. Grundsätzlich haben Arbeitnehmer, deren Beschäftigungsverhältnis mehr als sechs Monate andauert und deren Arbeitgeber mehr als 15 Mitarbeiter beschäftigt, Anspruch auf eine Teilzeitbeschäftigung. Das TZBfG schützt Arbeitnehmer mit reduzierter Arbeitszeit zudem vor Benachteiligung.
- Das Kindergeld ist eine einkommensunabhängige Leistung für alle Kinder bis zum 18. Lebensjahr. Der Anspruch besteht über die Volljährigkeit hinaus bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, wenn das Kind arbeitslos ist, oder bis zum 25. Lebensjahr des Kindes, wenn sich dieses in Ausbildung befindet und das eigene Einkommen nicht 7.680 € pro Jahr übersteigt. Das Kindergeld beträgt 154 € pro Monat vom ersten bis zum dritten Kind und 179 € pro Monat ab dem vierten Kind.
- Alleinerziehenden Eltern, die vom anderen Elternteil keinen oder einen zu geringen Unterhalt für gemeinsame Kinder erhalten, steht von staatlicher Seite ein Unterhaltsvorschuss zu. Diese Leistung ist auf maximal 72 Monate oder bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahres beschränkt.
- Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung: Müttern und Vätern werden bestimmte Pflichtbeitragszeiten in der Rentenver-sicherung gutgeschrieben, falls diese aufgrund von Elternzeit längere Zeit nicht erwerbstätig sind.
- Steuerliche Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten: Doppelverdienern und alleinerziehenden Eltern ist es möglich, zwei Drittel ihrer Betreuungskosten für Kinder bis 14 Jahren ab dem ersten Euro als Werbungskosten steuerlich geltend zu machen. Die Obergrenze liegt bei 4.000 € jährlich. Handelt es sich um einen Alleinverdienerhaushalt, so gilt dies nur für Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren als Sonderausgabe. Für Kinder unter drei bzw. über 14 Jahren können Kosten für Betreuung im Haushalt bis 2.400 € geltend gemacht werden.
- Ehegattensplitting: Erwerbstätige Ehepaare haben nach dem Einkommensteuergesetz die Wahl zwischen getrennter Veranlagung und Zusammenveranlagung. Die meisten Paare wählen die Zusammenveranlagung. Das heißt, das Einkommen beider Ehegatten wird summiert, zur Ermittlung der Steuerschuld halbiert und die sich beim halbierten Einkommen ergebenden Steuer verdoppelt. Dieses Verfahren stellt vor allen Dingen für Alleinverdiener eine Entlastung dar, da sich auch der Grundfreibetrag faktisch verdoppelt.
- Bezahlte Freistellung von der Arbeit zur Pflege kranker Kinder: Dieser Anspruch besteht nach § 45 SGB V „Krankengeld bei Erkrankung des Kindes“ für berufstätige Eltern bei Krankheit eines unter zwölfjährigen Kindes, sofern sie Mitglieder einer gesetzlichen Krankenversicherung sind. Besteht der Anspruch nicht, so leistet die Krankenkasse die Zahlung von Krankengeld, wenn das Kind versichert ist, die anspruchsberechtigte Person wegen Erkrankung des Kindes der Arbeit ferngeblieben ist und keine andere im Haushalt lebende Person die Pflege des Kindes übernehmen konnte. Vater und Mutter stehen pro Jahr und pro Kind jeweils zehn Tage bezahlte Freistellung zu. Bei mehreren Kindern sind es pro Elternteil maximal 25 Tage. Alleinerziehende haben pro Kind einen Anspruch auf 20 Tage, bei mehreren Kindern erhöht sich dieser auf 50 Tage.[23]
- Haushaltshilfe: Bei Kindern unter zwölf Jahren oder bei behinderten Kindern über zwölf Jahren besteht ein Anspruch auf eine Haushaltshilfe, wenn es den Vätern oder Müttern wegen Krankenhaus- oder Kuraufenthalten nicht möglich ist, den Haushalt weiterzuführen. Die Kosten dafür werden in angemessener Höhe erstattet.
- Die Übernahme der Elternbeiträge von Kindertageseinrichtungen durch das Jugendamt ist in Fällen möglich, in denen das Einkommen unter einer bestimmten Grenze liegt.
- Kinderbetreuungszuschuss durch Arbeitgeber: Nach § 3 Nr. 33 EStG sind Arbeitgeberleistungen (Sach- oder Barleistungen) unter bestimmten Voraussetzungen steuer- und sozialversicherungsfrei. Der Arbeitgeber kann die Höhe der Zuschüsse dabei selbst festlegen, da es nach oben keine Begrenzung gibt. Die Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit umfasst nur Zuschüsse für nicht schulpflichtige Kinder und diese müssen zusätzlich zum gezahlten Arbeitslohn geleistet werden. Der Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber außerdem die zweckgebundene Verwendung der Zuschüsse nachweisen und die Betreuungseinrichtung muss zur Betreuung und Unterbringung von Kindern geeignet sein. Nicht möglich ist daher die Bezuschussung von Betreuungskosten einer Kinderbetreuung im eigenen Haushalt.[24]
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- Steuerliche Absetzbarkeit betrieblicher und betrieblich unterstützter Kinderbetreuung: Betriebe können sämtliche durch Bau oder Betrieb einer Betreuungseinrichtung oder durch Ankauf von Belegplätzen in Kinderbetreuungseinrichtungen entstehenden Kosten als Betriebsausgaben gemäß EStG geltend machen. Beratungs- und Vermittlungsleistungen werden nur dann anerkannt, wenn sie in Zusammenarbeit mit einem Beratungsunternehmen im Rahmen von Pauschalverträgen erfolgen. Die Kostenübernahme des Arbeitgebers für Notbetreuung ist steuerfrei, wenn das Angebot jedem Mitarbeiter zur Verfügung steht und die Kosten pauschal abgerechnet werden, also nicht dem einzelnen Mitarbeiter zugeordnet werden.[25]
- Betriebsvereinbarungen: Durch Verträge zwischen einem einzelnen Arbeitgeber und dem Betriebsrat sind diese am besten in der Lage die konkreten betrieblichen Arbeitsbedingungen auf die familiären Erfordernisse der Beschäftigten abzustimmen. Im Rahmen von Betriebsvereinbarungen können viele Regelungen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf getroffen werden – mögliche Lösungen sind zum Beispiel die Anrechnung der Elternzeit auf Beschäftigungsdauer oder Betriebszugehörigkeit sowie arbeitsplatzspezifische Weiterbildungsmaßnahmen während der Familienpause oder Ähnliches.[26]
- Im § 2 Abs. 4 Satz 1 Hochschulrahmengesetz ist geregelt, dass Hochschulen „die besonderen Bedürfnisse von Studierenden mit Kindern“[27] zu berücksichtigen haben. Zudem dürfen nach § 34 Satz 4 Studierenden aufgrund der „Betreuung oder Pflege eines Kindes unter 18 Jahren“ keine Nachteile entstehen.[28]
- BAföG-Gesetz § 10 Abs. 3 Nr. 3, § 15 Abs. 3 und § 48 Abs. 2 HRG: Auszubildende und Studierende mit Kind erhalten besonderen Schutz, für sie besteht keine Altersbegrenzung der Ausbildungsförderung bzw. es werden Fristverlängerungen für den BAföG-Bezug gewährt.[29]
Um eine nachhaltige und zukunftsorientierte Familienpolitik gelingend in eine Hochschule zu integrieren, bedarf es von Seiten des Staates den entsprechenden rechtlichen und politischen Rahmen.
Dabei sollten die Rahmenbedingungen so gestaltet sein, dass Mütter und Väter die Wahl haben, inwieweit sie neben ihren Familienaufgaben berufstätig sein möchten und nicht, ob sie entweder ihrem Kinderwunsch oder ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen wollen. Nicht selten fällt die Entscheidung zugunsten der Karriere und zuungunsten von Kindern. Um diesen Trend zu stoppen und für junge Familien beides zu realisieren, ist vor allen Dingen eine bedarfsgerechte Betreuungsinfrastruktur von Nöten. Denn je mehr Betreuungsplätze für Kinder zur Verfügung stehen, desto eher können sich Väter und Mütter für Kind und Karriere entscheiden. Während für Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren ein Rechtsanspruch für Halbtags-Kindergartenplätze besteht, entspricht das Betreuungsangebot für jüngere oder ältere Kinder nicht dem Bedarf. Ebenso schwierig lässt sich Beruf und Familie mit einem Halbtagskindergartenplatz vereinbaren, bei dem die tägliche Betreuungszeit nur vier Stunden entspricht.
Betrachtet man deutsche Städte und Landkreise unter diesem Gesichtspunkt eingehender, so wird deutlich, dass die Betreuungsinfrastruktur regional sehr unterschiedlich gestaltet ist. Vor allem in den neuen Bundesländern herrschen historisch bedingt sehr viel bessere Bedingungen als in den alten Bundesländern. Ebenso auffällig ist auch ein Unterschied zwischen Stadt und Land, denn in städtischen Gebieten ist der Betreuungsbedarf besser abgedeckt.[30]
Jedoch ist zu bedenken, dass das Konzept und die familienpolitischen Leistungen unter heutigen Bedingungen nur noch eingeschränkt zur Erreichung von Vereinbarkeit von Familie und Beruf und zur Erhöhung der Fertilitätsrate geeignet sind.
Familienpolitisch wird die Forderung nach Betreuungseinrichtungen vor allem vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung begründet. Man geht davon aus, dass eine Ursache des Geburtenrückgangs die fehlende Betreuungsinfrastruktur ist. Sobald sich hier eine Besserung ergeben würde, würde sich auch die Geburtenrate wieder erhöhen.[31] Dass die Familienpolitik jedoch mit ihren Schwerpunkten die Erhöhung der Fertilitätsraten und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht verbessert, zeigen aktuelle Zahlen. So bleibt die Geburtenrate auf einem konstant niedrigen bis sinkenden Niveau und die Müttererwerbsbeteiligung nimmt sogar weiter ab.[32]
In anderen Studien bzw. Institutionen wie der Bertelsmann Stiftung wird Vereinbarkeit von Familie und Beruf vor allen Dingen mit folgendem Ziel begründet: Aufgrund der derzeit massiven Veränderung des Erwerbspotenzials in Deutschland, ist eine verstärkte Frauenerwerbstätigkeit notwendig, um Fachkräfteengpässe und die Folgen der demografischen Verschiebung zu begrenzen. Die Kritik lautet, dass die gegenwärtige Familienpolitik mit ihren Transferleistungen wie zum Beispiel Elterngeld genau in die falsche Richtung geht.
Anstelle Vereinbarkeit von Familie und Beruf und einen schnellen Wiedereinstieg ins Berufsleben nach der Elternzeit zu ermöglichen, erleichtert die gegenwärtige Familienpolitik ein vollständiges oder teilweises Ausscheiden aus dem Erwerbsleben wegen Kinderbetreuung. Diese Maßnahmen würden vielmehr zur Vergeudung von Humankapital führen und ein tradiertes geschlechtsspezifisches Rollenverhalten verfestigen, so die Kritiker. Man geht immer noch vom tradierten Rollenverständnis mit dem Alleinverdiener- bzw. Zuverdienermodell und einer entsprechenden familiären Rollenverteilung aus. Schwerpunkt der Familienpolitik sind hohe monetäre Transferzahlungen und steuerliche Vergünstigungen, vereinbarkeitsfördernde Infrastruktur spielt eine nebengeordnete Rolle. Da die Familienpolitik den Wunsch nach finanzieller Unabhängigkeit und sozialer Gleichheit von Frauen und Männern nicht berücksichtigt, fordern Kritiker die Aufhebung des Ehegattensplittings und der Transferzahlungen wie Elterngeld. Familien werden zwar durch Steuern und Transfers günstiger gestellt, allerdings sind die Anreize für die Aufnahme einer Erwerbsarbeit durch den zweiten Elternteil im System der Einkommensbesteuerung nicht besonders stark, insbesondere wenn es um die Aufnahme einer Teilzeittätigkeit geht.[33]
Die Zahlungen sollten ihrer Meinung nach in den Ausbau einer bedarfsgerechten Kinderbetreuungsinfrastruktur investiert werden. Zudem sprechen sie sich für Einschränkungen von Elternzeit, Mutterschutz und Teilzeitanspruch aus. Sie sehen darin die Chance die Erwerbstätigkeit von Müttern zu fördern und zugleich neue Arbeitsplätze insbesondere für Frauen zu schaffen.[34]
Des Weiteren ist an der aktuellen Familienpolitik zu kritisieren, dass sie von stabilen Bedingungen im Sozialversicherungssystem und in der Arbeitswelt ausgeht. Sie wird der flexibilisierten Arbeitswelt von heute mit hoher Veränderungsgeschwindigkeit und steigender Komplexität nicht gerecht.
Glücklicherweise erkennt die Familienpolitik den notwendigen Wechsel der familienpolitischen Ausrichtung weg von einer Finanzierung eines zeitweisen Ausstiegs aus dem Erwerbsleben hin zu Strukturen und Maßnahmen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen.[35]
Diverse Studien zeigen immer wieder dasselbe Ergebnis: bei fast allen jungen Frauen ist der Wunsch nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf vorhanden und nur wenige sind bereit ihren Beruf zugunsten der Familiengründung aufzugeben. In den alten Bundesländern sind dies sechs Prozent der Frauen, in den neuen Bundesländern nur zwei Prozent der Frauen. Obwohl sich viele Paare ein gleichberechtigtes, partnerschaftliches Lebensmodell wünschen, führt die Geburt eines Kindes oft zur traditionellen Rollenteilung.
Dennoch geben etwa zwei Drittel der Mütter - zumindest vorübergehend - ihren Beruf auf und kehren vielfach erst spät ins Erwerbsleben zurück. Man kann die Erwerbstätigkeit von Frauen mit Kindern sehr anschaulich so beschreiben: Je jünger das Kind, desto niedriger ist die Erwerbsbeteiligung von Müttern.[36] Unmittelbar nach der Geburt bis zum Alter von sechs Monaten betreuen die meisten Mütter (91 %) ihr Kind selbst. 30 % der Mütter von Kindern bis zum Alter von drei Jahren steigen wieder in den Beruf ein, 10 % der Mütter tun dies als Vollzeitbeschäftigte. Hat das Kind das Kindergartenalter erreicht, sind immerhin 60 % der Mütter wieder berufstätig, wobei die meisten in Teilzeit arbeiten. Sobald das Kind das schulpflichtige Alter erreicht hat, befinden sich 70 % der Mütter wieder im Beruf. Dieser Prozentsatz nimmt allerdings auch mit zunehmendem Alter des Kindes nicht zu, es steigt lediglich der Anteil der Vollzeitbeschäftigten auf 50 % an. Ganz anders sieht die Situation für Väter aus: sie beteiligen sich unabhängig vom Alter und der Zahl der Kinder zu 90 % am Erwerbsleben, nur 6 % der Väter üben eine Teilzeitbeschäftigung aus. Es sind sogar mehr Männer mit Kindern erwerbstätig als Männer ohne Kinder.
Weiterhin zeichnet sich ab, dass immer weniger Eltern von den möglichen drei Jahren Elternzeit Gebrauch machen, tatsächlich kehren die meisten nach ein bis zwei Jahren wieder zurück ins Berufsleben. Für diese Entwicklung gibt es mehrere Gründe:
- In vielen Familien ist man heute auf zwei Einkommen angewiesen. Zum einen ist die Anspruchshaltung vieler durch einen bestimmten Lebensstandard gestiegen. Dies macht sich umso stärker bemerkbar, desto später die Familiengründung stattfindet, da man sich länger an einen Lebensstandard gewöhnt hat. Zum anderen kommt hinzu, dass die staatliche Sozialversicherung nicht mehr ausreicht und zusätzliche Aufwendungen für private Altersvorsorge und Krankenversicherung notwendig sind.
- Die Arbeitsmarktsituation hat sich geändert, denn es besteht heute keine Arbeitsplatzsicherheit mehr. Zudem sind nur noch wenige Beschäftigte ein Leben lang im selben Unternehmen tätig. Das heißt, dass eine kurze Elternzeit und anschließende Doppel-Verdiener-Partnerschaft das Risiko eines sozialen Abstiegs vermindern kann.
- Da in Deutschland jede dritte Ehe geschieden wird, gilt das Prinzip der finanziellen Versorgung durch den Partner auch im Alter nicht mehr. Eine zu lange Abwesenheit aus dem Beruf könnte daher eine unzureichende Vorsorge für die weitere Erwerbstätigkeit und das Alter bedeuten.
- Aus Angst vor Verlust ihres Arbeitsplatzes bei zu langer Abwesenheit verzichten viele auf lange Elternzeiten.
- In wissensintensiven Branchen, zum Beispiel im Forschungsbereich an der Hochschule, ist eine qualifizierte Rückkehr nach längeren Pausen oftmals nicht möglich.
- Hochqualifizierte Eltern möchten vor allen Dingen einen Ausgleich zu den finanziellen und zeitlichen Aufwendungen für ihre berufliche Entwicklung erreichen. Sie möchten nur kurze Abwesenheiten vom Berufsleben, da sie Angst vor Fachwissensverlust oder vor weniger qualifizierten Arbeitsplätzen haben.[37]
Das 2007 eingeführte Elterngeld soll ein Familienmodell fördern, in dem sich Männer und Frauen die Erziehungsaufgaben partnerschaftlich teilen. Allerdings treffen Männer, die sich um mehr Präsenz in der Familie bemühen, auf noch stärkere Barrieren als Frauen.[38] Als größtes Hindernis für mehr Familienarbeit nehmen sie die vorherrschende Anwesenheitskultur wahr, da Leistung und Loyalität immer noch mit physischer Präsenz am Arbeitsplatz gleichgesetzt wird. Familienarbeit hat in dieser Kultur keinen Stellenwert.[39]
40 % der Hochschulbeschäftigten haben Kinder bis zu einem Alter von zwölf Jahren. Allerdings wird auch hier deutlich, dass Frauen mehr berufliche Kompromisse machen als Männer: 98 % derer, die Elternzeit in Anspruch nehmen und zugunsten der Kinder beruflich kürzer treten, sind Frauen. Familienorientierte Maßnahmen an Hochschulen könnten auch Männern neue Chancen als Väter öffnen.[40]
Dennoch stellt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen eine größere Herausforderung dar, weil das konservative Rollenmodell immer noch in den Strukturen der Gesellschaft besteht. Dies ist allerdings aus volkswirtschaftlicher Sicht als paradox zu bewerten: Denn Frauen werden zunächst zu hoch qualifizierten Fachkräften ausgebildet, um dann nur halbherzig in den Arbeitsmarkt eingebunden zu werden. Sie scheitern trotz ihrer hohen Motivation an der gläsernen Decke, der unsichtbaren Zutrittsbarriere für Führungspositionen.
[...]
[1] Schelsky 1972, S. 34
[2] Vgl. Rost 2007, S.45
[3] Vgl. Bald, Rahner 2004, S. 167
[4] Vgl. Rump et al. 2008, S. 25 ff
[5] Vgl. Jürgens 2005, S. 36
[6] Vgl. Bald, Rahner 2004, S. 167ff
[7] Vgl. Robert Bosch Stiftung. 2006, S. 20ff
[8] Vgl. Bald, Rahner 2004, S. 167ff
[9] Vgl. Rump et al. 2008, S. 63 f
[10] Rump, Eilers 2006, S.144
[11] Vgl. Rump, Eilers 2006, S. 143- 163
[12] Vgl. Kurscheid 2005, S. 203 ff
[13] Vgl. Rump et al. 2008, S. 64 ff
[14] Vgl. Rump et al. 2008, S. 64 ff; Rump, Eilers 2006, S. 54 f
[15] Vgl. Rump et al. 2008, S. 60
[16] Vgl. Rump et al.2008, S. 47 f
[17] Vgl. Rump et al. 2008, S. 34
[18] Vgl. BMFSFJ 2007b, S.84 ff
[19] Vgl. § 57 Abs. 4 Nr. 3 HRG
[20] Vgl. § 16 Abs. 3 Satz1 BEEG
[21] Vgl. Rump et. al 2008, S.48 ff
[22] Vgl. BMFSFJ 2007b, S.84 ff
[23] Vgl. § 45 SGB V
[24] Vgl. § 3 Nr. 33 EStG
[25] Vgl. Rump et al. 2008, S. 36-60
[26] Vgl. Birk 1995, S.151
[27] § 2 Abs. 4 Satz 1 HRG
[28] § 34 Satz 4 HRG
[29] Vgl. Kurscheid 2005, S. 61
[30] Vgl. BMFSFJ 2007a, S. 9ff
[31] Vgl. Spieker 2007, S. 11f
[32] Vgl. Rump et al. 2008, S. 61
[33] Vgl. Eichhorst, Thode 2002, S. 10; Rump et al. 2008, S. 61; Spieker 2007, S. 11f
[34] Vgl. Spieker 2007, S. 11f
[35] Vgl. Rump et al. 2008, S. 61
[36] Vgl. Walther, Schaeffer-Hegel 2007, S. 15 ff; Rump et al. 2008, S. 23 ff; Statistisches Bundesamt Wiesbaden 2006, S. 8
[37] Vgl. Rump et al. 2008, S. 23 ff
[38] Vgl. Walther, Schaeffer-Hegel 2007, S. 15 ff
[39] Vgl. Döge 2007, S. 29
[40] Vgl. Bald, Rahner 2004, S. 169
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