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Mehr InfosMagisterarbeit, 2008, 69 Seiten
Geschichte Europa - and. Länder - Mittelalter, Frühe Neuzeit
Magisterarbeit
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (Philosophische Fakultät, Germanistik)
1,3
Die Vermittlung medizinischen Wissens im Mittelalter erschließt sich in einer äußerst vielseitigen Form – sowohl thematisch als auch textsortenspezifisch. So sind bereits seit althochdeutscher Zeit Belege in Form von Arzneibüchern, Rezeptsammlungen und Traktaten überliefert.
Bei der ältesten bekannten Darstellung handelt es sich um die Basler Rezepte, die nach Ansicht von Eis[1] um 800 von einem in Deutschland tätigen Angelsachsen aufgezeichnet wurden und Fieber und Hautgeschwüre behandeln. Als ältestes Werk im deutschsprachigen Raum gilt das Lorscher Arzneibuch, eine medizinische Handschrift, die im letzten Jahrzent des 8. Jahrhunderts im Kloster Lorsch bei Worms niedergeschrieben wurde.
Im Folgenden sollen anhand dreier bekannter Werke drei Gebiete aus der mittelalterlichen Krankheitslehre aufgegriffen werden – die Verletzung, die Krankheit und der Wahnsinn.
Hierbei soll sowohl das Leiden des jeweiligen Protagonisten dargestellt, als auch die unternommenen Heilungsversuche vor dem Hintergrund der damaligen Wissensrezeption beleuchtet werden.
Nach Haage[2] enthält „kein Werk der höfischen mittelhochdeutschen Dichtung soviel an medizinisch-naturwissenschaftlichen Kenntnissen wie der Parzival Wolframs von Eschenbach.“
Der arme Heinrich in Hartmanns gleichnamigem Werk ist mit Aussatz gezeichnet und erhofft sich von „ der wîsen arzâte list “(V 182) Heilung im berühmten Salerno.
Und Hartmanns Iwein wird aufgrund einer Verfehlung wahnsinnig.
Zu Beginn möchte ich jedoch einen historischen Abriss der Entwicklung der Medizingeschichte von der Antike bis zum Spätmittelalter geben. Besonders berücksichtigen werde ich in diesem Zusammenhang die Überlieferung antiker Traditionen, wobei das Augenmerk besonders auf das Wirken von Hippokrates und Galen gelegt wird.
Nach einem kurzen Überblick über die im Mittelalter vorherrschenden Erklärungen zur Krankheitsentstehung werden die in den Werken behandelten Verwundungen und Krankheiten anhand von Textbeispielen ausführlich dargestellt. Es folgt eine nähere Beschreibung der angewandten Heilungsversuche und Therapien. Im weiteren Verlauf werde ich die in den Werken eingesetzten Heilmittel und Methoden detaillierter betrachten und im Anschluss daran die Quellen der geschilderten Heilungsversuche darstellen. Abschließend sollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Darstellung medizinischer Sachverhalte in den drei Werken aufgezeigt werden.
Nach Isidor von Sevilla bedeutet der Begriff „Krankheit“ (morbus) im Mittelalter im allgemeinen Sinne alle Gebrechen des Körpers. Hildegard von Bingen meint, Krankheiten entstünden durch das Übermaß an Phlegma, was eine Folge des Sündenfalls sei. In der höfischen Idealwelt bedeutet Krankheit das Ende jeden Rittertums. Ein kranker Ritter war gleichsam ausgestoßen, war er doch nicht mehr fähig, den Waffendienst als seine eigentliche Aufgabe zu erfüllen. Seine Krankheit wurde als göttliche Strafe für Vergehen gegen den höfischen Ehrenkodex angesehen. Erst nach Läuterung der Seele und Gesundung war der Wiedereintritt in eine ritterlich-höfische Gesellschaft möglich. Den Theologen galt Krankheit als Folge der Erbsünde, war also allgemein menschliches Erbteil oder auch Strafe für persönliche Sünde; sie wurde aber auch als besonderer Gnadenerweis Gottes gesehen, da der Kranke durch sein Leiden aufgerüttelt und zu besserer Einsicht gebracht wurde oder schon im Diesseits Buße für seine Sünden leisten durfte. Der Mensch hat durch den Sündenfall die ihm zugedachte Vollkommenheit (constitutio prima) verloren und ist seither prinzipiell mangelbehaftet. Ursachen der Krankheiten suchte man, je nach Bildungsstand und jeweiliger. Situation, z.B. einer Verletzung oder einer Vergiftung, in einem Missverhältnis der Körpersäfte, in üblen Dämpfen (corruptio aeris), in göttlichem Ratschluss, in einer astrologischen oder meteorologischen Gegebenheit oder in einem durch Dämonen, Zauberer oder Hexen bewirkten Schadenszauber. Hippokrates von Kos (ca. 460 – 377 v.C.) wies der Medizin einen eigenen Stellenwert im Sinne einer ars und trennte sie von der Philosophie. Sie fußte auf „Beobachtung und Erfahrung“ und nicht auf „Aberglauben und Zauberei“[3] wie jener Traditionsstrang „von dem viel über Plinius d.Ä. (24 – 79 n.C.) ins Mittelalter gelangte.“[4] Als Begründer der Humoralpathologischen Krankheitslehre ging Hippokrates davon aus, dass die Urasche von Krankheiten in einem unausgewogenen Verhältnis der Körpersäfte zu finden sei. Dazu zählen Blut (sanguis), Schleim (phlegma), gelbe Galle (cholera) und schwarze Galle (melancholie). Diese vier Säfte stellen im menschlichen Organismus das Universum dar, indem sie die vier elementaren Eigenschaften Wärme, Kälte, Trockenheit und Feuchtigkeit repräsentieren. Die Säfte entsprechen den vier Grundelementen, aus denen die Welt geschaffen wurde. So wird Blut der Luft zugeordnet, Schleim repräsentiert das Wasser, gelbe Galle ist dem Element Feuer zugewiesen und schwarze Galle der Erde. Die Körpersäfte regelten nicht nur den Stoffwechsel des menschlichen Organismus und das körperliche Gleichgewicht von Kälte und Wärme, Trockenheit und Feuchtigkeit, sondern prägten auch den Gemütszustand jedes Menschen, je nachdem welcher der vier Säfte überwog. Dominierte das Blut, war man ein sanguinischer Typ, überwog der Schleim, zählte man zu den Phlegmatikern, hatte die gelbe Galle das Übergewicht, wurde man zu den Cholerikern gerechnet und wer ein Übermaß an schwarzer Galle aufwies, war melancholisch veranlagt. Krankheit wurde als extremer Ausdruck der grundsätzlich menschlichen ´ natura pathologica ´ verstanden und so sollte die Therapie auch die seelische Heilung mit einbeziehen. So wurde der Kranke zu Reue und demütiger Akzeptanz seiner Leiden, zum Empfang der Sakramente und der Anrufung diverser Schutzheiliger angerufen, um durch diese Handlungen (acta gratiarum) die göttliche Gnade zu erlangen. Die Therapie sollte daher auf die Wiederherstellung der Harmonie abzielen. Die Richtschnur jeder Therapie lautete daher ´contraria contrariis curantur´- das Krankmachende wird durch den Gegensatz geheilt. Das bedeutet, je nachdem welches „humorales Ungleichgewicht“ für die Genese einer Krankheit verantwortlich ist, „wird als Remedium ein Mittel entgegengesetzter Qualität verabreicht.“[5] So werden beispielsweise gegen eine kalte und feuchte Krankheit, in der zuviel Schleim produziert wird, wärmende und trocknende Mittel gegeben. Eine wichtige Rolle kam in diesem Prozess den reinigenden Diäten zu, mit deren Hilfe dem Körper überflüssige oder ungesunde Säfte entzogen werden sollten. Diese Reinigung (katharsis) zielte nicht allein auf das erkrankte Organ ab, sondern sollte den gesamten Organismus läutern und stärken.
Der hippokratische Ansatz wurde von Galen weitergeführt, im Mittelalter durch die Scholastik aufgegriffen und hinsichtlich der Temperamentenlehre erweitert. Die antiken medizinischen Schriften wurden bis ins 15./16. Jhd. tradiert, kommentiert und übersetzt. Nach Bein lassen sich drei „Hauptwege der Überlieferung“ unterscheiden.[6] Sie wurden in abendländischen Klosterbibliotheken aufbewahrt und rezipiert. Ihre Inhalte fanden auf diesem Weg Eingang in chirurgische, volksmedizinische und magische Werke.
Ein wesentlicher Aspekt in der Medizingeschichte ist die Gründung medizinischer Lehr- und Forschungsanstalten, wie die Schule von Salerno (schola medica salernitana). Das Kloster Monte Cassino unterhielt in Salerno ein Hospital für erkrankte Ordensbrüder. Kreuzfahrerschiffe legten in Salerno an, um dort ihre Kranken pflegen zu lassen. Aus der Gruppe der Heilkundigen, der civitas salernitatis, entwickelte sich eine der ersten medizinischen Hochschulen in Europa. Unter Erzbischof Alfanus und mit Hilfe des medizinkundigen Kontantinus Africanus, eines Arabers, der griechisch-arabische medizinische Texte ins Lateinische übersetzte, blühte die Schule auf und hatte ihre Glanzzeit vom 10. - 13. Jhd., gefördert durch die Landesherren Roger II. und den Stauferkaiser Friedrich II. Eine umfangreiche Arzneimittellehre entstand mit den Büchern Liber Graduum, Antidotarium Nicolai und Circa Instans. Das Wissen des Apothekerstands wurde somit eigenständig und die Trennung des Arzt- und Apothekerwesens durch Friedrich II. im Edikt von Salerno gesetzlich festgelegt.
In der Beschreibung Anfortas´ Verletzung in Wolframs Parzival fallen dem Rezipienten umfangreiche Kenntnisse des Autors aus dem Bereich der damaligen Heilkunde auf. Sie zeugen sowohl von Wolframs gelehrtem medizinischem Wissen als auch von seinen astronomischen und astrologischen Kenntnissen. Sowohl im Parzival, als auch in den beiden anderen Werken lassen sich bestimmte Heilungsmethoden erkennen, die das medizinische Wissen der damaligen Zeit reflektieren. Die in den Werken aufgeführten Behandlungsmethoden resultieren aus der Verbreitung von Therapiewissen der damaligen Zeit, dem jeweils ein bestimmter Ansatz zu Grunde liegt.
Im Mittelalter existieren mehrere Erklärungsansätze zur Entstehung von Krankheiten. Demnach liegt „das Wesen der Krankheit in mechanischen Verhältnissen des Körpers“[7] - eine Auffassung die hippokratisches Denken wiederspiegelt. Diese Annahme setzt sich bis ins Mittelalter durch und findet auch Eingang in deutsche Arzneibücher wie beispielsweise den Bartholomäus. Dieses Arzneibuch stammt aus dem ausgehenden 12. Jahrhundert, wurde vermutlich von einem Mönchsarzt aus Thüringen verfasst und enthält
Rezepttexte und Traktate. Seine Quellen beruhen auf salernischer Literatur und antiken Vorlagen.
Iweins wird aufgrund einer Verfehlung wahnsinnig, doch dieser Wahninn wird als Geisteskrankheit anerkannt und es wird versucht, die Ursachen medizinisch zu erklären.
Auch der Aberglaube spielt in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle – existiert doch die Vorstellung eines „teuflischen Krankheitsdämons“, der für das Entstehen von Krankheiten verantwortlich ist, wie beispielsweise der Wurm Nesso im althochdeutschen Zauberspruch.[8]
Eine weitere Erklärung war die Auffassung von Krankheit „als Mittel der Prüfung und der zunehmenden Läuterung“[9], die – von Gott gesandt – den Menschen auf die Probe stellen soll und die von den Betroffenen ergeben ertragen wird, wie eben vom aussätzigen „armen Heinrich“.
Schließlich existiert die weit verbreitete Annahme, dass Krankheit die Folge von Sünde sei.[10] Darunter lässt sich Anfortas´ Leiden einordnen. Er brach das Keuchheitsgebot des Grals[11], indem er sich wegen der schönen Orgeluse auf Minnefahrt begab. Zur Strafe wurde er schwer am Oberschenkel verletzt.
Im Parzival begegnet dem Rezipienten eine sehr umfassende und ausführlich geschilderte Leidensdarstellung des Gralkönig Anfortas. Beim Kampf mit einem Kontrahenten wird er durch dessen vergifteten Speer so schwer verletzt, dass seine Genesung aussichtslos erscheint:
...mit einem gelupten sper
wart er ze tjostieren wunt
sô daz er nimmer mêr gesunt (...)[12]
Infolge des Kampfes verbleiben ein Stück des Speereisens sowie ein Bambussplitter vom Speerschaft in der Wunde, die ein Arzt dem entkräfteten König entfernt:
Dô uns der künec kom sô bleich,
unt im sîn kraft gar gesweich,
in de wunden greif eins artzes hant,
unz er des spers îsen vant:
der trunzûn was roerîn,
ein teil in der wunde sîn:
diu gewan der arzet beidiu wider.[13]
Die Verletzung ist derart bedrohlich, dass die Gralritter um das Leben ihres Königs bangen müssen. Da der Anblick des Gral den Menschen nicht sterben lässt, wird Anfortas vor den Gral[14] getragen, um so – auch gegen seinen Willen – am Leben gehalten zu werden:
Sie truogen künec sunder twâl
durch die gotes helfe für den grâl.
Dô der künec den grâl gesach,
daz was sîn ander ungemach,
daz er niht sterben mohte,
wand im sterben dô nich tohte.[15]
Haage (1985b: 109) hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass „das Schwären von Anfortas´ Wunde“ und damit verbunden „das lange Siechtum“ in einem „schleichenden Gift“ begründet liegt, welches eigentlich tödlich wirkt, würde der Gral nicht seine lebenserhaltende Wirkung ausüben.
Die Verletzung eitert unaufhaltsam. Alles Nachschlagen in medizinischen Werken auf der Suche nach einem geeigneten Mittel bleibt erfolglos. Auch das „heiße Gift“ von Schlangen, das sonst bei giftigen Würmern wirkungsvoll ist, schafft keine Abhilfe
des küneges wunde geitert was.
Swaz man der arzetbuoche las,
diene gâben keiner helfe lôn.
Gein aspîs, ecidemon,
ehcontînus unt lisîs,
jêcis und mêatris.
(die argen slangenz eiter heiz
tragent), swaz iemen dâ für weiz
unt für ander würm diez eiter tragent,
swaz die wîsen arzt dâ für bejagent...[16]
Hilfe wird sich von der Verabreichung der vier Wasser der Paradiesflüsse versprochen, die an der Stelle entnommen werden, „wo die Flüsse aus dem Paradies austreten und ihr lieblicher Duft noch nicht verflogen ist.“[17]:
wir gewunnen Gêôn
ze helfe unde Fîsôn,
Eufrâtes unde Tigrîs,
diu vier wazzer ûzem paradîs,
sô nâhn hin zuo ir süezer smac
dennoch niht sîn verrochen mac[18]
Nachdem all diese Anstrengungen ergebnislos bleiben, erhofft man sich Hoffnung vom Zweig der Sibylle, den sie Eneas als Schutz „gegen höllische Giftdämpfe, besonders gegen den Todeshauch des Höllenflusses Flegetôn“[19] empfahl. Auch dieser wird unter großem Aufwand herbeigeschafft, um Anfortas´ Wunde zu heilen:
doch versuochte wirz in mangen wîs.
do gewunne wir daz selbe rîs
Dar ûf Sibille jach
Enêas für hellesch ungemach
und für den Flegetôn ruoch,
für ander flüzze die drin fliezent ouch.[20]
Nachdem auch dies ergebnislos bleibt, versucht man es mit dem Blut des Pelikans. Dieser nährt aus übergroßer Liebe zu seiner Brut diese mit seinem Blut und stirbt selbst. Doch auch diese Behandlung wird ohne Erfolg bleiben:
ein vogel heizt pelicânus:
swenne der fruht gewinnet
alze sêre er die minnet:
in twinget sîner triwe gelust
daz er bîzet durch sîn selbes brust,
und loetz bluot den jungen in den munt:
er stirbet an der selben stunt.
do gewunnen wir des vogels bluot,
ob uns sîn triwe waere guot,
unt strichens an die wunden
sô wir beste kunden.
daz moht uns niht gehelfen sus.[21]
Auch die darauf folgende Behandlung mit Herz und Karfunkelstein des Einhorns bleibt ohne Ergebnis:
wir gewunn des tieres herzen
über des küneges smerzen.
Wir nâmen den karfunkelstein
ûf des selben tieres hirnbein
der da wehset under sîne horn.
wir bestrichen die wunden vorn,
und besouften de stein drinne gar:
diu wunde was et lüppec var.[22]
Es wird nun versucht, Anfortas durch Gabe der Heilpflanze trachontê von den Schmerzen zu erlösen; trachontê wächst an der Stelle, an der ein Drache erschlagen wurde, aus dessen Blut. Doch auch diese Behandlung verläuft nicht erfolgreich:
wir gewunn ein wurz heizt trachontê
(wir hoeren von der würze sagen,
swâ ein trache werde erslagen,
sie wahse von dem bluote.
der würze ist sô ze muote,
si hat al des luftes art),
ob uns des trachen umbevart
dar zuo möhte iht gefromen
vür der sterne wider komen
und vür des mânen wandeltac,
dar an der wunden smerze lac.[23]
Während all die Versuche ergebnislos bleiben, erscheint im Gral eine Schrift, auf welche Weise Anfortas geheilt werden kann: Nur wenn ein daherkommender Ritter die Mitleidsfrage am ersten Tag stellt, ohne dass ihn jemand darauf aufmerksam gemacht hat, kann Anfortas gerettet werden.[24]
Von nun an verlegt man die Behandlung lediglich auf schmerzlindernde Verfahren, so zum Beispiel mit Nardensalbe und Theriak:
wir strichen an die wunden
swâ mit wir senften kunden,
diu guoten salben nardas,
und swaz gedrîakelt was,
und den ruoch von lign alôê:
im was et zallen zîten wê.[25]
Neben den starken Schmerzen sorgen eine bestimmte Planetenkonstellation und der Stand des Saturns in seinem Zenit für zusätzliches Leiden. Die Wunde wird von starkem Frost befallen, so dass der Körper stark auskühlt. Abhilfe soll das Auflegen eines Giftspeeres auf die Wunde bringen, um so mit Hilfe des heißen Giftes den Frost aus dem Körper herauszuziehen.[26] Die erhoffte Linderung stellt sich auch mit diesem Versuch nicht ein.
Die Pfosten des Bettes, in dem der siechende König liegt, sind mit Vipern- und Salamanderhaut bespannt[27] und darüber hinaus mit Edelsteinen ausgestattet, denen heilende Kräfte nachgesagt werden. Wolfram nennt u.a. Onyx, Achat, Karneol, Jaspis, Smaragd, Saphir, Türkis, Rubin und Topas.[28] So von seinen Getreuen versorgt, wartet Anfortas nun auf die erlösende Frage.
Im Folgenden werde ich die beim Protagonisten angewandten Behandlungsmethoden näher klassifizieren.
Bei Anfortas bleiben alle Mühen, seine Wunde zu heilen, erfolglos. Haage betont, dass es sich dabei um Anstrengungen handelt, welche die „Sinnlosigkeit menschlicher Therapien gegen Gottes Ratschluß“[29] aufzeigen.
Die im Parzival beschriebenen Heilungsversuche lassen sich nach Haage (1985b: 110ff.) in vergebliche und abergläubische differenzieren. Zu den erst genannten zählt der Versuch, die durch den vergifteten Pfeil eiternde Wunde von Anfortas durch die Verabreichung von Antidoten, hier Schlangengiften zu heilen. Als dies nicht den gewünschten Erfolg erzielt, wendet man sich abergläubischen Therapieversuchen zu, die – wie der Autor feststellt – dominieren.
Dazu gehört die Verabreichung von Wässern der Paradiesflüsse (Pz 481, 19-26) und der Einsatz des Zweiges der Sibylle (Pz 482, 1-11) ebenso wie das applizierte Blut des Pelikans (Pz 482, 12-22), Herz und Karfunkelstein des Einhorns (Pz 482, 24 – 483, 4) sowie die Beschaffung der Heilpflanze trachontê (Pz 483, 11f.). Dieser Heilungsversuch stellt nach Haage „die letzte und höchste Möglichkeit“ dar und beendet „die Reihe der abergläubischen und geheimwissenschaftlichen Therapien.“[30] Fortan verlagert man sich auf die Schmerzlinderung.
Die Schmerzbehandlung mit Narde und Theriak (Pz 483, 13f.) zählt nach Meinung von Haage zu den Heilmitteln, „deren Wirkung aus der fachliterarischen Tradition nachvollziehbar sind.“[31] Da der Mondwechsel sowie die Planetenbewegungen von Mars und Jupiter und besonders Saturn extreme Kälteeinflüsse produzieren, wird zusätzlicher Wundschmerz verursacht. Dem wird mit der Anwendung humoralpathologischer Heilverfahren, wie dem Einsatz des Giftspeeres (Pz 490, 1-15; 492, 25-30) begegnet.
Beim Versuch, Anfortas´Wunde zu heilen, werden zunächst verschiedene Schlangengifte eingesetzt. Nach dem humoralpathologischen Ansatz soll durch das Applizieren
von Gegengiften eine Genesung herbeigeführt werden. Wie Haage bemerkt, nennt Wolfram die Antidote selbst nicht, wohl aber die Namen der sechs Giftschlangen, „gegen deren Gift man sie ausprobierte.“[32]
gein sapîs, ecidemon,
ehcontîus unt lisîs,
jêcîs unt mêatris (...)[33]
Nach Ansicht von Haage ist mit aspîs die Aspisviper gemeint, die schon „bei Plinius, Solinus, in Psalm 58, 5.6, im Brief an die Römer 3,13 und bei Berthold von Regensburg“[34] erwähnt werde. Zu den anderen Schlangennamen sind keine Zuordnungen zu finden. Haage verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass ecidemon in die Nähe von Agathodaimon, „dem schützenden Schlangendämon Ägyptens“ gerückt werden kann.[35] Demnach könnte hinter der Schlange auch die Vorstellung vom Ouroboros stecken.
Das Heilverfahren mithilfe von Schlangengiften stellt als einziges ein rationales dar, während die folgenden alle abergläubischer bzw. fantastischer Natur sind.
In der Ostkirche wird die Auffassung vertreten, dass die Paradiesflüsse aus Wasser, Milch, Wein und geläutertem Honig bestehen. Dass sie darüber hinaus über eine gewisse Heilkraft verfügen, wird schon in der Bibel erwähnt. Nach Gen 2, 10-14 teilt sich der aus dem Garten Eden kommende Strom in vier Flüsse, die das Paradies bewässern. Sie gelten ebenfalls als Symbol für die vier Evangelien und die Evangelisten.
Haage[36] verweist auf Ernst Martins Kommentar zu seinem Werk „Wolfram von Eschenbach Parzival und Titurel“ (1903), in dem die Beziehung von Paradiesflüssen und Heilkraft im Besonderen „im Brief des Priesters Johannes“ dargestellt ist.
Der Zweig der Wahrsagerin Sibylle wurde der Aeneassage von Vergil entnommen, wo er allerdings als Prophylaktikum und nicht als Remedium eingesetzt wird. Im 6. Buch wird geschildert, wie Aeneas zu seinem Vater in die Unterwelt gelangt. Die Bedingung für den Einlass ist neben der Bestattung eines frisch Verstorbenen ein goldener Zweig, den ihn zwei Tauben finden lassen. Den goldenen Zweig empfiehlt Sibylle Aeneas, um gegen die tödlichen Dämpfe des Höllenflusses Phlegeton gewappnet zu sein. Im Eneasroman Heinrich von Veldekes wird Eneas mit dem goldenen Zweig sogar geheilt.[37]
Im Physiologus[38] gehört der Pelikan nach Auffassung von Gerhardt (1979: 11) zu den wirksamsten Tierdarstellungen. Darin wird beschrieben, wie die geschlüpften Jungen des Pelikans ihren Eltern ins Gesicht picken. Diese rächen sich durch Zurückhacken und töten dadurch ihre Kinder. Anschließend trauern sie drei Tage um ihre getötete Brut, bis sich die Mutter selbst die Brust aufreißt und mit ihrem Blut die toten Jungen wieder zum Leben erweckt.
[...]
[1] Eis, Gerhard (1962: 36).
[2] Haage, Bernhard Dietrich (1985a: 357-367).
[3] Haage (1987: 186).
[4] Haage (1996: 1070).
[5] Bein (1989: 86).
[6] Bein (1989: 19f.) nimmt eine zeitliche Dreiteilung vor, wonach zwischen 700 und 900 griechische Schriften ins Arabische übersetzt und diese bis ca. 1150 auf Grundlage griechischer Überlieferung eigenständig weiterentwickelt wurden. Ab diesem Zeitpunkt ist allmählich ein Verlust an Bedeutung und Einfluss der arabischen Traditionslinie festzustellen – ein Prozess, der sich bis gegen Ende des 15. Jhd. nachvollziehen lässt.
[7] Haage (1985b: 102) verweist auf Hugo Magnus´ Werk „Der Aberglaube in der Medizin“ (1903).
[8] Haage (1985b: 102).
[9] Ebd.
[10] Haage (1985b: 103) verweist in diesem Zusammenhang auf von Siebenthals „Krankheit als Folge der Sünde“ (1950: 54).
[11] Dieses besagt, dass der Gralkönig im Gegensatz zu den Gralritern zwar heiraten darf, jedoch nur die Frau, die im Epitaphium (Pz 470,24), der verlöschenden Schrift des Grals angegeben wird. Vgl. Haage (1985b: 103).
[12] Pz 479, 88f.
[13] Pz 480, 3-9
[14] Zur Wunderkraft des Gral siehe Bumke (1981: 80).
[15] Pz 480, 25-30
[16] Pz 481, 5-14
[17] Haage (1985b: 105).
[18] Pz 481, 19-24
[19] Haage (1985b: 112).
[20] Pz 481, 30 – 482, 4
[21] Pz 482, 12-23
[22] Pz 482, 27 – 483, 4
[23] Pz 483, 6-16
[24] Pz 483, 19 – 484, 6
[25] Pz 483, 13-18
[26] Pz 489, 24-30
[27] Pz 790, 9f. und Pz 790, 21f.
[28] Pz 791, 1-30
[29] Haage (1985b: 104).
[30] Haage (1985b: 117).
[31] Haage (1985b: 117).
[32] Haage (1985: 110).
[33] Pz 481, 81ff.
[34] Siehe 32
[35] Haage (1983: 14).
[36] Haage (1985b: 112).
[37] Vgl. 11908f.
[38] Um 200 n.C. in Alexandria von einem anonymen Autor verfasst, werden in 48 Artikeln Tiere sowie deren Eigenschaften und Verhaltensweisen beschrieben. Darunter befinden sich auch Fabelwesen und Monster, sowie Darstellungen über Pflanzen und Steine. Die Beschreibung erfolgt nach Gerhardt (1979: 11) „meist im Anschluss an eine Bibelstelle“, die anschließend nach Auffassung von Febel/Maag (1997: 16f) „allegorisch-typologisch auf Christus (...) gedeutet“ wird. Dabei ragt die Darstellung vom Pelikan besonders heraus.
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