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Mehr InfosDiplomarbeit, 2008, 96 Seiten
Diplomarbeit
Ruhr-Universität Bochum (Wirtschaftswissenschaften, Wirtschaftswissenschaften)
2,0
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Entwicklung der Eisenbahn in Großbritannien
2.1. Die Notwendigkeit eines neuen Transportmittels
2.2. Die zentralen Epochen der Entstehungsgeschichte der Eisenbahn in Großbritannien unter Berücksichtigung der Eingriffe in das Marktgeschehen
2.2.1. Die Anfänge der Eisenbahn 1804 - 1923
2.2.2. Die Entstehung der „Big Four“ 1923 - 1947
2.2.3. Verstaatlichung 1948 - 1993
3. Die Eisenbahn als Netzmarkt zwischen natürlichem Monopol und Wettbewerb
3.1. Der Netzmarkt Eisenbahn als Multiproduktmarkt und dessen Kosten
3.2. Betriebsgrößenersparnisse als Markteintrittsschranke im Netzmarkt Eisenbahn
3.2.1. Economies of Scale und Economies of Density
3.2.2. Economies of Scope
3.3. Zum Begriff des natürlichen Monopols
3.4. Die Theorie der bestreitbaren Märkte
3.5. Irreversible Kosten
3.6. Monopolistische Bottlenecks und die Bedeutung der Essential Facilities
3.7. Eine disaggregierte Betrachtung des Netzmarktes Eisenbahn zur Verifizierung von Bottlenecks
3.7.1. Das Schienennetz
3.7.2. Die Zugüberwachungssysteme
3.7.3. Das Angebot von Transportleistungen
4. Grundzüge der Regulierung
4.1. Begriffliche Grundlagen der Regulierung
4.2. Ausgestaltung der Regulierung
4.2.1. Marktstrukturregulierung
4.2.1.1. Vertikale Separierung
4.2.1.2. Horizontale Aufspaltung integrierter Netzindustrien
4.2.2. Franchising
4.2.3. Marktverhaltensregulierung
4.2.3.1. Preisniveau und -strukturregulierung
4.2.3.1.1. Rentabilitätsregulierung (RoR-Regulierung)
4.2.3.1.2. Price-Cap Regulierung
4.2.3.1.3. Vergleich der vorgestellten indirekten Regulierungsinstrumente
4.2.3.2. Qualitätsregulierung
4.3. Zwischenfazit zum dritten und vierten Kapitel
5. Die Bahnreform in Großbritannien
5.1. Die Ausgangssituation
5.2. Zur Ausgestaltungsform der Regulierungsbehörde
5.3. Eine detaillierte Betrachtung des Regulierungsregimes der Bahn in Großbritannien
5.3.1. Department for Transport (DfT)-Verkehrsministerium
5.3.2. Office of the Rail Regulator (ORR)
5.3.3. Office of Passenger Rail Franchising (OPRAF) bzw. ab 2001 Strategic Rail Authority (SRA)
5.3.4. Die Health and Safety Commission (HSC)
5.3.5. Office of Fair Trading (OFT)
5.4. Etwaige Regulierungsprobleme in der Praxis
5.5. Zur Umsetzung der Bahnreform in Großbritannien und der neuen Struktur des Marktes
5.5.1. Die Railtrack Ära (1994-2001)
5.5.2. Die Personenverkehrssparte (TOC)
5.5.3. Die Güterverkehrssparte (FOC)
5.5.4. Die Rolling Stock Companies (ROSCOs)
5.6. Zusammenfassung der Regulierungsaktivitäten
5.7. Der Übergang von Railtrack zu Network Rail
5.8. Eine kritische Würdigung der Bahnreform in Großbritannien
6. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Anhang
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Wettbewerb versus netzspezifische Marktmacht
Abbildung 2: Schieneninfrastruktur als monopolistische Bottleneck Einrichtung
Abbildung 3: Ansatzpunkte der Regulierung von monopolistischen Engpasseinrichtungen
Abbildung 4: Dimensionen der Qualität im Bahnsektor
Abbildung 5: Instrumente der Qualitätsregulierung
Abbildung 6: Großbritannien - Regulierungsregime der Bahn im Jahre 2001
Abbildung 7: Die Struktur des Eisenbahnmarktes, eingeführt zwischen 1994 und 1996
Abbildung 8: Subventionen der TOCs
Abbildung 9: Rail Franchises
Abbildung 10: Struktur des Schienenverkehrsmarktes bei vertikalen Verbundvorteilen zwischen Infrastruktur und Transportbetrieb
Abbildung 11: Struktur eines vertikalen desintegrierten Schienenverkehrsmarktes mit intramodalem Wettbewerb im Transportbetrieb
Abbildung 12: Die insgesamt gezahlten Subventionen 1996/1997 für 25 TOCs
Abbildung 13: Vergleich der Kostendeckungsgrade bei der Trassenbepreisung in Europa im Vergleich (in Prozent 2004)
Die Eisenbahn als Mittel zur Beförderung sowohl von Personen als auch von Gütern gehört zu den am stärksten regulierten Industriesektoren. Während sich die Bahn in Großbritannien zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus einem Netzwerk einiger kleiner lokaler und privater Eisenbahngesellschaften entwickelte und zu dieser Zeit privat betrieben wurde, kam es im Jahre 1947 zur Verstaatlichung. Die beiden Weltkriege und die in dieser Zeit gesammelten Erfahrungen mit dem zentralisierten Betrieb der Bahn spielten dabei eine wichtige Rolle für die Zukunft des Bahnwesens in Großbritannien. Der Staat erkannte die Möglichkeit mit dem staatlichen Rent-Seeking Gewinne zu erzielen, da sich die Eisenbahnen in den Anfangsjahren noch als äußerst profitabel erwiesen haben.
Großbritannien kann im Bereich der Bahnreformen als Vorreiter bezeichnet werden, weil es sich für eine sehr umfangreiche und gleichzeitig schnelle Reform des Bahnwesens im Vergleich zu anderen Ländern entschieden hat. Aus diesem Grund ist eine Analyse der Bahnreform in Großbritannien notwendig. Ziel dieser Analyse ist es, mögliche Problemfelder aufzuzeigen, um Empfehlungen für künftige Reformen in diesem Bereich ableiten zu können.
Die vorliegende Arbeit widmet sich der Fragestellung, ob die durchgeführte Bahnreform in Großbritannien die angestrebten Ziele, wie z.B. mehr Wettbewerb im Bahnmarkt, erreicht hat oder ob die gewählte Struktur des Bahnwesens der Generierung von Wettbewerb im Wege stand. Darüber hinaus soll die Frage untersucht werden, ob das gewählte Regulierungsregime dazu beitragen konnte, die angestrebten Ziele zu erreichen.
Ziel dieser Arbeit ist es, die Eingriffe in den Eisenbahnmarkt in Großbritannien, von der Entstehung des Verkehrsträgers zu Beginn des 19. Jahrhunderts, bis hin zur Gegenwart, aufzuzeigen. Damit einhergehend sollen die zentralen Reformen, die im Bereich des Bahnwesens in Großbritannien erfolgten, beschrieben werden. Das Hauptaugenmerk wird dabei insbesondere auf die im Jahre 1993 eingeleitete Privatisierung des Bahnwesens in Großbritannien und die damit einhergehende neue Marktstruktur sowie die regulierenden Eingriffe zu dieser Zeit gelegt.
Zu Beginn der Arbeit wird die Entstehungsgeschichte der Bahn in Großbritannien, unter Berücksichtigung der staatlichen Eingriffe, genauer beschrieben. Dies geschieht, indem die zentralen Epochen, angefangen bei der Entstehung des Verkehrsmittels, bis zur Verstaatlichung, detailliert beschrieben werden. Dies erlaubt es, die aktuellen Geschehnisse besser in den historischen Kontext einzuordnen.
Im dritten Kapitel wird dann auf die Besonderheiten des Netzmarktes Eisenbahn eingegangen. Die Zielsetzung des Kapitels ist es, die Bereiche zu verifizieren, in denen potentiell Regulierungsbedarf besteht. Dies soll durch eine disaggregierte Betrachtung des Netzmarktes Eisenbahn geschehen. Außerdem werden zentrale Charakteristika von Netzmärkten aufgezeigt, weil diese sich deutlich von denen anderer Industriezweige abgrenzen und es zwingend notwendig ist, diese im Rahmen des Kontextes zu erarbeiten, um Bereiche aufzuzeigen, in denen Regulierungsbedarf besteht.
Das darauf folgende Kapitel widmet sich der Frage, was man unter dem Begriff der Regulierung versteht. Es werden zum einen begriffliche Grundlagen beschrieben und darüber hinaus die Zielsetzung der mit der Privatisierung einhergehenden Regulierung aufgezeigt. Zum besseren Verständnis werden verschiedene Regulierungsmöglichkeiten verglichen und auf potentielle Stärken und Schwächen untersucht. Auf eine formale Herleitung soll in diesem Zusammenhang größtenteils verzichtet werden. Vielmehr stehen die Implikationen, Zielsetzungen und Umsetzungsmöglichkeiten sowie die praktische Handhabung der Methoden für den Netzmarkt Eisenbahn im Vordergrund. Dabei ist es erforderlich, die grundlegenden Regulierungsmöglichkeiten aufzuzeigen und zu untersuchen, ob die im Zuge der Reform gewählten Methoden Anreize zu effizientem Verhalten beinhalten und somit die Wohlfahrt steigern können.
Das fünfte Kapitel bildet den Schwerpunkt der Arbeit und soll die im Vorfeld erarbeiteten theoretischen Grundlagen in Bezug auf die Geschichte der britischen Bahn, die Besonderheiten des Marktes sowie die grundsätzlichen Regulierungsmöglichkeiten aufgreifen und die Reform des Bahnwesens beschreiben und analysieren. Zunächst werden die Ausgangssituation vor der Privatisierung skizziert und die Reformansätze unter Berücksichtigung der regulierenden Eingriffe erarbeitet.
In diesem Zusammenhang kommt der Ausgestaltungsform der Regulierungsbehörde eine wichtige Rolle zu. Deshalb werden die zentralen Gesichtspunkte, auf die in diesem Bereich zu achten ist, aufgezeigt. Weiterhin wird auf die zentralen Regulierungsbehörden im Bereich des Bahnwesens in Großbritannien eingegangen, indem deren Aufgabenbereiche und Kompetenzen aufgezeigt und potentielle Problemfelder des gewählten Regulierungsregimes herausgestellt werden.
Darüber hinaus wird auf die Entwicklung nach der Reform des Bahnwesens in Großbritannien eingegangen. Dabei wird die grundlegende Struktur des reformierten Bahnwesens beschrieben, indem die existierende Marktstruktur genauer betrachtet wird. Den Abschluss dieses Kapitels bildet eine kritische Würdigung zur Reform des Bahnwesens, die die Ausgestaltung der einzelnen Institutionen sowie der generellen Marktstruktur würdigt.
Die Arbeit endet mit einer Schlussbetrachtung, in der die aufgeworfene Fragestellung herangezogen wird. Durch diese Schlussbetrachtung sollen etwaige Schwachstellen bzw. Verbesserungsmöglichkeiten der in Großbritannien durchgeführten Bahnreform dargestellt werden.
Um die Geschehnisse der letzten Jahre im Rahmen der Privatisierung der Eisenbahn in Großbritannien und der damit einhergehenden veränderten Marktstruktur besser in den geschichtlichen Kontext einordnen zu können und darüber hinaus einen Einblick in die Entstehungsgeschichte des Transportmittels Eisenbahn unter Berücksichtigung früher Eingriffe in den Markt zu bekommen, wird in diesem Kapitel ein Umriss über die verschiedenen Epochen der Entstehungsgeschichte der Eisenbahn in Großbritannien gegeben. Weiterhin wird auf die verschiedenen regulierenden Eingriffe in den Eisenbahnmarkt Großbritanniens eingegangen.
Dieses Kapitel dient vor allem dazu, die Ende des 20. Jahrhunderts eingeleitete Bahnreform in einen größeren historischen Kontext einzuordnen.
Die Entstehungsgeschichte der Eisenbahn in Großbritannien begann im späten 18. Jahrhundert und hatte ihren Höhepunkt zwischen 1830 und 1900. Dabei ist die Entwicklung der Bahn nicht nur mit der Industrialisierung verbunden, sondern auch mit der Nationalstaatsbildung sowie dem Kapitalismus (vgl. Rossberg 1977). Das rapide Wachstum der Industrie, dass einer der zentralen Treiber für das Wachstum in Europa war sowie die Notwendigkeit, sowohl Material als auch fertige Produkte zu transportieren, forcierten die Suche nach einem für diese Zwecke geeigneten Transportmittel fortan (vgl. van Riesen 2007, S. 39).
Das britische Eisenbahnnetz ist das älteste von Lokomotiven gezogene Eisenbahnnetz der Welt und verfügt somit über die längste Historie im Bahnwesen weltweit. Bereits im Jahre 1804 stellte Richard Trevithick die erste Dampfmaschine auf die Schienen.[1]
Die erste öffentliche Eisenbahnstrecke der Welt von Stockton nach Darlington wurde am 27. September 1825 eröffnet (vgl. Knorr & Eichinger 2002, S. 370). Diese war sowohl für den Güter- als auch für den Personenverkehr konzipiert, jedoch von der Öffentlichkeit nur in geringem Maße genutzt worden. Erst nach der Fertigstellung der Liverpool-Manchester Railway 1830 nahm die Öffentlichkeit die Eisenbahn als Personenbeförderungsmittel in größerem Ausmaß wahr. Die Eisenbahn als neues, revolutionäres Verkehrsmittel war geboren (vgl. Hielscher 1997, S. 12 f.; vgl. auch Wolmar 2005, S. 6 f.).
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Großbritannien das erste Land der Welt, dass eine komplett neue Eisenbahninfrastruktur entwickelte. In der Zeit von 1837 bis 1850 entstand ein Schienenverkehrsnetz mit einer Ausdehnung von fast 10.000 km Länge. Bis zum Jahre 1875 wurde das Netz auf eine Länge von nahezu 24.000 km erweitert (vgl. Knorr & Eichinger 2002, S. 371).
Die Eisenbahngesellschaften in Großbritannien erwirtschafteten Mitte des 19. Jahrhunderts hohe Gewinne. Im Jahre 1840 wurde dann ein Gesetz erlassen, dass die Dividenden aus den Gesellschaften begrenzen sollte, um somit Wettbewerb zu sichern und die Ausbeutung potentieller Marktmacht zu verhindern (vgl. Aberle 2000, S. 200).
Das britische Eisenbahnnetz entstand aus einem Netzwerk einiger kleiner lokaler und privater Eisenbahngesellschaften. Eine Prämisse der damaligen Eisenbahnpolitik war es, Unternehmenszusammenschlüsse zu vermeiden. Ziel dessen war es, die Gesellschaften in möglichst kleinen Einheiten zu halten, um den Wettbewerb zwischen den jeweiligen Anbietern sicherzustellen (vgl. Aberle 2000, S. 200). Obwohl die Bahngesellschaften privat betrieben wurden, war der Staat von Beginn an stark mit den Gesellschaften verknüpft. Foster bezeichnete die Situation als „Regulation by Parliament “. Der Staat vergab die Rechte zum Streckenbau (vgl. van Riesen 2007, S. 34). Im Jahre 1854 wurde es den Unternehmen im Zuge des Railway and Canal Traffic Act verboten, den Nachfragern für identische Transportleistungen unterschiedliche Konditionen in Bezug auf Preis und Service einzuräumen. Dies wurde als Verbot der „Undue preference “ bezeichnet und stellte eine der ersten regulierenden Eingriffe in den Markt dar (vgl. Aberle 2000, S. 200).
In den Anfangsjahren des britischen Eisenbahnwesens konnte von einem regelrechten „Boom“ gesprochen werden. Es war eine enorme Nachfragexpansion zu verzeichnen. Wettbewerb zwischen den verschiedenen Gesellschaften entstand vor allem aufgrund der Überkapazitäten. Zusätzlich existierte zu dieser Zeit Wettbewerb aufgrund der teilweise parallel verlaufenden Linien. Es existierten rund 150 Eisenbahngesellschaften in Großbritannien. Im Laufe der Jahre sind durch Fusionen einige dominante Gesellschaften entstanden, die ihrerseits auf bestimmten Teilstrecken eine Monopolstellung besaßen. Zurückzuführen war diese Entwicklung auf strategische Allianzen, Preiskämpfe sowie Übernahmen (vgl. Aberle 2000, S. 79 f.). Durch die zu Beginn des Eisenbahnverkehrs in Großbritannien herrschende Expansion und das rasche Entwicklungstempo waren so gut wie keine Eingriffe notwendig und somit überließ der Staat, vertreten durch das Parlament, den Markt sich selbst und betrieb eine „laissez-faire-Politik “. Zuständig für die Regulierung war zu dieser Zeit das Parlament (vgl. van Riesen 2007, S. 35).
Die zentralen Regulierungsbereiche gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren die Preispolitik der einzelnen Gesellschaften sowie die steigende Anzahl an Fusionen, die zu dieser Zeit stattfanden. Das Parlament hatte das Ziel, Fusionen zu verhindern und darüber hinaus Kartelle zu fördern. Begründet wurde diese Politik dadurch, dass auch kleinen Bahnunternehmen die Existenz ermöglicht werden sollte (vgl. Ashmore 1993, S. 10 f.). Den damit einhergehenden negativen Effekten durch den fehlenden Preiswettbewerb trat das Parlament durch die Festsetzung von Höchstpreisen und Sozialtarifen für Arme entgegen (vgl. van Riesen 2007, S. 35). Eine der ersten Regulierungen durch das Parlament wurde zum Ende des 19. Jahrhunderts ausgesprochen. Dabei untersagte das Parlament den Betreibern, ohne den Nachweis von erhöhten Kosten, eine Erhöhung der Preise. Der Grund für diesen Eingriff des Staates lag in der offensichtlichen Preisabsprache einiger Unternehmen (vgl. van Riesen 2007, S. 35 f.).
Mit Beginn des ersten Weltkrieges wurden die Eisenbahngesellschaften von der Regierung dazu verpflichtet, ihre Ressourcen für notwendige Kriegszwecke zur Verfügung zu stellen (vgl. Wolmar 2005, S. 21). Dabei versicherte die Regierung den einzelnen Unternehmen einen Erlös in Höhe des Vorjahres. Die Verantwortung für das nun zentral geführte britische Eisenbahnsystem lag somit in den Händen des Railway Executive Committee. In den Jahren des ersten Weltkrieges konnten durch verbesserte Koordination enorme Effizienzgewinne verzeichnet werden, was die Zukunft des Bahnwesens nachhaltig verändern sollte.
Nach Beendigung des ersten Weltkrieges im Jahre 1918 änderte sich die Position der Bahn grundlegend. Der zentrale Punkt für diese Veränderung lag in der zunehmenden Substitutionskonkurrenz durch andere Verkehrsträger, wie z.B. der Schifffahrt oder dem Straßenverkehr.
Aufgrund der durchweg positiven Erfahrungen mit dem zentralisierten Betrieb der britischen Eisenbahn während der Zeit des ersten Weltkrieges wurde die zuvor existierende wettbewerbliche Organisation zunächst nicht wieder hergestellt. Infolgedessen wurde die strikte administrative Kontrolle aufrechterhalten. Zu dieser Zeit existierten über 100 eigenständige Gesellschaften, die sich im Jahre 1921 durch Fusionen zu den „Big Four“ zusammengeschlossen hatten. Die „Big Four“ bezeichneten dabei die vier großen Regionalbahnen in Großbritannien. Zu diesen zählten die Great Western Railway, die London und North Eastern Railway, die London, Midland and Scottish Railway und die Southern Railway. Jede dieser vier Gesellschaften stellte ein regionales Schienenmonopol dar (vgl. Murray 2005, S. 5 ff.). Diese Rationalisierung wurde durch den Railway Act[2] von 1921 eingeleitet.
Im Jahre 1928 wurde sowohl für den Güter- als auch für den Personenverkehr ein Preissystem eingeführt. Das Ziel des eingeführten Preissystems war es, den Eisenbahngesellschaften einen Nettoerlös von 45 Mio. GBP pro Jahr zu sichern. Allerdings sanken die Erlöse aufgrund des zunehmenden intermodalen Wettbewerbs[3] mit dem Straßenverkehr unter das angestrebte Erlösziel (vgl. Aberle 2000, S. 200 f.).
Zu Beginn des 2. Weltkrieges wurde die Kontrolle der Eisenbahn, wie es bereits im ersten Weltkrieg der Fall war, von der britischen Regierung übernommen. Die Erlöse stiegen durch die Beförderung von Truppen und Kriegsmaterial auf ca. 96 Mio. GBP pro Jahr. Im Vergleich dazu bewegte sich der Erlös Ende der 30er Jahre bei etwa 20 Mio. GBP. Es wurden also, wie bereits im ersten Weltkrieg, durch bessere Koordination Effizienzgewinne erzielt. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Krieg einen Sonderfall darstellte, weil Truppen, Waffen etc. transportiert werden mussten und die Auslastung der Bahn in den Kriegsjahren deutlich anstieg.
Wolmar charakterisiert die Existenz der Big Four wie folgt:
“The Big Four`s twenty-five year existence can be characterized as an unsuccessful struggle to achieve profitability in competition with buses and lorries, which unlike the railways were not regulated in any way until 1930 and 1933 respectively. Inevitably, the result was a system that suffered badly from underinvestment” (Wolmar 2005, S. 17).
Durch den Transport Act von 1947 wurde die Eisenbahn in Großbritannien verstaatlicht und blieb dabei weiterhin staatlich reguliert. Zu Beginn des Jahres 1948 ist aus den „Big Four“ die staatliche British Rail geworden. Dabei war British Rail eine Behörde, die dem Verkehrsministerium unterstellt war (vgl. Knorr & Eichinger 2002, S. 371).
Ebenfalls zu Beginn des Jahres 1948 wurde durch die Regierung die British Transport Commission (BTC) gegründet, die nicht nur für den Bereich der Bahn, sondern für alle Landverkehrsträger zuständig war (vgl. van Riesen 2007, S. 156).
Es ist zu beachten, dass die Bahn im Verlauf des Krieges eine Vielzahl von Schäden erlitten hat; eine Vielzahl von Gleisen war in einem sehr schlechten Zustand. Dies führte dazu, dass die Bahn, besonders im aufkommenden intermodalen Wettbewerb mit der Straße, nachhaltig geschwächt war. Die Straße galt zu dieser Zeit als Zukunft des Personen- und Gütertransportes. Investitionen in das sanierungsbedürftige Schienennetz blieben zugunsten der Straße aus. Dies führte in Folge zu erheblichen Problemen, auf die später noch eingegangen wird. Außerdem wurden alle über die Bereitstellung der operativen Leistungsfähigkeit hinausgehende Investitionen bis zum Jahre 1955 untersagt, was ebenfalls negative Konsequenzen für die Zukunft der Bahn mit sich bringen sollte (vgl. Aberle 2000, S. 201).
Durch den Transport Act des Jahres 1953 wurden den Eisenbahnen größere Ermessensspielräume bei der Preisbildung eingeräumt. Des Weiteren verfiel das Diskriminierungsverbot. Der Höchstpreis für eine Transportleistung musste jedoch weiterhin veröffentlicht werden. Im Jahre 1962 wurde der British Rail eine komplett freie Preisbildung und Angebotsgestaltung ermöglicht (vgl. Aberle, G. 2000, S. 201 f.). Eine gänzlich freie Preisbildung ist dadurch gekennzeichnet, dass keinerlei staatliche oder auch verbandspolitische Einflussnahme existiert.
1963 wurde dann die BTC aufgelöst und es wurden fünf voneinander unabhängige Behörden für den Landverkehr geschaffen. Für den Bereich des Eisenbahnverkehrs wurde das British Railways Board (BRB) ins Leben gerufen. Somit lagen alle zentralen Aufgaben, wie die Infrastrukturplanung, aber auch der Ausbau sowie die Instandhaltung im Bereich der britischen Eisenbahn, in den Händen des BRB. Die vertikale und horizontale Integration des Eisenbahnmarktes war durchgeführt (vgl. Davies 2000, S. 104). Unsicherheit für die Vorsitzenden der Gesellschaften der Bahn entstand dadurch, dass die Regierung häufig in die interne Organisation eingriff. Die verschiedenen Regierungen überwachten die Bahn und änderten oftmals die Organisation der Eisenbahn. Es wurde über Zentralisierung und Dezentralisierung nachgedacht, ohne jedoch eine Alternative konsequent in die Tat umzusetzen (vgl. Gourvish 1986, S. 668 f.).
Darüber hinaus war die Regierung für die Höhe der Subventionen zuständig. Aufgrund der Tatsache, dass sich die Höhe der Subventionen oftmals sehr kurzfristig änderte, war eine langfristige Planung, auch in Bezug auf die Streckeninstandhaltung sowie weitere Investitionen, erschwert. Dies sollte gravierende Auswirkungen auf die Performance der Infrastruktur haben.
Aufgrund dessen, dass sich die wirtschaftliche Lage der Eisenbahnen in Großbritannien zwischen 1952 und 1962 deutlich verschlechterte, sah man die Notwendigkeit einer einschneidenden Reform gegeben.
In dem 1963 vorgelegten Reshaping Report („Beeching Report “) wurden tiefgreifende Strukturveränderungen im Bereich des Eisenbahnwesens vorgeschlagen. In diesem historischen Einschnitt im Bereich des Bahnnetzes autorisierte der Vorsitzende der British Rail, Lord Richard Beeching, einen Plan, durch den sowohl Kosten eingespart als auch Leistungen rationalisiert werden sollten, um der wachsenden Konkurrenz des Frachttransportes auf der Straße entgegnen zu können (vgl. Murray 2005, S. 7 f.; vgl. auch Knorr & Eichinger 2002, S. 371).
Es wurden eine Reihe von Bahnlinien sowie Bahnhöfe geschlossen mit dem Ziel, die Effizienz zu steigern. Neben der Einstellung von unrentablen Strecken bzw. Verkehrsangeboten sowie der substantiellen Verringerung des Rollmaterials im Personen- und Güterverkehr schlug der Reshaping Report verschiedene Ausgestaltungsformen zur Effizienzsteigerung im Güterverkehr und den konsequenten Ausbau einiger Passagierdienste vor. Es kann demnach von einer Rationalisierung im Hinblick auf die erwähnten Punkte gesprochen werden (vgl. Joy 1998, S. 27). Die gänzliche Umsetzung dieser Pläne wurde jedoch durch die Labour Regierung vereitelt. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass grundlegende Reformen eingeleitet worden sind.[4]
Im Jahre 1965 erschien ein weiterer Bericht von Beeching. Innerhalb dieses Berichtes, der den Namen „The Development of the Major Trunk Routes “ trägt, wurden alle vorhandenen Eisenbahnstrecken in zwei Kategorien unterteilt. Diese Einteilung in „Social Routes “ und „Commercial Routes “ hatte zur Folge dass letztere, im Gegensatz zu den „Social Routes“, keine Subventionen erhielten (vgl. Knorr & Eichinger 2002, S. 371).
Ende der 70er Jahre entstand ein Konflikt zwischen der British Rail und der Regierung. British Rail forderte zusätzliche finanzielle Mittel, um in das marode Schienenetz investieren zu können und somit im intermodalen Wettbewerb konkurrenzfähig sein zu können. Die Regierung bewilligte dies jedoch nicht und verwies auf rückläufige Fahrgastzahlen und Transportvolumina. Die Regierung setzte erst seit 1983 konkrete Zielvorgaben. Eine zentrale Maßnahme lag in der Trennung von Bereichen, die nicht als zentrale Aktivitäten von British Rail angesehen worden sind. Durch dieses Vorhaben wurde die Effizienz gesteigert, sodass beispielsweise die Subventionen im Personenbereich zwischen 1983 und 1989 halbiert worden sind. Die wirtschaftlichen Kennzahlen der Bahn in den 80er Jahren waren so gut, dass die angestrebte Entlastung des Staatshaushaltes realisiert wurde, allerdings mit dem faden Beigeschmack, dass auf Investitionen in die Infrastruktur fast vollständig verzichtet wurde (vgl. Schmitz 1997 S. 48 f.; vgl. auch Joy 1998, S. 33 f.).
Insgesamt bestimmte die andauernde Verschuldungsproblematik einen Großteil der Entwicklung des Bahnsektors, bis hin zur Privatisierung in den 1990er Jahren. Der Bahnsektor in Großbritannien konnte als chronisch defizitär bezeichnet werden. Zusätzlich war das Schienennetz in einem schlechten Zustand, weil die dringend notwendigen Investitionen ausgeblieben sind. Die Entwicklung der Bahn in den folgenden Jahren wird in Kapitel 5 eingehend beschrieben und knüpft dabei direkt an die Ausführungen dieses Kapitels an. Nachdem nun ein Umriss über die Entstehungsgeschichte der Eisenbahn in Großbritannien skizziert wurde, wird im Folgenden näher auf die Besonderheiten des Netzmarktes Eisenbahn eingegangen.
Bei der Eisenbahn handelt es sich, ähnlich wie bei den Bereichen Telekommunikation, Strom oder Gas, um eine Netzindustrie bzw. einen Netzwerkmarkt. Netzsektoren im Bereich des Bahnwesens können dabei in Netzinfrastrukturen, wie die Schienenwege und Netzdienstleistungen, wie dem Eisenbahnverkehr, unterschieden werden (vgl. Knieps & Brunekreeft 2003, S.10 f.; vgl. auch Knieps 2007, S. 2 f.).
Für die zentrale Aufgabe der Eisenbahn, nämlich den Transport von Personen und Gütern, ist der Aufbau eines Infrastrukturnetzes unabdingbar. Der Aufbau des notwendigen Netzes, um diese Leistung zu erbringen, ist jedoch mit immensen (Fix-)Kosten verbunden und kann nur zu diesem einen Zweck genutzt werden.
Die gemeinsamen Charakteristika dieser Branchen grenzen sich klar von denen anderer Industriesektoren ab. Charakteristisch für diese Branche sind sowohl Skalenerträge (Economies of Scale) als auch Diversifikationsvorteile, die zu natürlichen Monopolen führen können. Aufgrund der Existenz dieser natürlichen Monopole kann es zu Marktversagen kommen. Weiterhin ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass Netzmärkte aufgrund ihrer Eigenschaften weitaus stärker von horizontalen und vertikalen Konzentrationen geprägt sind, als dies in anderen Märkten der Fall ist. In der Folge sollen die spezifischen ökonomischen Eigenschaften der Netzwerkindustrie Bahn aufgezeigt werden und die daraus resultierenden Aufgaben in Bezug auf die Regulierung herausgearbeitet werden. Ziel dessen ist es, Bereiche zu erkennen, in denen potentiell Regulierungsbedarf besteht.
Im Regelfall handelt es sich bei Eisenbahngesellschaften um Mehrproduktunternehmen, die verschiedene Typen von Güter- und Personentransportleistungen anbieten. Zur Unterscheidung kann gesagt werden, dass im Bereich Gütertransport zwischen dem Transport von Massengütern, Post oder Paketdiensten, unterschieden werden kann. Im Bereich des Personenverkehrs kann wiederum zwischen lokalem Service, Regionalverkehr sowie dem Fernverkehr und Hochgeschwindigkeitstrassen unterschieden werden (vgl. Campos & Cantos 2000, S. 171 f.).
Den unterschiedlichen Leistungstypen bzw. Produkten sind dementsprechend unterschiedliche Kosten zuzuordnen. Diese Kosten können wie folgt unterteilt werden:
Betriebskosten der Züge; dazu zählen bspw. Treibstoff, Instandhaltung und Abschreibung des Fuhrparks sowie das Betriebspersonal. Weiterhin entstehen Kosten für Signalanlagen und Gleise, Bahnhöfe und Haltestellen. Zusätzlich existieren noch Verwaltungskosten (vgl. Campos & Cantos 2000, S. 172 f.).
Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei der Eisenbahn um einen Netzmarkt. Diese Netzindustrien, wie sie im Fall der Eisenbahn vorliegen, sind aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften besonders anfällig für das Auftreten von strukturellen Markteintrittsbarrieren.
Diese strukturellen Markteintrittsbarrieren lassen sich dabei wie folgt unterscheiden:
1. Skalenvorteile (Economies of Scale)
2. Dichtevorteile (Economies of Density)
3. Verbundeffekte (Economies of Scope)
Unter dem Begriff der Economies of Scale versteht man ganz allgemein die Abhängigkeit der Ausbringungsmenge von der jeweils eingesetzten Menge an Produktionsfaktoren. Bei der Existenz positiver Economies of Scale steigt die Produktionsmenge bei einer Erhöhung der Inputfaktoren überproportional. Daraus lässt sich folgern, dass die Skalenelastizität größer als eins ist. Die Existenz positiver Skalenerträge lässt sich vor allem durch Spezialisierung, Arbeitsteilung oder Transaktionskosten erklären (vgl. Bormann & Finsinger 1999, S.103f.; vgl. auch Ewers 1994, S. 185).
In diesem Zusammenhang ist es erforderlich, zwischen Skalen- und Dichteeffekten zu unterscheiden. Im Netzmarkt Eisenbahn treten positive Skalenerträge in Form von Netzbildungseffekten auf. Konkret heißt das, dass zunächst einmal eine gewisse Ausdehnung an Infrastrukturkapazität vorhanden sein muss, bevor die Eisenbahn als Personen- bzw. Gütertransportmittel überhaupt attraktiv wird, um den Transport von Personen und Gütern bewerkstelligen zu können. Die Ausdehnung des Infrastrukturnetzes ist bis zu einem bestimmten Maß gewinnbringend, d.h., es existiert eine Skalenelastizität, die größer als eins ist (vgl. Ewers 1994, S. 185 f.).
Zur Existenz von Dichteeffekten (Economies of Density) ist zu sagen, dass diese im Bereich der Eisenbahn häufiger zu beobachten sind, als Skalenerträge. Unter Dichteeffekten versteht man die Senkung der Durchschnittskosten durch eine Steigerung der Auslastung der vorhandenen Kapazitäten. Somit führen
Dichteeffekte bei steigender Nachfrage zu einer Ausweitung der Arbeits- und Kapitalproduktivität. Im Eisenbahnsektor kann eine höhere Streckenfrequenz sowie steigende Zuglängen als Beispiel für die Existenz von Dichteeffekten angeführt werden (vgl. Ewers 1994, S. 185 f.).
Ein weiteres Instrument der Kostenanalyse stellt das Konzept der Verbundvorteile (Economies of Scope) dar. Diese Verbundvorteile treten dann auf, wenn mehrere Güter innerhalb eines Unternehmens kostengünstiger produziert werden können als in mehreren Unternehmen, die jeweils auf ein Produkt spezialisiert sind (vgl. Borrmann & Finsinger 1999, S. 113 f.; vgl. auch van Riesen 2007, S. 48 f.).
Für den Zweigüterfall gilt somit:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(vgl. Aberle & Eisenkopf 2002, S. 16).
Für den konkreten Fall der Eisenbahnindustrie können Verbundvorteile sowohl zwischen Infrastruktur und Transportbetrieb als auch zwischen Güter- und Personentransport angenommen werden (vgl. Ewers 1994, S. 186).
Verbundeffekte können dabei in zwei verschiedenen Formen auftreten:
1. Bündelungseffekte
Als Bündelungseffekte sind Kostenvorteile zu verstehen, die durch die Diversifizierung des Produktprogramms eines Unternehmens auf horizontaler Ebene entstehen. Ein Beispiel hierzu ist die Herstellung unterschiedlicher Produkte auf einer Produktionsanlage.
2. Verkettungseffekte
Verkettungseffekte hingegen ergeben sich aus der vertikalen Verkettung verschiedener Wertschöpfungsstufen.
Für den speziellen Fall des Eisenbahnmarktes gilt, dass positive Verbundeffekte sowohl in Form von Bündelungs- als auch Verkettungsvorteilen existieren. Bündelungseffekte in diesem Markt sind beispielsweise das gemeinsame Angebot von Personen- als auch Güterverkehr durch ein einziges Bahnunternehmen.
Die Existenz von Verkettungsvorteilen wird durch eine disaggregierte Betrachtung der Netzindustrie Eisenbahn möglich. Unter dem Begriff der disaggregierten Betrachtung wird dabei verstanden, dass die einzelnen Wertschöpfungsebenen verifiziert werden.
Als Wertschöpfungsebenen sind Netzaufbau und -unterhaltung, der eigentliche Transport und die Verkehrsüberwachung zu nennen. Etwaige Verbundvorteile zwischen diesen Ebenen sind in den Bereichen Abstimmung zwischen Zugüberwachung und Verkehr oder des nachfragegerechten Netzausbaus erkennbar (vgl. Knieps 1999, S. 22 ff.).
Die gerade beschriebenen Größen-, Dichte- und Verbundvorteile stehen sehr eng mit dem Begriff des natürlichen Monopols in Verbindung. Aus diesem Grund wird in diesem Kapitel das natürliche Monopol näher betrachtet.
Ein natürliches Monopol (auch sog. Effizienzmonopol) ist dadurch gekennzeichnet, dass fallende Durchschnittskosten je Outputeinheit im gesamten Nachfragebereich bestehen. Daraus lässt sich folgern, dass die Produktionskosten minimiert werden können, indem ein Anbieter den gesamten Markt alleine versorgt (vgl. Borrmann & Finsinger 1999, S. 101 f.; vgl. auch Burmeister 2001, S. 33 f.). Man spricht von der zu erfüllenden Bedingung, dass im Falle eines natürlichen Monopols eine subadditive Kostenfunktion vorliegt. Das bedeutet, dass die Summe der Kosten bei Produktion in verschiedenen Unternehmen im relevanten Mengenbereich höher als bei konzentrierter Produktion ist (vgl. Aberle 2000, S. 97 f.; vgl. auch Campos & Cantos 2000, S. 172).
Als Voraussetzung für die Existenz eines natürlichen Monopols genügen jedoch nicht Verbundvorteile, es müssen Skalen- oder Dichtevorteile existieren. Bei dem Netzwerkmarkt Bahn würde Netzwettbewerb zwischen zwei Unternehmen eine Duplizierung des Netzes bedeuten, was sowohl rein intuitiv als auch volkswirtschaftlich ineffizient ist (vgl. Ewers 1994, S. 186).
Innerhalb von Netzindustrien ist das Vorhandensein von natürlichen Monopolen als äußerst typisch anzusehen. Dies kann dadurch begründet werden, dass der eigentliche Netzaufbau enorme (Fix-)Kosten[5] verursacht, wohingegen beim letztendlichen Betrieb nur geringe Betriebkosten anfallen, sodass die Durchschnittskosten mit steigendem Output fallen. Dies hat zur Folge, dass ein einzelner Anbieter den gesamten Markt kostengünstiger bedienen kann, als mehrere in Konkurrenz zueinander stehende Anbieter.
Zu berücksichtigen ist hierbei jedoch, dass im Falle eines natürlichen Monopols die Marktmacht nicht zwangsweise so ausgeprägt ist, dass Monopolrenten abgeschöpft werden können. Hierbei spielt die Markteintrittsdrohung eine zentrale Rolle, denn allein diese Markteintrittsdrohung eines potentiellen Wettbewerbers kann den natürlichen Monopolisten soweit disziplinieren, dass dieser keine Preise realisieren kann, die über den Durchschnittskosten liegen („contestable Markets“). Die Theorie der natürlichen Monopole wurde durch die Theorie der bestreitbaren Märkte relativiert, die im folgenden Kapitel betrachtet werden soll.
„Die zentrale Aussage der Theorie der angreifbaren Märkte besteht darin, dass irreversible Kosten in Kombination mit Größenvorteilen als Marktzutrittsschranke Marktmacht begründen, und nicht Größenvorteile alleine “(Knieps 1996, S. 21).[6]
Als vollkommen bestreitbar („perfectly contestable“) gilt ein Markt dann, wenn die folgenden drei Bedingungen erfüllt sind (vgl. Knieps & Brunekreeft 2003, S. S.11 f.):
Erstens muss der Marktzutritt frei sein, d.h., es dürfen beim Zugang zu den verwendeten Produktionstechnologien bzw. den Faktormärkten oder bei der Beschaffung von Informationen hinsichtlich der Nachfrage keinerlei Asymmetrien bestehen. Es darf also keinem Marktteilnehmer der Markt versperrt sein (vgl. Borrmann & Finsinger 1999, S. 278 f.).
Darüber hinaus dürfen die Nachfrager keinerlei Unterschiede zwischen den Gütern des potentiellen Markteindringlings und denen der bereits etablierten Marktteilnehmer machen. Diese müssen als gleichwertig angesehen werden. Orientierungskriterium zur Wahl des Anbieters ist demnach lediglich der Preis.
Die zweite Bedingung ist, dass der Marktaustritt kostenlos sein muss. Das bedeutet, dass alle beim Markteintritt entstehenden Kosten für den potentiellen Wettbewerber vollständig reversibel sein müssen, es dürfen also keine versunkenen Kosten („sunk cost“) entstehen (vgl. Kruse1985, S. 297 f.).
Als dritter Punkt ist zu nennen, dass die Preisanpassung eines bereits am Markt etablierten Unternehmens nur zeitverzögert erfolgen darf, damit ein potentieller Newcomer überhaupt in der Lage ist, Nachfrage zu generieren. Dabei ist die Zeitverzögerung beim Marktzutritt („entry lag“) kürzer als die Zeitverzögerung bei der Preisanpassung („price adjustment lag“; vgl. Borrmann & Finsinger 1999, S. 278 f.; vgl. auch Knieps & Brunekreeft 2003, S. 11 f.).
Die Besonderheit am Konzept der bestreitbaren Märkte ist darin zu sehen, dass die aktuellen Marktteilnehmer der Drohung des „hit-and-run-entry“ durch potentielle neue Anbieter ausgesetzt sind, wenn die oben angeführten Bedingungen erfüllt sind. Darüber hinaus ist der Monopolist nicht in der Lage, seine vorhandene Marktmacht auszunutzen. Dies lässt sich dadurch begründen, dass sowohl durch den freien Markteintritt als auch durch den kostenfreien Marktaustritt ein Wettbewerber in den Markt drängt, der die Monopolpreise unterbietet und somit die komplette Nachfrage auf sich zieht. Um dies zu verhindern, ist der Monopolist gezwungen, die Preise auf Durchschnittskostenniveau zu senken und somit auf die Abschöpfung der Monopolrente zu verzichten. Aufgrund dieser Tatsache ist es für den Fall eines bestreitbaren Marktes ausreichend, mit dem Markteintritt zu drohen, um die Marktmacht des Monopolisten einzuschränken, ohne dass es zu einem tatsächlichen Markteintritt kommt (vgl. Borrmann & Finsinger 1999, S. 278 f.; vgl. auch Burmeister 2001, S. 35).
Für den Fall, dass der Marktzutritt hingegen mit irreversiblen Koten verbunden ist, kann man von einem marktzutrittsresistenten Monopol und damit von einem monopolistischen Bottleneck sprechen. Als irreversible Kosten könnte im Bereich des Bahnwesens der Aufbau des Schienennetzes genannt werden. Ein bereits etablierter Marktteilnehmer könnte einem potentiellen Newcomer damit drohen, seine Leistungen zu Grenzkosten anzubieten, denn für ihn stellen die bereits erbrachten Aufwendungen, beispielsweise in das Schienennetz, versunkene Kosten dar. Der potentielle Newcomer wäre darauf angewiesen Erlöse zu erzielen, die zumindest seine Durchschnittskosten decken. Somit kann der Newcomer nicht glaubhaft mit Markteintritt drohen.
Der aus der Existenz von Größen- und Dichtevorteilen sowie der Irreversibilität der Kosten durch den Aufbau des Schienenetzes entstehende Monopolcharakter führt dazu, dass Monopolrenten abgeschöpft werden können. Regulierende Eingriffe können somit gerechtfertigt sein, um die Erzielung von Monopolrenten zu verhindern.
Im Netzmarkt Eisenbahn spielen irreversible Kosten eine wichtige Rolle und sollen deshalb in diesem Kapitel genauer betrachtet werden. In der Literatur wird darüber hinaus das Vorhandensein von irreversiblen Kosten als zentrale Ursache von Marktversagen angeführt.
Innerhalb von Netzindustrien ist der Markteintritt mit immensen irreversiblen Kosten, wie dem Aufbau eines eigenen Schienennetzes, verbunden (vgl. Burmeister 2001, S.36). Ein typisches Beispiel hierfür sind mehrperiodisch genutzte Anlagen, die auf eine einzige ökonomische Verwendung ausgerichtet sind und auch nur zu diesem Zweck genutzt werden können. Durch die Installierung dieser Anlagen sind die aufgewendeten Kosten praktisch unwiderruflich festgelegt. Ein Transfer dieser Anlagen ist, wenn überhaupt, mit erheblichen Wertverlusten verbunden (vgl. Kruse 1985, S. 41 f.; vgl. auch Hedderich 1996, S. 57 f.).
„Die Eigenschaft eines Produktionsfaktors, nicht ohne Wertverlust in einen anderen Verwendungszweck überführbar zu sein, wird als irreversible bezeichnet(…). Das Ausmaß der Irreversibilität eines Produktionsfaktors ist (...) abhängig von alternativen Verwendungsmöglichkeiten. Zu denken ist an die erzielbaren Erlöse bei Umwidmung …“ (Hedderich 1996 S. 50 f.).
Kosten werden dabei als irreversibel oder unwiederbringlich bezeichnet wenn sie, einmal eingesetzt, nicht mehr rückgängig gemacht werden können. In einem solchem Fall spricht man von einem marktzutrittsresistenten Monopol[7] („sustainable Monopol“) und infolgedessen von einem „monopolistischen Bottleneck“. In diesem Fall könnte der Monopolist dem potentiellen Newcomer damit drohen, seine Leistung zu Grenzkosten anzubieten, denn der etablierte Marktteilnehmer hat bereits in das Netz investiert, was für ihn irreversible Kosten darstellt. Damit sich ein Markteintritt des Newcomers lohnen würde, müsste dieser mindestens Erlöse in Höhe der Durchschnittskosten generieren. Eine Drohung des Newcomers in den Markt einzutreten, wäre also eine unglaubwürdige Drohung. Der Monopolcharakter, der aus den beschriebenen Dichte- und Größenvorteilen entsteht, ist entscheidend für den Anbieter, um seine Monopolmacht auszuschöpfen und Monopolrenten zu erlangen. Dies hat zur Folge, dass regulierende Eingriffe unter diesen Bedingungen erforderlich sind.
„Monopolistische Bottlenecks“ sowie der Begriff der „Essential Facilities“ sind zentrale Charakteristika von Netzmärkten. In diesem Kapitel sollen diese Begriffe näher beschrieben werden und in Zusammenhang mit den spezifischen Eigenschaften von Netzmärkten gebracht werden.
Als monopolistische Bottlenecks werden allgemein Engpasssituationen bezeichnet. Netzmärkte, wie sie bei der Bahn vorliegen, sind aufgrund ihrer grundlegenden Charakteristika, nämlich des Auftretens von Dichte- und Größevorteilen, besonders anfällig für mögliche Bottleneck-Situationen. Ein zusätzlicher Grund für das Auftreten solcher Engpasssituationen ist in der Existenz von irreversiblen Kosten zu sehen. In Zusammenhang mit dem Begriff der monopolistischen Bottlenecks ist der Begriff der Essential Facilities näher zu erläutern[8] (vgl. Knieps 2007, S. 165).
Unter dem Begriff der „Essential Facility“ versteht man Infrastruktureinrichtungen die notwendig sind, um Kunden zu erreichen bzw. Wettbewerbern ihre Geschäftstätigkeit zu ermöglichen, jedoch unter der Annahme, dass es kein Substitut gibt. Darüber hinaus ist es nicht möglich, diese Einrichtung unter angemessenem Aufwand zu duplizieren. Im Bereich des Netzmarktes Eisenbahn stellt beispielsweise das Infrastrukturnetz eine Essential Facility dar. Die Eisenbahnunternehmen sind darauf angewiesen, dass bereits bestehende Infrastrukturnetz nutzen zu können, denn ohne das Recht, die Infrastruktur nutzen zu können, sind sie nicht in der Lage, Transportleistungen anzubieten (vgl. Knieps 1999 S. 2 f.; vgl. auch Knieps & Brunekreeft 2003, S. 19 f.).
Van Riesen führt an,
„dass die Existenz von wesentlichen Einrichtungen einer besonderen Aufmerksamkeit bei der Organisation von Wettbewerb in einem netzgebundenen Infrastruktursektor bedarf“ (van Riesen 2007, S. 50).
Monopolitische Bottlenecks sind typisch für Bereiche, in denen irrreversible Kosten existieren und diese aufgrund von Kostenvorteilen die Eigenschaften eines natürlichen Monopols aufweisen. Es bleibt festzuhalten, dass monopolitische Bottlenecks besonders in Netzindustrien auftreten, da beispielsweise das Gleissystem enorme Entwicklungskosten benötigt, jedoch schließlich nur zu einem Zweck verwendet werden kann. Demnach sind regulierende Maßnahmen besonders notwendig, um Marktversagen im Bereich etwaiger Bottlenecks zu verhindern.
Zu berücksichtigen ist jedoch, dass sektorspezifische Regulierung sich auf den Bereich der monopolistischen Bottlenecks beschränken sollte, da sie mit enormen administrativen Kosten einhergeht und darüber hinaus durch Anreizverzerrung, z.B. hinsichtlich der Investitionsbereitschaft, zu erheblichen volkswirtschaftlichen Schäden führt (vgl. van Riesen 2007, S. 48; vgl. auch Knieps & Brunekreeft 2003, S. 20 f.).
Abbildung 1: Wettbewerb versus netzspezifische Marktmacht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Knieps, G. 2007, S. 157
Im Vergleich zu einer strikten ex-ante Regulierung sollten Eingriffe in den Wettbewerbsprozess stets fallweise und ex-post vorgenommen werden. Die Wettbewerbsbehörden müssen diesbezüglich zwischen zwei potentiellen Fehlerquellen abwägen. Ein Fehler erster Art („false positive“) tritt auf, wenn in den Wettbewerbsprozess eingegriffen wird, obwohl dafür kein wettbewerbsökonomischer Handlungsbedarf besteht.[9] Ein Fehler zweiter Art („false negative“) tritt hingegen auf, wenn vonseiten der Wettbewerbsbehörden nicht eingegriffen wird, obwohl Handlungsbedarf existiert (vgl. Knieps 2007, S. 156 f.).
Um Bottleneck-Bereiche zu verifizieren ist es unabdingbar, die Netzindustrien nach Wertschöpfungsebenen zu betrachten. Für die Netzindustrie Bahn können folgende Wertschöpfungsebenen unterschieden werden. Es kann zwischen dem Schienenetz, den Zugüberwachungssystemen sowie dem eigentlichen Transport (Verkehrsbetrieb) unterschieden werden (vgl. Knieps 1999 S. 14 ff.). Im Folgenden sollen diese Bereiche einer genaueren Betrachtung unterzogen werden.
Ziel dieser disaggregierten Betrachtung ist es Bereiche zu erkennen, in denen Regulierungsbedarf besteht. Knieps unterstreicht die Wichtigkeit diese Bereiche zu verifizieren, indem er anführt, dass Regulierung stets mit Kosten verbunden ist und aus diesem Grund Regulierungsinstrumente nur da eingesetzt werden sollen, wo die vorhandene Marktmacht sehr ausgeprägt ist und demnach Regulierungsbedarf besteht[10] (vgl. Knieps 1996, S. 19).
Der Betrieb des Schienennetzes weist die Eigenschaften eines natürlichen Monopols auf. Dies liegt in der Tatsache begründet, dass der eigentliche Aufbau des zum Transport notwendigen Schienennetzes mit immensen Investitionen verbunden ist. Darüber hinaus verursacht der Aufbau enorme (Fix)-Kosten sowie irreversible Kosten. Die Grenzkosten der Nutzung sind hingegen als relativ gering zu betrachten. Deshalb kann von fallenden Durchschnittskosten im gesamten Bereich der Nachfrage ausgegangen werden. Eine Verdopplung der Schieneninfrastruktur ist demnach sowohl intuitiv als auch volkswirtschaftlich ineffizient (vgl. Campos & Cantos 2000, S. 174). Aufgrund dessen, dass das Schienennetz nicht mobil ist, stellen die Investitionen irreversible Kosten dar. Der Marktaustritt wäre also nicht kostenlos (vgl. Knieps 1996, S. 28).
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[1] Diese für einen Grubenbesitzer in Süd-Wales gebaute Lokomotive wird heute als der Urahn der Lokomotiven angesehen und fuhr auf Schienen mit einer Spurweite von 1524 mm.
[2] Der Railway Act steht für das britische Eisenbahngesetz.
[3] Unter intermodalem Wettbewerb versteht man die Konkurrenz zu anderen Verkehrsträgern wie LKW, Schiffen oder Flugzeugen.
[4] Zwischen 1964 und 1970 reduzierte sich das Streckennetz um ca. 26%, Waggons und Personalbestand reduzierten sich um über 50%.
[5] Je höher die Fix-Kosten sind, desto weniger Unternehmen haben Anreize in diesen Markt einzutreten.
[6] Die Theorie der „contestable markets“ wurde zu Beginn der 80er Jahre von Baumol, Panzer und Willig entwickelt.
[7] Man spricht von einem marktzutrittsresistenten Monopol, wenn es mindestens eine Preisstellung gibt, bei der kein Konkurrent in den Markt eintreten kann und dabei einen positiven Gewinn erzielt.
[8] Die Essential Facilities–Doktrin stammt aus dem amerikanischen Antitrust Law und begründet die Verpflichtung eines marktbeherrschenden Unternehmens, Wettbewerbern den Zugang zu bestimmten Einrichtungen zu gewähren.
[9] In diesem Fall spricht man von Überregulierung.
[10] Knieps & Brunekreeft (2003) bezeichnen dies als Prinzip der minimalistischen Regulierungseingriffe.
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