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Mehr InfosDiplomarbeit, 2005, 288 Seiten
Diplomarbeit
Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin (Studiengang Soziale Arbeit)
1,0
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Maria Montessori
2.1 Biographische Daten
2.2 Grundlage der Montessori-Pädagogik
2.2.1 Vorbereitete Umgebung
2.2.2 Die Selbstbestimmung
2.2.3 Der absorbierende Geist
2.2.4 Die sensiblen Phasen
2.2.5 Die Entwicklungsmaterialien
2.2.6 Polarisation der Aufmerksamkeit
2.2.7 Kosmische Erziehung
2.3 Gesellschaftshistorischer Hintergrund und die Verbreitung der Montessori-Pädagogik in Italien
3 Clara Grunwald - Die Nestorin der deutschen Montessori-Bewegung ?
3.1 Biographische Daten
3.2 Clara Grunwald - Ihre Interpretation und ihr Wirken in der Montessori- Pädagogik
3.3 Lehrmaterialien und Raumgestaltung: Konzeption und Realisierung in Montessori-Einrichtungen in Berlin in der Zeit der Weimarer Republik
3.4 Montessori-Einrichtungen in Berlin während der Weimarer Republik
4 Die Entwicklung der Montessori-Bewegung in Deutschland während der Weimarer Republik
4.1 Bund entschiedener Schulreformer und die Montessori-Bewegung
4.2 Gründung der Deutschen Montessori-Gesellschaft (DMG)
4.3 Gründung der Association Montessori International (AMI)
4.4 Der Konflikt zwischen Maria Montessori und Clara Grunwald und dessen Auswirkung auf die Montessori-Bewegung in Deutschland
5 Die Auswirkung der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 auf die Montessori-Bewegung in Deutschland
5.1 Auswirkung auf die Arbeit von Clara Grunwald und Maria Montessori
5.2 Niedergang der Montessori-Pädagogik nach der Machtergreifung der Nazis
6 Die Montessori-Pädagogik in Deutschland von 1945 bis in die Gegenwart
6.1 Beschreibung der geschichtlichen Entwicklung der Montessori-Bewegung nach 1945
6.1.1 Die Deutsche Montessori-Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg
6.1.2 Beginnende Wiederbelebung der Montessori-Pädagogik in Berlin
6.2 Montessori-Einrichtungen nach dem Zweiten Weltkrieg in West-Berlin – Ein Überblick
6.3 Aktueller Stand der Montessori-Einrichtungen in Berlin – Ein Überblick
7 Gesamtwertung
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
8 Literaturverzeichnis
8.1 Primärliteratur
8.2 Sekundärliteratur
8.3 Ungedruckte Quellen
8.4 Gedruckte Quellen
8.5 Internetquellen
9 Anhang
I Clara Grunwald - Chronologie eines Lebens
II Daten aus dem Leben und Werk Maria Montessoris
III Zeittafel der Montessori-Pädagogik in Berlin von 1896 - 1966
IV Historische Berliner Einwohnermeldekartei (EMK) von 1875 - 1960 Bestand B Rep. 021 - Grunwald, Klara
V Zeitungsartikel zur Eröffnung des 1. öffentlichen Kinderhauses Berlin- Lankwitz
VI Protestschreiben des Bundes entschiedener Schulreformer zur Schließung des 1. Kinderhauses
VII Berliner Teilnehmerliste des Kurses vom 11.10.1926 bis April 1927
VIII Schriften des Provinzialschulkollegiums
IX Einladung zum internationalen Montessori-Kurs von 1931 (Mussolini)
X Brief an das Provinzialschulkollegium von 1931
XI Stellungnahme zum Brief an das Provinzialschulkollegium von 1931
XII Bericht von Dr. Axter an das Provinzialschulkollegium von 1931
XIII Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums § 4 von 1933
XIV Urkunde: Montessori-Diplom von Irene Dietrich 1930 und 1948/1949
XV Zusammenstellung der Einrichtungen von 1961, die nach der Montessori-Methode unterrichten
XVI Alfred Gosse : Wie ich Montessori-Vater wurde von 1959
XVII Erfahrungsbericht Irene Dietrichs vom 17.4.1959
XVIII Montessori-Kinderhäuser, Montessori-orientierte Kindergärten und Vorschulen in Berlin
XIX Montessori-Schulen und Montessori-orientierte Schulen in Berlin von 2005
XX Kinderhäuser, Kindergärten die nach der Montessori-Methode arbeiten, Vorschulgruppen, Schulklassen und Schulen, die nach der Montessori-Methode unterrichten - registriert in der Senatsverwaltung Berlin von 2005
Eidesstattliche Erklärung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die vorliegende Studie versteht sich als eine historisch-pädagogische Bestandsaufnahme in der Rekonstruktion der Lebensgeschichte und der Berufsbiographie von Clara Grunwald und Maria Montessori. Es ist mein Anliegen, die entwickelten und praktizierten pädagogischen Ideen von Maria Montessori und die innovativen Ansätze von Clara Grunwald in Erinnerung zu bringen, die durch die 1933 einsetzende Verdrängung der Montessori-Pädagogik in Berlin in Vergessenheit gerieten. Als ich im Jahre 2002 für das Thema „Stätten jüdischer Sozialarbeit in Berlin bis zum zweiten Weltkrieg - Ein Überblick“ recherchierte, las ich wiederholt den Namen Clara Grunwalds im Zusammenhang mit der Montessori-Pädagogik.
Wer kennt Clara Grunwald, die sich intensiv mit der Reformpädagogik beschäftigte und die ‚Initiatorin’ der Montessori-Pädagogik in Berlin war[1], wenn nicht sogar, wie Manfred Berger (2001) schreibt: „ (...) Nestorin der Montessori-Pädagogik in Deutschland“?
„Die Frauen der Reformpädagogik werden überstrahlt von einer wahren Lichtgestalt, nämlich Maria Montessori. Nur sie erscheint heute im Internet, nur sie hat eine weltweite Anhängerschaft nach sich gezogen und nur sie zählt zum Kern der Reformpädagogik“ (LEENDERS 2001, S. 8).
Aufgrund meines persönlichen Interesses und verschiedener Recherchen in Archivquellen habe ich mich bei der Themenwahl des Buches für folgende Fragestellung entschieden: „Wer etablierte die Pädagogik der Maria Montessori vor 1933 in Berlin?". Innerhalb der Literatur- und Archivrecherchen wurde mir deutlich, dass es in einzelner gegenwärtiger Sekundärliteratur zu ungenauen Informationen und Daten kommt. Diese Umstände machten weitere Recherchen notwendig, um die Angaben auf ihren authentischen Gehalt zu überprüfen. Die vorliegende Studie stützt sich auf umfangreiche Quellen. Trotz allem ist es nicht möglich, ein umfassendes und lückenloses Bild von Clara Grunwald zu skizzieren. Das vorliegende Material ist unvollständig bzw. detaillierte Unterlagen fehlen gänzlich.
Die Studie stellt das Leben und Wirken von Clara Grunwald und Maria Montessori dar, auf dem besonderen Hintergrund der Entwicklung der Montessori-Bewegung in Berlin der 20er Jahre bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 und deren Folgen. Es geht um die Verdeutlichung des Einflusses Clara Grunwalds auf die Etablierung und Verbreitung der Montessori-Pädagogik in Berlin zur Zeit der Weimarer Republik. Diese Betrachtung bietet nur einen kurzen Einblick, da es nicht meinem Erkenntnisinteresse entspricht, einen ausführlichen Blick auf die heutige Montessori-Bewegung in Berlin zu werfen. Ingeborg Waldschmidt, Manfred Günnigmann, Günter Schulz-Benesch, Harald Ludwig, Christian Fischer, Reinhard Fischer und andere dokumentieren in detaillierten Ausführungen die Montessori-Pädagogik nach 1945.
Um den Spuren der Montessori-Pädagogik und der Berliner Montessori-Bewegung in der Weimarer Republik folgen zu können, bedarf es im Vorfeld eines Exkurses auf das Leben und Wirken Maria Montessoris.
Im zweiten Kapitel folgt neben den bemerkenswerten biographischen Daten Maria Montessoris ein kurzer Einblick in die Grundlagen der Montessori-Pädagogik und deren gesellschafts-historische Entwicklung im Italien der 20er und 30er Jahre. Es ist nicht das Ziel der vorliegenden Untersuchung, die Methoden der Maria Montessori ausführlich zu beschreiben und zu analysieren, sondern: Die Thematik des zweiten Kapitels beschränkt sich darauf, anzudeuten und festzustellen, welche intellektuellen Einflüsse auf das Denken Maria Montessoris wirkten und welche Rolle ihre Persönlichkeit für Clara Grunwald spielte.
In Kapitel drei wird das Leben und Wirken von Clara Grunwald betrachtet, um herauszufinden, wer sie war, woher sie kam und was ihr widerfuhr. Dieses und das nächste Kapitel bilden den Hauptteil der Arbeit. Hier werden ihre Intention, ihre Einflussnahme und ihr Engagement für die Etablierung der Montessori-Pädagogik und die Entwicklung der Montessori-Bewegung in Berlin beschrieben. Die Beschreibung geschieht unter Berücksichtigung der entwicklungsgeschichtlichen Aspekte und pädagogischen Hintergründe. Die Ursache des hervortretenden Konfliktes zwischen Maria Montessori und Clara Grunwald ist mehrschichtig zu betrachten, da verschiedene Faktoren die Entwicklung und Ausbreitung der Montessori-Pädagogik beeinflussten. Der Konflikt zwischen den beiden Frauen zeigt Auswirkungen auf die Person und das Wirken Clara Grunwalds, sowie auf die Montessori-Bewegung in Berlin.
Die kritische Auseinandersetzung mit verschiedenen Interpretationen und Daten ermöglichen eine Spurensuche im Gedenken an die fast vergessene Pädagogin Clara Grunwald, die ganz im Dienste des Kindes und der humanistischen Haltung der Montessori-Pädagogik steht.
Im Kapitel vier werden verschiedene Organisationen vorgestellt, die beachtlichen Einfluss auf die Entwicklung der Montessori-Pädagogik und deren Verbreitung in Berlin und über dessen Grenzen hinaus nehmen.
Ein flüchtiger Blick auf die Montessori-Pädagogik in Deutschland nach 1945 bis in die Gegenwart wird in Kapitel sechs gerichtet. In der Nachkriegserziehung beschränke ich mich bei der Skizzierung der Montessori-Pädagogik auf Westdeutschland und Westberlin, da ein Exkurs auf die DDR-Erziehungspraxis vor 1989 den Rahmen der vorliegenden Studie überschreitet. Die aktuelle Ausbreitung der Montessori-Pädagogik und der Montessori-Bewegung in Deutschland, explizit in Berlin, wird in einem Überblick dargestellt.
Die abschließende Gesamtwertung gestattet einen Rückblick zur Ausgangssituation des Buches und der damit verbundenen Erfahrungen.
Die Anlage beinhaltet die chronologischen Biographien Clara Grunwalds und Maria Montessoris. Eine Zeittafel der Verbreitung der Montessori-Pädagogik in Berlin von 1896-1966, aktuell tabellarische Übersichten und verschiedene Kopien von unveröffentlichten Quellen und Briefen, die im Zusammenhang mit dem Buch stehen, vervollständigen die Studie.
Der gesellschaftspolitische wie soziale Hintergrund, der im Punkt 2.3 umrissen wird, wirkt sich sowohl direkt auf die äußeren Lebensumstände als auch indirekt auf die geistig-seelische Entwicklung Maria Montessoris und somit auch auf ihr pädagogisches Konzept aus. Der enge Bezug zwischen Leben und Werk wird im Folgenden dargestellt. Es werden jene Ereignisse im Leben der Maria Montessori hervorgehoben, die die Entwicklung ihrer Pädagogik entscheidend prägen. Die biographische Betrachtung verdeutlicht, dass die Popularität der Montessori-Pädagogik im Wesentlichen auf der Persönlichkeit Montessoris und auf ihrem unermüdlichen Einsatz für ihr Werk beruht. Maria Montessoris Persönlichkeit sowie ihr Werk im Ganzen, insbesondere aber dessen Entstehung und Entwicklung wird unter Berücksichtigung des biographischen und zeitgeschichtlichen Hintergrunds erfasst. Für eine derartige Betrachtungsweise spricht nach Böhms Ansicht, dass ihr Erziehungsverständnis, d.h. die Grundrichtung der Montessori-Pädagogik nur im biographischen und gesellschaftshistorischen Zusammenhang verstanden werden kann (BÖHM 1999)[2]. Der Hintergrund ihres Lebenslaufs, die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation Italiens nach 1870, übt einen entscheidenden Einfluss auf den Werdegang und das Denken Maria Montessoris aus.
“ Maria Montessori ist viel komplizierter und interessanter als die Gipsheilige, zu der ihre ergebenen Anhänger sie gemacht haben. Unter all der fast mystischen Verehrung, der Heiligenlegende, die als Biographie ausgegeben wurde[3], steckt eine zähe, intelligente Frau, die zumindest in ihrer Jugend Dinge dachte und tat, die Niemanden vorher in den Sinn gekommen waren“ (KRAMER 1977, S. 12).
Maria Montessori wird am 31.8.1870, im Jahr der Einigung Italiens, in Chiaravalle in der Provinz Ancona geboren. Ihr Vater Alessandro Montessori (1832 - 1915), der aus einer kleinbürgerlichen Familie stammt, studiert Arithmetik und Rhetorik (Heiland 2000, S. 11; KRAMER 1977, S. 20) und arbeitet als Finanzbeamter. Während ein „konservatives Naturell und militärische Gewohnheiten“ (ebd., S. 20) Marias Vater charakterisieren, ist ihre Mutter Renilde Stoppani (1840 - 1912) eine tief religiöse, gebildete und temperamentvolle Frau, die, im Gegensatz zu ihrem Mann, liberalen Ideen aufgeschlossen gegenüber steht.[4] Renilde Stoppani stammt aus einer Gutsbesitzerfamilie und ist die Nichte von Antonio Stoppani.[5] /[6] Die unterschiedlichen Lebenseinstellungen der Eltern üben einen entscheidenden Einfluss auf den Lebensweg und die spätere Berufswahl Maria Montessoris aus. Maria erfährt eine konsequente, liebevolle Erziehung, die besonderen Wert auf die Bildung des sozialen Bewusstseins sowie des Selbstwertgefühls legt. „Alle Berichte stimmen darin überein, dass Maria Montessori bereits als Kind sehr selbstbewusst, aber auch deutlich ich-bezogen ist“ (HEILAND 2000, S. 13).[7] Maria Montessori entwickelt schon früh eine tiefe Religiosität, verfügt über eine überragende Intelligenz und ein hohes Arbeitsethos, das ihr pädagogisches Werk beeinflusst.
Über die Kindheit von Maria Montessori ist nach wenig bekannt. Rita Kramer bezeichnet die meisten Aufzeichnungen als ‚anekdotische’ Geschichten, die ergebene Anhänger nach Jahren wiedererzählt haben (KRAMER 1977, S. 22).[8] Zwar bieten ihre lebenslangen Mitarbeiter Anna Maccheroni und Edward M. Standing autobiographisches Material an, aber zu Recht bezeichnet Kramer diese Aussagen als widersprüchlich, lückenhaft und fehlerhaft (vgl., ebd.). Diese überlieferten autobiographischen Zeugnisse enthalten nach Heiland kaum Aussagen über ihr Spielverhalten als Kind (HEILAND 2000, S. 13). „Dennoch entsteht ein Porträt – eine Skizze, keine Fotographie, aber doch ein Individuum, das man wieder erkennen kann (KRAMER 1977, S. 22).
Ein Jahr vor der Einschulung zieht die Familie aus beruflichen Gründen nach Rom. Der Umzug wirkt sich positiv auf Marias Bildung aus, da die Hauptstadt als Kulturzentrum dank Hochschulen, Bibliotheken, Museen und Theatern ein vielfältiges Bildungsangebot bietet. Mit sechs Jahren wird Maria in einer öffentlichen Elementarschule eingeschult. Zunächst ist sie eine schlechte Schülerin, infolge der in der damaligen Zeit gehuldigten „Stock- und Paukdidaktik“ (HEILAND 2000, S. 13). Zudem sind die Klasen überfüllt und die Lehrer schlecht ausgebildet. Ab dem 10. Lebensjahr jedoch wird sie zielstrebig und lernt außerordentlich fleißig. Maria Montessoris Schulleistungen im sprachlichen und mathematischen Bereich waren so gut, dass sie nach heftigen Auseinandersetzungen mit ihrem Vater, aber mit massiver Unterstützung ihrer Mutter, von 1883 bis 1890 zwei naturwissenschaftlich-technische Schulen besucht. Der Unterricht orientiert sich ausschließlich am Lehrbuch und am Lehrervortrag. Das selbständige Entdecken fachlicher Zusammenhänge mit Hilfe des Lehrers gibt es nicht, vielmehr muss der umfangreiche Lehrstoff passiv aufgenommen werden.[9] Dass Maria Montessori dieses Drillsystem mit sehr guten Leistungen absolviert und später eine neue und weltweit anerkannte umfassende Erziehungskonzeption zu schaffen vermag, ist für Kramer ein Hinweis auf ihre „Genialität“ (KRAMER 1977, S. 31). Ihre eigenen negativen Schulerfahrungen beeinflussen wahrscheinlich ihre späteren pädagogischen Denkansätze. Obwohl Montessori die technische Schule mit hervorragenden Leistungen in Mathematik abschließt, wird sie nicht wie geplant Ingenieurin, sondern Ärztin.
Das Motiv dieses Sinneswandels ist nicht belegbar zu klären.[10] Nach Kramer wendet sich Maria Montessori immer stärker den biologischen Wissenschaften zu und will jetzt Medizin studieren, was bisher in Italien noch keine Frau getan hat (vgl. ebd., S. 32). Der Zulassung zum Medizinstudium stehen gesellschaftliche Hürden entgegen, da dieser Studiengang bis Ende des 19. Jahrhunderts ausschließlich Männern vorbehalten ist. Gegen den Willen des Vaters und gegen den Widerstand der Behörden gelingt Maria Montessori dennoch als erster Frau Italiens die Immatrikulation an der medizinischen Fakultät. Dieser Erfolg ist vor allem ihrem außergewöhnlichen Selbstbewusstsein, ihrer ‚Hartnäckigkeit’ und sicherlich nicht zuletzt dem Zuspruch ihrer Mutter zuzuschreiben. Die Studienbedingungen gleichen Maria Montessoris schulischer Unterrichtspraxis. Hinzu kommt die unverhüllte Feindseligkeit der männlichen Kommilitonen.[11] 1896 schließt sie ihr Studium, trotz erfahrener Repressalien, mit ‚glänzendem’ Erfolg ab. Als erste Frau Italiens trägt Montessori den medizinischen Doktortitel. Römische Presseberichte über die erste ‚Dottoressa’ Italiens bringen ihre Person erstmals in das Licht der Öffentlichkeit. Um gegen die gesellschaftliche Diskriminierung der Frau zu kämpfen, die ihr gerade während ihrer Studienzeit widerfährt, nimmt Montessori aktiv an der Frauenbewegung teil. Kurz nach ihrem Examen reist sie als italienische Delegierte 1896 zum internationalen Frauenkongress nach Berlin. Dort hält sie beeindruckende Reden und erregt durch die Vorträge zur Frauenemanzipation in Italien bei den Teilnehmerinnen großes Aufsehen. Die Jahre von 1896 bis 1906 sind für Maria Montessori eine entscheidende Zeitspanne. Ihr Interessenschwerpunkt verlagert sich von der Medizin auf die Pädagogik. 1896 eröffnet Maria Montessori eine Privatpraxis und wird auf Grund ihrer hervorragenden Leistungen am Krankenhaus San Giovanni in Rom als Assistenzärztin auf der psychiatrischen Station der römischen Universitätsklinik angestellt. Eine ihrer Aufgaben ist es, die römischen Irrenanstalten aufzusuchen, um dort geeignete Patienten für die Behandlung an der Uniklinik auszuwählen (vgl. ebd., S. 57). Hier lernt sie Dr. Giuseppe Montesano kennen, der ebenfalls Assistenzarzt an der Klinik ist, und geht mit ihm eine private Beziehung ein. Aus dieser Beziehung zu Giuseppe Montesano geht ein Kind hervor. Die Geburt ihres Sohnes Mario im Jahre 1898 ist ein entscheidender Einschnitt im privaten Leben der Maria Montessori. Sie erzieht Mario nicht selbst, sondern gibt ihn zu Bekannten aufs Land. Sie fürchtet, dass ein uneheliches Kind ihre Karriere zerstören würde. Erst 1913, ein Jahr nach dem Tod der Mutter Maria Montessoris, holt sie Mario zu sich. Öffentlich stellt Maria Montessori ihn als ‚ihren Neffen’ vor. Ab diesem Zeitpunkt wird Mario Montessori ihr ständiger Begleiter und der Organisator der ‚Bewegung’. Dass Maria Montessori ihr uneheliches Kind bis zum Alter von 15 Jahren vor der Öffentlichkeit versteckt, spiegelt einerseits die gesellschaftlichen Moralvorstellungen und andererseits die soziale Rolle der Frau zur Zeit der Jahrhundertwende wider. Jedenfalls scheint es, als wolle Montessori ihr Lebensziel, die Vollendung ihrer ‚Mission’, keinesfalls gefährden. Kramer (1977) stellt die Vermutung an, dass Renilde Montessoris und Dr. Montesanos Einflussnahme ebenfalls dazu beigetragen haben könnte.[12] Ferner ist Kramer der Ansicht, dass Maria Montessori in Folge des Verzichtes auf die Versorgung und die Erziehung des eigenen Kindes immer mehr ihre Aufmerksamkeit auf methodischen Möglichkeiten hinwendet, um den Bedürfnissen anderer Kinder gerecht zu werden. Nach dem Tod ihrer Mutter verändert Maria Montessori allmählich ihre Ansichten. „ Ihr Leben als Erwachsene hatte sie als Freidenker begonnen, nun wurde sie zusehends religiöser“ (ebd., S. 93).
1902 verlässt Maria Montessori, nach der privaten wie beruflichen Trennung von Dr. Montesano, für die Welt eine ungewöhnliche und überraschende Entscheidung,[13] das medizinisch-pädagogische Institut. Diesem Institut ist eine Modellschule zur Ausbildung von Lehrern für behinderte Kinder angegliedert. Sie gibt ihre Praxis auf und beginnt mit dem Studium der Pädagogik, Experimentalpsychologie und Anthropologie an der Universität Rom. Neben dem Studium erschienen von 1897 bis 1906 weitere medizinische Veröffentlichungen. Die Beschäftigung mit geistig behinderten Kindern wird für Montessori gewissermaßen zur Brücke zwischen Medizin und Pädagogik. Wesentliche Elemente ihrer pädagogischen Theorie und Praxis übernimmt Maria Montessori aus den Werken J. Itards (1774 - 1838) und dessen Schüler E. Séguin (1812 - 1880). Der französische Arzt Itard gilt als Begründer der Heilpädagogik. Er verfasst zwei Berichte über seine Erziehungsversuche eines ohne Kontakt zu Menschen in den Wäldern von Aveyron aufgewachsenen, sprachlosen, elf- bis zwölfjährigen Jungen. Der entscheidende Gedanke Itards und Séguins ist die Entwicklung des Geistes durch die Sinne, die er eine ‚ärztliche Erziehung’ nennt (vgl. KRAMER 1977, S. 59). Daraus schließt Itard, dass der Geist über die Übung der Sinne aktiviert und gefördert werden kann. Zur Schulung der sinnlichen Wahrnehmung und der Motorik entwickelt Itard und später auch Séguin Materialien.[14] Maria Montessori verfeinert diese Materialien zum ‚didaktischen Material’. Diese üben in der Montessori-Pädagogik eine entscheidende Funktion aus. Außerdem weitet sie den Einsatz des Materials auf die Erziehung nichtbehinderter Kinder aus.[15] Das von Maria Montessori am 6.1.1907 im römischen Stadtviertel San Lorenzo gegründete Kinderhaus, casa dei bambini[16], bildet den Ausgangspunkt der praktischen Umsetzung. Eduardo Talamo, Generaldirektor der römischen Gesellschaft für zweckmäßiges Bauwesen, fordert Maria Montessori auf, die Einrichtung von „Kinderschulen“ (MONTESSORI 1913, S. 40) in seinen Mustermietshäusern zu übernehmen und in seinem sozialen Wohnungsbauprojekt die Sorge für Arbeiterkinder zu übernehmen. Maria Montessori nimmt die Aufforderung an, da sie ihr die Möglichkeit bietet, ihre Arbeitsmethoden mit Behinderten auf normale Kinder zu übertragen. Sie hat die Idee, das didaktische Material nicht nur heilpädagogisch, sondern auch bei der Erziehung nichtbehinderter Kinder einzusetzen. Im ’casa dei bambini’ hat sie das Phänomen der ‚Polarisation der Aufmerksamkeit’ entdeckt , das ein wesentliches Fundament ihrer Pädagogik ist. Aufgrund ihrer Erfolge werden in Rom und Mailand weitere Kinderhäuser errichtet.[17] 1909 veröffentlicht Maria Montessori ihr erstes Werk "Il metodo",[18] das heute unter dem Titel ‚Die Entdeckung des Kindes’ bekannt. Der weltweite Erfolg des Buches, das in zwanzig Sprachen übersetzt wird, verändert ihr Leben. Nun ist sie international bekannt, nicht als erste Ärztin Italiens, sondern als Begründerin einer neuen Erziehungsmethode. Ihre Methode verbreitet sich weltweit. Vor dem Ersten Weltkrieg (1914 - 1918) verschreiben sich meist Frauen für die Montessori-Sache. In jedem größeren europäischen Land bis hin nach Australien und Indien nehmen sie begeistert die Arbeit Maria Montessoris auf. Innerhalb weniger Jahre werden in Amerika, England, Spanien und Indien Montessori-Kinderhäuser errichtet. Innerhalb kurzer Zeit entstehen auf internationaler Ebene Montessori-Gesellschaften, die sich für die Verbreitung ihrer Ideen einsetzen und finanzielle Mittel bereitstellen. Es finden Ausbildungskurse in Rom, Barcelona und den USA statt, die von Maria Montessori geleitet werden. Von 1913 bis 1917 reist Montessori nach Amerika, um dort ihre Pädagogik vorzustellen und auszuweiten.[19] Die Ausbreitung der Bewegung kommt selbst während des Ersten Weltkrieges nicht zum Stillstand, wird jedoch erheblich eingeschränkt. Aufgrund der politischen Situation und der sozialen Unruhen Italiens zur Zeit des Ersten Weltkriegs, kehrt sie nach ihrer zweiten Amerikareise nicht in ihre Heimat zurück, sondern nimmt ihre Arbeit auf Einladung lokaler Regierungsbeamter in Spanien, einem für sie neuen Land, auf. Im Frühjahr 1922 kehrt Maria Montessori auf Einladung Antonino Anile nach Italien zurück. A. Anile ist von 1921 bis Oktober 1922 Unterrichtsminister und bis 1926 Staatsekretär der Katholischen Volkspartei Italiens (LEENDERS 2001, S. 64). Scheinbar bedeutet der Regierungswechsel in Italien für die dortige Montessori-Bewegung die Möglichkeit einer neuen Basis.[20] Maria Montessori glaubt mit Hilfe der faschistischen Regierung die größte Ausbreitung ihrer Methode in Italien zu erreichen. Mit deren Machtergreifung 1922 wird Giovanni Gentile Unterrichtsminister von 1922 bis 1924 und führt den Reformplan „Riforma Gentile“[21] ein. Innerhalb des Reformplanes erhält die Montessori-Pädagogik einen kleinen Platz als nationales didaktisches Experiment. (LEENDERS 2001, S. 112). Nach Gentile wird 1924 Balbino Giuliano Unterrichtsminister. Im selben Jahr gelingt ihr ein Gespräch mit Mussolini (1883 - 1945), um ihn für ihre Pädagogik zu gewinnen. 1926 wird G. Gentile Vorsitzender der ‚ Opera Montessori ’ (italienische Montessori-Bewegung). Der Faschistenführer Mussolini wird Ehrenvorsitzender. In mehreren Briefen von Maria Montessori an Mussolini bittet sie um Unterstützung, Durchsetzung und Verbreitung ihrer Methode. Diese Bemühungen verdeutlichen einmal mehr den außergewöhnlichen Ehrgeiz Maria Montessoris in Bezug auf die Verbreitung ihrer Methode. „Strategisch“, wie es Leenders (2001) nennt, um ihren Einfluss auf Personen aus dem italienischen Adel, der Politik und Geistlichkeit, für ihr Erziehungskonzept geltend zu machen.[22] In der ersten Phase der faschistischen Regierung hat Maria Montessori anfänglich Erfolg. Jedoch verliert ihre Lobby bei Mussolini in den dreißiger Jahren an Einfluss, da sein eigener Einfluss auf das Unterrichtsministerium deutlich nachlässt. Mussolini ist in der alleinigen Beschlussfassung eingeschränkt (vgl. ebd., S. 176). Das Unterrichtsministerium mit dem späteren Unterrichtsminister Cesara Maria De Vecchi hat in bildungspolitischer Hinsicht die ‚Vorherrschaft’. Zu ihm, wie schon zu Giuliano, hat Maria Montessori keinen Zugang. Im Gegenteil, sie wird von De Vecchi 1935 per Dekret entlassen. Leenders (2001) schreibt von einem Gelegenheitsargument: Sie wird als Direktorin der Scuola di Metodo entlassen, weil sie vom 1.Juli 1932 an an keinem einzigen Tag die Arbeit als Direktorin verrichtet hat (vgl. LEENDERS 2001, S. 228). 1931 sendet der frühere Unterrichtsminister Giuliano eine Kontrollkommission und versucht auf diese Weise Maria Montessori zu Fall zu bringen. Der zunehmende negativen Einfluss des Unterrichtsministeriums auf die Montessori-Bewegung und deren machtpolitische Art schränken auch die Machtbefugnisse Mussolinis folgenschwer ein. Leenders (2001) vertritt die Meinung und belegt ihre Annahme mit überzeugenden umfangreichen Archivmaterialien, dass Maria Montessori nicht vor dem Faschismus Italiens geflohen ist oder sich vom faschistischen Regime distanziert, wie es bislang gedeutet wurde, sondern: Dass der persönliche Konflikt zwischen Maria Montessori und Emilio Bodrero, den von der Regierung 1931 eingesetzten Vorsitzenden der Opera Montessori, Maria Montessori veranlasst hat, der italienischen Montessori-Bewegung (1932)[23] und Italien den Rücken zu kehren (vgl. LEENDERS 2001, S. 177ff.).[24] /[25] Maria Montessori verlässt mit ihrem Sohn Mario Montessori 1934 Italien. Im Juli 1936 wird die Modellschule in Rom geschlossen.
Als 1939 in Europa der Zweite Weltkrieg ausbricht, folgt Maria Montessori einer Einladung nach Indien. Trotz ihres hohen Alters hält sie dort erneut Vorträge und führt Ausbildungskurse durch. Sie beschäftigt sich nochmals intensiv mit der Bedeutung der frühen Kindheit. Ihre Erkenntnisse fasst sie 1949 in ihrem Spätwerk "The Absorbent Mind" zusammen, welches als Überarbeitung unter dem Titel ‚Das kreative Kind’, vorliegt. Indien beeinflusst Maria Montessori und es entsteht ihr Werk zur ‚Kosmischen Erziehung’.
Den letzten Lebensabschnitt verbringt Maria Montessori in Holland. Trotz ihres hohen Alters arbeitet sie in verschiedenen Ländern am Wiederaufbau ihrer Einrichtungen. Noch immer hält sie Lehrerausbildungskurse ab und nimmt an verschiedenen Kongressen und Konferenzen teil, stets in Begleitung ihres Sohnes. Maria Montessori stirbt 1952 in der Nähe von Den Haag.
„ Ihr Charakterbild war zeitlebens geprägt von Eigenschaften wie Selbstvertrauen, Zielstrebigkeit, Fleiß und Disziplin“ (THOMAS 2002, S. 8)
„(...) “dass das Kind der Mittelpunkt (...)“. Die Kinder sind es, die uns eine bessere Menschheit als die unsrige erleben lassen, eine Menschheit voller Ursprünglichkeit, Kraft und Schönheit. Wenn wir die Kinder nicht in unsere Formen pressen, sehen wir, dass sie Tugenden besitzen, die wir ihrem frühen Lebensalter kaum zutrauen: unermüdlichen Tätigkeitsdrang, Nächstenliebe und innere Disziplin“ (MONTESSORI in: Grunwald, 1927, S. 41, MONTESSORI 1965, S. 43).
Maria Montessoris Kritik an den damaligen Erziehungstheorien bezieht sich unter anderem darauf, dass das Kind nur als Objekt betrachtet wird und die Kindheit lediglich ein Durchgangsstadium zum Erwachsenwerden darstellt. Ihr Denken und Handeln ist geprägt vom sozialen Pflicht- und Mitgefühl für den Menschen. Sie engagiert sich für das aufwachsende Kind und begreift dessen Erziehung als einen humanitären Auftrag. Das Kind selbst ist Ausgangspunkt für ihre reformpädagogischen Überlegungen. Ein wichtiger Leitgedanke in der Montessori-Pädagogik ist: „ Alle Erziehung geht vom Kinde aus“ (STEENBERG 1997, S. 18). Nach Montessori verfügt das Kind über einen „inneren Bauplan,“[26] der die Richtlinien für seine Entwicklung vorbestimmt. Demnach ist es Baumeister seiner selbst und damit Lehrmeister der Menschheit. Das Kind steht somit im Mittelpunkt der Pädagogik Maria Montessoris. Sie fordert die Kinder als Persönlichkeiten zu würdigen und nicht ‚nur’ als Erziehungsmethode (vgl. THOMAS 2002, S. 8 - 9 ).[27] Ausgehend von der Erziehungsmethode für schwachsinnige Kinder der beiden französischen Ärzte Jean-Marc Gaspard Itard (1775 - 1838) und Èdouard Séguin (1812 -1880),[28] konzentriert sich Maria Montessori bei der Anwendung der von ihnen entwickelten Grundsätze auf das normale Kind (vgl. ebd., S. 43).[29] Böhm (1969) geht davon aus, dass der medizinische Gedankenkomplex und der Umkreis des positivistisch- wissenschaftlichen Bereiches das pädagogische Denken Maria Montessoris entscheidend beeinflussen (ebd. S. 117, 118). Als Geheimnis der Erziehung betrachtet sie das ‚göttliche im Menschen’ (MONTRESSORI 1979, S. 124) zu kennen, zu lieben, und ihm zu dienen auf der Grundlage der Kenntnis Gottes und der Kenntnis der verborgenen Kräfte des Kindes (vgl. ebd.). “ Wir dürfen nicht nur das Kind sehen, sondern Gott in ihm. Wir müssen die Gesetze der Schöpfung in ihm achten“(ebd., S. 123).
Die „Ermöglichung der Selbsterziehung“ (SCHULZ–BENESCH 1980, S.13) impliziert die Notwendigkeit einer nach kindlichen Bedürfnissen umgestaltete Umgebung und Erziehende, die sich mit Bescheidenheit, Geduld und Liebe neben das Kind stellen.[30] /[31]
Maria Montessoris Erziehungsziel ist die aktive Förderung kindlicher Unabhängigkeit und Selbstständigkeit durch Selbsttätigkeit. Die Erziehung soll sich an die wachsende Selbsterkenntnis und Selbsterziehung der Kinder wenden und die wachsende Fähigkeit, in verantwortungsvoller Weise unabhängig zu handeln, verstärken. Sie geht von dem Fakt aus, dass das Kind und der Erwachsene völlig verschiedene Wesen sind. Die Kindheit, in der sein eigenes Leben wächst, unterscheidet sich vollkommen vom Erwachsensein. Nach Maria Montessori (1969) besteht die Aufgabe der Erziehung darin, der psychischen Entwicklung des Kindes von Geburt an zu helfen (MONTESSORI 1969, 2005, S.10). Die Hilfe, die Montessori als essentiell erachtet, liegt in der ‚Schaffung und Vorbereitung einer kindlichen Umgebung’ und der Vorbereitung des Lehrers unter Berücksichtigung der Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit in verschiedenen ‚sensiblen Phasen’. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Außenwelt „niemals“ (ebd., S. 15) ein erreichtes Ziel, sondern nur Mittel zur Bildung seiner Persönlichkeit ist. Sie bildet das praktische Fundament der Montessori-Pädagogik. Um als Kind die Außenwelt kennenzulernen und sich in ihr zurechtzufinden, bedarf es einer Ordnung. Diese Ordnung wird durch Gegenstände und vielfältige ‚Materialien’ erreicht, die geordnete Reize anbietet und durch das Kind ‚selbstständig’ erarbeitet werden kann. Das Kind hat die ‚freie Wahl’, sich die Beschäftigung allein zu wählen und sich nach seinen inneren Bedürfnissen sowie der von ihm bestimmten Zeitdauer leiten zu lassen. Nach Beendigung der kindlichen Aktivität werden die Materialien wieder an ihren Platz geräumt und die gewohnte Ordnung ist wieder hergestellt. Die Ordnung der Umgebung gibt dem Kind die Basis für seine innere Ordnung, hilft dem Kind, sich Kenntnisse der Welt zu erwerben und in eine ‚tiefe Konzentration’ zu kommen (vgl. ebd., S.17). Diese innere Konzentration bezeichnet Maria Montessori als ein grundlegendes psychologisches Phänomen, das von größter Wichtigkeit für das innere Wachstum des Kindes ist und als ein wichtiger Stützpunkt der kindlichen ‚Arbeit’ betrachtet wird. Die Arbeit wird bei Montessori als eine Aktivität gesehen, die das Wesen des Kindes mit der Umgebung eint. Das Kind wird über die ‚eigene Fehlerkontrolle’ ermutigt, sein Handeln zu überprüfen und zur folgerichtigen Vervollkommnung seiner Handlung angeregt. „ Das Kind wird zum Entdecker der Welt und hat den Wunsch, immer tiefer einzudringen und seine Entdeckungen zu verwerten“ (ebd., S. 18).
Eine weitere Grundlage der Montessori-Pädagogik und Grundstein der Arbeit ist ‚die Freiheit des Kindes’.[32] Freiheit bedeutet nach Maria Montessori nicht, das man tun kann, was man möchte. Freiheit bedeutet für sie: „ (...) wenn das Kind sich seinen inneren Gesetzen nach, den Bedürfnissen seiner Entwicklung entsprechend, entfalten kann“ (ebd., S. 27).[33]
„ Kinder haben also dieses Erziehungswerk, das ich vor Ihnen entwickeln will, hervorgebracht, und sie haben diese Ideen in der Welt verbreitet (...) Werke von Männern und Frauen haben wir schon viel gesehen; nun, dies ist das Werk des Kindes“ (MONTESSORI 1926, S. 641 ff).
Im Anschluss folgt eine kurze Vorstellung der einzelnen Erziehungsmethoden. Infolge des Studiums verschiedener Literaturquellen (MONTESSORI, HOLTSTIEGE, THOMAS, u.a.) ist keine grundsätzliche, folgerichtige und einheitliche Reihenfolge der zu beschreibenden Methoden erkennbar. Die Entscheidung zur vorliegenden Reihenfolge basiert auf mein Empfinden, der Aussage Maria Montessoris ‚Das Kind ist der Mittelpunkt’, am nächsten zu kommen.
„ Die Grundlage ist also nicht das Nachdenken darüber, wie man das Kind lehren oder erzieherisch beeinflussen kann, sondern wie man ihm eine Umgebung schaffen kann, die seiner Entwicklung förderlich ist, um es dann in dieser Umgebung sich frei entwickeln zu lassen.“ (MONTESSORI 1965, 2005, S. 51).
Ausgangspunkt ihrer Betrachtungsweise ist die Methode der Beobachtung: “(...) d i e
F r e i h e i t d e s K i n d e s i n s e i n e n s p o n t a n e n S e l b s t ä u ß e r u n g e n“ (MONTESSORI 1913, S. 76). Sie lenkt ihre Aufmerksamkeit aus diesem Gesichtspunkt heraus, „zuerst“ (ebd.) auf die Umgebung und das Material. Maria Montessori charakterisiert die Umgebung als eine ‚offenbarende Umgebung’ und ‚psychologische Umgebung’. In dieser Umgebung offenbart sich das Kind in seiner Eigenart und seinem Lebensrhythmus. Sie spricht davon, dass der Erwachsene, das Kind und die Umgebung eine Dreiheit ist, die als Einheit betrachtet werden muss, und fundamentale Bedeutung hat (vgl. MONTESSORI 1979, S. 98).
Es soll eine Umgebung bereitgestellt werden, die den Bedürfnissen des Kindes entspricht, die Selbständigkeit des Kindes fördert und sich so eine ‚vollkommene’ Persönlichkeitsentwicklung in Folge der eigenen Aktivität vollziehen kann. Eine sich den Bedürfnissen des Kindes angepasste und vorbereitete Umgebung sowie ein entsprechendes Erzieherverhalten[34] /[35] sind die zwei Grundpfeiler, die das ‚komplexe Ganze’ der gezielten kindlichen Entwicklungsförderung und Erziehung tragen. (vgl. HOLTSTIEGE 1977, 1994, S. 129).[36] Die zugewiesene Aufgabe des Erziehers besteht in der Wahrnehmung seiner Mittlerrolle zwischen dem Kind und der vorbereiteten Umgebung mit seinem Entwicklungsmaterial. Wenn Maria Montessori vom Erzieher als einem Beobachter des Kindes spricht, bedeutet dies keinesfalls dessen Überflüssigkeit, sondern dies als Chance zu nutzen, „wahrzunehmen, aufzunehmen, anzunehmen und dienend dem Kind bei seiner Persönlichkeitsentfaltung “ (STEERBERG 1997, S. 19) und bei der Entwicklung seines Willens zu helfen. Die vorbereitete Umgebung muss methodisch dem kindlichen Entwicklungsstand entsprechen und als eine Umgebung von progressiven Interessen gestaltet sein. Ihre wesentlichen Elemente, auf der Vorderseite schon genannt, sind das didaktische Material und eine kindgerechte Gestaltung der räumlichen Umgebung. Dem Erzieher kommt die Aufgabe zu, eine solche vorbereitete Umgebung zu schaffen, das Kind zu beobachten und ihm indirekte Impulse zu geben. Dabei müssen die Gestaltungselemente so beschaffen sein, dass sie die Neigungen und Alterstrukturen der Heranwachsenden berücksichtigen, ihrem Entwicklungsstand entsprechen, sie herausfordern und dadurch einen weiterführenden Lernerfolg bewirken (vgl. ebd., S. 130). Diese vom Erzieher bewusst vorbereitete Umgebung ist sowohl Lebens-, Lern- als auch Entwicklungsraum. Sie ist den Bedürfnissen der Kinder angepasst und auf die Erfordernisse der Kultur und der Zivilisation ausgerichtet, in die das Kind hineinwachsen soll. Eine Umgebung von einfacher Struktur erleichtert dem Kind die Orientierung. Nicht nur ein Bild der pädagogischen Struktur, sondern deren unabdingbare Voraussetzung ist die vorbereitete Umgebung, in der die Entwicklungsmaterialien, nach didaktischen Gesichtspunkten geordnet, den Kindern angeboten werden. Die Entwicklungsmaterialien für die Übungen des täglichen Lebens, die „dem Menschen helfen, sein inneres Gleichgewicht, seine seelische Gesundheit und sein Orientierungsvermögen unter den gegenwärtigen Umständen in der äußeren Welt zu bewahren" (MONTESSORI 1966, S. 21) müssen angemessen sein. Es gibt Materialien für die Entwicklung der Sinne des Kindes und didaktische Materialien für die Entwicklung der mathematischen, sprachlichen und naturwissenschaftlichen Fähigkeiten des Kindes. Damit das Kind sich allein in der vorbereiteten Umgebung zurechtfindet und selbstständig arbeiten kann, muss die vorbereitete Umgebung durch eine bestimmte Ordnung strukturiert sein. Diese äußere Ordnung gibt Orientierungshilfe, die auch im Geist Ordnung stiftet. Alle Materialien sind daher in offenen Regalen untergebracht, frei zugänglich und nach Lernbereichen übersichtlich eingeordnet. Die angepasste oder vorbereitete und entspannte Umgebung muss so beschaffen sein, dass sie die Selbstständigkeit des Kindes mit dem Ziel fördert, seine Persönlichkeit entwickeln zu können. Die entsprechende Interaktion mit seiner Umgebung ist unabdingbar (vgl. HOLTSTIEGE 1977,1994, S. 128 -132). Die Umgebung muss klar gegliedert und für das Kind überschaubar sein.[37] Ein reiches Angebot an interessanten Aktivitätsmomenten besitzt den Aufforderungscharakter zum Handeln. Dieser Aufforderungscharakter impliziert die Prinzipien der freien Wahl und der Bewegung. „Das Kind muss die Freiheit der Bewegung und Initiative haben, um aus den angebotenen Mitteln seine eigene Wahl[38] zu treffen“ (ebd., S. 131).
„Diesen Wesen die Mittel zu geben, durch die sich Persönlichkeit und Charaktereigenschaften offenbaren und entwickeln können und die Freiheit, damit das Kind von sich aus dahin gelange, wohin die Natur es führen will. (...) Erst als die wissenschaftliche Seite unserer Arbeit eine „Umgebung“[39] für die psychische Entwicklung des Kindes festgesetzt hatte, kam die wahre Schulreform ans Licht, die schwierige Probleme mit größter Einfachheit löste“ (ebd., S. 49 - 50).
„ Niemand kann frei sein, wenn er nicht unabhängig ist, deshalb müssen die ersten tätigen Äußerungen der individuellen Freiheit des Kindes so geleitet werden, dass es durch seine Betätigung zur Selbstständigkeit gelange. Von dem Augenblick an, da die kleinen Kinder entwöhnt werden, beschreiten sie die Entwicklungsbahn zur Selbstständigkeit“ (MONTESSORI 1913, S. 91).
Die Montessori-Pädagogik ist eine Pädagogik, die vom Kinde ausgeht. Das Kind wird von seiner Geburt an als eigenständiges Wesen betrachtet, dessen Aufgabe es ist, sich selbst zu entwickeln bzw. zu erschaffen. Hierfür dient ihm der ‚immanente Bauplan’, den bereits jedes Neugeborene enthält. Laut Maria Montessori ist das Neubegeborene mit einem ‚geistigen Embryo’ zu vergleichen, der sich nur noch entwickeln muss. Eine innere Antriebskraft lässt das Kind vom Zeitpunkt seiner Geburt an in der Entwicklung voranschreiten. Zuerst erschließt es sich die Welt mittels des ‚absorbierenden Geistes’. Hierfür sind keine bewussten Anstrengungen des Kindes nötig, sondern es absorbiert bzw. verinnerlicht die Eindrücke aus seiner Umgebung, indem es lebt. Alle menschlichen Funktionen entwickeln sich aufgrund von Aktivität. Greifen durch Greifen, Sprechen lernen wir durch Sprechen und Laufen durch Laufen usw. Selbsttätigkeit und Bewegung haben daher grundlegende Bedeutung für die physische und psychische Entwicklung, für Willen, Charakter sowie für Unabhängigkeit und Selbstständigkeit des Menschen. Die handelnde Bewegung ist somit ein wesentlicher Faktor zum Aufbau sämtlicher Fähigkeiten. Die kindliche Auseinandersetzung mit der Umwelt erfolgt fast ausschließlich durch Bewegung. Die Forderung Maria Montessoris nach Bewegung, Eigenaktivität und des Beherrschens des eigenen Selbst des Kindes zielt auf ihre gesamte Pädagogik. Dabei ist laute Aktivität, die sich nur um der Bewegung willen produziert und keinen Widerhall in der räumlich-gegenständlichen Umgebung findet, nicht das, was sie anstrebt. Jedes Handeln soll sinnvoll und in das Leben des Kindes einbezogen sein. Die Freiheit des Kindes, seinem Bewegungsdrang nachzugeben, soll nicht mit Lärm und Chaos verbunden sein. Im Gegenteil: Maria Montessori beobachtet, dass Kinder, die sich einer freien Arbeit zuwenden und diese selbsttätig durchführen, zu ruhiger Aktivität, Sammlung und Konzentration fähig sind.
In ihrem 1916 erschienenen Buch "L' Autoeducazione ..." wirft Maria Montessori einen kritischen Blick auf die herkömmliche Erziehungspraxis: Während sich der (herkömmliche) Lehrer als ‚Schöpfer des kindlichen Geistes’ versteht, bedeutet Bildung im Sinne Maria Montessoris ‚Selbstschöpfung’. In der Auseinandersetzung mit J. F. Herbart verweist sie auf die Problematik ‚des Bewirkens des Interesses und der Aufmerksamkeit’.[40]
"Das Kind verfügt über andere Kräfte, und die Schöpfung, die es vollbringt, ist keine Kleinigkeit: die Schöpfung des Ganzen. Es schafft nicht nur Sprache, sondern formt auch die Organe, die es ihm ermöglichen zu sprechen. Jede körperliche Bewegung, jedes Element unserer Intelligenz, alles, womit das menschliche Individuum ausgestattet ist, wird vom Kind geschaffen" (MONTESSORI 1972, S. 21).
Deutlich veranschaulicht Maria Montessori mit dem Begriff des absorbierenden Geistes[41] das schöpferische Kräftepotential des Kindes. Die Kinder sind anders, und Kinder lernen auch anders als Erwachsene. Maria Montessori verweist wie Jean Piaget deutlich auf die Eigenbedeutung der Kindheit. Sie betonen, dass Kindheit nicht nur als Vorbereitung auf das Erwachsensein gesehen werden kann: Das Kind entwickelt seine schöpferischen Energien und vollzieht die Aufnahme der Umwelt mittels ganzheitlicher Assimilation, „also durch die Einverleibung von Umwelteindrücken“ (HOLTSTIEGE 1994, S. 75).
Beide schreiben übereinstimmend, dass die intellektuellen und moralischen Strukturen des Kindes von denen der Erwachsenen grundsätzlich verschieden sind. Das Kind ist dem Erwachsenen in seinen wichtigsten Funktionen sehr ähnlich. Wie er, ist das Kind ein aktives Wesen. Seine Aktivität unterliegt den Gesetzen des Interesses sowie der inneren und äußeren Bedürfnisse. Zeitlich siedelt Maria Montessori die Tätigkeit des absorbierenden Geistes vornehmlich in der Phase 0 - 3 Jahre an. Wenn in späterer Phase das Bewusstsein des Kindes einsetzt, hört die Tätigkeit des absorbierenden Geistes auf. Das Kind beginnt die verinnerlichten Eindrücke in seiner Umgebung anzuwenden und zu überprüfen, wobei es ständig von seiner inneren Antriebskraft, dem ‚immanenten Bauplan’, vorangetrieben wird.
„Im Kind ist die schöpferische Haltung, die potentielle Energie vorhanden, die es befähigt, auf Grund seiner Umwelteindrücke eine seelische Welt aufzubauen“ (MONTESSORI 1987, S. 47).
Mit ‚sensibler’ oder ‚sensitiver’ Periode meint Montessori eine in gewissen Entwicklungsaltern auftretende besondere Empfänglichkeit für bestimmte Umweltreize, die in der Persönlichkeitsentwicklung fortschreitenden Aufbaucharakter aufweisen. „ Sie sind von vorübergehender Dauer und dienen nur dazu, dem Wesen die Erwerbung einer bestimmten Fähigkeit zu ermöglichen“ (MONTESSORI 1986, S. 47). Der kindliche Entwicklungsprozess verläuft nicht kontinuierlich, sondern gliedert sich in Entwicklungsabschnitte, die auch Perioden oder Phasen genannt werden und die sich deutlich voneinander unterscheiden. Maria Montessori nimmt auf Grund ihrer Beobachtungen von Heranwachsenden die Aufteilung der Entwicklung ihrer Empfänglichkeitsperioden in drei große Phasen vor. In jeder Phase müssen vom Kind bestimmte Fortschritte in der Lernentwicklung erreicht werden, was auch gleichzeitig das Fortschreiten der Persönlichkeitsentwicklung bedeutet.[42] Das Kind äußert Bedürfnisse nach ganz bestimmten Sinneseindrücken, um eine bestimmte Fähigkeit zu erlangen. Es befindet sich laut Maria Montessori in einer bestimmten ‚sensiblen Periode’. Nur wenn sich dem Erreichen dieser Fähigkeit keine Hindernisse in den Weg stellen, wenn jede Phase voll durchlebt wird, kann das Kind sich normal entwickeln (vgl. MONTESSORI 1987, S. 46 - 57/ MONTESSORI 1984, S. 22).
Montessori geht davon aus, dass jedes Kind über einen ‚inneren Bauplan’ seiner Seele und über vorbestimmte Richtlinien für seine Entwicklung verfügt (vgl. ebd.). Im Kind ist die Kraft vorhanden, diesen Bauplan zu verwirklichen, indem es sich aktiv mit seiner Umwelt auseinandersetzt. Die zeitliche Umsetzung dieses Bauplans kann individuell sehr unterschiedlich sein. Ein unzeitgemäßes Eingreifen von Erwachsenen in diesen Aufbauprozess kann nach Maria Montessori (1987) die Verwirklichung dieses Bauplanes jedoch unmöglich machen oder zumindest behindern.
Die Phase von 0. bis zum 6. Lebensjahr charakterisiert Maria Montessori als schöpferische und konstruktive Periode. Im erste Kindheitsstadium treten typische Sensibilitäten in drei spezifischen Empfänglichkeiten auf:
1. Die Sensibilität für die physische und psychischen Bewegung. Sie lässt sich durch die Entwicklung der Hand, des Gleichgewichts und des Laufens charakterisieren (HOLTSTIEGE 1994, S. 75).
2. Die kindliche Empfänglichkeit für Ordnung unterscheidet sich grundlegend vom Ordnungsverständnis der Erwachsenen.[43]
3. Das Kind absorbiert die Sprache durch die unbewusste Aktivität der Intelligenz. Hierbei steht die Sensibilität der Sprache im besonderen Zusammenhang mit dem Gehörsinn (HOLTSTIEGE 1994, S. 76).
Das zweite Kindheitsstadium vom 6. bis zum 12. Lebensjahr zeichnet sich durch das „Dominieren der moralischen Sensibilität - Was ist gut, was ist böse?“ (HOLTSTIEGE 1994, S. 78) aus. Damit wird die Grundlage für die moralische Orientierung des Erwachsenen gelegt. In diesem Alter ist das Kind besonders empfänglich für den Aufbau sozialer Beziehungen. Es erlangt umfangreichere Erfahrungen und eine umfangreichere Unabhängigkeit von der Familie. Das Kind geht vom Konkreten zum Abstrakten über. Ein ungeheuerer Wissensdurst und Forscherdrang prägen diese Phase. Es benötigt Anregung und wünscht die Wirkungszusammenhänge zu kennen, die wissenschaftliche und soziale Fakten haben: im Jugendalter, so Maria Montessori, dominiert die Sensibilität für "Gerechtigkeit und (...) einen tiefen Sinn für persönliche Würde" (MONTESSORI 1987, S. 131 - 132).
Die Phase des Jugendalters vom 12. bis zum 18. Lebensjahr charakterisiert sich nach Maria Montessori durch soziale Sensibilität, die verbunden ist mit der Entwicklung bewusster Unabhängigkeit und Selbstständigkeit innerhalb des sozialen Beziehungsnetzes. In dieser Phase tritt der Heranwachsende auch in soziale Distanz und bemüht sich um ein neues Verhältnis zu sich selbst (HOLTSTIEGE 1994, S. 82).
Als letzte Phase bezeichnet Maria Montessori das Leben in der Erwachsenengesellschaft. In dieser Phase muss nach ihrer Ansicht eine ebenso reale wie auch genaue Vorbereitung stattfinden, um die sozialen Mechanismen zu meistern (vgl. MONTESSORI 1979, S. 131).
Zusammenfassend ist anzumerken, dass jede phasenspezifische didaktische Erziehungsbemühung das Ziel hat, den Heranwachsenden zu befähigen, seinen alleinigen Weg zu finden.
„Unser Material soll kein Ersatz für die Welt sein, soll nicht allein die Kenntnisse der Welt vermitteln, sondern soll Helfer und Führer sein für die innere Arbeit des Kindes. Wir isolieren das Kind nicht von der Welt, sondern geben ihm ein Rüstzeug, die ganze Welt und ihre Kultur zu erobern. Es ist wie ein Schlüssel zur Welt und nicht mit der Welt selbst zu verwechseln“ (MONTESSORI 2005, S. 16).
Das wichtigste erzieherische Mittel der Montessori-Pädagogik ist die didaktisch vorbereitete Umgebung. Sie muss so beschaffen sein, dass sie Aufforderungscharakter zum Handeln besitzt. Die vorbereitete Umgebung ist ein Erfahrungsfeld für den Heranwachsenden, das an seine jeweiligen körperlichen Maße und Möglichkeiten und an seine Sensibilitäten angepasst ist. Die vorbereitete Umgebung, mit dem Erzieher in der Mittlerrolle[44] bietet dem Kind Orientierung und ermöglicht selbstständiges selbsttätiges Handeln. Nach Maria Montessori ist das Entwicklungsmaterial[45] nur als „Ausgangspunkt“ notwendig (MONTESSORI 1976, S. 82). „Das äußere Material muss also den psychischen Bedürfnissen des Kindes wie eine Leiter darbieten, die ihm Stufe für Stufe bei seinem Aufstieg behilflich ist; und auf den Stufen dieser Leiter werden notwendigerweise die Mittel zur Kultur, zur höheren Bildung angeordnet sein“ (ebd., S. 84). Das gesamte Sinnesmaterial stellt ein System von Gegenständen dar, die nach bestimmten physikalischen Eigenschaften der Körper wie Farbe, Form, Maße, Klang Gewicht u.a.m. geordnet sind (THOMAS 2002, S. 40). Das Kind muss die Freiheit der Bewegung und der Initiative haben, um aus den angebotenen Mitteln seine eigene Wahl treffen zu können. Mit Hilfe des Entwicklungsmaterials ist es den Kindern möglich, ihre intellektuellen, psychischen und motorischen Fähigkeiten zu entwickeln. Innerhalb der sensiblen Perioden gelingt dies besonders gut. Die Kinder können mit diesen Materialien selbstständig arbeiten und lernen. Bei allen Materialgruppen finden wir durchgehend die wichtigen Kennzeichen der Isolation der Eigenschaften, das Merkmal der Ästhetik, das Merkmal der selbstständigen Aktivität und das Merkmal der Fehlerkontrolle.[46] Die Materialien sind so konstruiert, dass sich das Kind bei der Arbeit immer auf eine zu erlernende ‚Schwierigkeit’ konzentrieren kann. Der Umgang mit den didaktischen Materialien ermöglich dem Kind „selbstgesteuerte Lern- und Bildungsprozesse“ (MÜLLER/SCHNEIDER 2002, S. 21) und vermittelt ihm als ‚Schlüssel zur Welt’ grundlegende Kategorien des Weltverstehens. Die Ausstattung der vorbereiteten Umgebung mit den Materialien hat die Aufgabe, den progressiven Interessen und dem individuellen Entwicklungsstand und – tempo des Kindes zu entsprechen. Auf diese Weise kann es jeweils Anreize für die Eigenaktivität finden (vgl. ebd). Die vorbereitete Umgebung, in der diese Materialien den Kindern zur Verfügung stehen, bildet einen Ordnungsrahmen für die Arbeit der Kinder.[47]
Das von Maria Montessori entwickelte Material schafft es in einmaliger Weise, Lerninhalte und innere Strukturen von Lernprozessen darzustellen. Die Materialien bauen dabei systematisch aufeinander auf. Der Reiz des Materials liegt in seiner klaren, sachlichen Veranschaulichung der zu meisternden Schwierigkeit. Ohne dieses spezielle Montessori-Material in einer dem Kind angepassten Umgebung ist eine Montessori-Einrichtung nicht denkbar (vgl. MONTESSORI, in: OSWALD / SCHULZ-BENESCH 1996, S. 34).
„Wenn Kinder eine Arbeit so gesammelt ausgeführt haben, scheinen sie immer ausgeruht und innerlich gestärkt zu sein. Es ist, als ob für die Kräfte, die in ihrer Seele ruhten, ein Weg frei geworden wäre, ihre besten Seiten kommen zum Vorschein (MONTESSORI, in: OSWALD / SCHULZ-BENESCH 1996, S. 22).
Die Polarisation der Aufmerksamkeit ist das Schlüsselphänomen[48], dessen Entdeckung Maria Montessori den Zugang zu einer wirksamen Unterstützung kindlicher Entwicklung geweist. Sie nennt dieses Phänomen "einen wichtigen Stützpunkt, auf dem sich die kindliche Arbeit aufbaut" (HOLTSTIEGE 1994, S. 180). Die Entdeckung der Polarisierung der Aufmerksamkeit bezeichnet THOMAS (2002) als ‚das grundlegende Prinzip’ des gesamten pädagogischen Wirkens von Maria Montessori (THOMAS 2002, 21). Sie beschreibt dieses ‚Phänomen’ nach der Beobachtung eines dreijährigen Mädchens im ersten "casa dei bambini" von San Lorenzo im Jahre 1907. Das Kind beschäftigt sich mit dem Ordnen von Einsatzzylindern, die es aus dem Holzblock herauszieht und wieder hineinsteckt.[49] Wird einem Kind eine Beschäftigung geboten, die seinen Bedürfnissen entspricht, so beginnt es, sich in seine Arbeit zu vertiefen und es kommt zum Phänomen der ‚Polarisation der Aufmerksamkeit’. Mittels intensiver Hinwendung zur Beschäftigung, lernt das Kind sich zu konzentrieren. Es entwickelt eine Beobachtungsgabe, die durch große Aufmerksamkeit geprägt ist, und verfeinert durch die konzentrierte Arbeit seine Sinneswahrnehmung. Das Kind erkennt herrschende Ordnungsstrukturen, die es verinnerlicht und zum Aufbau seiner eigenen Welt anwendet. Dabei arbeitet das Kind nicht um bewusst ein Lernziel zu erreichen, sondern es folgt seinen eigenen Bedürfnissen und Interessen. Nur ein Kind, dem dies auch ermöglicht wird, kann sich laut Maria Montessori normal entwickeln. Diese ‚normale’ Entwicklung – gemäß dem ‚immanenten Bauplan’, bezeichnet Maria Montessori als „Normalisation“.[50] Es ist daher von größter Bedeutung, die Kinder bei ihrer Arbeit richtig zu unterstützen, damit sie zukünftig Normalität erreichen können. „ (...)aber die Umgebung hilft dem Kind zu der tiefen Konzentration zu kommen, die lebensnotwendig für die Entwicklung des Menschen ist“ (MONTESSORI 2005, S. 17).
Maria Montessori entdeckt, dass es dem Kind gelingen kann, sich völlig zu konzentrieren. Diese Konzentration ist nach ihrer Auffassung offensichtlich inneren Ursprungs und tritt auf, wenn ein Mensch sich aus eigenem, innerstem Interesse einer selbstgewählten Sache hingibt. Ein Nachlassen der Konzentration kann erst beobachtet werden, wenn die selbstgewählte Aufgabe gelöst wurde. Das Kind wirkt dann ausgeglichen und zufrieden. Ziel einer jeden Pädagogik muss, nach Maria Montessori, die Erreichung dieses Zustandes der vertieften Konzentration sein. Wird die Wirkung des Phänomens der ‚Polarisation der Aufmerksamkeit’ auf das Kind erkannt, so ist gleichzeitig ersichtlich, dass Erziehung in diesem Falle Selbsterziehung bedeutet. Es ist nicht der Erwachsene, der dem Kind Inhalte vermittelt, sondern das Kind erarbeitet sich seine Fähigkeiten selbst. Das Kind folgt, geleitet von seiner inneren Antriebskraft, den Gesetzen seines ‚immanenten Bauplanes’. Durch das Verfeinern seiner Sinne und das Entwickeln seiner kognitiven Fähigkeiten erfolgt ebenfalls die intellektuelle Entwicklung des Kindes. Es hat seine Sinne verfeinert und dabei gelernt zu erkennen, zu beobachten und zuzuordnen. Dank der gesteigerten Lernbereitschaft in den sensiblen Perioden kann das Kind zu tiefer Konzentration gelangen. Als Folgen des konzentrierten Auslebens manueller Übungen verändert sich das Kind: Unbeständigkeit, Ungeordnetheit und Zersplitterung verschwinden, stattdessen stellen sich innere Ausgeglichenheit und Harmonie ein.
„ Konzentration ist also ein ganzheitliches menschliches Handeln, das als Arbeit im Sinne einer tätigen Meditation bezeichnet werden kann“ (HOLTSTIEGE 1994, S. 183).
“ Das Leben schreitet nach einem kosmischen Plan voran, und der Sinn des Lebens ist nicht, Vollkommenheit auf einer unbegrenzten Bahn des Fortschrittes zu erlangen, sondern einen Einfluss auf die Umgebung auszuüben und ein bestimmtes Ziel in ihr zu erreichen“ (MONTESSORI 1979, S. 133).
Mit dem Entwurf der ‚kosmischen Erziehung’ hat Maria Montessori den Grundstein zu einem bildungstheoretischen Modell ihrer Pädagogik gelegt. Dabei geht es ihr um die pädagogische Umsetzung der schon seit den Griechen bekannten Erkenntnis, dass der Mensch als Mikrokosmos Teil eines kosmischen Ganzen, des Makrokosmos, ist und dass seine Schöpfungsaufgabe darin besteht, an der Verwirklichung eines universellen "kosmischen Plans" mitzuwirken (http://www.montessori berlin.de 2.09.2005).
Vor dem Hintergrund der kosmischen Theorie als ganze Schöpfung eines einheitlichen Planes legitimiert Maria Montessori ihre Vorstellung von der ‚kosmische Erziehung’ (MONTESSORI 1979, S. 132). Das Konzept einer kosmischen Erziehung erstreckt sich auf die gesamte erzieherische und schulische Arbeit in der Montessori-Pädagogik. Maria Montessori hat ihr pädagogisches Konzept der kosmischen Erziehung auf der Grundlage ihrer individuellen kosmischen Vorstellung und ihrer eigenen imaginativen Sicht der kindlichen Entwicklung geschaffen. Sie sieht den Menschen eingebunden in einen kosmischen Schöpfungsplan (vgl. ebd.).
„ Unsere Erde, die Natur, stellt eine Ganzheit dar, in der jedes Teil, jede Pflanze und jedes Lebewesen eine Aufgabe „für das Ganze“ (ebd., S. 134) erfüllt.[51]
„Die Erde, die Sterne, die Steine, alle Formen des Lebens bilden, in einer engen Beziehung untereinander, das Ganze; so eng ist diese Beziehung, dass wir keinen Stein begreifen können ohne etwas von der Sonne zu begreifen. Keinen Gegenstand, den wir berühren, ein Atom oder eine Zelle, können wir erklären, ohne eine Kenntnis des Universums“ (MONTESSORI 1988, S. 42). Umgekehrt dient das Ganze den einzelnen Teilen. Dementsprechend besteht die Möglichkeit ein harmonisches Zusammenwirken zu erzielen und eine einzige universale harmonische Gesellschaft zu bilden (vgl. MONTESSORI 1979, S. 134 - 137). Das entspricht ihrer erklärten Vorstellung einer einzigen universalen harmonischen Gesellschaft. Als vorherrschende Tugenden nennt Maria Montessori gegenseitige Achtung, Einheit unter den Menschen, Hilfe für den Schwächeren[52], Dankbarkeit und Liebe (vgl. ebd., S. 141). Voraussetzung für die kosmische Erziehung ist, dass das Kind durch ‚Normalisation’ zur Selbstermächtigung gelangt. Es muss Herr seiner selbst werden, damit es seine große Aufgabe erfüllen kann. Der Mensch ist ein höheres Wesen, dem selbst Intelligenz gegeben ist. Gott hat es so geschaffen ‚von Natur aus gut’ und es ist die Aufgabe des Menschen, das Werk Gottes fortzusetzen. Wenn alle Kinder normalisiert werden und die Erwachsenen sich von ihnen erlösen lassen, kann eine neue Welt geschaffen werden, die die jetzige Welt an Wundern übertreffen wird. Maria Montessori stellt sich die neue Welt als eine "Supra Natur"[53] bestehende Umgebung vor. Der Mensch muss in ihr seine kosmische Mission vollführen und wieder beherrschen. Jeder hat seinen Platz und seine Aufgaben entsprechen den Gesetzen der Natur. Wenn alle Menschen den Gesetzen dieser Natur Folge leisten, so wäre der Weltfrieden erlangt (vgl. ebd.). Sich den Gesetzen der Natur bzw. den Ordnungsstrukturen anzuvertrauen bedeutet, sich dem Guten hinzuwenden. Die Erziehung nach den Methoden der Montessori-Pädagogik ist immer ein Zugleich von Entwicklung und Moralität (ebd., S.95). Die kosmische Erziehung bedeutet für Maria Montessori nicht nur, sich an die Gesetze des Seins zu halten, sondern die Welt zu verändern und zu vervollkommnen (vgl. ebd., S. 139).
Bis 1870 setzt sich das heutige Italien aus verschiedenen Königreichen, Fürsten- und Herzogtümern zusammen, die zum Teil unter fremder Herrschaft stehen. Diese territoriale Zersplitterung sowie die Fremdherrschaft sind Ursache der wirtschaftlichen und sozialen Rückständigkeit des Landes. Vor diesem Hintergrund erwacht im 19. Jahrhundert das Bedürfnis nach Unabhängigkeit und nationaler Einheit. Das Volk strebt nach politischer Mitbestimmung. Es entsteht eine politische Einigungsbewegung, die Risorgimento[54] (1815 - 1870), deren Ziel die Befreiung und Vereinigung Italiens ist. Der Ausbruch des Krieges zwischen Frankreich und Preußen am 19. Juli 1870 kommt Italien in der Frage des Kirchenstaat gelegen. Als Frankreich in Folge des Krieges seine Schutztruppen aus Rom abzieht, erobern italienische Truppen ab 11. September 1870 den Kirchenstaat, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Am 20. September 1870 wird Rom eingenommen. Eine Volksabstimmung ergibt eine breite Zustimmung für die Vereinigung des Kirchenstaat mit Italien. Die Vereinigung wird am 6. Oktober 1870 durch königliches Dekret proklamiert. Damit ist die Einigung Italiens und mit ihr das Ziel des Risorgimento vollendet. Obwohl das vereinte Italien eine für damalige Verhältnisse moderne, vom Bürgertum getragene Verfassung erhält, bringt die Vereinigung weder politische Demokratie noch soziale Revolution mit sich. Die äußerst schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen der Unterschicht, die desolate Wohnsituation, die Frauen- und Kinderarbeit und das Analphabetentum spiegeln die ärmlichen Verhältnisse wider, die besonders in Süditalien spürbar sind. Erst Mitte der siebziger Jahre, infolge des Überganges der Regierungsgewalt von der ‚Rechten’ an die ‚Linke’ Italiens, kommt es zu grundsätzlichen Reformen.[55] Der Schlüssel zu wirksamen Veränderungen liegt im Erziehungswesen. Der Bau von Schulen unter staatlicher Aufsicht, welcher unabhängig vom Schulsystem der bisher herrschenden kirchlichen Hierarchie erfolgt, wird forciert. Die allgemeine Schulpflicht (1877) auf der Grundstufe, bis zum Alter von zehn Jahren wird eingeführt. Die Gründung von öffentlichen Institutionen für Mädchen ist ein ‚kleiner’ Fortschritt hinsichtlich der Emanzipation des weiblichen Geschlechtes. Mit dem allgemeinen Trend zur Liberalisierung sozialer Einrichtungen ändert sich auch die Rolle der Frau. Die italienische Frauenbewegung sieht in der gesellschaftlichen Dominanz der Männer auch die Ursache für Kinderarbeit und mangelnde Schulausbildung. Die Situation der Kinder ist also eng mit der moralischen, geistigen und wirtschaftlichen Befreiung der Frau verknüpft, und so wird die Verbesserung der sozialen Lage des Kindes ein wichtiges gesellschaftspolitisches Ziel der Frauenbewegung. Der Versuch der neuen italienischen Nation, das Schulwesen zu reformieren, unterliegt jedoch einem System, in dem „Gesetze und Verordnungen und ministerielle Rundschreiben aufeinanderprallen und mit ihnen ungeordnete Widersprüche alle Stabilität erschüttern“ (BOLTON / OKEY in: KRAMER 1979, S. 24). Die italienische Schule nach 1870 trägt weiterhin den Charakter der Schule des 19. Jahrhunderts.[56] Es mangelt an Bildungskonzepten. Allein zwischen 1860 und 1900 sind 33 Unterrichtsminister im Amt, von denen jeder seine eigene Politik vertritt. Fehlende staatliche Mittel lassen jeden Reformversuch scheitern. Was hervorgebracht wird, sind unzählige Gesetze, Vorschriften und Rundschreiben, die sich einander widersprechen. „Sowohl die frühen Hoffnungen der Reformer als auch ihre spätere Enttäuschung hatte ihre Wirkung auf die Erziehung Maria Montessoris als Frau und auf ihre Laufbahn als Sozialreformerin (KRAMER 1977, S. 19). Sie nimmt als erste Frau Italiens das Studium der Medizin auf (Kapitel 2.1). Nach erfolgreichem Abschluss als italienische Ärztin ist sie eine bedeutende und anerkannte Persönlichkeit in ihrem Beruf als ‚Dottoressa’. Maria Montessori wendet sich jedoch ab 1897 verstärkt der Anthropologie und der Pädagogik[57] zu. Verschiedene Anekdoten und mystische Erlebnisse[58] erzählen davon, dass viele ihrer Entscheidungen intuitiver Natur sind, die in den Augen anderer der pragmatischen Rationalität des Denkens widersprechen. Ihr Selbstvertrauen, ihr Optimismus, ihr Interesse an Veränderungen, ihre Überzeugung von der Möglichkeit , sie zu bewirken, ihre Beharrlichkeit, ihre geistige Exzentrizität und ihr starker Charakter beeinflussen ihre beruflichen Weg und die Verbreitung der Montessori-Pädagogik in Italien und in vielen Teilen der ganzen Welt. Überdies findet Maria Montessoris pädagogische Theorie zur gesundheitlichen und geistigen Entwicklung im Denken der positivistischen italienischen Anthropologen des 19. Jahrhunderts ihren Widerhall und somit hat ihr Gesundheitskonzept gesellschaftliche Implikation.
[...]
[1] Brief von Toni Kraft 1966, ehemalige Sekretärin der Deutschen Montessori Gesellschaft (dessen Vorsitzende Clara Grunwald war) an Friedrich Beuster, einzusehen im Museum Kindheit und Jugend – Stadtmuseum Berlin (MKJ) unter dem Zeichen 09/02/03/01–05
[2] Das Thema "Reformpädagogik und Politik" gilt seit einigen Jahren als wichtiger Bestandteil der kritischen Aufarbeitung der pädagogischen Reformbewegung nach 1900. Neben Böhm und Kramer zeigt auch Hélène Leenders an Hand von bisher unerschlossenen Quellen, wie eng verflochten Maria Montessori mit dem italienischen Faschismus war und dass hinter der Rhetorik einer kulturell indifferenten, "kindgerechten" Erziehung eine nationalisierte Pädagogik favorisiert wurde (LEENDERS, Hèlène, Der Fall Montessori, Die Geschichte einer reformpädagogischen Erziehungskonzeption im italienischen Faschismus. Bad Heilbrunn/OBB.: Verlag Julius Klinkhardt, 2001).
[3] Die Montessori-Biographie von der Professorin für Frauen-Forschung, Marjan Schwegmann (Maria Montessori 1870 – 1952. Amsterdam: University Press 1999), wird von Dr. Helene Leenders, niederländische Organisation für wissenschaftliche Forschung, folgendermaßen kommentiert: „ Die „Heldinnengeschichte“ so wie Schwegmann ihre Studie mehrfach bezeichnet, trägt nur zu einer noch stärkeren Mythenbildung um Maria Montessori bei“ (ebd.).
[4] „ Renilde Stoppani war auch feurige Patriotin, den Idealen der Befreiung und der Einheit Italiens ergeben.
(KRAMER, Rita, Maria Montessori, Leben und Werk einer großen Frau. München: Kindler Verlag 1977)
[5] Bedeutender Naturwissenschaftler, der sich durch liberale Äußerungen zu Zeitfragen einen Namen gemacht hat (HEILAND, Helmut, Maria Montessori – mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt, 8.Aufl., Reinbek: Rowohlt Verlag 2000), S. 9).
[6] Antonio Stoppani, war ein hervorragender Gelehrter und Priester . Er war Professor für Geologie und liberaler Kleriker, der eine Wiederannäherung von Kirche und Staat unter dem neuen Regime befürwortete. Er war Autor zahlreicher wissenschaftlicher Werke. Die Ansichten und Leistungen Stoppanis hat Maria Montessori als geistige Erbin ihrer Mutter übernommen (vgl. KRAMER, Rita, Maria Montessori, Leben und Werk einer großen Frau. München: Kindler Verlag 1977, S. 22 ).
[7] „ Das Mädchen, das durch diese Geschichten hindurchschimmert, ist selbstsicher, willensstark und ein wenig selbstgefällig. Maria hat jenes Pflichtgefühl, das manchmal zur Intoleranz gegenüber anderen führt. Kurzum, sie war die geborene Sozialreformerin und gewiss eine auffallende Einzelgängerin dort und damals“ (Böhm in: HEILAND, Helmut, Maria Montessori - mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt, 8.Aufl., Reinbek: Rowohlt Verlag 2000, S. 13).
[8] „ Nachdem die Montessori berühmt geworden war, sind die Erinnerungen allmählich verklärt worden, und so entstand –bewusst oder unbewusst – eine Legende, die ihre Wirkung, wie alle Geschichten aus ihrer Kindheit eines Helden, aus der geschichtlichen Ironie bezieht: Was uns aus der Vergangenheit erzählt wird, bekommt seine Bedeutung nur angesichts dessen, was wir über den späteren Verlauf des Lebens bereits wissen (ebd.).
[9] „Der Lehrbuchtext muss auswendig gelernt und im Gedächtnis behalten werden. Schulischer Unterricht ist präzise Reproduktion gespeicherten Wissens. Eine Überprüfung des Verständnisses der jeweiligen Thematik findet nicht statt und ist nicht wünschenswert“ (HEILAND, Helmut, Maria Montessori – mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt, 8.Aufl., Reinbek: Rowohlt Verlag 2000, S. 13 f).
[10] Während Standing von einem mystischen, gleichsam ‚prophetischen’ Erlebnis ausgeht, glaubt Böhm drei Beweggründe zu kennen: Zum einen, so diese Meinung, erwachse dieser Wunsch aus ihrem tiefgehenden Interesse am Menschen, andererseits entspreche er ‚ihrem Grundbedürfnis nach sozialer Wirksamkeit’ und schließlich sehe Montessori "im Arzt den Missionar eines hohen Werkes christlicher Caritas" (BÖHM, Winfried, Maria Montessori Bibliographie 1896 – 1996, Bad Heilbrunn: 1999 und KRAMER, Rita, Maria Montessori, Leben und Werk einer großen Frau. München: Kindler Verlag 1977 ).
[11] „Ihre Kommilitonen waren von Anfang an gegen sie und taten zunächst alles, was sie konnten, um ihr das Leben schwer zu machen. Sie war eine Frau, die in einen bisher ausschließlich männlichen Berufszweig eingedrungen war, sie bewährte sich dort besser als die meisten von ihnen, und tat dies auch noch mit scheinbarer Leichtigkeit. Ihr Erfolg bedrohte nicht nur ihren männlichen Stolz, sondern ihre Selbstsicherheit und Kompetenz waren ärgerlich für eine Männergesellschaft, die an schmeichelhaft hilflose Frauen gewöhnt war“ (ebd., S. 38).
[12] „ Das scheint ein Hinweis darauf zu sein, dass die Mutter diejenige war, die am meisten dagegen hatte, dass das Kind im öffentlichen Leben Maria Montessoris erschien, und es würde auch zu dem, was wir über Renilde Montessoris Ehrgeiz in bezug auf ihre Tochter wissen, passen. Die Hoffnungen, die sie für ihre >einzigartige< Tochter hatte, durften nicht durch Gerüchte gefährdet, nicht durch einen Skandal zunichte gemacht werden.“ (...) „ Montesano habe zur Bedingung für die legale Übertragung seines Namens auf das Kind gemacht, dass die Geburt vor aller Welt – außer vor den Angehörigen und engsten Freunden des Paares geheim gehalten wird.“ (KRAMER, Rita, Maria Montessori, Leben und Werk einer großen Frau. München: Kindler Verlag 1977, S. 91 ff).
[13] Maria Montessori gibt ihre Stellung als Gestalt des öffentlichen Lebens, als Direktorin einer hochgeachteten Institution auf , zog sich auf das akademische Leben und den Status einer Schülerin zurück (vgl. ebd., S. 93).
[14] Séguin entwickelt eine Reihe abgestufter Übungen zur Schulung der Motorik und zur Anregung sinnlicher Wahrnehmung. Dabei verwendet er einfache Turngeräte zum Training der Motorik die auch für die Übungen zur Schärfung der Sinneswahrnehmung, z.B. Leitern und Schaukeln sowie geometrische Figuren, die in Formen eingepasst werden sollen, Perlen zum Aufziehen oder verschieden lange Stöcke, die es zu sortieren gilt (vgl. KRAMER, Rita, Maria Montessori, Leben und Werk einer großen Frau. München: Kindler Verlag 1977, S. 60).
[15] „ (...) Diese Erkenntnis wurde der Gedanke, der mich beherrschte, auch als ich schon die Schule der Schwachsinnigen verlassen hatte, und allmählich gewann ich die Überzeugung, dass ähnliche Methoden, wenn sie auf normale Kinder angewendet würden, bei diesen zu einer außerordentlichen, überraschenden Entwicklung ihrer Persönlichkeit führen müssten“ (MONTESSORI, Maria, Selbsttätige Erziehung im frühen Kindesalter. Nach den Grundsätzen der wissenschaftlichen Pädagogik methodisch dargelegt., Stuttgart: Verlag von Julius Hoffmann, 1913, S. 31).
[16] „ Diese neue Art von Schulen wurden von Olga Lodi, einer gegenseitigen Freundin von Herrn Talamo und mir, mit der glücklichen Bezeichnung „ Casa dei Bambini“- Kinderheim belegt“ (ebd., S. 41).
[17] Am 7.4 1907 wurde das zweite Kinderhaus im San-Lorenzo-Viertel eröffnet, am 18.10.1908 ein weiteres in Mailand und am 4.11.1908 in Rom (vgl. ebd. ).
[18] Bis 1926 gibt es drei veränderte Auflagen ihres Hauptwerkes. Leenders (2001) betrachtet die Änderungen als strategisch. „ Sie passt ihren Sprachgebrauch neuen wissenschaftlichen Einsichten und den diesbezüglichen Debatten der pädagogischen Fachliteratur im Italien der zwanziger Jahre an. Dort wird der Positivismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts als überholt angesehen. Montessori kann auf diese Weise besser bei den Katholiken und den Idealisten anschließen. Diese sind außerdem genau die Personen mit dem größten schulpolitischen Einfluss in Italien“ (LEENDERS, Hèlène, Der Fall Montessori, Die Geschichte einer reformpädagogischen Erziehungskonzeption im italienischen Faschismus. Bad Heilbrunn/OBB.: Verlag Julius Klinkhardt, 2001, S. 47 - 49).
[19] Maria Montessori kehrt nach ihrem letzten Besuch 1917, obwohl sie bis zum Ende ihres Lebens in der ganzen Welt herumreiste, nie mehr in die USA zurück. Die Montessori-Bewegung in Amerika war, zumindest zu ihren Lebzeiten, zu Ende. „ Die Bewegung, von der man hätte meinen können, sie werde prächtig Fuß fassen, begann angesichts Mangelns an lokalen Führern und einem intellektuellen und gesellschaftlichen Klima, das sich für die Dottoressa und ihr Erziehungssystem immer weniger interessierte, immer mehr dahinzuwelken“ (KRAMER, Rita, Maria Montessori, Leben und Werk einer großen Frau. München: Kindler Verlag 1977).
[20] Infolge des Ersten Weltkrieges hatte Italien schwere Verluste erlitten. Politische und soziale Unruhen breiten sich aus. Die italienischen Industriellen und Konservativen wenden sich der faschistischen Partei mit ihrer besonderen Art des fanatischen Nationalismus zu. Mit dem Marsch von Mussolini und seinen Schwarzhemden im Oktober 1922 auf Rom wurde das Ende der konstitutionellen Regierung für das nächste Vierteljahrhundert eingeläutet.
[21] Die Riforma Gentile ist die nationale Schulreform vom Kindergarten bis zur Universität (LEENDERS, Hèlène, Der Fall Montessori, Die Geschichte einer reformpädagogischen Erziehungskonzeption im italienischen Faschismus. Bad Heilbrunn/OBB: Verlag Julius Klinkhardt, 2001, S. 112).
[22] Während eines Interviews für eine spanischsprachige Zeitung am 4. 9.1926 sagt sie zur Rettung durch Mussolini:
„ Dieser Zustand soll bis ins Unendliche angedauert haben, wenn nicht Herr Mussolini an die Macht gekommen wäre. Dieser Mann , voll von Neugier, einem außergewöhnlichen vielseitigen Geist, der gern über alles informiert sein möchte, ließ eines Tages sein Auge auf meine Methode fallen. (...) und versprach mir enthusiastisch Unterstützung um Schulen zu schaffen“ (ebd., S.74).
In einem Brief Maria Montessoris an Mussolini vom 4.4.1927 lautet es: „ Ich bin betrübt, dass ich weit entfernt von meinem Vaterland meine Methoden lehren muss (...) weit vom prächtigen Land, wo mein ersten Studien ihren Ursprung haben. Während ich nun (nach London, Hl) gehe in einer gegenwärtigen sehr betrübten Geistesverfassung, leuchtet doch in meinem Herzen das große Vertrauen das der Duce in allen Italienern, die etwas zu geben haben, hat entstehen lassen. (...) Und ich will „ den Dank aller derjenigen überbringen (...), die das Vertrauen in die Person des Italienischen Führers mit mir teilen. Mit faschistischen Gruß“ (ebd., S. 78).
[23] Maria Montessori zieht sich Anfang 1933 freiwillig aus der Opera Montessori zurück. Sie wird nicht dazu gezwungen, es ist Maria Montessoris eigener Entschluss, der nicht durch eine drohende faschistische Einmischung in das Curriculum motiviert ist, sondern durch eine drohende Vermischung ihrer Methode mit anderen Methoden. Kurzum: sie sieht ihren Namen und die Reinheit ihrer Methode in Gefahr und fühlt sich von Bodrero übergangen“ (LEENDERS, Hèlène, Der Fall Montessori, Die Geschichte einer reformpädagogischen Erziehungskonzeption im italienischen Faschismus. Bad Heilbrunn/OBB: Verlag Julius Klinkhardt, 2001, S. 213).
[24] Der wichtigste Punkt der Uneinigkeit zwischen Montessori und Bodrero betrifft die Tatsache, dass mit der Gründung eines internationalen Montessori-Zentrums in Rom, Bodrero Kontakt zu ausländischen Montessori-Vereinigungen aufnimmt, zu denen Maria Montessori den Kontakt abgebrochen hat (Montessori-Vereinigung Berlin und der Montessori -Lehrerin der ersten Stunde, Frau Bontempi aus dem Schweizer Kanton Tessin. Diese haben nicht mehr die durch Maria Montessori verlangte ‚Reinheit’ der Methode zum Ausgangspunkt) (vgl. ebd., S. 215).
[25] Maria Montessori weiß zum Zeitpunkt ihres Austritts aus der Opera Montessori nicht, das Bodrero aus eigenen Beweggründen von seinem Amt als Vorsitzender zurücktritt und Piero Parini, der ihre Ansichten vertritt, am 26.2.1933 zum Vorsitzenden der Opera Montessori wird. Maria Montessori setzt noch großes Vertrauen in Mussolini, während dieser einen nicht misszuverstehenden Auftrag hinsichtlich der Opera Montessori gibt: „Der Opera Montessori eine nationale und faschistische Orientierung zu geben, und sie zum Instrument zu machen, das die Regierung gebrauchen kann. (...) Gegen eine „ nationale und eine faschistische Orientierung“ hat Maria Montessori keine Einwände. Ihre Hoffnung bleibt bei Mussolini, an den sie, nachdem sie Italien verlassen hat, weiterhin Briefe schreibt. Auch die Rede 1934 auf dem Montessori-Kongress in Rom bestätigen die enge Verbundenheit mit Mussolini (vgl. ebd., S. 221).
[26] Montessoris Entwicklungsvorstellung basiert auf der Embryonaltheorie der Biologen Wolff (1734 -1794), Baer (1792 -1876) und Hugo de Vries (1848 - 1935). Die Wolff/Baer'sche Theorie geht davon aus, dass das Leben aus einem bereits organisierten und strukturierten Keim entsteht. In ihm sind bereits alle artspezifischen Anlagen angelegt, wie z.B. beim Menschen der aufrechte Gang, das Sprechen und das Denken. Aus dieser Theorie übernimmt Montessori die Vorstellung der "Idee eines einheitlichen Bauplans in der Natur". Die normale Entwicklung des Kindes folgt also einem vorprogrammierten, immanenten Bauplan. Montessori zufolge sind alle Faktoren, die die Entwicklung des menschlichen Individuums bestimmen, bereits im Stadium der mikroskopischen Zelle determiniert: "Die Wurzel der Entwicklung sowohl der Art als des Individuums liegen im Inneren“ (MONTESSORI, Maria, Das kreative Kind. Der Absorbierende Geist, Freiburg, Basel, Wien: Verlag Herder , 1972, S. 31 - 45 ff).
[27] Montessoris Erziehungsdefinition basiert auf dem Glauben an die Kraft des Kindes und der Gewissheit der Entwicklung zu einem höheren Wesen mit dem Ziel des Wissens der Menschen um die „Gesetze des Kinderlebens“ (vgl. MONTESSORI, Maria, Spannungsfeld Kind – Gesellschaft – Welt. Auf dem Weg zu einer „Kosmischen Erziehung“, Freiburg bei Breisgau: Verlag Herder, 1979, S. 125)
[28] Maria Montessori bezeichnet das Werk der beiden Ärzte als „Frucht eines geduldigen Studiums“, welches richtungsweisend für die Reform der Erziehung steht: „ Man muss einzig und allein das Wohl des Kindes, die Entwicklung und Vervollkommnung aller Seiten seiner Persönlichkeit im Auge haben“ (MONTESSORI, Maria, Grundlagen meiner Pädagogik, 9. Aufl., Wiebelsheim: Quelle &Meyer Verlag 1965/2005, S. 42)
[29] „ (...) und allmählich gewann ich die Überzeugung, dass ähnliche Methoden, wenn sie auf normale Kinder angewendet würden, bei diesen zu einer außerordentlichen, überraschenden Entwicklung ihrer Persönlichkeit führen müssten“ (MONTESSORI, Maria, Selbsttätige Erziehung im frühen Kindesalter. Nach den Grundsätzen der wissenschaftlichen Pädagogik methodisch dargelegt., Stuttgart: Verlag von Julius Hoffmann: 1913, S. 31)
[30] „ Der Erzieher muss erkennen, dass im Kinde, wie schon im ,kleinsten Lebewesen, eine Entwicklungsrichtung angelegt ist. Die stärker ist als alle Einwirkungen von außen, durch die wir weder einen Grashalm erschaffen, noch unserer eigenen Gestalt einen Millimeter hinzufügen können. Der Erzieher, der das erkannt hat, wird bescheiden sein und begreifen, dass das Kind sich in Frieden, den Gesetzen des Lebens gehorchend, entwickeln muss (...). Worauf es ankommt, ist, dass du o Kind, den heiligen Samen, der tief in deiner Seele gelegt ist, entwickelst, und ich, Dein Lehrer, will dein Helfer sein“ (MONTESSORI, Maria, Grundlagen meiner Pädagogik, 9. Aufl., Wiebelsheim: Quelle &Meyer Verlag 1965/2005, S. 41 - 43).
[31] „ Was ist die Aufgabe der Erziehung? In Geduld zu warten, dass die Phänomene in Erscheinung treten. Und wessen bedarf der Lehrer, um in bescheidener und geduldiger, in vollkommener Weise dem kindlichen Leben, das in der Entwicklung begriffen ist helfen zu können? Mit Lieben muss er sein Werk beginnen“ (MONTESSORI, Maria, Das Werk des Kindes. Aus dem Vortrage , der zur Eröffnung des Lehrer-Ausbildungskursus in Mailand im Februar 1926 gehalten wurde, in: OESTREICH, Paul (Hrsg.), Die Neue Erziehung, Monatszeitschrift für Entschiedene Schulreform und Freiheitliche Schulpolitik., Berlin: Verlag Hensel & Co., VIII. Jahrgang 1926, Heft 9, S. 641 - 642).
[32] Dies setzt das Verständnis vom Recht des Kindes auf Eigenleben voraus und vollzieht einen ganz wesentlichen Wandel in der bislang üblichen Zielrichtung pädagogischen Handelns.
[33] Herkunft: Das Wort "frei" stammt ab von fri, was zugleich Frau (=ursprünglich Herrin) bedeutet. Die Bedeutung "frei" entwickelt sich aus "eigen", vermutlich aus Wendungen wie "die eigenen Kinder". Jemand ist frei, wenn er "zu den Lieben gehört" und kann sich deshalb einiges herausnehmen. So kennzeichnet Freiheit also einen Aspekt von Bindung und ist weit von der heute mit Freiheit assoziierten Bindungslosigkeit entfernt! Ethisch ist Freiheit das Recht, die Möglichkeit und die Verpflichtung des Menschen zur Selbstbestimmung und zum Ausdruck seines freien Willens. Philosophisch ist Freiheit die Fähigkeit zur Entscheidung. Nach der Definition von Spinoza ist "Freiheit Einsicht in die Notwendigkeit". Freiheit bezeichnet das Fehlen von Zwängen. Freiheit bezeichnet auch die Möglichkeit, unter mehreren Optionen wählen zu können, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Freiheit sind die konkreten Möglichkeiten einer konkreten Person in einem konkreten Fall entsprechend der konkreten äußeren Umstände (http://freiheit.adlexikon.de/Freiheit.shtml 2005).
[34] „Maria Montessori benutzt das Wort „ teacher“(maestra) meist ohne Unterscheidung für die Erzieherin und die Lehrerin (SCHULZ-BENESCH, in: MONTESSORI, Maria, Spannungsfeld Kind – Gesellschaft – Welt. Auf dem Weg zu einer „Kosmischen Erziehung“, Freiburg bei Breisgau: Verlag Herder, 1979, S. 81).
[35] Nach Montessori hat die Lehrerin keine andere wissenschaftliche Vorbereitung nötig, als die, „zur Seite zu treten und die Kunst“ anzuwenden“, sich selbst auszuschalten um das Kind nicht in den verschiedenen Tätigkeiten zu hemmen (MONTESSORI, Maria, Grundlagen meiner Pädagogik, 9. Aufl., Wiebelsheim: Quelle &Meyer Verlag 1965/2005, S. 50).
[36] Die sittliche Persönlichkeitsbildung ist die zweite Forderung, die Maria Montessori für die Erziehung des Kindes aufgestellt. Die erste Forderung betrifft das soziale Leben von Erwachsenen und Kind und verlangt eine Haltungsänderung seitens des Erwachsenen zum Kind (vgl. ebd., S. 20 - 21).
[37] „ Wir bieten dem Kind mit dem Material geordnete Reize an und lehren also nicht direkt, wie man es sonst mit kleinen Kindern zu tun pflegt, sondern vielmehr durch eine Ordnung, die im Material liegt und die das Kind sich selbstständig erarbeiten kann. Wir müssen alles in der Umgebung, also auch alle Gegenstände soweit für das Kind vorbereiten, dass es jede Tätigkeit selbst ausführen kann" (MONTESSORI, Maria, Grundlagen meiner Pädagogik, 9. Aufl., Wiebelsheim: Quelle &Meyer Verlag 1965/2005, S. 16).
[38] Nach Maria Montessori wird nicht mehr verlangt, als die Kinder in Ruhe zu lassen, sie nicht in ihrer Wahl und ihren spontanen Arbeiten zu stören (vgl. ebd.).
[39] Nach Maria Montessori ist das Kinderhaus (Kinderheim) die geeignete Umgebung für die ganzheitliche Entwicklung des Kindes, und im Begreifen, dass der Mensch nicht nur biologisches, sondern auch ein soziales Wesen ist. Dieser kindgerechte Umgebung ist kein Ort, wo die Kleinen bewacht werden, (...) sondern eine wirkliche Schule zur Erziehung nach Grundsätzen der wissenschaftlichen Pädagogik. Die körperliche Entwicklung der Kinder wird genau verfolgt, und jedes Kind wird vom anthropologischen Standpunkt aus erforscht“ (MONTESSORI, Maria, Selbsttätige Erziehung im frühen Kindesalter. Nach den Grundsätzen der wissenschaftlichen Pädagogik methodisch dargelegt, Stuttgart: Verlag von Julius Hoffmann: 1913, S. 57).
[40] Sich künstlich interessant machen, das heißt sich interessant machen für jemand, der kein Interesse an uns hat, das ist eine sehr schwierige Aufgabe. Und stunden- und jahrelang durch Interesse nicht eine, sondern eine Vielzahl von Personen an uns binden, die nichts mit uns gemein haben, nicht einmal das Alter: Das ist eine übermenschliche Aufgabe." ... " Das (Begreifen und Lernen – Verf. ) ist eine im Innern sich vollziehende Arbeit, die er (der Lehrer - Verf.) nicht gebieten kann" (Montessori, Maria, Schule des Kindes, Freiburg: 1976, S. 50 f.).
[41] Mit dieser Entdeckung hat Maria Montessori einen Zugang zum kindlichen Selbstbildungsprozess gefunden. Dabei vertraut sie auf eine nur im Kind vorhandene Fähigkeit, dem absorbierenden Geist: "Wir sind Aufnehmende, wir füllen uns mit Eindrücken und behalten sie in unserem Gedächtnis, werden aber nie eins mit ihnen, so wie das Wasser vom Glas getrennt bleibt. Das Kind hingegen erfährt eine Veränderung: Die Eindrücke dringen nicht nur in seinen Geist ein, sondern formen ihn. Die Eindrücke inkarnieren sich in ihm. Das Kind schafft gleichsam sein "geistiges Fleisch" im Umgang mit den Dingen seiner Umgebung. Wir haben seine Geistesform absorbierender Geist genannt" (Montessori, Maria, Das kreative Kind, Freiburg: 1972, S. 23).
[42] Drei der bekanntesten Phasenmodelle wurden in der Entwicklungspsychologie für das Zeitalter Kindheit und Jugend von Freund, Erikson und Piaget entworfen. „Jede Stufe setzt ein neues Niveau der sozialen Interaktion voraus. Erfolge und Misserfolge können dabei den Verlauf der nachfolgenden Entwicklung in positiver oder negativer Richtung beeinflussen“ (Zimbardo, Philip G. & Gerring, Richard J., Psychologie, Sprinter Verlag Berlin, Heidelberg, New York: 1999, S. 460).
[43] Das Erwachsenverständnis der Ordnung bezieht sich hauptsächlich auf Äußerlichkeiten. Maria Montessori geht bei der Sensibilität der kindlichen Ordnung von einer Ordnung der äußeren Umwelt und einem inneren Orientierungssinn aus. In dieser findet sich das Kind zurecht, wenn es ihm vertraute Dinge in Lage und Ordnung an der entsprechenden Stelle wiederfindet und alles überschaubar zugänglich ist (vgl. MONTESSORI, Maria, Kinder sind anders, 1. Aufl., München: Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, 1987, S. 59 - 70).
[44] Neben der vorbereiteten Umgebung ist das Erzieherverhalten ein wesentlicher Grundpfeiler einer Erziehung, die es dem Kinde erlaubt, es selbst zu werden. Die eigentliche Aufgabe, die den Erzieherinnen bzw. Lehrerinnen bei der Arbeit mit dem Entwicklungsmaterial zugewiesen wird, besteht in der Wahrnehmung einer Mittlerrolle zwischen Kind und der vorbereiteten Umgebung mit den Entwicklungsmaterialien. Diese Mittlerrolle ist sehr diffizil und anspruchsvoll, denn das Material ist nur ein Anknüpfungspunkt für eine verstandesmäßige Verbindung zwischen Lehrerinnen, die Gedanken übermitteln, und Kindern, die diese übernehmen (MONTESSORI, Maria, Die Entdeckung des Kindes, 3.Auflage, Freiburg, Wien, Breisgau: Verlag Herder, 1969, S. 167).
[45] Bei der Entwicklung der Materialien hat Maria Montessori nicht nur auf die Prinzipien und Materialien von Itard und Sèguin aufgebaut, sondern die jahrelangen Erfahrungen in der Behandlung geistig behinderter Kinder berücksichtigt. Aus den Beobachtungen im ersten Kinderhaus (San Lorenzo) leitet sie weitere Erkenntnisse für ihre Pädagogik ab und verfeinert das Lehrmaterial in der Weise, wie die meiste Attraktion auf Kinder ausübt (vgl. MÜLLER; Thomas, SCHNEIDER, Romana (Hrsg.), Montessori. Lehrmaterialien 1913-1935 Möbel und Architektur, München, Berlin, London, New York: Prestel Verlag, 2002, S. 29).
[46] Um als Montessori-Material zu gelten, muss nach Thomas (2002) ein Lernmaterial verschiedene Kriterien erfüllen: Es soll
– durch seine Ästhetik (ansprechende Materialien, harmonische Farbgebung, Haltbarkeit) auf das Kind eine starke Anziehungskraft ausüben und somit zum Handeln und Erkunden auffordern.
– Aktivität ermöglichen und fördern, da das handelnde Lernen die dem Kind angemessenste Lernform ist und dadurch dem kindlichen Bewegungsbedürfnis entsprochen werden kann.
– Möglichst viele Sinne ansprechen, um ein ganzheitliches (und dadurch kindgemäßes) Lernerlebnis zu ermöglichen und die Sinne zu schulen.
– Eine Selbstkontrolle erlaubt eine unmittelbare Verbesserung des „Irrtums“ und ermöglicht die Erreichung des bekannten Zieles durch Selbstberichtigung und „eigene selbstentwickelte Geistesarbeit“ (MONTESSORI 1922, S. 30). Die Selbstkontrolle unterstützt das Kind bei der Erziehung zur Selbstständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Genauigkeit.
– Aus der Komplexität der Welt eine Schwierigkeit isolieren und sinnlich erfahrbar machen.
(vgl. THOMAS, Judith Gertrud, Maria Montessori - Die Montessori-Pädagogik. Spannungsverhältnis zwischen Anspruch und Realisierung, 1. Aufl., Wuppertal: Blaxilver 2002, S. 39 - 54).
[47] Mit dem Material biete Maria Montessori geordnete Reize an, die in der Ordnung des Materiales selbst liegen und vom Kind selbst erarbeitet werden kann (MONTESSORI, Maria, Grundlagen meiner Pädagogik, 9. Aufl., Wiebelsheim: Quelle &Meyer Verlag 1965/2005, S. 16).
[48] Über die pädagogische Bedeutung dieses Phänomens schreibt Maria Montessori: „Dies ist offenbar der Schlüssel der ganzen Pädagogik, diese kostbaren Augenblicke der Konzentration zu erkennen, um sie beim Unterricht in Lesen, Schreiben, Rechnen, später in Grammatik, Mathematik und Fremdsprachen auszunützen. Alle Psychologen sind sich übrigens darin einig, dass es nur eine Art des Lehrens gibt: tiefstes Interesse und damit lebhafte und andauernde Aufmerksamkeit bei den Schülern zu erwecken" (MONTESSORI, Maria, Das Kind in der Familie, Stuttgart: 1954, (Wien 1923), S. 59).
[49] „ Zu Anfang beobachtete ich die Kleine, ohne sie zu stören, und begann zu zählen, wie oft sie die Übung wiederholte, aber dann, als ich sah, dass sie sehr lange damit fortfuhr, nahm ich das Stühlchen, auf dem sie saß, und stellte Stühlchen und Mädchen auf den Tisch; die Kleine sammelte schnell ihr Steckspiel auf, stellte den Holzblock auf die Armlehnen des kleinen Sessels, legte sich die Zylinder in den Schoß und fuhr mit ihrer Arbeit fort. Da forderte ich alle Kinder auf zu singen; sie sangen, aber das Mädchen fuhr unbeirrt fort, seine Übung zu wiederholen, auch nachdem das kurze Lied beendet war. Ich hatte 44 Übungen gezählt; und als es endlich aufhörte, tat es dies unabhängig von den Anreizen der Umgebung, die es hätten stören können; und das Mädchen schaute zufrieden um sich, als erwachte es aus einem erholsamen Schlaf" (MONTESSORI, Maria in: OSWALD, Paul/ SCHULZ-BENESCH, Grundgedanken der Montessori-Pädagogik. Aus Marias Montessoris Schrifttum und Wirkkreis, 14. Aufl., Freiburg, Basel, Wien: 1996, S. 17 - 18).
[50] Unter „ Norm“ versteht Thomas (2002) das harmonische Zusammenwirken von körperlicher und geistiger Energie:
„Durch Konzentration (eine starke Polarisierung der Aufmerksamkeit) verändert sich das Wesen des Kindes – sein psychisches Leben ordnet sich; das Kind wird normal. Er bezeichnet Normalität als einen harmonisches inneres Gleichgewicht des Kindes (vgl. THOMAS, Judith Gertrud, Maria Montessori - Die Montessori-Pädagogik. Spannungsverhältnis zwischen Anspruch und Realisierung, 1. Auflage, Wuppertal: Blaxilver 2002, S. 8 - 9).
[51] Maria Montessori bezieht sich in ihrem Erklärungsansatz auf die Geologie und auf das Darwinsche Zusammenwirken zwischen „blühenden Pflanzen und Insekten“ ( MONTESSORI, Maria, Spannungsfeld Kind – Gesellschaft – Welt. Auf dem Weg zu einer „Kosmischen Erziehung“, Freiburg bei Breisgau: Verlag Herder, 1979, S. 133).
[52] Die Begriffe: “ Einheit unter den Menschen“ und „Hilfe für die Schwachen“, gehören nach Montessori zum christlichen Geist und entsprechen jeder hohen Religion (MONTESSORI, Maria, Spannungsfeld Kind – Gesellschaft – Welt. Auf dem Weg zu einer „Kosmischen Erziehung“, Freiburg bei Breisgau: Verlag Herder, 1979, S. 142).
[53] SCHULZ-BENSCH ergänzt: „ Montessori wollte ihren Terminus „Supra – Natur“ (= Natur) streng unterschieden wissen vom theologischen Begriff „supernatürlich (= übernatürlich)“ (ebd.).
[54] Mit der Risorgimento (italienisch: Wiedererstehung) wird zugleich eine Epoche wie auch eine politische und soziale Bewegung zwischen 1815 und 1870 bezeichnet, die nach dem Wiener Kongress (1814/15) in den Fürstentümern und Regionen Italiens die italienische Vereinigung in einem Nationalstaat zu erreichen versucht. Die liberale Bewegung des Risogimento bringt das erwachende Nationalbewusstsein der Italiener zum Ausdruck (http://de.wikipedia.org/wiki/Risorgimento 4. 9. 2005).
[55] Das Programm der liberalen und konservativen Linke hat das Ziel, die Erweiterung des Wahlrechtes, die Herstellung bürgerlichen Freiheiten, mehr Steuergerechtigkeit und die Unterstützung des öffentlichen Schulsystems durchzusetzen (vgl. KRAMER, Rita, Maria Montessori, Leben und Werk einer großen Frau. München: Kindler Verlag 1977, S. 18).
[56] Ebenso wie die Inhalte entsprechen die starren Methoden noch der alten "Paukschule": Während der Lehrer seinen Frontalunterricht vorträgt, sitzen die Schüler zu geistiger und körperlicher Passivität verurteilt unbeweglich in ihren Bänken. Der Lehrbuchtext muss genau auswendig gelernt werden. Einziges Kriterium der Leistungsbeurteilung ist die möglichst präzise Reproduktion des gespeicherten Wissens. Der langfristige Lernerfolg des rein "mechanischen" Auswendiglernens (Drill) ist in der Regel gering. Der italienische Unterrichtsminister Martini fasst 1893 dieses Problem so zusammen: "In unseren Schulen wird viel aufgenommen und zu wenig verdaut." Zudem ist anzumerken, dass die meist männlichen Verwaltungsbeamten selbst mangelnde Bildung hatten und ihre eigene Unwissenheit demzufolge in Vorurteilen den Schülern gegenüber ausfiel. Die Schüler werden ausschließlich extrinsisch motiviert. Sie sind einem enormen Leistungsdruck ausgesetzt. So werden bis zu 40 Prozent der Erstklässler nicht in die zweite Jahrgangsstufe versetzt. Das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler spiegelt auch den Aufbau der Gesellschaft wider: Unterwürfigkeit und Gehorsam der Schüler gelten den Lehrern als wichtige Eigenschaften. Selbst an den Universitäten war Lernen geprägt von Gehorsamkeit und Befehlswiedergabe (vgl. KRAMER, Rita, Maria Montessori, Leben und Werk einer großen Frau. München: Kindler Verlag 1977, S. 24 - 34).
[57] Im Jahre 1897/1898 besucht Maria Montessori Pädagogik-Vorlesungen und liest Schriften von Jean-Jacques Rousseau, Johann Heinrich Pestalozzi und Friedrich Fröbel. 1898 setzt sie sich in der Nationale Liga für die Erziehung behinderter Kinde aktiv ein. Sie übernimmt 1899 der Leitung eines der beiden Lehrerbildungsanstalten für Frauen und 1900 die Leitung der Modellschule (Scuola Magistrale Ortofrencia) für Lehrerinnen und Lehrer. Dabei gewinnt sie weitere Einblicke in die Geschichte und die Methoden der Pädagogik. Von 1904 bis 1908 hält Maria Montessori Vorlesungen am Pädagogischen Institut für Studenten der naturwissenschaftlichen und der medizinischen Fakultät. „ Die Ärztin, die inzwischen Pädagogin geworden war, war „reif“. Reif dafür ihre Erfahrungen an „normalen“ Kindern auszuprobieren. (vgl. SPEICHERT, Horst, in: HANSEN-SCHABERG, Inge/ SCHONIG, Bruno (Hrsg.), Bd.4, Montessori-Pädagogik, Frech, Stuttgart: 2002, S. 24).
[58] Ihr Sinneswandel soll nach dem Bericht ihrer Freundin Anna Maccheroni folgender Geschichte zu Grunde liegen:
„ (...) es geschah in einem einzigen Augenblick. Sie ging auf der Straße, als sie einer Frau mit einem Baby begegnete, das einen langen, schmalen, roten Papierstreifen in der Hand hielt. ()<Warum?>, mit einer kleinen ausdruckvollen Handbewegung anzudeuten, dass seltsame Dinge in uns geschehen, die uns zu einem Ziel führen, das wir nicht kennen (KRAMER, Rita, Maria Montessori, Leben und Werk einer großen Frau. München: Kindler Verlag 1977, S. 32).
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