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Mehr InfosDiplomarbeit, 2007, 83 Seiten
Diplomarbeit
Philosophisch-Theologische Hochschule Münster (Kirchengeschichte, Katholische Theologie)
1,7
2. Einleitung:
3. Analyse der slowakischen Literatur:
3.1. Jan Rychlík: Ideové základy a myšlení Jozefa Tisa a jejich politický dopad. [Ideelle Grundlagen der Denkweise Jozef Tisos und ihre politische Wirkung]. In: Pokus o politický a osobný profil Jozef Tisu, Bratislava
3.1.1. Totalitäre Züge in Tisos Theorie der Nation und Soziallehre:
3.1.2. Analyse:
3.2. Ivan Kamenec: Tragédia politika, kňaza a človeka [Die Tragödie des Politikers, Priesters und Menschen] (Dr. Jozef Tiso 1887-1947),
3.2.1. Tiso als Problem der heutiger Historienwissenschaft, des Autors Kritik an Tisos Mythologisierung durch Exilautoren:
3.2.2. Die Politik des kleineren Übels, Tisos persönliche und politische Tragödie:
3.2.3. Analyse:
3.3. Letz Róbert: Vývin slovenského národného povedomia u Jozefa Tisu do roku 1918 [Die Entwicklung des slowakischen Nationalbewusstseins bei Jozef Tiso bis 1918]. In: Pokus o politický a osobný profil Jozefa Tisu, Bratislava
3.3.1. Tisos Nationalbewusstsein:
3.3.2. Analyse:
4. Analyse der slowakischen Exilliteratur:
4.1. Franz M. Schneider: Josef Tiso. Katholischer Priester und Staatsoberhaupt der Slowakei, Cleveland – Rom
4.1.1. Tiso als Priester, Politiker und Staatspräsident:
4.1.2. Tisos Prozess als ein Schauprozess mit persönlichen Rachenmotiven Benešs und Daxners:
4.1.3. Analyse:
4.2. Pavol G. Dobiš: Staatspräsident Dr. Jozef Tiso in Oberösterreich, Linz
4.2.1. Tisos Grundsätze der Slowakischen Republik im Kontrast zum Nationalsozialismus:
4.2.2. Die „Lösung der Judenfrage“ als ein gerechter sozialer Ausgleich:
4.2.3. Tisos Gerichtsverfahren als Schauprozess, Tiso als Märtyrer:
4.2.4. Analyse:
4.3. Milan Ďurica: Dr. Jozef Tiso (1887 – 1947), životopisný profil [Biographieprofil], Bratislava
4.3.1. Studium in Wien, Tisos Nation, Sozial- und Staatslehre:
4.3.2. Judenproblematik als Notwendige Übel, das auf gerechte und soziale Weise verlaufen ist:
4.3.3. Analyse:
5. Analyse der deutschen Literatur:
5.1. Jörg K. Hoensch: „Slowakei und Hitlers Ostpolitik“, Köln
5.1.1. Tisos Naturrechtverständnis, Ständestaatslehre, Staatskonzeption:
5.1.2. Charakterzüge bei Tiso:
5.1.3. Judenproblematik:
5.1.4. Analyse:
5.2. Walter Brandmüller: Holocaust in der Slowakei und katholische Kirche, Neustadt an der Aisch
5.2.1. Tiso und die Judenproblematik:
5.2.2. Wie sah man in Rom die Person und die Rolle des Priesters und Staatspräsidenten Tiso:
5.2.3. Analyse:
5.3. Tatjana Tönsmeyer: Das dritte Reich und die Slowakei, Paderborn
5.3.1. Tiso im innerpolitischen Machtkampf:
5.3.2. Tisos Staatslehre, Nationalismus, Ständeordnung, Personalpolitik:
5.3.3. Haltung von Tiso gegenüber den Beratern:
5.3.4. Tiso und die Judenproblematik:
5.3.5. Analyse:
6. Fazit:
6.1. Ergebnis der Analyse kontroverser slowakischer, exilslowakischer und deutscher Literatur über Tiso:
6.2. Die eigene Darstellung Tiso:
7. Bibliographie über Tiso:
8. Literaturverzeichnis:
8.1. Primäre Literatur:
8.2. Sekundäre Literatur:
8.3. Zeitungsartikel:
8.4. Quelle aus dem Internet:
In Deutschland ist heutzutage die Person Jozef Tiso nahezu unbekannt. Wenn man aber bestimmte Medien wie die Prager Zeitung oder Süddeutsche Zeitung verfolgt, findet man, dass über ihn zurzeit häufiger berichtet wird. Diese Medien reagieren nämlich auf die in der Slowakei heute existierende Kontroverse über Jozef Tiso, die zwischen den Historikern ganz brisant ist und die auch zur Polarisierung der slowakischen Gesellschaft geführt hat. Zu dieser Spaltung in der Slowakei haben nicht nur die Exilautoren wie Milan Ďurica mit seinem neusten Buch beigetragen, sondern auch manche Amtsträger der katholischen Kirche, die sich demonstrativ auf die Seite Tiso stellen und damit sich als stark konservativ erweisen. Daneben gibt es die nationalistisch denkenden Kreise, wo Politiker und Rechtsextremisten von Tiso einen Kult machen, der beim Rest der Gesellschaft nur auf totale Ablehnung stoßt. Die Ironie dabei ist, dass die Person Tiso gerade von solchen radikalen Kreisen vergöttert und dabei ausgenutzt wird, gegen die Tiso damals selbst einen innenpolitischen Machtkampf geführt hat.
Nie zuvor wurden so viele Publikationen in der Slowakei über Tiso veröffentlicht als jetzt nach der Wende. Wenn man sich diese Publikationen anschaut, sieht man, dass es sich meistens um zwei verschiedene Ansichten über Tiso handelt. Eine (die Konservativen, Nationalisten und Rechtsextremisten) wollen Tiso gerne als Märtyrer und Heiligen sehen, und die zweiten (Liberalen aber auch Altkommunisten) als einen kalten Diktator und Antisemiten, der mit Hitler kooperiert und aktiv an der Zerstörung der Tschechoslowakei mitgewirkt hat. Zur Verschärfung dieser Kontroverse trägt vor allem der Umstand bei, dass Tiso auch katholische Priester war. Die Anhänger der konservativen Linie der slowakischen Kirche, deren Denkweise im Klerus immer noch heute stark neuscholastisch geprägt ist, stellen sich hartnäckig auf die Seite Tisos. Demgegenüber nutzen dies, die in der Slowakei sich immer mehr ausbreitenden Kritiker aufgeklärter Kreise aus, um die katholische Kirche allgemein noch mehr zu kritisieren und diskreditieren. Erst in diesem Zusammenhang merkt man, dass die Person Jozef Tiso in der Slowakei nicht in die Vergessenheit geraten ist, sondern aktuell als neu aufgegriffenes Thema behandelt wird.
Wenn man also annimmt, dass diese Polarisierung der Gesellschaft schon während des Kommunismus in der Kontroverse zwischen den Exilautoren und marxistischen Autoren ihren Ursprung hat, kann man sich fragen, worin sie besteht? Welche Elemente, welche unterschiedlichen Einblicke bewirken, dass es zu Auseinandersetzungen gekommen ist? Dies kann man nur dann beantworten, wenn man herausfindet, wie die verfeindeten Positionen Tiso sehen und ihn darstellen. Dabei muss man sehr auf ihre Methode achten, die uns viel sagt.
Wie man schon bemerken kann, wird das Ziel dieser Diplomarbeit eine Analyse der kontroversen Werke slowakischer, exilslowakischer und deutscher Literatur sein; eine Analyse dessen, wie die Vertreter verschiedenen Richtungen Tiso sehen und wie sie ihn aus der eigenen Blickrichtung beurteilen. Aus jeder Richtung werden drei verschiedene Autoren ausgewählt. Da es sich um ein breites Zeitspektrum handelt, wird sich diese Analyse nur auf die Periode ab 1960 bis 2006 / 2007 beschränken. In den 70 er Jahren hat nämlich die Linie der Exilautoren schon feste Konturen gewonnen, und kann man sie als eigene, in sich selbst zusammengeschlossene Richtung charakterisieren.
Insgesamt werden in dieser Diplomarbeit neun Werke dargestellt und analysiert. Hierbei gehe ich folgendermaßen vor: Nach der Darstellung dessen, wie die slowakischen Autoren Tiso charakterisieren, mit dem Interessenschwerpunkt bei Kamenec, der als slowakischer Historiker den Gegenpol der scharfen Kontroverse gegenüber Exilautor Ďurica bildet, widme ich mich in dem zweiten Abschnitt der Darstellung Tisos bei den Exilautoren. Dabei werde ich die größte Aufmerksamkeit dem Autor Milan Ďurica schenken, weil er mit seinem neusten Buch einen Wirbel der Diskussionen verursacht hat und weil das Denken dieses Autors uns viel über den Denkstil Tisos verraten kann. Anschließend gehe ich auf die Analyse der deutschen Literatur ein. Sie bildet eine eigene Linie, die die beiden kontroversen Linien berücksichtigt und einen Prozesszusammenhang bildet. Nach der Darstellung dessen, wie jeder Autor Tiso sieht, setzte ich mich mit jedem Autor und seinem Werk im Abschnitt Analyse auseinander. Im Fazit werden alle drei literarische Richtungen vergleichend analysiert.
Da aber in meinem Blickfeld auch die Frage liegt, wie man zum Ausgleich dieser Kontroverse beitragen kann, werde ich diese Analyse auch unter einem spezifischen Blickwinkel zu durchleuchten versuchen: Inwiefern berücksichtigen die Historiker und Autoren bei ihren eigenen Beurteilungen und Stellungnahmen Tisos theologisch-philosophisch neuscholasti-sches Wissen, seine Soziallehre, die er bei seinem Studium in Wien erworben hat und das ihn stark während seiner politischen und priesterlichen Karriere mitgeprägt hat? Eine kritische Auseinandersetzung mit der neuscholastischen Soziallehre der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts, das Hinweisen auf ihre schwachen Stellen, kann nämlich ermöglichen, besser zu verstehen, wieso Tiso in manchen Situationen so gehandelt hat, wie er gehandelt hat und dass er dabei fest von der Richtigkeit seiner Taten überzeugt war. Das kann zur Milderung der allzu scharfen Urteile mancher slowakischen postmarxistischen Historiker führen. Gleichzeitig kann die kritische Auseinandersetzung mit Tisos Sozialehre bei den konservativen katholischen Kreisen in der Slowakei, aber auch bei den Exilhistorikern wie z.B. Ďurica und Vnuk zum Abweichen von der ausschließlich positiven und glorifizierenden Darstellung Tisos führen und zur Anerkennung mancher Fehler in seiner Tätigkeit, die ihn zu seiner persönlich-priesterlichen Tragödie geführt haben.
Von slowakischer Literatur werden hier drei Werke vorgestellt, die durch unterschiedliche Wege, durch eigene Einblicke und Methoden zur Lösung dieser Kontroverse beitragen wollen. Zuerst werden die Arbeiten von den schon im Kommunismus schreibenden Historikern Jan Rychlik und Ivan Kamenec dargestellt. Es handelt sich aber um die Studie, die erst nach der Wende 1989 geschrieben wurden. Anschließend wird hier eine Studie von Róbert Letz vorgestellt, der in heutiger Slowakei zu den Vertreter so genannten neue Generation gehört.
Jan Rychlík wurde 1954 in Prag, in der damaligen Tschechoslowakei geboren. Ab 1974 bis 1979 studierte er Geschichte an der Karlsuniversität. Seine Doktorarbeit hat er über das Thema „Ethnographische Studie der Aberglaube und Volksreligion“ geschrieben und er promovierte im Jahre 1980 erfolgreich. Nach dem Aufenthalt in Bulgarien, wo er an einer anderen Dissertationsarbeit gearbeitet hat, war er Wissenschaftler an verschiedenen Orten in der ČSSR. Seit 1992 wurde er als Dozent an der Karlsuniversität in Prag für moderne tschechische, slowakische und tschechoslowakische Geschichte beschäftigt. 1997 hat er habilitiert und sich für den Bereich tschechischer und slowakischer Geschichte spezialisiert. Im Jahre 2003 wurde er von dem Präsident der Tschechischen Republik zum Professor für das Fach Tschechische Geschichte ernannt. Rychlík hat zahlreiche Publikationen und Monographien über das Thema Tschechen und Slowaken im gemeinsamen Staat, Tschechoslowakische Beziehungen in 20 Jh. veröffentlicht.[1] Nach der Wende im Jahre 1992 haben sich zum ersten Mal die Exilautoren und Exilhistoriker mit den postmarxistischen Historikern aus der Tschechoslowakei getroffen und haben auf einem gemeinsamen Symposium versucht, die kontroverse Fragen über Tiso darzustellen und die beiden getrennten Lager einander näher zu bringen. Jan Rychlík ist dort mit seiner Studie über das Thema „ Ideelle Grundlagen Jozef Tisos Denkweise und ihre politische Wirkung“ aufgetreten. Der Autor ist in dieser Studie bestrebt zu untersuchen, wie die Grundlagen von Tisos Philosophie allmählich entstanden sind und wie ihre praktische Verwirklichung danach aussah. Durch die Untersuchung Tisos neuthomistischer Denkweise, seiner Soziallehre und der Theorie der Nation, die naturgegeben also von Gott gegeben ist, kommt er zur Schlussfolgerung, dass Tisos Stellungnahme zur Nationaleinheit und in analoger Weise auch seine von päpstlichen Enzykliken entsprungene Soziallehre in der Praxis nicht realisierbar waren. Sie führten ohne Rücksicht auf Tisos subjektiven Wunsch, objektiv zur Errichtung einer undemokratischen, totalitären Diktatur übertüncht durch christlichen Anstrich.[2] Diese Studie ist von hoher Bedeutung, weil sie durch philosophische und theologische Analyse Tisos Denkweise, eine Stellung zu Tisos Person zu nehmen versucht.
Der Autor setzt sich mit zwei wichtigen Punkten Tisos politischer Philosophie auseinander: mit der christlich-sozialen Lehre und seiner Theorie über die Nation, die er mit Blick auf den Staat erstellte, weil sie von der Natur als eine von Gott (Neuthomismus) gegeben wurde. Bei der Frage, welche Faktoren Tiso bei seiner Theoriebildung beeinflussen könnten, kommt er zum Ergebnis, dass neben dem Konservativismus, Skepsis gegenüber der Moderne, eine wichtige Rolle dabei sein Studium in Wien gespielt hat. Nicht nur der Geist des Neuthomismus, durch den damals die offizielle Lehre der Kirche durchgedrungen war, sondern auch das politische Klima in Wien, könnten Tiso bei seiner späteren politischen Tätigkeit beeinflusst haben. Rychlík hält nämlich eine mögliche Beeinflussung Tisos von Seiten des damaligen Bürgermeister Karl Luerger, der mit seinen Antisemitismusäußerungen bekannt wurde, für möglich.[3]
Bei der Analyse der Theorie über die Nation kommt Rychlík zum Schlussergebnis, dass Tiso die feste Definition dessen, was eine Nation ist, nie besessen hatte. Er hat sie zweckmäßig verschieden definiert und deshalb sei seine Theorie nie konsistent gewesen.[4] Tiso habe angeblich 10 verschiedene Definitionen der Nation benutzt, je nachdem, wie es die politische Situation erfordert hat. Im Gegensatz zu Westeuropa konnte Tiso nie an einen politischen Begriff der Nation anknüpfen, da die Slowakei nie als eigener Staat existiert hat. Rychlík stellt deshalb bei Tiso eine Lavierung zwischen ethnischem und biologischem Verständnis der Nation fest. Zwischen 1939 – 1945 hat er ein biologisches Verständnis der Nation gehabt, was in der Praxis zur Folge hatte, dass die Juden aus diesem Begriff der Nation ausgegliedert wurden. Sie wurden nicht für Slowaken gehalten, unabhängig davon, ob sie sich selbst für solche hielten oder nicht.[5]
Eine schlimmere Folge für die Praxis hatte Tisos Theorie über die nationale Einheit (alle Differenzen politischer und sozialer Art sollten abgeschafft werden, um ein gemeinsames Nationalinteresse zu verwirklichen). Rychlík hält diese These schon auf der abstrakten Ebene mit der Demokratie für unvereinbar und sie ist zwangsläufig eine Ausgangbasis für ein totalitäres Regime. Die Äußerungen der Exilautoren (Kirschbaum), dass Tiso für eine Demokratie war, nur die politische Zänkerei mochte er nicht und deshalb alle Parteien abgeschafft habe, hält der Autor für falsch und sieht in Tiso Regime mehr ein Art des Ständestaates, der nach dem Muster Österreichs und Portugals gebaut worden ist. Den Kern dieses Problems sieht Rychlík darin, dass, wenn eine Nation schon ein vorbestimmtes Ziel hat, für eine Diskussion keine Zeit mehr übrig bleibt.[6] Damit stellt der Autor bei Tiso den bekannten absoluten Imperativ (ein führendes Prinzip) dar: „der, der nicht den Zielen der Nation zustimmt, stellt sich außerhalb der Nation, ist ein Nicht-Slowake und Nation ist verpflichtet ihn zu isolieren.“[7] Kritisch setzt sich dabei der Autor mit der Theorie Tisos der Souveränität der slowakischen Nation auseinander. Sie behauptet, dass die slowakische Nation ist nach dem Naturrecht einziges bestimmendes Prinzip dessen, wie sie leben soll. Rychlík lehnt diese Theorie ab mit der Begründung, dass sie den Unterschied zwischen einer ethnischen und politischen Nation verdunkelt.[8] Nämlich, wenn das Recht auf Selbstbestimmung der ethnischen Nation gehört hätte, dann könnte sich dieses Recht nicht auf das gesamte slowakische politische Gebiet beziehen (wo auch viele Minderheiten waren) sondern nur auf das Gebiet, das von Slowaken bewohnt wurde.[9]
In dem zweiten Abschnitt will sich der Autor mit Tisos Soziallehre auseinandersetzen. Da der Autor seiner These folgt, nämlich dass die von päpstlichen Enzykliken Rerum Novarum und Quadragesimo anno entsprungene Soziallehre bei Tiso in der Praxis nicht anwendbar ist, weil sie zur totalitären Politik führt, untersucht Rychlík Tisos Soziallehre mehr auf der politisch-staatlichen Ebene. Er setzt sich dabei kritisch mit der Theorie des christlichen Staates auseinander, der eine bestimmte soziale Harmonie gewährleisten sollte und er kommt zum Ergebnis, dass dieses Tiso Bemühen, einen christlichen Staat zu bauen, zur Folge die Beschränkung der allgemeinen Menschenrechte hatte: Nach der Präambel hatte der slowakische Staat die Menschen nach den christlichen Prinzipien zusammengeführt. Deshalb wurden nach dem Autor die Juden und Atheisten außerhalb der Nation gestellt, Frauen mit ihrem Status „ Hausfrau“ wurden diskriminiert u.s.w.[10] Die Idee des christlichen sozialen Staates mit Gewährleistung einer bestimmten sozialen Harmonie steht nach Rychlík im Widerspruch zu christlichen Prinzipien, derer sich Tiso bewusst sein sollte: „Trotzdem hat er Staat- und Nationalinteresse über christliche Moral gestellt und gegen Judendeportation nichts unternommen hat.“[11]
Der Autor geht in seinem Schlussergebnis sogar so weit, dass er die Meinung vertritt, dass auch ohne Druck des Dritten Reiches, ohne seines Schattens, Tisos Regime in der Slowakei wegen der Grundlage seine Theorie über die Existenz einer biologischen Nation und eines christliches Staates zu den charakteristischen totalitären Zügen gekommen wäre.[12]
Jan Rychlík berührt in seiner Studie die wichtigsten Punkte Tisos Staats- und Sozialtheorie und bringt damit deutlich zum Ausdruck, dass der Ursprung dieser Theorien im Neuthomismus und in der katholischen Soziallehre liegen und dass diese Faktoren später in totalitäre Politik einmündeten. Rychlík war in der Zeit der Veröffentlichung seiner Studie der erste, der die Theorie der Nation tief in ihren Wurzeln analysiert hat und diese Wurzeln im Neuthomismus gesehen hat: Die Nation ist von der Natur her eine von Gott gegebene.
Bei der Analyse seines Werkes ist beim Autor eine hohe Kritik des Katholizismus bemerkbar. Dabei muss man berücksichtigen, dass der Autor während des Sozialismus in der ČSSR studiert hat und als Wissenschaftler tätig gewesen ist. Dabei hat er eine Diplomarbeit und Doktorarbeit während des Sozialismus im Bereich der kritischen Auseinandersetzung mit dem religiösen Volksglauben in der ČSSR geschrieben. Ein auch nach der Wende bleibendes Syndrom bei tschechischen Historikern älterer Generation ist das Bild über die slowakische Politik in den Jahren 1938 und 1939. Dieses Syndrom ist von der Kritik des antitschechischen Verhaltens slowakischer Politiker, Kritik der Einmischung des Katholizismus in die Politik während der ersten ČSR (1918 – 1939) und der ersten Slowakischen Republik (1939 – 1945) gekennzeichnet. Ein existierendes Problem der tschechischen Pragzentralismuspolitik und Masaryk Theorie des Tschechoslowakischen Volkes während der ersten ČSR (1918 – 1939) und deren negativen Folgen sehen die tschechische Historiker älterer Generation nicht kritisch an und setzten sich damit nicht auseinander. Zu beachten ist, dass in der Zeit der Veröffentlichung dieser Publikation (1992) die tschechischen Historiker noch nicht so weit waren für eine eigene kritische Auseinandersetzung. Sie hatte nämlich nach der Trennung Tschechien und Slowakei im Jahre 1993 statt gefunden.
Die Analyse Tisos Soziallehre ist beim Autor nicht ausreichend. Rychlík setzt sicht nämlich nur mit einem Aspekt – mit der Theorie des christlichen Staates, dessen Anwendung während Tisos Regime und der starken Einmischung des Katholizismus in der Politik von seiten des Klerus auseinander, was er als einen politischen Katholizismus sieht. Die Realisierung der katholischen Sozialehre sieht er deshalb als einen Aufbau dieser Merkmale und christlicher Prinzipien im slowakischen Staat und dessen Umbau in einen christlichen. Dadurch kann man den Eindruck gewinnen, dass nur diese Prinzipien und Elemente ein Bestandteil der katholischen Sozialehre seien. Eine tiefe Analyse der katholischen Sozialehre, dessen, was Tiso mit den Prinzipien der Solidarität, Subsidiarität, des Gemeinwohls gemeint hat und wie er damit umgegangen ist (die im tiefsten Sinne den Kern damaliger Sozialehre ausgemacht haben), was er aus den Prinzipien übernommen oder umformuliert hat und dass gerade das ihn in den Weg des Totalitarismus geführt hat, fehlt bei Rychlík. Seine These aber, dass Tisos Theorie in der Praxis nicht realisierbar sein kann, weil sie sonst zum Totalitarismus führen wird, ist adäquat und wesenhaft.
Ivan Kamenec gehört zu den Historikern, die während des Sozialismus in der ČSSR aber auch nach der Wende wissenschaftlich tätig waren. Man kann ihn der Gruppe post-marxistischer Historiker zuordnen. Er wurde 1938 geboren. Von 1956 bis 1961 studierte er Geschichte und Kunstgeschichte an der Komensky Universität in Bratislava. Seit 1969 ist er Mitarbeiter des Historischen Instituts der Slowakischen Akademischen Wissenschaft in Bratislava; ab 1965 war er publizistisch tätig im Bereich der neueren slowakischen Geschichte. Seinen Interessebereich bildete Kultur-, Politikgeschichte und die Problematik des slowakischen Nationalbewusstseins. Während der ČSSR hat er mehrere Publikationen veröffentlich z.B. [ Anfänge des marxistischen historischen Denkens (1984), Auf dem gemeinsamen Weg (1988) ]. Nach der Wende ändert Kamenec sein Interesseschwerpunkt. Immer mehr wendete er sich der Judenproblematik und der Auseinandersetzung mit der Existenz des Slowakischen Staates zu. Zu dieser Zeit gehören Publikationen wie z.B. [ Slowakischer Staat (1992) ] , [ Vatikan und Slowakische Republik 1939 – 1945 (1992) ] . Das erste Mal untersuchte er die Problematik des Schicksals der slowakischen Juden in der Publikation Po stopách tragédie [ Auf der Spur der Tragödie ].[13] Diese erste Publikation ist aber auf gewisse Kritik im Ausland gestoßen. Es handelte sich um eine für die Schublade verfasste Arbeit im Sozialismus, die erst nach der Wende erschienen ist, ohne dass der Autor jedoch die internationale Forschung umfassend rezipiert hat.[14] Von der heutigen slowakischen Historienwissenschaft wurde er dahingehend kritisiert, dass er die Problematik des ersten Slowakischen Staates nur auf die Problematik der Judenfrage einengt und unter diesem Blickwinkel alles analysiert und beurteilt habe.[15]
Im Jahre 1998 hat er das Buch Tragédia politika, kňaza a človeka [Tragödie des Politikers, Priesters und Menschen ] veröffentlicht, in der er die kontroverse Gestalt des Präsidenten Jozef Tiso nahe gebracht hat.[16] In dieser Studie kritisiert er die Exil-Autoren, ihre fehlende, unprofessionelle, zweckbedingte historische Methode der Forschung, weil sie damit die Mythologisierung von Tiso verursacht haben. Der Autor konzentriert sich deshalb in seinem Buch mehr auf eine rationale, faktische Beurteilung von Tiso. Durch die rationale Methode versucht er die wichtigsten Konturen Tisos politischer Tätigkeit zu rekonstruieren, daraus Tisos kontroverse, unlogische und schwierig akzeptable Äußerungen zu verstehen und damit zur Entmythologisierung Tisos beizutragen, weil auch aus diesen Äußerungen Tisos die Tragödie des Politikers, Priesters und Menschen entstanden ist.[17] Daneben versucht Autor die Antwort zu geben, worin er die persönliche und politische Tragödie bei Tiso sieht, nämlich auch in der Politik des kleineren Übels.
Obwohl es sich um eine sehr seriöse Arbeit handelt, die sachlich verfasst wurde, fand sie nicht derartigen Absatz wie das kontroverse Buch von Milan Ďurica – Dr. Jozef Tiso.[18] Da er aber zu den wichtigsten post-marxistischen Kritikern der Exilliteratur gehört, vor allem der Werke von Milan Ďurica, František Vnuk, gewinnt dieses Buch noch mehr an der Bedeutung; weil in diesem Buch die unterschiedliche Horizonten und kontroverse Punkte zwischen den Exil-Autoren und den Post-marxistischen Autoren schärfer zu entdecken sind.
Sein Buch ist eine Reaktion auf zweckbedingte Interpretationen historischer Fakten von Seiten der Exil-Autoren und marxistischen Historikern[19]. Ein schulisches Musterbild solcher politisch-zweckbedingten Interpretationen ist für Kamenec Dr. Jozef Tiso: Einerseits wurde er als Kriegsverbrecher angesehen, seine Tätigkeit wird apriori negativ bewertet (von marxistischen Historikern), andererseits halten ihn viele für einen Held seiner Zeiten, Märtyrer oder den Heiligen (von Exil-Autoren). Kamenec kritisiert diese bipolare Bewertung Tisos Persönlichkeit, weil sie das Profil von Tisos Person mehr verdunkelt als erhellt. Sie geht nach Kamenec nämlich nicht aus der Kenntnis der realen Fakten und deren Beurteilung, sondern mehr aus den apriori-ideologischen, politischen, religiösen und emotionalen Haltungen entsprechender Autoren hervor. Da die Jahre 1938 – 39 und die Zeit des zweiten Weltkrieges aber auch ein Kriterium zur Beurteilung Tisos Person geworden sind, konzentriert sich auch der Autor in dieser Studie auf jene Periode. Wie schon oben angedeutet wurde, möchte der Autor in dieser Studie die rationale Beurteilung dieser kontroversen Persönlichkeit in den Vordergrund stellen, weil die Beurteilung sonst zu wenig sachgerecht ausfällt: „Stattdessen herrscht heute mehr das Festhalten an einem vorbestimmten Schema“[20]. Kamenec beschuldigt dafür die Exil-Autoren, die ohne kritische Bewertung, ohne Kenntnisse der historische Fakten und deren Bearbeitung und folgenden kritischen Interpretation, die Lawine der Polemik, der Kontroverse über Tiso in Bewegung gebracht haben.[21] Etwas anderes sieht die junge Generation slowakischer Historiker, die für die Entstehung des Mythos Tiso die kommunistischen Historiker (auch Kamenec) beschuldigen, weil sie die Geschichte nicht „normal“ interpretiert und das so von Exilhistorikern geschaffene Symbol und Bild von Tiso wiederbelebt haben.[22]
Kamenec versucht rational die historischen Fakten zu bewerten und dabei ein psychologisches Profil Tisos Person herzustellen: pragmatisch, kalt-rational, realistisch, emotional- instinktlos.[23] Die ersten Charakterzüge Tisos späterer politischer und öffentlicher Tätigkeit erkennt Kamenec schon in der Jahren 1918 - Tiso konnte zwischen verschiedenen politischen Strömungen und Spannungen lavieren, den direkten Konflikten auszuweichen und er beherrschte das diplomatische Können bei der Kompromisssuche. Sehr kritisch bewertet dabei Kamenec Tisos Bemühen, alles den religiösen Prinzipien unterzuordnen und die Politik des kleineren Übels, die er anwendete, wenn er sich in unlösbaren Situationen befunden hat.[24]
Die Hauptursache Tisos Erfolglosigkeit sieht Kamenec im extremen politischen Klima, dem Tiso bei der Realisierung seiner Vorstellungen verfallen ist. Und darin sollte auch seine persönliche Tragödie liegen. Denn in dem Bereich der Außenpolitik sieht Kamenec die schwächste Stelle Tisos politischer und öffentlicher Tätigkeit: „Tiso war sich selbst mehr Mals bewusst und hat erklärt, dass er sich in der Außenpolitik nicht auskennt und dass sie ihn nie interessiert hat. Das war auch eine Ursache seiner späteren politischen Tragödie.“[25] Obwohl Tiso nach 20 jährigem politischen Kampf im Jahre 1938 diesen Kampf gewonnen hatte, fängt für ihn wohl die höchst kontroverse Zeit in seiner gesamten politischen Tätigkeit an. Tiso wurde an der Spitze der Partei- und Staatsfunktionen vor die Probleme gestellt, mit denen er nie gerechnet hat und die er nicht in der Lage war zu lösen. Darin sieht Kamenec kritisch den Ursprung Tisos Politik des kleineren Übels: die Unwissenheit, wie man diese Probleme lösen soll, hat ihn zu den unerwarteten Beschlüssen oder überraschenden Äußerungen, taktischen Manövrierung oder zur Politik des kleineren Übels hingeführt. Solche Politik führt aber nach Kamenec Meinung zur Politik des größeren Übels, die unabhängig von der guten Absicht des Trägers oder Schöpfers an ihnen hinterlassen haben.[26] Die Anwendung diese Methode im innenpolitischen Machtkampf brachte Tiso Erfolge, aber perspektivisch hat sie ihn zur Kollaboration und zu den Kompromissen geführt. Kamenec erläutert, dass anhand dieser Politik des kleineren Übels sich Tisos widersprüchliche Beschlüsse, Entscheidungen und Taten erklären lassen. Sie führte nämlich zur bestimmten Meinungsschizophrenie hin, die für Tiso charakteristisch war.[27]
Obwohl sich Kamenec äußert, dass man diese Politik des kleineren Übels, mit der Tiso geschickt politisch und verbal manövriert hat, nie beurteilen oder verurteilen darf, warnt er vor ihren Folgen: „Da sie mit unwürdige Kollaboration bei Tiso verbunden war, führt sie in die Sackgasse und ihre Träger geraten früher oder später in die moralischen Krise, die nicht nur das Regime aber auch den Staat gefährdet.“[28] Die jungen Radikalen haben Tisos Passivität und seine Politik des kleineren Übels zum Durchsetzten der eigenen Pläne ausgenutzt und die politische Verantwortung haben sie vollkommen Tiso überlassen. Da sieht Kamenec eine der wichtigsten Stufen Tisos persönlicher Tragödie: „Bewusst oder unbewusst haben die Radikale von Tiso einen zukünftigen Märtyrer erschaffen. Er ist die einzige Persönlichkeit des untergehenden Staates geblieben mit großer Last der politischen und moralischen Verantwortung.“[29]
Die Tragödie dieses Politikers und Priesters, die nach Kamenec durch innere Zwiespalte zwischen seinem priesterlichen Gewissen und politischer Tätigkeit nach außen bestehen mussten, kennzeichneten zwei ernste Momente der inneren Spaltung einer Person, der gleichzeitig Priester und Politiker war: eine sich immer mehr verschlechternde Zuspitzung der Beziehung zwischen dem Vatikan zu Tisos Person, was in Zusammenhang mit der Radikalisierung der Lösung der Judenfrage stetig mehr hervortrat und dass Tiso seine Grenze der Manövrierung und des Opportunismus im Kampf gegenüber den Radikalen überschritten hatte.[30]
Kamenec setzt sich sehr seriös mit den Methoden der Exilliteratur auseinander. Dabei weist er objektiv auf die Fehler und Schwächen der Exilautoren hin und versucht durch seine These zu erläutern, dass die Aufgabe der Historiker nicht das Urteil über Tisos Schuld oder Unschuld sein soll, weil diese Aufgabe der Staatsanwaltschaft gehört: “Dem Historiker soll es mehr um die Bewertung der konkreten Taten und Fakten gehen und so kann er dann die volle Verantwortung Tisos auf der politischen und Moralebene konstatieren.“[31] Dabei deutet Kamenec in dieser Studie zu wenig darauf hin, dass auch die Exilautoren mit historischen Fakten umgehen und sich nicht nur mit der „juristischen Problem“ der Schuld oder Unschuld beschäftigen. Leider bewerten sie die historischen Fakten tendenziös und eklektizistisch. Allgemein stellen Kamenec als post-marxistische Historiker und Ďurica als Exilautor die Gegenpole der Argumentationsweise zwischen Exil- und slowakische Literatur dar. In den Werken wird nämlich die heiße Auseinandersetzung zwischen beiden Linien deutlich und spürbar.
Kritisch anzudeuten ist, wie Kamenec mit der letzte Periode Tisos Lebens – seinem Prozess umgeht und ihn beurteilt. Während die Mehrheit der Historikern 18 Jahre nach der Wende (zu berücksichtigen sei, dass es bei Veröffentlichung des Buches „nur“ 9 Jahre nach der Wende waren) offen zugeben, dass, obwohl dieser Prozess 2 Jahre vor der politischen Machtergreifung von Kommunisten in der ČSR statt gefunden hat, dieser Prozess eindeutig von Kommunisten als ein politischer Prozess arrangiert war(die Exilautoren gehen sogar weiter und sagen, dass die persönliche Rachemotive Benešs und Daxner nicht auszuschließen seien), gibt Kamenec die Schuld für bestimmte Politisierung des Prozesses nicht den Kommunisten, dafür mehr den damals im Exil lebenden Anhängern von Tisos Regierung und den in der ČSR lebenden Sympathisanten Tisos. Sie sollten mit ihren Manifestationen die Beeinflussung des Gerichtsverfahrens, die Provokation des Staates verursachen, was zur Folge das tragische Ende von Tiso hatte.[32]
Die wirkliche Auseinandersetzung mit dem Kommunismus, der kommunistischen Einmischung während des Prozesses fehlt in dieser Studie. Deshalb wird die Kritik von den jungen Historikern immer lauter, dass er sich wie andere Post-marxistische Autoren nicht mit seiner Tätigkeit während des Kommunismus auseinandergesetzt hat.[33]
Obwohl sich Kamenec nicht direkt mit Neuscholastik und Neuthomismus bei Tiso und mit seiner Naturrechtsargumentierung beschäftig, hebt er auf mehrere Charaktermerkmale dieses Denken ab: National-romantische Tendenzen in seinen Reden, Konservativismus und autoritativ-totalitäre Züge seiner Politik, in denen er die religiösen Prinzipien über alles gestellt hat.[34] Bei der Beurteilung der ihm vorliegenden historischen Fakten kommt er zum Schlussergebnis, dass Tisos größter Fehler in seiner politischen These liegt, nämlich, dass Tiso seine politische Aufgabe im Schutz seiner Nation gesehen hat. Einen Fehler sieht Kamenec dabei darin, dass er die physische Existenz einer Nation nur im existierenden Staat gesehen hat. „Diesem Dogma“, so schreibt Kamenec, „hat Tiso alle seine Handlungen unterstellt und moralisch begründet.“[35] Bei der Aufdeckung dieses Merkmals, hat Kamenec letztendlich die neuscholastische politische These von Tiso berührt, in der das führende Prinzip die Nation ist - als ein Imperativ – führendes Prinzip, dem alles unterstellt ist.
In seiner Studie deutet der Autor auf ein spezifisches Problem Tisos Politik - auf die Politik des kleineren Übels und setzt sich damit kritisch auseinander. Obwohl sich der Autor nicht unbedingt mit der Soziallehre Tisos auseinandersetzt, analysiert er die Folgen der Politik des kleineren Übels, die letztendlich ein Bestandteil der Theologie der 30 Jahre war. Ivan Kamenec weist auf die Gefahren solche Argumentationsweisen hin, die negative Folgen haben kann und kommt zur wichtigen These, dass die Ursache Tisos persönliche und politische Tragödie auch in der Politik des kleineren Übels zu sehen ist. Da diese Argumentationsweise auch in der heutigen Theologie angewendet wird, ist es wichtig durch solche Publikationen wie von Kamenec auf die Grenze dieser Argumentationsweise in der heutigen Moraltheologie hinzuweisen.
Zwar wurde oben angedeutet, dass Kamenec von der jüngeren Generation kritisiert wird, dass er sich als post-marxistische Historiker nicht kritisch mit seiner Tätigkeit während des Kommunismus auseinandergesetzt hat und dennoch leistet er einen Beitrag, in dem er auf die Gefahren solchen Argumentationsweisen wie der Politik des kleineren Übels hindeutet. So wie es Kamenec gelungen ist, durch rationale Analyse der historischen Taten und Fakten zu dem Ergebnis zu kommen, dass Tiso durch seine Lehre und moralethisches Handeln in eine gewisse persönliche und politische Tragödie geraten ist, kann man zum gleichen Ergebnis auch durch kritische Auseinandersetzung mit Tisos Sozial-, Staatslehre aus theologischer Perspektive kommen.[36] Eine weitere kritische Auseinandersetzung mit Tisos Theologie ist aber immer noch notwendig, weil sie einen hohen Beitrag zur Lösung der in der Slowakei bestehenden Tiso-Kontroverse leisten kann.
Róbert Letz ist 1967 in Bratislava / Slowakei geboren. Im Jahre 1991 hat er an der philosophischen Fakultät in Bratislava Philosophie und Geschichte erfolgreich abgeschlossen. In den Jahren 1991 – 1992 arbeitete er am Institut der slowakischen akademischen Wissenschaft. Seit 1992 arbeitete er an der pädagogischen Fakultät der Komensky Universität in Bratislava. 1994 hat er in slowakische Geschichte promoviert. 1997 habilitierte er sich an Universität in Trnava. Heute ist er Professor an der pädagogischen Fakultät in Bratislava und Autor vieler Monographien, wissenschaftlicher Studien und Artikel. Seinen Schwerpunkt bildet die slowakischen Geschichte des 20. Jh. Dabei konzentriert er sich in seiner Forschung auf die politische Geschichte, Kirchengeschichte und die Nationalproblematik des slowakischen Volkes.[37]
Letz gehört in der Slowakei zu den Historikern der jüngeren Generation. Mit seinen Thesen distanziert er sich von den post-marxistischen Historikern; denen wirft er vor, während des Kommunismus sich nicht konsequent verhalten zu haben und dass sie unter Pseudonymen im Ausland publizieren haben. Gegenüber dem kontroversen Exilautor Milan Ďurica äußert er sich reserviert, aber seine kontroverse Meinung zu einer Seligsprechung Tisos sieht Letz als eine legitime Meinung, die kein Hindernis im Dialog zwischen beiden kontroversen Lagern der Historiker sein soll.[38] Mit seiner Kritik der post-marxistischen Autoren, mit seinem nicht ablehnenden Verständnis gegenüber der Exilliteratur gehört er heute zu anerkannten Historikern.
In seinen Studie „Vývin slovenského národného povedomia u Jozefa Tisu do roku 1918 [ Die Entwicklung des slowakischen Nationalbewusstseins bei Jozef Tiso bis 1918 ] beschäftigt sich Letz mit der Entwicklung des Nationalbewusstseins bis Tiso zum Jahr 1918. Obwohl sich Letz bewusst ist, dass das Jahr 1918 ein wichtiger Markstein in Tisos Biographie ist, behauptet er, dass das, wie sich Tiso nach dem Jahr 1918 verhalten hat, man nicht von seinem vorherigen Leben trennen kann: „Es handelt sich immer um dieselbe Person, die in seiner nationalen Ontogenese auch nach 1918 fortgefahren ist, aber in anderer Art und Weise als vor dem Jahr 1918.“[39] Gleichzeitig reagiert Letz in dieser Studie auf die Beschuldigungen der marxistischen Historiographie, die Tiso schon vor dem Jahr 1918 als einen überzeugten Ungarn (Magyar) gesehen hat und sein slowakisches Nationalbewusstsein ablehnt. Deshalb stellt Letz in dieser Studie schrittweise die Entwicklung des Nationalbewusstseins bei Tiso schon vor 1918 dar und beweist damit, dass das bei ihm feste Wurzeln hatte.
Damit sich Letz überhaupt mit Tisos Nationalbewusstsein beschäftigen kann, versucht er zu definieren, was man unter Nationalbewusstsein versteht. Letz sieht es als eine persönliche Überzeugung jedes Individuums an, das auf Grund eigener Erwägung und unter dem Einfluss verschiedener äußerer Faktoren zu der Erkenntnis gelangt, dass es ein Bestandteil eines höheren Ganzen – Nation - sei, das ihm persönlich nahe ist.[40] Mit dem Nationalbewusstsein entsteht eine neue Motivation für das Individuum, das durch ihn und seine Familie zu einer nationalen Einheit führt, mit dem Ziel, seine soziale, kulturelle und politische Situation zu verbessern. Nach Letz geht es also bei dem Nationalbewusstsein um eine personale, innere Einstellung des Mitglieds einer Nationalgesellschaft. Nach dieser Einstellung kann man die Taten identifizieren und nach den Taten kann man diese innere Stellung identifizieren.[41] Eine religiös-christliche Basis soll dabei helfen, dass das Nationalbewusstsein nicht in den Nationalismus der Übergeordneten einmündet. Unter solchem Blickwinkel und Verständnis des Nationalbewusstseins sieht Letz auch Tisos Nationalbewusstsein bis zum Jahre 1918 und versucht ihn so in seiner Studie darzustellen.
Allgemein stellt Letz fest, dass die Umgebung der Familie und das gesellschaftliche Milieu in seinem Dorf positiv auf Tisos slowakisches Fundament gewirkt haben, in dem alle kulturellen Werte – Sprache, Religion und Tradition - beinhaltet waren und die Voraussetzung für ein Nationalbewusstsein gebildet haben.
Die Zeit, während der Tiso am Gymnasium war, dient für manche Tiso Kritiker als Beweis, dass Tiso aus pragmatischen und opportunistischen Gründen ein Magyar war. Da die Zeit am Gymnasium durch starke Magyarisierungstendenzen an den Schülern gekennzeichnet wurde, war der Druck ungarischer Lehrer in der Schule äußerst spürbar. Deshalb solle sich nach manchen marxistischen Kritikern Tiso in dieser Zeit loyal gegenüber dem Magyarisierungsgeist im Gymnasium verhalten haben und erst nach 1918 sich zum tschechoslowakischen Staat bekannt haben.[42] Letz stellt sich ablehnend gegenüber solchen Behauptungen und antwortet auf dieses Problem mit einer offenen Frage: „Wie konnten sich 12 - bis 16 - jährige Kinder diesem Druck gegenüberstellen?“[43] Im Gegenteil, als Ausdruck des nationalen Gefühles sieht Letz Tisos Freundschaft mit dem überzeugten Slowaken Jozef Randík. Ihre gemeinsamen Ausflüge, das Singen slowakischer Lieder versteht Letz als eine elementare Antireaktion auf die magyarische Umgebung des Gymnasiums in Žilina.[44]
Ein anderes Zeichen seines nationalen Gefühls sieht Letz in Tisos Bemühen, die Lücken in der slowakischen Sprache, die nach dem Lernen am ungarischen Gymnasium entstanden worden sind, privat durch intensives Erlernen der slowakischen Sprache während seines Theologiestudiums in Wien zu beheben. Daneben hat Tiso an der Wiener Universität als Muttersprache die slowakische Sprache angegeben.[45]
In schwierigen Zeiten der Magyarisierung geht Tisos Nationalbewusstsein mehr in die Richtung der tieferen persönlichen Überzeugung, weil Tiso damals nicht für notwendig gehalten hat, sein Nationalbewusstsein nach außen zu zeigen. Das sieht Letz nicht kritisch an, sondern als Zeichen der Klugheit, was seinen Kopf vor der Entlassung aus dem Wiener Seminar gerettet hat.[46]
Tisos soziales Denken sieht Letz als einen Bestandteil seines Nationalbewusstseins. Das in Wien durch Seipel und Schindler erworbene soziale Wissen sollte sich später in der Praxis durch die Liebe zu seinem Volk und in der Gründung verschiedener sozialer Vereine zeigen. Als Kaplan auf dem slowakischen Land widmete er sich dem einfachen slowakischen Volk. Deshalb waren auch seine Aktivitäten im slowakischen Geist und in slowakischer Sprache gehalten. Seine nationale Empfindung äußerte sich in der Gründung sozialer Vereine.[47] Der Aufenthalt an der Front, das Kennenlernen der Situation anderer Völker und das Erleben ihres nationalen Bewusstseins (Polen oder Slowenien) haben Tiso zum stärkeren Engagement für die Wahrnehmung der slowakischen Nation motiviert.[48]
Obwohl Tiso später zum Spiritual im Priesterseminar in Nitra ernannt wurde, hat auch dieses Amt ihm nicht erlaubt, im magyarischen Klima hier seine Meinungen offen zu äußern. Deshalb war nach Letz Tisos Nationalbewusstsein in dieser Zeit mehr indirekt präsent und wurde mehr durch seine religiösen, sozialen und kulturellen Aktivitäten ausgedrückt. Trotz dieser Situation ist es Tiso gelungen, zu den slowakischen Seminaristen ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.[49]
Eine stärkere Wahrnehmung des Nationalbewusstseins ist bei Tiso im Jahre 1918 zu merken. Während der Bildung der tschecho-slowakischen Legionen im Ausland, während der Besetzung der neue entstandenen Tschecho-slowakei durch diese Armee, bekennt sich Tiso offen zur slowakischen Nationalität, gründet eine slowakische Zeitung in Nitra, spricht in der Öffentlichkeit über die slowakische Nation und gründet den regionalen Slowakischen Nationalrat.[50] Nach der Gründung der Tschecho-slowakei im Jahre 1918 riss er alle Verbindungen mit ungarischen Vereinen ab und fing an, sich ganz in der Slowakischen Volkspartei zu engagieren.[51]
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[1] Online im Internet: http://www.msu.cas.cz/org.html
[2] Rychlík J.: Ideové základy a myšlení Jozefa Tisa a jejich politický dopad. [Ideelle Grundlagen Jozef Tisos Denkweise und ihre politische Wirkung]. In: Pokus o politický a osobný profil Jozef Tisu, Bratislava 1992. S. 367.
[3] Rychlík J.: Ideové základy a myšlení Jozefa Tisa a jejich politický dopad. [Ideelle Grundlagen Jozef Tisos Denkweise und ihre politische Wirkung]. In: Pokus o politický a osobný profil Jozef Tisu, Bratislava 1992. S. 263 - 264.
[4] Vgl. Ebd. S. 265 - 266.
[5] Vgl. Ebd. S. 266.
[6] Vgl. Ebd. S. 267.
[7] Ebd. S. 267.
[8] Vgl. Ebd. S. 268.
[9] Vgl. Ebd. S. 268.
[10] Vgl. Ebd. S. 271.
[11] Ebd. S. 273.
[12] Vgl. Ebd. S. 273.
[13] Vgl. Augustín Matejovčík, Peter Maťovčík: Slovník slovenských spisovateľov 20. storočia [Wörterbuch der slowakischen Schriftsteller], Vydavateľstvo spolku slovenských spisovateľov 2001, S. 215.
[14] Vgl. Tönsmeyer T.: Das dritte Reich und die Slowakei 1939 – 1945, Politische Alltag zwischen Kooperation und Eigensinn, Paderborn 2003, S. 17. Fußnote 14.
[15] Vgl. Vagovič M., Kamenec: Tiso war nicht dumm, in: Sme Zeitung, 07.03.2007.
[16] Vgl. Augustín Matejovčík, Peter Maťovčík: Slovník slovenských spisovateľov 20. storočia [Wörterbuch der slowakischen Schriftsteller], Vydavateľstvo spolku slovenských spisovateľov 2001, S. 215.
[17] Vgl. Kamenec I.: Tragédia politika, kňaza a človeka [Tragödie des Politikers, Priesters und Menschen], Bratislava 1998, S. 15.
[18] Müller, U.: Umstrittenes Buch über Jozef Tiso, in: Prager Zeitung, 18.1.2007, S. 11.
[19] Obwohl der Autor selbst im Sozialismus als Historiker tätig war, hält sich nicht für einen marxistischen oder post-marxistischen Historiker. Die Slowakischen Öffentlichkeit und die Generation der jungen Historiker halten aber Kamenec für einen Vertreter der post-marxistischen Historiker.
[20] Ebd. S. 12.
[21] Vgl. Kamenec I.: Tragédia politika, kňaza a človeka [Tragödie des Politikers, Priesters und Menschen], Bratislava 1998, S. 9 - 16.
[22] Vgl. Vagovič M., Letz: Prečo nekomunikujú [Wieso kommunizieren sie nicht?], in: Sme Zeitung, 07.03.2007.
[23] Vgl. Kamenec I.: Tragédia politika, kňaza a človeka [Tragödie des Politikers, Priesters und Menschen], Bratislava 1998, S. 106.
[24] Vgl. Kamenec I.: Tragédia politika, kňaza a človeka [Tragödie des Politikers, Priesters und Menschen], Bratislava 1998, S. 26.
[25] Ebd. S. 50. f. 51. So z.B. erwähnt Kamenec ein Beispiel Tiso Unerfahrenheit: „Tiso hat sich naiv an Ribbentrop gewidmet, um die Unterstützung in der slowakisch – ungarischen Konflikt zu bekommen. Ribbentrop hat zugestimmt und der deutschen Diplomatie war plötzlich klar, dass man die ČSR auch von ihnen zerrissen kann. Tiso hat dieses Spiel wahrscheinlich übersehen und unterschätzt, was ihn gegenüber deutschen Politik mehr Mals passiert ist.“ Ebd. S. 64.
[26] Vgl. Kamenec I.: Tragédia politika, kňaza a človeka [Tragödie des Politikers, Priesters und Menschen], Bratislava 1998, S. 60.
[27] Vgl. Ebd. S. 26. So z.B. hat Tiso während des Nationalaufstand im Jahre 1944 durch diese Ereignisse seine These aus dreißigen Jahren - Nation ist mehr als Staat auf dem Kopf gestellt und sie durch die These ersetzt,dass der Staat mehr als eine Nation ist. Das liefert Kamenec einen Beweiß dafür, dass Tiso in der Kriegsendezeit seine Stärke langsam verloren hat – die reale Abschätzung der Situation und seinen Pragmatismus. Vgl. Ebd. S. 109.
[28] Ebd. S. 84.
[29] Ebd. S. 119. So z.B. musste Tiso einerseits die Loyalität gegenüber Deutschland äußern, andererseits bei Okkupanten intervenieren, damit die slowakische Bevölkerung nicht nach Deutschland abgeschleppt wurde. Da sieht Kamenec bei Tiso eine Sisyphusarbeit. Vgl. Ebd. S. 120.
[30] Vgl. Ebd. S. 80.
[31] Ebd. S. 146.
[32] Vgl. Bed. S. 130 – 144.
[33] Vgl. Vagovič M., Kamenec: Tiso war nicht dumm, in: Sme Zeitung, 07.03.2007.
[34] Vgl. Ebd. S. 37, 42 – 43, 54 – 55.
[35] Ebd. S. 148.
[36] Siehe Kapitel Ergebnisse in Diplomarbeit.
[37] Online im Internet: http://www.ku.sk
[38] Vgl. Vagovič M., Letz: Prečo nekomunikujú [Wieso kommunizieren sie nicht?], in: Sme Zeitung, 07.03.2007.
[39] Letz Róbert: Vývin slovenského národného povedomia u Jozefa Tisu do roku 1918 [Die Entwicklung des slowakischen Nationalbewusstseins bei Jozef Tiso bis 1918], In: Pokus o politický a osobný profil Jozefa Tisu, Bratislava 1992, S. 45.
[40] Vgl. Letz Róbert: Vývin slovenského národného povedomia u Jozefa Tisu do roku 1918 [Die Entwicklung des slowakischen Nationalbewusstseins bei Jozef Tiso bis 1918], In: Pokus o politický a osobný profil Jozefa Tisu, Bratislava 1992, S. 44.
[41] Vgl. Ebd. S. 44.
[42] Vgl. Kamenec I.: Tragédia politika, kňaza a človeka [Die Tragödie des Politikers, Priesters und Menschen], Bratislava 1998, S. 18-19. Der Autor schreibt hier über die Tendenz mancher marxistischen Historiker aus propagandistischen Gründen Tiso als einen Magyaren in dieser Zeit darzustellen. Selbst Kamenec schreibt in seinem Buch, dass nach 1918, aber mehr nach 1945 aus propagandistischen Gründen die Änderung Tisos Name auf ungarisch „Tiszo“ als Beweiß der Beurteilung für seine magyarische Orientierung benutzt wurde.
[43] Letz Róbert: Vývin slovenského národného povedomia u Jozefa Tisu do roku 1918 [Die Entwicklung des slowakischen Nationalbewusstseins bei Jozef Tiso bis 1918], In: Pokus o politický a osobný profil Jozefa Tisu, Bratislava 1992, S. 47.
[44] Vgl. Ebd. S. 47.
[45] Vgl. Ebd. S. 47 – 48.
[46] Vgl. Ebd. S. 50. In dieser Zeit hat Tiso nämlich eine Postkarte nach Nitra in das Seminar geschickt, mit der Äußerung der Sorge über das feindliche Klima im Seminar in Nitra. Das hat von der Seite des Regens in Nitra eine Gegenreaktion ausgelöst und Tiso hat eine Ausschließung aus dem Seminar gedroht.
[47] Vgl. Ebd. S. 51.
[48] Vgl. Ebd. S. 53.
[49] Vgl. Ebd. S. 54 – 55.
[50] Vgl. Ebd. S. 57.
[51] Vgl. Ebd. S. 58.
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