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Mehr InfosDiplomarbeit, 2001, 68 Seiten
Diplomarbeit
2,0
0. Einleitung
1. Reisen und Erleben
1.1. Die Philosophie des Erlebens
1.1.1. Die Skizze des Philosophen Georg Simmel
1.1.2. „Erlebnis und Wirklichkeit“ nach Harald Schöndorf
1.2. Die Erlebnisgesellschaft (Soziologie des Erlebens)
1.3. Die Psychologie des Erlebens
1.3.1. „Risiko, um Sicherheit zu gewinnen“ nach Felix von Cube
1.3.2. Das flow-Erlebnis nach Csikszentmihalyi
1.3.3. „Meditatives Laufen“ nach Schleske
1.3.4. „Entdecken verschollener Möglichkeiten“ nach Ulrich Aufmuth
2.Interkulturelles Lernen
2.1. Einleitung
2.2. Die Entwicklungsgeschichte
2.3. Beschreibung
2.3.1. Der enge Kulturbegriff
2.3.2. Der erweiterte Kulturbegriff
2.3.3. Enkulturation
2.3.4. Interkultur
2.3.5. Lernen
2.3.6. Ethnozentrismus
3. Interkulturelle Begegnungen
3.1. Die Lernschritte interkultureller Begegnungen 26
3.1.1. Normalisierung
3.1.2. Entmythologisierung
3.1.3. Individualisierung
3.2. Probleme in der interkulturellen Begegnung
3.2.1. „Störfall“ Kommunikation
3.2.1.1. Die vier Seiten einer Nachricht
3.2.1.2. Sprachgebrauch
3.2.1.3. Fremdsprache
3.2.1.4. Körpersprache
3.2.1.5. Soziale Beziehungen
3.2.1.6. Zusammenfassung: Verständigung und Verstehen
3.2.2. Interaktionsfall/en
3.2.2.1. Selektive Wahrnehmung
3.2.2.2. Stereotypen und Vorurteile
3.2.2.2.1. Stereotypen
3.2.2.2.2. Vorurteile
3.2.2.2.3. Entstehung der Stereotypen/Vorurteile
3.2.2.2.4. Funktionen der Vorurteile
3.2.2.3. Weitere Wahrnehmungsverzerrungen
3.2.2.4. Angst
3.2.2.4.1. Das neurophysiologische Modell
3.2.2.4.2. Das kognitive Modell
3.2.2.4.3. Psychoanalytische Emotionstheorien
3.2.2.4.4. Angstabwehrmechanismen
3.2.3. Der Prozess interkultureller Missverständnisse nach Arnold
4. Interkulturelle Kompetenz
5. Fazit
6. Literaturangaben
Im Rahmen meines Studiums der Sozialarbeit/Sozialpädagogik wollte ich mein 1. Praxissemester in Russland ableisten. Aufgrund von Visumproblemen wurde nichts aus diesem Auslandspraktikum und in den folgenden Recherchen für das 2. Praktikum stieß ich durch Umwege auf Nepal und arbeitete dort auf der Leprastation „Shanti Sewa Griha“. Ich fragte mich bei den Vorbereitungen oft, wie es wohl in der Fremde sein würde, wie man dort lebt, was da passiert. Russland war mir z. T. bekannt - ich interessierte mich seit längerem für die Sprache, das Land, die Kultur. Die asiatische Kultur dagegen war mir unbekannt, das Land Nepal fast mystisch. Trotz intensiver Vorbereitungen stieß ich in Nepal bis an die Grenzen meiner Selbst. Oft stellte ich mich vollkommen in Frage, durchlebte Unmengen an Neuem, jedoch auch Unmengen an Missverständnissen und Krisen. Aufgrund meiner dortigen Tätigkeit arbeitete und lebte ich außerdem für einen Monat in Bangladesch - die Erfahrungen, das Erlebte war kaum mehr zu fassen. Ich lebte mit den verschiedensten Religionen (Hinduismus, Buddhismus, Islam, Christentum) und lernte verschiedenste Menschen bzw. Völker kennen.
Trotz aller Probleme und Entbehrungen war dieser Auslandsaufenthalt sehr produktiv für mich. Ich hatte Zeit, über mein Leben nachzudenken, mich sozusagen „von außen“ zu sehen. Viele Ereignisse zwangen mich, meine eigene Kultur zu hinterfragen und neue Wege zu finden.
Auf meiner Landreise von Nepal nach Bangladesch traf ich viele Rucksacktouristen aus allen Teilen der Welt. Sie hatten die verschiedensten Wege und Ziele. Warum ziehen eigentlich so viele Menschen durch die Welt?
Diese Reise ließ einen Teil meiner Fragen offen. Ich möchte sie im Folgenden benennen und in meiner Diplomarbeit versuchen, sie zu beantworten.
- Warum ziehen Menschen in die Ferne?
- Was ist der Reiz des Erlebens?
- Was geschieht, wenn sich Menschen verschiedener Kulturen begegnen?
- Wie entstehen die Missverständnisse im Miteinander der Menschen verschiedener kultureller Herkunft?
- Wie kann ich der Entstehung der Missverständnisse entgegenwirken?
- Kann ich aus meiner Kultur „ausbrechen“ oder ist ein Teil davon untrennbar mit meiner Persönlichkeit verbunden?
Die Entstehung von Missverständnissen in der interkulturellen Begegnung soll der zentrale Punkt meiner Arbeit sein.
In vielen Situationen war ich mir nicht sicher, ob ich meinen Gegenüber verstanden habe oder er mich. Nicht nur die andere Sprache, sondern auch ihre Lautstärke, Mimik, Gestik führten zu manch unangenehmen Ereignissen. Dabei waren Situationen beiderseitig von Unsicherheit geprägt.
Und genau dort möchte ich nachfragen.
Im ersten Kapitel betrachte ich das Erleben aus verschiedenen geisteswissenschaftlichen Seiten. Dabei habe ich bewusst die Pädagogik des Erlebens ausgelassen. Über das Thema Erlebnispädagogik sind eine Unmenge an Büchern veröffentlicht wurden. Zur Thematik empfehle ich: Bernd Heckmair/Werner Michl - Erleben und Lernen. Einstieg in die Erlebnispädagogik (3., überarbeitete Auflage, Luchterhand 1998).
Erleben ist ein besonderes Ereignis, welches nicht alltäglich ist. Genau dieser Reiz des Nichtalltäglichen lässt uns Abenteuer - egal welcher Art - suchen. Dabei ist die Qualität der Erlebnisse entscheidend - nicht die Quantität. Die Suche nach dem überschaubaren Erleben stellt den Gegensatz zu unserer komplexen, nicht überschaubaren Welt dar. Reisen in die Ferne lassen uns außerdem aus unserem gewohnten Leben ausbrechen und vollkommen neue Sichtweisen über das Leben erfahren.
Wenn die Suche jedoch zur Sucht geworden ist, dann ist „wahres“ Erleben und Leben nicht mehr möglich.
Im zweiten Kapitel behandele ich das interkulturelle Lernen - die Basis interkultureller Begegnungen. Bei interkulturellen Begegnungen entstehen die verschiedensten Situationen, die erst durch interkulturelles Lernen bewusst gemacht werden können, um in diesen Situationen zu bestehen und handlungsfähig zu sein.
Durch Enkulturation ist jeder Mensch mit seiner Kultur (bzw. Subkultur) verbunden. Kultur ist also immer Teil einer Person. Die kultureigene Sozialisation lässt uns nicht „über den Schatten springen“, d. h., dass wir auch Neues, Fremdkulturelles immer nur aus den Augen der eigenen Kultur sehen. Erst durch ein erlerntes Verständnis ist es möglich, mit der Relativität der eigenen Kultur umgehen zu können.
„Interkulturelles Lernen hat die Aufgabe, eine Grundlage für interkulturelle Begegnungen zu schaffen: interkulturelles Verstehen.“ (Losche 1995; S. 40)
Ausgehend von einer knappen Darstellung der Lernschritte einer interkulturellen Begegnung befindet sich in Kapitel drei der Hauptteil meiner Arbeit: die Ursachen und die Entstehung der Missverständnisse interkultureller Begegnungen.
Missverständnisse gehören zum Alltag dazu. Somit ist es nicht verwunderlich, dass beim Zusammentreffen verschiedener Kulturen die Chance für Missverständnisse extrem größer ist. Sie entstehen oft so, dass die Interaktionspartner sie nicht bemerken. Differente Enkulturation, verschiedene Sozialisation und oft vollkommen unterschiedliche Wahrnehmung lassen ein Verstehen nicht einfach zu. Es reicht nicht, nur von anderen Kulturen zu lernen. Am wichtigsten ist die Selbstreflexion der eigenen Kultur, um somit die Relativität der Kultur zu verstehen und damit den Missverständnissen erfolgreich zu begegnen.
Dies erfordert ein professionelles Handeln, dass in Kapitel vier angerissen wird. Um interkulturell sozial kompetent zu sein, kann man Fähig- und Fertigkeiten nur erlangen, wenn alle störenden Faktoren durch aktives Training vor dem eigenen kulturellen Hintergrund bewusst gemacht werden und dadurch erst interkulturelles Verstehen ermöglicht wird.
Schon seit langem gehört das Erlebnis, das Abenteuer zum Leben dazu. Seit Zeiten gedenken ziehen die Menschen hinaus ins Unbekannte, um Neues zu erleben, oft, um irgendwo ein besseres Leben aufzubauen. Märchen; Sagen, Geschichten erzählen von großen Abenteuern.
Und zieht nicht auch heute noch eine große Masse von Rucksacktouristen, Aussteigern, Reisenden durch die Welt, um eben Abenteuer zu erleben, fremden Kulturen zu begegnen, Neues über andere und - ganz wichtig - über sich selbst zu lernen, Verlorenes oder verloren Geglaubtes zu suchen bzw. zu finden? Ist das Abenteuer nicht auch ein Ausbrechen aus dem Alltag, was in früheren Zeiten oft nur in der Phantasie möglich war? Was ist es, das Abenteuer, das Erleben?
Der Philosoph Georg Simmel sieht das Abenteuer als ein Ereignis an, welches „aus dem Zusammenhang herausfällt“ (Simmel 1923; zit. in: Thiersch 1995; S. 40) Es ist begrenzt durch Anfang und Ende und ähnelt in seiner Ganzheit Kunstwerken oder Traumerlebnissen. Weiterhin besitzt das Abenteuer einen inneren Widerspruch: einerseits habe ich die Möglichkeit, etwas ganz anderes zu erfahren; gleichzeitig jedoch werde ich dabei meine Sicherheit preisgeben müssen. Neue Brücken werden gebaut; alte müssen abgebrochen werden. Wenn man sich auf ein Abenteuer einlässt, begibt man sich in etwas Ungefähres, Ungenaues. Man bewegt sich innerhalb einer bestimmten Gefahr, liefert sich dem Unbekannten aus und erfährt jedoch den „Grund“ des Lebens. Ernüchternd ist vor allem auch Simmels weitere Feststellung, dass Abenteuer nicht durch die Struktur von Ereignissen einfach gleichsam objektiv gegeben, sondern eine Form des Erlebens ist. Abenteuer ist bestimmt durch die Art, wie Ereignisse erfahren werden ...“ (Ebd. S. 41) Also erfährt jeder etwas anderes - was für den einen Abenteuer sind, kann für andere alltäglich sein. Das Abenteuer ist eine Komponente im Leben, wo genau dieses tiefgründig erfahren werden kann.
(vgl. Simmel 1923 in: Thiersch 1995)
„Unter Erleben verstehen wir zunächst einmal die Gesamtheit all dessen, was in unserem menschlichen Bewusstsein vor sich geht.“ (Schöndorf 1995; S. 23) Also ist Erleben zu allererst auch ein Teil des menschlichen Seins. Schöndorf beschreibt dies als das Erleben im weiteren Sinne. Das Erleben im engeren Sinne betrifft das „Nichtalltägliche“, das „Besondere“ - also Erfahrungen, die besonders intensiv und eindrücklicher wahrgenommen werden als die meisten anderen. Wenn wir also von Erlebnissen sprechen, meinen wir als Auswahl nur diesen besonderen Teil. Sie sind „...nichts anderes als eine Erfahrung, als ein Bewusstseinszustand, in dem die verschiedenen Elemente, die zu unserem Bewusstseinsleben gehören, in einer außergewöhnlichen Intensität vorhanden sind.“ (Ebd. S. 26)
Schöndorf sieht es als wichtig an, das Subjekt in das Verständnis des Erlebens mit einzubeziehen, weil das Erlebnis von Subjekt zu Subjekt (ähnlich wie bei Simmel) unterschiedlich wahrgenommen wird. Das Subjekt ist die Komponente des Innenlebens, welches sich mit dem äußeren Erlebnis (der Außenwelt) verbindet. Das Subjekt selbst jedoch muss auch die Fähigkeit zum Erleben besitzen und dies ist nur möglich, wenn es aufgeschlossen für Neues ist, z. T. auch in vielen bekannten Sachen das Neue (wieder) entdecken kann. Wir „...haben unsere Raster und Schubladen, unsere Verdrängungen und Etikettierungen, die oft ein Erleben im intensiven Sinn des Wortes nicht zulassen. Je höher wir unsere Reizschwelle in der Wahrnehmung wie im Gefühlsleben anheben, um so weniger werden wir Erlebnisse haben, um so mehr werden wir nur noch von übermäßiger Quantität statt von Qualität beeindruckt.“ (Ebd. S. 31)
Und genau das, denke ich, ist einer der wichtigsten Gründe, warum Menschen in der Ferne nach etwas anderem suchen, nach einer Form des Erlebens, die in unserer multimedialen Welt kaum mehr möglich ist. Denn unsere Welt ist in vielen Dingen nicht mehr überschaubar. Wir werden täglich mit einer Fülle von Informationen versorgt, deren Ursprung uns kaum mehr bewusst ist. Wir bewegen uns in einem „großen Erlebnispark“, ohne dabei Sachen zu hinterfragen. Eine Menge an Dingen erledigen wir im Akkord, ohne darüber nachzudenken. Die Überschaubarkeit und Einfachheit der Gesellschaft ist ein großer Reiz fremder Kulturen. Es ist die Suche nach Dingen, die uns verloren erscheinen.
Jedoch ist dabei zu bedenken, dass man vergeblich etwas suchen kann, wenn man nicht offen genug ist bzw. wenn man es nicht gelernt hat. Diese Gruppe, die nur als „Konsumenten der Quantität“ in die Ferne streift, wird am „wahren“ Erleben vorbeigleiten. Nach anfänglicher Euphorie des Reisens kommt oft die Ernüchterung.
Ich denke, dass gerade durch das Reisen in die Ferne, durch das Abbrechen der vorhandenen Brücken das „echte“ Erleben erlernbar, die Wahrnehmung auf das Besondere wieder möglich ist. Man begibt sich in die Fremde, lässt sich auf Neues ein und lässt sich auch neu auf den Zustand des Erlebens ein. Dadurch kann man lernen, das Besondere im Bekannten der eigenen Kultur wieder zu entdecken.
Schöndorf sieht als „falsches“ Erleben an, wenn „...die bloße Qualität des Stimulierenden, des Außergewöhnlichen, der Bewusstseinserweiterung gesucht wird. Das Letztere, ein rein subjektives Erleben ohne eine diesem Erleben entsprechende Wirklichkeitserfahrung, ist eigentlich ein Selbstbetrug, etwas bloß Gemachtes und Künstliches.“ (Ebd. S. 34) Wenn ich also das Erlebnis nur des Erlebnisses wegen suche, werde ich auf Dauer nicht befriedigt sein und immer höhere Dosen an Reizen und Empfindungen benötigen, oder an Mitteln, welche mir diese ermöglichen - wie dies beim Rausch (übermäßige Anwendung von Drogen, hohe Geschwindigkeiten beim Autofahren u.ä.) eintritt. Dosissteigerung führt dabei nur kurz zu besseren Erlebnissen, die nach Verblassen nur zu stärkerer Abhängigkeit führen. Die Erlebnishungrigen, die sich nur durch Erlebnisexzesse (z. B. Extremsportler) spüren können, leben am Erleben vorbei.
Schöndorf sieht die Probleme mit dem Erleben heute darin, dass einerseits die Fülle an Reizen und Erlebnissen im Alltäglichen keine gefühlsintensiven Wahrnehmungen mehr zulässt, und andererseits, die Zeit fehlt, diese zu verarbeiten.
(vgl. Schöndorf 1995)
Hier ist es wichtig, sich Freiräume zu schaffen, um „wahrhaft“ erleben zu können, denn „... Erlebnisse sind das, was das Leben überhaupt erst im gängigen Sinn des Wortes lebenswert macht, was dem Leben seinen besonderen Reiz, seine spezielle Qualität gibt. Ein Erlebnis ist etwas, was uns bewegt, uns verändert, aber auch, was sich in uns einprägt, was uns in Erinnerung bleibt.“ (Ebd. S. 27) Eine Möglichkeit, um Freiräume zu erhalten, ist, sich Zeit zu gönnen für kleine Momente, bewusst die Uhren etwas langsamer laufen zu lassen. Wenn man im Alltäglichen wieder das Besondere erkennt und schätzen lernt, ist man auf dem richtigen Weg.
Unser Leben in der heutigen Zeit wird bestimmt von immer größerer Schnelligkeit. Medien wie Fernsehen, Radio; Autos und Schnellzüge; Handys und Internet begleiten unseren Alltag. Ehemals große Weiten sind durch kurzweiligen Flugverkehr zusammengeschrumpft. Das prägnanteste und wichtigste in unserer Gesellschaft ist der Konsum, die „Effektivität des Daseins“, das tägliche Bestehen als Teil einer nicht bestimmbaren und nicht mehr überschaubaren Masse. Ideale und alte Wertvorstellungen sind meistens verloren gegangen und können keinen Rückzugspunkt mehr geben, die Einbettung durch soziale Herkunft, Milieus oder dieselbe Weltanschauung fehlt. Die Möglichkeiten, wie man sein Leben leben kann, sind fast unendlich geworden; die Auswahl jedoch fällt immens schwer, ein Leben sinnvoll zu führen. „Dies provoziert den Drang nach einem Raum, in den der Mensch sich als zuständig für die Gestaltung seines Lebens erfährt; dem entspricht auch die Lebensform Abenteuer.“ (Thirsch, 1995; S. 42)
Abenteuer bzw. Erlebnisse entstehen nicht mehr nur nebenbei, sondern sind „Gegenstand der Handlungsplanung“ (Schulze; zit. von Brenner; 1993; S. 453). „Erlebe dein Leben“ ist der moderne kategorische Imperativ (Schulze). Man versucht, soviel wie möglich zu erleben, wobei die als Erlebnisse empfundenen Dinge von Subjekt zu Subjekt unterschiedlich sind; aber eines gemeinsam haben: die Angst, etwas zu verpassen.
„ Die moderne Gesellschaft verlangt [...] Disziplinierung als Fähigkeit, funktional und effektiv in den vorgegebenen Strukturen sich zu bewähren. Leben und Verhalten müssen sich jeweils auf unterschiedliche Aufgaben in unterschiedlichen Funktionen konzentrieren; Leben und Verhalten organisieren sich so arbeitsteilig, verlangen arbeitsteilig beherrschte Kompetenzen. Die Anstrengung zu einer solchen arbeitsteiligen Beherrschung erzeugt nun - protestativ, also im Gegenschlag - den Drang zum Ausbruch in ein unmittelbares, ganzheitlich-authentisches Leben.“ (Thirsch, 1995; S. 42) Und dieser Ausbruch wird ermöglicht durch Erleben und Abenteuer - egal ob S-Bahn-Surven, alpine Bergbesteigung, Drogenkonsum, Vergnügungspark oder „Erlebnispark“ fremde Länder.
Beck (1986) hat in seinem Buch „Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne.“ einen weiteren wichtigen Punkt erörtert. In der jetzigen Überflussgesellschaft stehen die Risiken um das eigene Leben fast bei Null. In anderen Kulturen (z. B. Aborigines) gehört das Risiko zum Überleben dazu. Die globalen Risiken wie Umweltzerstörung (Ozonloch, Atomkraft) werden nicht so wahrgenommen wie akut einen selbst betreffende Risiken. Da diese aber nun meistens fehlen, versucht man die Ereignislosigkeit des Alltags aufzufüllen. (vgl. Heckmair/Michl 1994; S. 59f)
Das Erleben ist also zu einem großen Teil der Lebensinhalte geworden. Abenteuer sollen die gesellschaftlich/kulturell/strukturell fehlenden Inhalte ersetzen. Gleichzeitig ist dies auch der Grund für die Mystifizierung und Idealisierung anderer Kulturen, da „... Menschen, die sich an eine moralisch-ethisch fundierte Pflicht gebunden fühlen, [handeln,]‘ohne nach dem Erlebniswert des Handelns zu fragen.’ (Brenner 1993, S. 453, z. T. zitiert nach Schulze 1993) Wir suchen also eigentlich woanders die Dinge, die uns in unserer Gesellschaft verloren gegangen sind - oder wir sublimieren dies in Abenteuer, um unseren Erlebnishunger zu stillen.
Felix von Cube (Gefährliche Sicherheit; 1990) dreht den Weg des Risikos um. Wir suchen nicht das Risiko, um es zu erleben und zu genießen, sondern wir suchen das Risiko, um es in Sicherheit zu verwandeln. „Warum ist Klettern so lustvoll? Weil man bei jedem Schritt Unsicherheit in Sicherheit verwandelt.“ (von Cube 1990; S. 12; zit. in Heckmair/Michl 1994; S. 61) „Weil der Mensch um seine totale Unsicherheit weiß, strebt er in allen Bereichen nach totaler Sicherheit.“ (Ebd.; S. 61) Nach von Cube ist es egal, wie und wodurch der Mensch versucht, seine Sicherheit zu erhalten. Er unterteilt diesen Weg dorthin in 4 Stufen:
- Instinkt
- Lernen
- Denken
- Neugier
„Während der Instinkt eine gefühlsmäßige Sicherheit vermittelt, wird durch Lernen fremde Information abgebaut. Das Denken ist die logische Durchdringung der Wirklichkeit; der Neugiertrieb schließlich soll Unbekanntes in Bekanntes verwandeln.( Heckmair/Michl 1994; S. 61/62)
Egal ob Religion oder Ideologie, Technik oder Natur, Alltag oder besonderes Abenteuer - der Mensch versucht, es zu beherrschen oder zu verstehen und es damit bekannt und risikofrei zu gestalten.
Die Sicherheit im Sinne des Kontrollgefühles ist auch einer der wichtigsten Teile eines anderen Zustandes, den des flow -Erlebens, welcher das „holistische Gefühl bei völligem Aufgehen in einer Tätigkeit“ (Csikszentmihalyi; 1992 in: Heckmair/Michl 1994; S. 62) bezeichnet. Diesen psychischen Zustand hat Csikszentmihalyi bei z. B. Schachspielern, Chirurgen, Tänzern sowie Bergsteigern gefunden.
Die Elemente des flow sind nach Csikszentmihalyi:
- Verschmelzung zwischen Handlung und Bewusstsein
Der Betreffende ist sich seiner Handlungen bewusst, jedoch nicht seiner Selbst. Z. B. Sportler oder Menschen in religiöser Ekstase setzen ihre ganze Aufmerksamkeit in die jeweilige Tätigkeit, ohne diese jedoch zu hinterfragen oder über andere Dinge nachzudenken. Dabei ist es wichtig, dass die jeweiligen Aufgaben zu bewältigen sind - also ein klarer, festgefügter Handlungsrahmen existiert, um die Verschmelzung zu ermöglichen.
- Beschränkung der Aufmerksamkeit
Die Aufmerksamkeit wird auf ein begrenztes Feld gelegt. Alle Störstimuli (z. B. Alltagsprobleme wie Beziehungsstress) werden abgehalten. Bei Spielen sind die Regeln der festgefügte Rahmen. Ein weiterer Motivationsanreiz sind hier Wettbewerbe, um sich noch intensiver mit seinem eingegrenzten Feld zu beschäftigen; beim Klettern kann die Gefahr ein weiterer Motivationsschub sein, da diese den Kletterer zwingt, aufmerksamer voranzusteigen.
- „Selbstvergessenheit“
Im gesellschaftlichen Leben ist es normal, dass Handlungen zwischen verschiedenen Personen aufeinander abgestimmt werden müssen. Dieses „Aufeinandereingehen“ muss beim flow-Erlebnis nicht geführt werden, da bestimmte Regeln für alle gelten und somit keine Rollen ausgehandelt werden müssen. Die physische Realität wird dabei nicht eingebüßt, „was gewöhnlich im flow verlorengeht, ist nicht die Bewusstheit des eigenen Körpers oder der Körperfunktionen, sondern lediglich das Selbst- Konstrukt, die vermittelnde Größe, welche wir zwischen Stimulus und Reaktion einzuschieben lernen“.
(Csikszentmihalyi 1992; S. 67).
- Kontrolle der Handlungen
Egal ob Schach spielen oder Klettern: im flow-Erlebnis hat man das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben; und deswegen muss man sich darüber keine Gedanken mehr machen. Beim Klettern z. B. sind zwar auch Gefahren vorhanden, jedoch sind sie ein- und abschätzbar; das potentielle Gefühl des „Unter-Kontrolle-Haben“ reicht aus.
- eindeutige Handlungsanforderungen und Rückmeldungen
„In der künstlich eingegrenzten Realität einer flow-Episode weiß man genau, was „gut“ und was „schlecht“ ist. Ziele und Mittel sind logisch geordnet.“ (Ebd. S. 71) Man muss nicht wie im normalen Leben mit Dingen umgehen, die einem Schwierigkeiten bereiten oder die nicht mit anderen Dingen oder Personen unvereinbar sind. Die Aufgaben sind klar formuliert und abarbeitbar.
- „autotelisches“ Wesen
Damit ist gemeint, dass der oder die Betreffende seine Handlungen nicht durchführt, um von jemandem belohnt zu werden (extrinsische [„von außen her angeregte“] Faktoren), sondern aufgrund der Handlung an sich diese durchführt, und intrinsisch [„von innen her“] belohnt wird; also die Handlung aufgrund der Handlung durchführt.
Der Zustand des flow ist sehr schwer über einen längeren Zeitraum zu erhalten, da von außen eindringende Dinge sofort die Aufmerksamkeit ablenken. Jedoch ist es immer wieder möglich, in diesen Zustand erneut einzutauchen, wenn der Rahmen gegeben ist.
Die vereinfachte Struktur des flow-Erlebens sei an dem Beispiel eines Bergsteigers dargestellt.
Dieser hat die Fähigkeit, einen bestimmten Schwierigkeitsgrad erklettern zu können. Liegt der Schwierigkeitsgrad über seinen Fähigkeiten, dann ergreift ihn Sorge bis hin (je schwieriger) zu Angst; liegt der Schwierigkeitsgrad unter seinem Niveau, dann folgt Langeweile bis (je einfacher) wieder zu Angst. Das flow-Erleben entsteht im den Qualitäten des Kletterers entsprechenden Schwierigkeitsgrad des Parcours. Ein Problempunkt dabei bleibt das „objektive“ Erleben, dass wir als Subjekte nicht erreichen können; ein Kletterer z. B. wird nach dem Überschätzen seiner Fähigkeiten aus dem flow sofort zur Angst und damit zur Realität zurückkehren.
(vgl. Csikszentmihalyi 1992)
Das Erleben des flows ist in den verschiedensten Dingen möglich. Gerade das Erleben auch nicht alltäglicher Abenteuer kann meiner Meinung nach dem flow als einer besonderen Form des Erlebens förderlich sein. Das Suchen nach und das Erfahren von flow-Erlebnissen ist wahrscheinlich ein wichtiger Teil des Lebens und Erlebens. Wenn innerhalb dieser Abenteuer für den Einzelnen flow-Gelegenheiten erfahrbar und möglicherweise für spätere flows nutzbar sind, dann haben diese Abenteuer bzw. Erlebnisse ihren Sinn nicht verfehlt.
Schleske (Laufen in die meditative Dimension; 1988) sieht ähnlich wie Csikszentmihalyi eine besondere Sinneserfahrung in einem besonderen Erleben. Für ihn ist dies jedoch nicht leistungsbezogen. Er sieht in der Animation, z. B. durch wunderschöne Winterlandschaften beim Skiwandern in den Bergen, die Möglichkeit, zu meditativen Stimmungen zu gelangen.
„Csikszentmihalyi und Schleske ergänzen sich in einem wesentlichen Punkt: Es ist die Intensität und Dichte im Erleben einer - im allgemeinen kurzen - Zeitspanne in einer kleinräumigen Umwelt.“ (Heckmair/Michl 1994; S. 62) Die handelnde Person konzentriert sich auf die eigene Motorik, den eingegrenzten Raum und ist ebenfalls Beherrscher der nahen und z. Z. nur zählenden Umwelt. Die Kommunikation mit anderen bleibt bei diesem „Eintauchen“ jedoch auf der Strecke.
(vgl. Heckmair/Michl 1994; S. 62)
Der Bergsteiger und Psychologe Ulrich Aufmuth beantwortet die Frage, warum wir außergewöhnliche Erlebnisse und Abenteuer suchen im Bezug zu seiner Natursportart: „Für das Funktionieren unserer Gesellschaft sind viele Erlebnismöglichkeiten nicht mehr notwendig. Sie gehören aber zum Menschen, sind mit ihm verbunden und sie können beim Besteigen der Berge wieder ausgeübt werden“ (Heckmair/Michl 1994; S. 62/63)
Dass in unserer schnelllebigen Gesellschaft viele Dinge oder Gefühle (z. B. menschliche Nähe; Zeit nehmen; Überschaubarkeit der Handlungen) nicht mehr erlebbar sind, bringt Eine(n) auf die Suche nach dem, was verschollen ist. Dabei ist es m. E. ganz normal, dass das Fremde und Unbekannte anfänglich verklärt wird, da erst durch das (teilweise) Kennenlernen fremder Kulturen die Vorstellungen über diese sich der Realität annähern. Die eigenen Grenzen, die eigene Herkunft, die eigene Person sind erfahrbar in der Fremde.
Aufmuth sieht das Extrembergsteigen als eine Besonderheit an und schreibt diesem einen therapeutischen Effekt zu. Auch hier gelangt die Person an ihre Grenzen, spürt den Körper in Belastungen, die sonst nicht erfahrbar sind; sie bewegt sich in überschaubaren Handlungsfeldern. „Somit stellt sich ein elementares Empfinden von Ganzheit und Stimmigkeit ein. Man ist in diesen Stunden von allen Zweifeln und inneren Zerrissenheit befreit. (...) So werden uns auf großen Abenteuerfahrten Erlebnisse zuteil, die sich grundlegend von den Modi unserer Welt- und Ich-Erfahrung im Alltag unterscheiden.“(Aufmuth 1995; S. 75)
Die therapeutischen Effekte sieht Aufmuth in:
- Beseitigen von Trübungen des Selbstwertempfindens
- Mildern von aufgewühlten, überschießenden Emotionen
- Klären depressiver Verstimmungen
- Auflösen gedanklicher Blockaden.
(vgl. Aufmuth 1995; S. 82)
Wichtig ist es jedoch, zu unterscheiden, wenn die Suche zur Sucht geworden ist. Menschen, die immer wieder zu Extremsituationen in die Berge gehen (oder entsprechend zu Erlebnissen in fremde Kulturen rastlos reisen) müssen, brauchen therapeutische Hilfe nicht von innen (also den Bergen, der anderen Kultur), sondern von außen - also einer anderen Person. „Derartige heilmachende Selbstbegegnung ist im ‘Alleingang’ so gut wie unmöglich. Sie ist praktisch immer ein kommunikativer Prozess. Man braucht dazu Menschen, die einem als Spiegel, als Zuhörer und als verlässliche Begleiter zur Seite stehen, Menschen, die alles, was auftaucht, ohne Verurteilung und ohne Furcht mitzutragen bereit sind. Man muss willens sein, sich dem guten Begleiter ganz zu öffnen und mitzuteilen.“ (Ebd. S. 83)
Es bleibt also wichtig zu beachten, aus welchen Gründen (oder Zwiespälten) ein Mensch in die Ferne zieht, um Neues und sich selbst zu erfahren.
In der heutigen Zeit nehmen die interkulturellen Kontakte und Begegnungen immer weiter zu. Der voranschreitende Wissenstand der Menschen lässt die Welt immer enger zusammenwachsen (schneller Flugverkehr mit vielen Verbindungen; Vernetzung des Internets usw.)
Kontakte und Begegnungen gibt es vor allem:
- im wirtschaftlichen Sektor
- in der Entwicklungshilfe
- im Tourismus.
„Die interkulturelle Begegnung stellt eine Überschneidungssituation mit unterschiedlichen kulturellen Standards dar. Diese müssen bewusst, verständlich und handhabbar gemacht werden, so dass sie ihre Bedrohlichkeit verlieren. Dazu ist interkulturelles Lernen erforderlich. (Losche 1995; S. 35)
Der Begriff des interkulturellen Lernens wird seit längerem inflationär gebraucht. Egal ob Pädagogik, Kommunikation, Beziehungen usw. - sie werden mit diesem Begriff bestückt.
Entstanden ist dieser in der BRD in den 70er Jahren durch den Wandel zu einem Einwanderungsland, da die Familienangehörigen der vormals angeworbenen Ausländer (vor allem in den 50ern) zusammengeführt wurden. Die vorherrschenden Probleme der Einwanderungskinder lagen im Bildungssystem. Der pädagogische Umgang mit ihnen wurde als Ausländerpädagogik bezeichnet.
„Darüber hinaus findet er (der Begriff des interkulturellen Lernens; d. Verf.) in weiteren Praxisfeldern Anwendung, in denen Kulturbegegnung stattfindet bzw. auf eine solche vorbereitet wird. Beide Bereiche werden kaum aufeinander bezogen, obwohl ihnen (...) ähnliche Prämissen unterliegen.“ (Nestvogel 1994; S. 3)
Egal in welchem Zusammenhang interkulturelles Lernen stattfindet - nach Nestvogel lassen sich drei Auffassungen ausmachen (vgl. Nestvogel 1994; S. 1-9):
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