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Mehr InfosDiplomarbeit, 2005, 116 Seiten
Diplomarbeit
1,0
Einleitung
1. Korruption: Begriff, Forschungsstand und Erklärungsansätze
1.1 Korruptionsbegriff
1.2 Empirische Erkenntnisse und Korruptionstypen
1.3 Kriminologische Erklärungsansätze und ihre Grenzen
1.4 Konsequenzen für den theoretischen Zugang
2. Systemrationalität
2.1 Funktionale Differenzierung
2.2 Politik und Wirtschaft: Macht und Geld
2.3 Korruption, systemtheoretisch
3. Der Müllskandal
3.1 Der Abfallentsorgungsmarkt in Nordrhein-Westfalen
3.2 Kommunalpolitik: Vorteilsnahme und Ämterpatronage als System
3.3 Auftragsvergabe beim Bau der Kölner MVA
4. Fazit:Korruption als System im System
Literatur
Wie bei kaum einem anderen Delikt wird in Fällen von Korruption allein schon durch die Benennung des Sachverhaltes das moralische Urteil gleich mit ausgesprochen.[1] Anders als ein trickreicher Kaufhauserpresser etwa kann ein der Korruption Verdächtigter in der Öffentlichkeit kaum auf wohlwollende Anteilnahme hoffen; der Täter gilt schlicht als gierig und charakterlos[2], und ist er erst einmal überführt, hat er seinen Ruf und seine Karriere ruiniert. Um so erstaunlicher scheint es, dass gerade Politiker und Wirtschaftsbosse, Personen also, deren Karrieremöglichkeiten in besonderem Maße von ihrem Ansehen oder ihrem Bild in der Öffentlichkeit abhängen, das Risiko der Korruption eingehen.[3]
Man weiß, dass es zur Durchführung korrupter Handlungen in großem Stil eines relativ hohen Aufwandes an Planung, konspirativer Kontaktaufnahme und riskanter finanzieller Transaktionen bedarf. „Corruption is a crime of calculation, not passion.“[4] Dieser beträchtliche Investitionsbedarf, der zudem auch meistens mit der Notwendigkeit des Innehabens von verantwortlichen Positionen in Organisationen einhergeht, sowie die permanente Gefahr einer Entdeckung und ihrer ruinösen Folgen passen nicht so recht zum Täterbild des habgierigen und skrupellosen Verbrechers. Es besteht also nicht nur ein Widerspruch zwischen dem hohen Risiko von Korruptionsdelinquenz und der gefestigten gesellschaftlichen Stellung der Täter, sondern auch einer zwischen dem Grad an klandestiner Kalkulation und der öffentlichen Darstellung korrupter Personen als kurzfristig profitorientierte Betrüger. Schon diese Widersprüche lassen erahnen, dass in Fällen von Korruption möglicherweise eine andere Art der Rationalität exekutiert wird, als allein diejenige des temporären Nutzenkalküls. Es soll in dieser Arbeit darum gehen, diese Form der Rationalität zu klären.
Bei Korruption handelt es sich um ein besonders unangenehmes Kapitel der Kriminalität, denn sie ist eine Form des Verbrechens, „die die Bürger in Umfang und Stil schädigen kann, wie es kein Bankraub, kein Einbruch oder manch andere Straftat vermag“.[5] Korruption „erschüttert das Vertrauen in die Integrität der öffentlichen Verwaltung, führt zur Aushöhlung des Rechtsstaates und zu einem Verfall ethisch-moralischer Werte. (...) Sie untergräbt die staatliche Einnahmeerhebung. Preisabsprachen treiben die Kosten der Privatwirtschaft in die Höhe und führen zur Verschwendung von Steuergeldern.“[6] Dadurch, dass Korruption sich nicht gegen einzelne Opferpersonen richtet, sondern gegen die Allgemeinheit, dass sie auch immaterielle Schäden nach sich zieht, zum Beispiel die Untergrabung der „Geschäftsmoral“,[7] fühlt man sich anscheinend in besonderem Maße angegriffen. Émile Durkheims Feststellung von 1895, wonach das Verbrechen in einer Handlung besteht, die „gewisse Kollektivgefühle verletzt“ bzw. sie „beleidigt“[8], ist also auch im Fall von Korruption offensichtlich zutreffend. Es werden hierbei anscheinend Normen übertreten, deren Geltung außerordentlich hohe Bedeutung zukommt: „Mit der Korruption wird eine gewaltige kulturelle Eroberung rückgängig gemacht, nämlich die Versachlichung der Beziehungen zwischen Amtsinhabern, Kollegen und Klienten.“[9]
In dieser besonders ausgeprägten negativen moralischen Konnotation von Korruption liegt vielleicht mit ein Grund für die im wissenschaftlichen Bereich vorherrschende Dominanz von individuums- und handlungszentrierten Erklärungsansätzen. Wenn Korruptionsfälle analysiert werden, kommen zumeist Motive, Rechtfertigungen und Einstellungen der Täter und Tätergruppen zur Sprache, es wird nach situativen Gelegenheitsstrukturen gefragt, nach Mustern strafrechtlicher Reaktionen oder nach Präventions- und Bekämpfungsstrategien, bestenfalls werden ökonomische oder politische Rahmenbedingungen verglichen. Verursacher der korruptiven moralischen Verfehlung und Adressat einer bessernden Intervention kann, so die offensichtlich vorherrschende Auffassung, nur das selbstverantwortliche Individuum sein.
Selten jedoch kommt es zu einer systematischen Analyse des jeweiligen gesellschaftsstrukturellen Kontextes. Um dies im Hinblick auf Korruption leisten zu können, wäre die Soziologie gefragt, bisher hat sich jedoch kaum ein Korruptionsforscher ihrer Instrumente, Methoden oder Theorien bedient. So äußerte der Soziologe Mc Mullan diesbezüglich schon 1961: „Corruption still awaits its Kinsey report“ und Smelser konstatierte gegen Ende der 1960er Jahre: „In den letzten zehn oder zwanzig Jahren haben sich Soziologen überhaupt nicht mit Korruption befasst.“[10] Dies ist bis heute weitgehend so geblieben, und nach wie vor besitzt die Feststellung von Christian Höffling Gültigkeit, wonach sich die bisherige Korruptionsforschung als „Domäne einer nahezu konkurrenzlos agierenden täterzentrierten und anwendungsorientierten Kriminologie“ darstellt.[11] Auch Britta Bannenberg, die 2002 die Ergebnisse einer erstmalig bundesweit durchgeführten empirischen Analyse von Korruptionsfällen veröffentlichte, stellt sich in diese Tradition. Sie wendet sich explizit gegen „rein soziologische Erklärungen“ korrupten Verhaltens, weil diese als „unrealistisch“ zu gelten hätten und plädiert für einen multifaktoriellen Ansatz. Man habe vom „Wechselspiel der Täterpersönlichkeit mit Gelegenheitsstrukturen“ auszugehen, möchte man Korruption adäquat erklären.[12] Sie dementiert sich auf diese Weise zum Teil selbst, denn eines ihrer Forschungsergebnisse besteht in der Erkenntnis, dass der typische Korruptionstäter „auffällig unauffällig“[13] ist, sozial integriert und mit konventionellen Wertvorstellungen ausgestattet, die Täterpersönlichkeit also eher kaum Erklärungskraft für Korruption besitzt. Zwar werden Wirtschaftsstraftäter in der kriminologischen Forschung als überdurchschnittlich stark karriere- und erfolgsorientierte Persönlichkeiten beschrieben. Aber gerade weil Manager zwangsläufig kreativ und flexibel zu agieren haben, sind diese Eigenschaften nicht per se kriminogen, sondern auch für „normale“, in legalen Geschäften engagierte Entscheidungsträger üblich.[14]
In dieser Arbeit soll daher Korruption weitgehend unter Absehung vom konkreten Täter, seiner Motive und Einstellungen analysiert werden. Der Fokus wird demgegenüber auf Tatumstände und strukturelle Bedingungen für Korruption gerichtet. Die Soziologie, die sich dieses Themas bisher „nur sporadisch“[15] angenommen hat, soll zu ihrem Recht kommen. Mit Hilfe der von ihr zur Verfügung gestellten Begrifflichkeit soll an einem konkreten Korruptionsfall versucht werden, soziale Bedingungen, transpersonale Muster oder auch systemische Eigenrationalitäten von Korruption zu identifizieren, denn vieles spricht dafür, dass es sich bei Korruption nicht immer um abweichendes Verhalten[16] handelt, sondern um eine rationale Anpassungsreaktion unter ganz bestimmten sozialstrukturellen Bedingungen. Um es mit Merton auszudrücken: „Socially deviant behaviour (is) as much a product of social structure as conformist behaviour.“[17]
Eine solche These versucht auf keinen Fall, um dies vorab eindeutig zu klären, die Existenz von Korruption in irgendeiner Weise billigend zu rechtfertigen oder die Korruptionstäter von der Verantwortung für ihr Handeln zu entlasten. Es soll hier keine Verharmlosung oder Entschuldigung von Korruption betrieben werden, vielmehr ist von einer Unterscheidung zwischen gesellschaftlicher Verursachung und Schuld auszugehen. Korruptionstäter sind keineswegs fremdgesteuerte ‚Reaktionsdeppen’, die quasi bewusstlos- strukturdeterminiert irgendwelchen Sachzwängen folgen, sondern sie verletzen gezielt geltendes Recht, sie begehen ihre Taten absichtlich und berechnend und sind deshalb auch zur Verantwortung zu ziehen. Dennoch wird an dieser Stelle davon ausgegangen, dass erst eine Rekonstruktion korruptiven Verhaltens aus seinen politischen und ökonomischen Bedingungen heraus kollektive Zwangslagen und Interessenkonflikte verstehbar machen sowie abweichendes Verhalten und die für den Täter riskante sanktionsbedrohte Normverletzung erklären kann.
Da Korruption zumeist im sogenannten „Korruptionsdreieck“[18] von Wirtschaft, Verwaltung und Politik auftritt, liegt es nahe, diese Gebiete näher zu betrachten. Unter soziologischen Gesichtspunkten ist also zunächst danach zu fragen, wie diese Bereiche normalerweise funktionieren und was ‚schief läuft’, wenn es zur Korruption kommt: „Corruption is a symptom that something has gone wrong in the management of the state.”[19] Mit der soziologischen Systemtheorie Niklas Luhmanns liegt derzeit ein Theorieangebot vor, das versucht, diese Gebiete von Politik und Wirtschaft systematisch im Kontext einer Gesellschaftstheorie zu analysieren. Sie soll daher zur Anwendung kommen, um darzustellen, welche Strukturen das ausmachen, was gemeinhin unter Wirtschaft und Politik verstanden wird und welche gesellschaftlichen Funktionen diese Bereiche normalerweise erfüllen (Kapitel 2). Erst wenn dies geklärt ist, kann auch Korruption unter strukturell-gesellschaftstheoretischen Aspekten bestimmt werden (Kapitel 2.3). Da die Systemtheorie Politik und Wirtschaft als autonome gesellschaftliche Subsysteme begreift, die einer je eigenen systemischen Logik folgen, soll die Korruption vor allem im Kontext dieser systemischen Rationalitäten betrachtet werden. Es wird danach gefragt, inwieweit die Korruption der Rationalität sozialer Systeme entspricht.
Zunächst wird jedoch der Gegenstand der Korruption in der Forschung verortet (Kapitel 1), das heißt, es wird dargestellt, was gemeinhin unter Korruption verstanden wird bzw. wie sie definiert wird (Kapitel 1.1), und welche empirischen Erkenntnisse über Korruption in Deutschland vorhanden sind (Kapitel 1.2). Sodann soll die Frage beantwortet werden, welche kriminologischen Erklärungsansätze zur Korruptionsanalyse in Frage kommen (Kapitel 1.3). Es wird sich dabei zeigen, dass diese theoretischen Ansätze nur sehr bedingt dazu im Stande sind, die strukturellen Aspekte von Korruption zu erfassen.
Um die in den ersten beiden Kapiteln erarbeiteten theoretischen Grundlagen anzuwenden, wird schließlich im dritten Kapitel ein konkreter Korruptionsfall aus der jüngsten bundesrepublikanischen Geschichte aufgerollt. Der sogenannte Müllskandal, der Anfang 2002 beträchtliches öffentliches Interesse gefunden hat, bietet sich hierfür an, weil er im Nachhinein durch eine relativ detaillierte journalistische Aufarbeitung gewürdigt wurde. Es steht also, entgegen der üblichen Informationslage bei bekannt gewordenen Korruptionsfällen,[20] einiges an Informationsmaterial zur Verfügung, um die Vorgeschichte beziehungsweise den ökonomischen (Kapitel 3.1) und politischen Kontext (Kapitel 3.2) des Skandals aufzurollen. Mit Hilfe einer kurzen Rekonstruktion der korruptiven Ereignisse selbst (Kapitel 3.3) sollen schließlich Selbstverständnisse, Alltagsplausibilitäten sowie die Handlungsmuster der am Müllskandal beteiligten Akteure verdeutlicht werden. Hierdurch wird sich vielleicht zeigen, in welchem Ausmaß oder in welcher Form die Korruption bestimmten Systemrationalitäten entspricht oder ihnen zuwiderläuft.
Um es salopp zu formulieren: Gefragt wird also in dieser Arbeit danach, was im Kölner Müllskandal schiefgelaufen ist und dies unter soziologischen, gesellschaftstheoretischen Aspekten. Korruption nicht allein als individuelles Fehlverhalten, sondern auch als Problem der Gesellschaft begreifbar zu machen, darum soll es gehen.
Um den Gegenstand dieser Untersuchung näher charakterisieren zu können, werden im Folgenden zunächst die gängigsten Begriffsbestimmungen von Korruption umrissen. Es soll versucht werden zu klären, was gemeinhin unter Korruption verstanden wird. Ein solches Vorhaben, hierin sind sich sämtliche Korruptionsforscher einig, ist mit immensen Schwierigkeiten verbunden, da es sich um ein „vielschichtiges“[21] und mehrdimensionales Phänomen handelt, das eine „große Bandbreite an Bedeutungen“[22] beinhaltet, und dessen „eigenartige Breite und diffundierende Struktur (...) seine Konturen im Unklaren verschwimmen lässt.“[23] Korruption ist durch variable soziale und kulturelle Kontexte geprägt, sie dient oft als Skandalisierungsmittel in politischen Auseinandersetzungen, und der verdeckte Charakter korrupter Handlungen setzt einem empirischen Zugang erhebliche Grenzen. In ganz besonderem Ausmaß handelt es sich also bei Korruptionsdelikten um Wahrnehmungs- und Deutungsphänomene. Da zudem für diesen Sachverhalt keine strafrechtliche Definition existiert, ist das Feld an möglichen, unter ‚Korruption’ zu subsumierenden Vorgängen schier unbegrenzt.[24] Moralische, normative, politische und rechtliche Komponenten scheinen im Begriff unentwirrbar miteinander verschränkt; weswegen sich so gut wie jede Abhandlung zu diesem Thema (und damit auch die Leser) zwangsläufig erst einmal mit der Frage plagt, was man denn unter Korruption verstehen könne. Bei näherer Betrachtung dieser Definitionsversuche wird man schnell von einer Art lähmender Resignation befallen, denn ein einheitlicher Bezugspunkt scheint kaum auszumachen; diejenigen Handlungen oder Vorgänge, die unter Korruption subsumiert werden, können sehr weit auseinander gehen, und sie ziehen jeweils eine Fülle weiterer, völlig heterogener, zu klärender Folgebegriffe nach sich.[25] Aus all diesen Gründen kann es laut Britta Bannenberg „eine umfassende Definition, die allen Erscheinungsformen gerecht wird“, nicht geben[26], und manche Autoren behaupten sogar schlicht: „corruption is what is called corruption.“[27]
Einer solchen resignativen Feststellung soll in dieser Arbeit nicht gefolgt werden, vielmehr wird an dieser Stelle davon ausgegangen, dass gerade die ungeheure Vielfalt der Korruption unter den Aspekten von Erscheinungsformen, Ursachen und Rahmenbedingungen eine sinnvoll reduzierte und abstrakte Definition erfordert, die sich auf die strukturellen, kontextunabhängigen Merkmale beschränkt.[28] Vor dieser präziseren Bestimmung von Korruption werden hier aber zunächst einmal die in der Forschungsliteratur wesentlichen Begriffsverwendungen skizziert und zusammengefasst.
Korruptionsdefinitionen
Korruption ist im humanistisch-normativen Verständnis der Gegenbegriff zu Perfektion, ein Gegensatz zum Zustand der Ruhe, Reinheit und zur vernünftigen Rationalität.[29] Das Wort stammt, als Abstraktum des Adjektivs ´korrupt’, dem etymologischen Wörterbuch folgend, vom lateinischen corrumpere, was mit „verderben“, „verführen“, „zu Schanden machen“ und „vernichten“ übersetzt wird. Der Infinitiv setzt sich aus der Silbe cor -, „ganz, völlig“ sowie dem Verb rumpere, „verletzen, vernichten, zerstören, zerbrechen“ zusammen.
Mit ´korrupt’ kann im alten Wortsinn der allgemeine Zustand sowohl des physischen als auch des moralischen verdorben Seins gemeint sein, genauso wie die persönliche Eigenschaft der Bestechlichkeit; im Englischen bedeutet corrupt noch heute „verderbt“ ebenso wie „bestechlich“.[30]
Korruption ist kein neuzeitliches Phänomen. Vor über dreitausend Jahren schon unterschied man in Ägypten und in Babylon zwischen Geschenken und Bezahlungen einerseits und Bestechungsgeldern andererseits, und man ergriff zum Tei drastische Maßnahmen gegen unerwünschte Tauschhandlungen: ägyptische Priester wurden bis 1.300 v.Chr. zum Tode verurteilt, wenn sie sich bei Ausübung richterlicher Funktionen beeinflussen ließen.[31] Ein indisches Manuskript, die „Arthshastra“, 2.500 Jahre alt, betonte die negativen Folgen von Korruption für die Ökonomie und empfahl den königlichen Beamten deren Bekämpfung. Und auch Konfuzius (551-479 v. Chr.) erkannte Korruption als gesellschaftliches Grundübel.[32]
Wo immer unter den geschichtlichen Bedingungen herrschaftlich organisierter Vergesellschaftung deren Modalität kritisch reflektiert wurde, findet sich durchgehend die Thematisierung pflichtvergessener, korrupter Herrscher und Beamter, und man problematisierte den Ämterkauf. Sowohl in der Antike (Thukydides, Platon, Aristoteles), in der römischen Republik (Cicero), im westlichen lateinischen Christentum (Augustinus), als auch im italienischen Humanismus charakterisierte man Korruption darüber hinaus als übergreifenden Prozess des moralischen Niedergangs und als Krise des institutionellen Ordnungsgefüges.[33]
Einer möglichen Deutung aus diesem scheinbar überhistorischen Charakter von Korruption, nämlich derjenigen, es handele sich um eine menschliche Grundeigenschaft oder Schwäche, der einfach nicht beizukommen sei,[34] wird in dieser Arbeit jedoch widersprochen. Korruption ist vielmehr Effekt einer sozialen Zuschreibung und als solche den wechselnden soziohistorischen Kontexten unterworfen: Da sich Moral, Rechtsprechung und Normen im ständigen Wandel befinden, ist Korruption nicht immer als abweichendes Verhalten begriffen worden. In der europäischen Politik des 17. bis 19. Jahrhunderts gehörte Korruption, verstanden als Ämterkauf und Privilegienhandel, zum politischen Alltag. Sie war für die Beteiligten normaler Bestandteil der politischen Kultur, und von einem diesbezüglichen Unrechtsbewusstsein konnte keine Rede sein. In dieser Zeit war eine personalisierte und familienartige Tradition der Amtsauffassung vorherrschend; das ‚Amt’ funktionierte noch wie ein privatwirtschaftlicher Betrieb, da dem ‚Staat’ die Idee regelmäßiger Besoldung zunächst fremd war. Man spricht in Bezug auf diese Epoche deshalb von „Proto-Korruption.“[35] Erst mit dem Aufkommen einer regelmäßig besoldeten Beamtenschaft, der Herausbildung von Parteien im modernen Sinn sowie mit der Etablierung einer kritischen Öffentlichkeit (Presse) im Zusammenhang mit einem gewissen puritanischen Zeitgeist, wurden diese Vorgänge in Europa skandalisiert. Die bürokratische Norm der Unpersönlichkeit in der Ämtervergabe sowie der Amtsausübung war Voraussetzung dafür, dass Korruption im Sinne des Ämterkaufes als illegitim verstanden werden konnte. Da aber der Ämterkauf heutzutage zumindest in der öffentlichen Diskussion keine wesentliche Rolle mehr zu spielen scheint: Was macht das Wesen der modernen, gebräuchlichen Begriffsverwendungen aus?
Seit den späten 1960er Jahren haben die Diskussionen um die Definition von Korruption kaum Fortschritte erzielt, denn nach wie vor kann, stellvertretend für viele, die Definition von Nye aus dem Jahr 1967 als die gängigste zitiert werden; demnach ist Korruption:
„a behaviour which deviates from the formal duties of a public role because of private-regarding pecuniary or status gains; or violates rules against the excercise of certain types of private-regarding influence.“ (Zitiert nach Kurer 2003, S.45).[36]
Die meisten Definitionen von Korruption kreisen in diesem Sinne um den gleichen Kern, es geht letztlich immer um die Verletzung öffentlicher durch private Interessen oder um den Missbrauch von Macht.[37]
Diese recht vage und politikwissenschaftlich orientierte Auslegung bestimmt Korruption als normative Qualität von Handlungen, als qualifizierten Normverstoß bzw. als Abweichung von Rollen-Erwartungen, sei es eines öffentlichen Amtsträgers oder einer Person mit öffentlich relevanter Machtbefugnis. Worauf sich diese Macht dann stützt, was öffentliche Interessen sind, oder was genau unter Missbrauch zu verstehen ist, bleibt offen:
„Unter Korruption fallen daher nicht nur die Bestechung, sondern (...) auch Vorgänge wie der Kauf öffentlicher Ämter, die Patronage (mit den Bereichen des Nepotismus und des Clientelwesens), die Erpressung und Aussaugung der Bevölkerung durch selbstherrliche staatliche Stellen.“ (Schuller 1982, S.11)
Dem Parteienforscher Erwin K. Scheuch gelingt es auf der Grundlage dieser Definition, Korruption bedenkenlos und ohne weitere Erläuterung gleichzeitig als „Klüngel bzw. System von gegenseitigen Gefälligkeiten und Abhängigkeiten“, „Vetternwirtschaft“, „(Bilanz)Betrug“, „Bestechung“, „Verletzung eines allgemeinen Interesses zu eigenem Vorteil“ (Laswell), „Vorteilsnahme“, „Korporation“, „Ämterpatronage“ und „Untreue“ zu bezeichnen.[38]
Problematisch an dieser Begriffsbestimmung ist aber nicht nur ihre Diffusität im Hinblick auf die vielfältigen möglichen Handlungsarten und Rechtsverstöße. Zu kritisieren ist ebenfalls das Definitionselement eines öffentlichen Amtes und die Beschränkung auf individuelle Devianz (die Personalisierung der Abweichung), die normative Bewertung der Handlung (‚Missbrauch’)[39] sowie das unterstellte Motiv des Eigennutzes: Auch nicht-öffentliche Entscheidungsträger wie Manager oder Schiedsrichter können korrupt sein, wenn sie ein je systemrelatives Normensystem (Wirtschaft, Sport) verletzen.[40] Sie handeln zudem nicht immer nur aus egoistischen Motiven, sondern häufig auch zu Gunsten ihrer Organisation/Firma oder aus subkulturellen Zwängen heraus. Es ist außerdem fraglich, ob man heute angesichts der Rede vom ‚kooperativen Staat’, in Zeiten von ‚Public-Private-Partnership’ und von neoliberalen Deregulierungsprogrammen überhaupt noch von einem abgrenzbaren öffentlich-politischen Bereich, in dem trennscharf öffentliche Normen gelten, ausgehen kann.[41] Und schließlich: „nicht alle korrupten Handlungen verletzen das öffentliche Interesse, und nicht alle Handlungen gegen das öffentliche Interesse sind korrupt.“[42]
Die politikwissenschaftlich dominierte Definition wurde aus diesen Gründen dahingehend verallgemeinert, dass man Korruption als „unmoralischen Tausch“[43] begreift, der universalistische Standards (und nicht mehr nur allein: öffentliche Interessen) zugunsten partikularistischer Normen verletzt. Soziologisch gewendet kann sie auch als „ soziale Beziehung zwischen individuellen Akteuren“ verstanden werden, „die unter Missachtung der auf das Rollenhandeln gerichteten universalistischen Erwartungen um die (...) partikularistische Komponente eines persönlichen Austauschverhältnisses erweitert wird.“[44] Das Tauschobjekt hierbei ist ein Gut oder eine Leistung, welches prinzipiell nicht käuflich sein sollte. Korruption gilt so als allgemeine Form sozialen Handelns. Gegenüber der politikwissenschaftlichen Definition, die sich primär auf die individuelle Abweichung öffentlicher Amtsträger ausrichtet, betont diese Begriffsbestimmung also das Charakteristikum des Tausches oder das der sozialen Beziehung, das heißt, Korruption wird im Sinne Max Webers als „ein seinem Sinngehalt nach aufeinander eingestelltes und dadurch orientiertes Sichverhalten mehrerer“[45] verstanden. Im Mittelpunkt dieser Definition steht ferner nicht mehr nur allein der Verstoß gegen makrosoziale Strukturprämissen, sondern auch das Binnengeschehen zwischen den beteiligten Akteuren, ihr Zusammenhandeln und ihre eigenständig entwickelten Moralvorstellungen. Demzufolge verlassen sich die korrupten Akteure stets auf „die normbildende Kraft der Freundschaft und ihr Vermögen, das Beziehungsmuster der Beteiligten aus den Anforderungen eines sachlich geregelten Kontextes herauszulösen.“[46] Zwar vermeidet eine solche, am Paradigma der verstehenden Soziologie orientierte Lesart die Kopplung an öffentlich geltende Normen. Da sie aber primär den „subjektiv gemeinten Sinn“ (Weber) der Akteure und ihren ethischen Partikularismus zu Grunde legt, vernachlässigt sie den strukturellen oder institutionellen Kontext von Korruption (dazu mehr unter 1.3).
Genau dies versuchen die ökonomischen Definitionen, indem sie den Markt thematisieren. Wirtschaftswissenschaftlich betrachtet, handelt es sich bei Korruption um einen profitmaximierenden Tausch unter Nutzung (oder zur Herstellung) eines zusätzlichen (illegalen) Marktes. Korruption wird hier als Folge von Marktunvollkommenheiten betrachtet. Der freie Wettbewerb war beeinträchtigt und wird durch Korruption weiterhin verzerrt. Die Akteure handeln rational kalkulierend, um unter den gegebenen Umständen den persönlichen Nutzen zu maximieren. Korruption ist unter den Bedingungen unvollkommener Märkte für die beteiligten Akteure die effizienteste Handlungsalternative. Sie löst Selektionsprobleme, führt zur Durchsetzung höherer Erträge, beschleunigt Entscheidungsabläufe und dient der Absicherung anderer illegaler Handlungen.[47] Positiv hervorzuheben ist an wirtschaftswissenschaftlichen Definitionen, dass sie die Notwendigkeit einer objektiven Korruptionsfähigkeit für die Akteure betonen, das heißt, deren institutionelle Einbindungen, die Verfügbarkeit von Ressourcen oder die Mitgliedschaft in einer Organisation/Firma,[48] und dass sie jede moralische Bewertung vermeiden. Das Problem besteht aber auch hier darin, dass mit der Reduktion auf das Motiv der Nutzenmaximierung bzw. der rationalen Wahlentscheidung eventuelle organisationsbezogene Loyalitäten oder auch (sub)kulturspezifische normative oder emotionale Motivationen ausgeblendet werden.
Korruption als Kriminalität schließlich umfasst die strafrechtlich sanktionierten Handlungen. Weder im Strafrecht noch in anderen Gesetzesbüchern findet sich eine Legaldefinition von Korruption. Man versteht Korruption allgemein als strafrechtlich verbotenes Handeln oder Unterlassen, das unter Missbrauch einer amtlichen Funktion in Eigeninitiative oder auf Veranlassung auf die Gewährung oder Erlangung eines materiellen oder immateriellen Vorteils für sich oder einen Dritten gerichtet ist. Die zentralen Straftatbestände, die unter Korruption zusammengefasst werden, sind: Vorteilsannahme (§ 331 StGB), Bestechlichkeit (§ 332 StGB), Vorteilsgewährung (§ 333 StGB), Bestechung (§ 334 StGB), Besonders schwerere Fälle der Bestechlichkeit und Bestechung (§ 335 StGB), Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) und Besonders schwere Fälle der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 300 StGB). Diese Delikte treten in der Regel in Verbindung mit weiteren Straftaten, den sogenannten Begleitdelikten, auf. Zu nennen sind hier insbesondere: Strafvereitelung im Amt (§ 258a StGB), Betrug (§ 263 StGB), Subventionsbetrug (§ 264 StGB), Untreue (§ 266 StGB), Urkundenfälschung (§ 267 StGB), Wettbewerbseinschränkende Absprachen bei Ausschreibungen/Submissionsbetrug (§ 298 StGB), Falschbeurkundung im Amt (§ 348 StGB), Verletzung des Dienstgeheimnisses (§ 353b StGB), Steuerhinterziehung (§ 370 AO). Die Angestelltenbestechung bzw. –bestechlichkeit und der Submissionsbetrug wurden erst 1997 mit Verabschiedung des Korruptionsbekämpfungsgesetzes neu in das Strafgesetzbuch eingefügt.[49] Unter anderem sollte dadurch das Bewusstsein der Bevölkerung „dahingehend geschärft werden, dass es sich auch bei Korruption im geschäftlichen Bereich um kriminelles Unrecht handelt.“[50] Probleme der strafrechtlichen Bestimmungen liegen darin, dass sie immer nur auf Einzeltaten von Einzelpersonen ausgerichtet sind und deshalb weder die sogenannte strukturelle oder systemische Korruption erfassen können, noch korporative Akteure wie Unternehmen oder Parteien. Phänomene wie Ämterpatronage, Klientelismus oder Nepotismus bleiben ebenfalls unberücksichtigt.[51] Außerdem wird von einer Vielzahl recht unterschiedlicher Rechtsgüter (zum Beispiel Lauterkeit des öffentlichen Dienstes, freier Wettbewerb oder Prinzip der demokratischen Gleichheit) ausgegangen, die Frage nach dem Kern aller Straftatbestände bleibt damit unbeantwortet.[52]
Eine völlig andere Begriffsverwendung zielt auf die Kennzeichnung sozialer Prozesse oder Strukturen, hier gerät Korruption zu einem gesamtgesellschaftlichem Syndrom bzw. zum Synonym für Desintegration oder Anomie. Man spricht dann auch von Korruption in Form von Netzwerken, Klüngel, Seilschaften oder kollektiven, institutionalisierten Beziehungsgeflechten (Korruptionskartelle, Mafia). Bereits in der soziologischen Tradition, vor allem bei Max Weber und Emile Durkheim, wurde Korruption als struktureller sozialer Tatbestand identifiziert.[53] Sie erscheint hier zugleich als pathologische Erscheinung des Sozialen und als Integrationsmoment für Gesellschaften. In der politikwissenschaftlichen Korruptionsforschung, die Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre in den USA in Form „funktionalistischer“ Betrachtungsweisen boomte, wurde Korruption als Anpassungsprozess sozialer Strukturen an modernisierungsbedingte Ungleichzeitigkeiten in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen interpretiert.[54] In diesem Sinne bestimmte Smelser Korruption in Anlehnung an Parsons als „Überkreuzung“ generalisierter symbolischer Tauschmedien wie Geld und Macht, bzw. als funktionale Alternative zu anderen Ausdrucksformen des politischen Konfliktes.[55]
In einer solchen Form bildet der Korruptionsbegriff in der Forschungsliteratur jedoch eine Ausnahme. Weder als Gegenstand einer systematischen empirischen Analyse noch als Bestandteil theoretischer Reflektion wurde Korruption als Struktur oder als institutionalisiertem kollektiven Verhalten umfassendere Aufmerksamkeit gewidmet.
Zum Abschluss der Betrachtungen über die Korruptionsdefinitionen kann festgestellt werden, dass es zwar sehr viele, nicht aber sehr vielfältige Begriffsbestimmungen gibt. Generell wird deutlich, dass der vorherrschende Begriffgebrauch drei folgenschwere Annahmen transportiert:
1. Er zielt auf deviantes Handeln einzelner Personen ab, das heißt er impliziert eine Normabweichung sowie die Zurechnung von Korruption auf handelnde Subjekte;
2. er beinhaltet den Missbrauch eines Amtes oder einer Machtposition zum privaten Vorteil und zum Schaden der Allgemeinheit;
3. und er knüpft an die grundlegende Unterscheidung von privater und öffentlicher Sphäre an, von Normen und Interessen.
All diese begrifflichen Komponenten beziehen sich in ihren theoretischen Prämissen auf Handlung und nicht auf Kommunikation. Indem Korruption als individuelles, personenbezogenes Fehlverhalten, als Faktum des Handelns der Beteiligten definiert wird, verbaut sich die Analyse eine Betrachtungsperspektive, die den Willen, das Interesse oder die Motivation der Beteiligten eher als Zuschreibung begreift, das heißt als in der Reflexion, im nachträglichen Beschreiben und im Kommunikationsprozess aufgebaute Fiktion. Erst eine Begriffsbestimmung, die auf Konzepte wie Handlung, Intention oder Verantwortlichkeit verzichten würde, könnte Korruptionskriminalität auch als Strukturphänomen begreifen und sie auf den sozialen Kontext des Geschehens beziehen, bzw. eine sie möglicherweise bedingende „transpersonale“[56] Eigenlogik von Organisationen, Institutionen oder sozialen Systemen thematisieren. Der Tatsache, dass Korruption keineswegs immer im eigenen Interesse geschieht[57] und dass sie nicht immer abweichendes Verhalten darstellt, kann mit dem vorherrschenden Begriffsverständnis kaum Rechnung getragen werden.
Mit dem Vergleich einiger Definitionen von Korruption hat sich also die Erkenntnis bestätigt, dass die inhaltliche Präzisierung eines Begriffs, und dies gilt ganz besonders für einen sozialwissenschaftlichen, entscheidend von der theoretischen und disziplinären Grundausrichtung des Betrachters sowie von seinem Erkenntnisinteresse geformt ist.[58] Schon aus diesem Grund erfordert eine Bemühung um begriffliche Klarheit eigentlich auch die Diskussion bzw. Abwägung grundlegender theoretischer Paradigmen. Dies soll weiter unten (1.3) geleistet werden. Zunächst jedoch erfolgt ein kurzer Blick auf das empirische Wissen über Korruption.
„Die amtlichen Statistiken vermitteln kein adäquates Bild der Wirklichkeit der Korruption.“[59] Sie können dies auch kaum, denn es handelt sich um ein Kontrolldelikt, das heißt, Korruption ist nicht einfach für dritte beobachtbar, es fehlt meistens an einem personalen Opfer („opferlose Kriminalität“), welches der typische Informant für die Behörden ist (Erschwernis der Dunkelfeldforschung), und es muss grundsätzlich von einer Verdeckung bzw. Abschottung der Tathandlungen ausgegangen werden. Statistisch schlagen sich also in der Regel nur solche Fälle nieder, in denen Strafverfolgungsbehörden von sich aus aktiv geworden sind. So haben zum Beispiel diejenigen Bundesländer einen erheblichen Anstieg an Korruptionsfällen zu verzeichnen, in denen von Polizei und Staatsanwaltschaft spezielle Dienststellen zur Korruptionsbekämpfung ins Leben gerufen wurden.[60] Das Dunkelfeld wird folglich als „beachtlich“[61] eingeschätzt: „Die Masse der Korruptionsdelikte wird den Verfolgungsbehörden nicht bekannt und damit statistisch nicht erfasst. Die aufgeklärten Fälle bilden nur die Spitze des Eisbergs.“[62] Die Frage nach der Entwicklung und empirischen Verbreitung von Korruption muss also offen bleiben: Die Erforschung der Korruption ist eine recht junge Disziplin und „bis heute ist ungeklärt, ob von einem realen Anstieg der Korruption auszugehen ist“[63] ; „das statistische Zahlenwerk (...) ist für eine zuverlässige Analyse nur bedingt geeignet.“[64] Dennoch können aufgrund empirischer Daten aus dem seit 1994 jährlich vom BKA erstellten „Lagebild Korruption“ der Tendenz nach folgende Sachverhalte festgehalten werden:
- die öffentliche Verwaltung ist das Hauptziel korruptiven Handelns;
- in den Behörden, aber auch in der freien Wirtschaft sind hauptsächlich die Funktionsbereiche Beschaffung und Auftragsvergabe betroffen;
- Schwerpunkte des korruptiven Tätigkeitsfeldes liegen in der Bauwirtschaft und im Gesundheitswesen.[65]
Neben den Statistiken sind Aktenanalysen und Experteninterviews bzw. Befragungen die bedeutsamsten empirischen Quellen der Korruptionsforschung. Untersuchungen dieser Art jedoch sind sehr zeitaufwendig, mithin teuer und daher relativ selten. Bei Täterbefragungen ist zudem von einer eher zurückhaltenden Mitteilungsbereitschaft auszugehen. Auch hier gilt also, dass die auf der Basis dieser Forschungen gewonnenen Erkenntnisse nur bedingt verallgemeinerungsfähig sind, zumindest aber können daraus Hinweise auf den Wissensstand aus der Strafverfolgungspraxis sowie exemplarisch wiederkehrende Muster aus Korruptionsfällen abgeleitet werden.
Die beiden jüngsten größeren empirischen Studien, die sich auf Aktenanalysen stützen, sind diejenigen von Britta Bannenberg und von Christian Höffling. Bannenberg untersuchte in ihrer Arbeit Korruptionsstrukturen anhand von 208 Strafverfahren aus 14 Bundesländern (436 Verfahren in unterschiedlichen Stadien), und Höffling konnte seiner Analyse 363 Verfahren aus sechs Bundesländern zu Grunde legen.[66] Generell lassen sich demnach Korruptionsfälle nach ihrer zeitlichen Ausdehnung (Dauer), dem Grad ihrer Reflektiertheit bzw. Organisiertheit sowie der Anzahl der beteiligten Personen differenzieren.[67] Am geläufigsten ist die Unterscheidung zwischen situativer und struktureller Korruption. Erstere entsteht ungeplant aus spontanen Alltagssituationen heraus, an ihr sind zumeist nur zwei Personen beteiligt, und es handelt sich um einmalige Vorgänge (das am häufigsten genannte Beispiel hierfür ist der angetrunkene Autofahrer, der bei einer Verkehrskontrolle den Polizisten bestechen möchte). Die strukturelle Korruption dagegen ist langfristig angelegt und geplant, sie geschieht systematisch als „aktiv gestaltetes und stabiles System von Beziehungen zwischen einer mehr oder weniger umfangreichen Zahl involvierter Akteure.“[68] Nimmt man als weiteres Unterscheidungskriterium noch den Grad der Institutionalisierung hinzu, also die Frage, ob sie in der jeweiligen gesellschaftlichen Umwelt als alltägliche oder als außergewöhnliche Erscheinung gilt, kann man auch zwischen isolierter und systemischer Korruption unterscheiden. Im Fall von systemischer Korruption gehört Bestechung quasi zum Alltag, sie ist normal und ohne sie ‚läuft nichts’, weil bei den Handelnden universalistische Prinzipien gegenüber partikularistischen Interessen nur sehr schwach ausgeprägt sind.[69] Die isolierte Korruption hingegen tritt nur vereinzelt auf und hat den Charakter einer Abweichung von der Norm.[70] Differenziert nach Umfang des Teilnehmerkreises und nach zeitlicher Ausdehnung, lassen sich laut Höffling und Bannenberg drei Grundmuster korruptiver Beziehungen unterscheiden, nämlich a) situative Korruption bzw. Bagatell- oder Gelegenheitskorruption; b) begrenzte Korruptionsbeziehungen bzw. gewachsene Beziehungen und c) strukturelle Korruption bzw. korruptive Netzwerke.[71]
Sowohl Höffling als auch Bannenberg messen der längerfristigen Korruption, das heißt den korruptiven Netzwerken und der strukturellen Korruption, die meiste Relevanz zu. Es handelt sich hierbei um „Formen schwerwiegender und besonders schädlicher Korruption“[72] und sie ist am weitesten verbreitet: Korruption in dieser Form macht in Bannenbergs Untersuchung 47,6% der untersuchten Fallkomplexe aus, und bei Höffling wird sie 144 von insgesamt 263 nachgeprüften Strafverfahren zugerechnet.[73] Auch laut BKA-Lagebericht fällt die strukturelle Korruption quantitativ am meisten ins Gewicht: „Die Erkenntnisse der vergangenen Jahre zeigen, dass in der Mehrzahl der aufgedeckten Fälle bereits mehrjährig andauernde korruptive Beziehungen zwischen den Tatbeteiligten bestanden.“[74]
Typischerweise sind diese Netzwerke der strukturellen Korruption im „Bereich der privatrechtlichen Beziehungen öffentlicher Körperschaften“[75] angesiedelt. In ihrem Rahmen werden Delikte wie die Bestechung von Amtsträgern sowie betrügerische Maßnahmen wie Preisabsprachen, Unterschlagung und Untreue ausgeübt, welche als Strategie-Bestandteile kollektiver Akteure (Unternehmen) gelten, die sich Wettbewerbsvorteile verschaffen wollen. Im Zuge der Vergabe öffentlicher Aufträge an Unternehmen aus der gewerblichen Wirtschaft kommt es zu harten Konkurrenzkämpfen, wobei sich Kartellsituationen und Oligopole bilden.[76] Zu Beginn der 90er Jahre wurden beispielsweise in den neuen Bundsländern bei der Vergabe von Straßenmarkierungsaufträgen „regelrechte Machtkämpfe über Bestechungen in den Ämtern“[77] ausgefochten. Die Initiative in solchen Korruptionsfällen geht nicht von Einzelpersonen aus, sondern korrupte Verhaltensweisen sind in der jeweiligen Branche üblich, das heißt, sie werden von den Beteiligten nicht als Abweichung interpretiert: „Korruptives Verhalten wird hier zumindest akzeptiert und entschuldigt, oftmals auch erwartet und gefördert. Die Unterhaltung entsprechender Beziehungen erscheint den Beteiligten als Teil ihrer – kulturellen oder subkulturellen – Normalität.“[78]
Schon 1940 konstatierte Edwin Sutherland diesbezüglich:
„The law is pressing in one direction and other forces are pressing in the opposite direction. In business, the ‘rules of the game’ conflict with the legal rules. A businessman who wants to obey the law is driven by his competitors to adopt their methods. This is well illustrated by the persistence of commercial bribery in spite of the strenuous efforts of business organisations to eliminate it.” (Sutherland, zitiert nach Slapper/Tombs 1999, S.6)
Bestechung ist also manchmal einfach Bestandteil der „rules of the game“, und wer diesen „Spielregeln“ nicht folgen mag, der gehört zu den Verlierern. In genau diesem Sinne werden weiter unten (Kapitel 3) auch die Vorgänge um der Bau des Kölner Müllverbrennungsanlage gedeutet werden. Als exemplarisch für die Normalität solcher Praktiken kann auch der Fall des Bauunternehmers Jürgen Schneider genannt werden, in dessen Erinnerungen sich die Neutralisationstechnik der „Ablehnung der Verantwortung“[79] mit Beschreibungen krimineller (sub)kultureller Praktiken vermischen:
„Ich tat nur das, von dem ich annahm, dass es alle taten, allerdings mit dem Unterschied, dass ich mehr Dampf dahinter setzte. Besessen von der Idee, ein noch größeres Rad zu drehen, mit Rückenwind durch die aufstrebende Konjunktur, die mir sagenhafte Wertsteigerungen bescherte, konnte das System der Mogeleien erst richtig gedeihen. Auf die rückblickende Frage: ‚Wäre es denn nicht ohne gegangen?’ kann ich nur achselzuckend antworten: ‚Nein.’“ (Schneider 1999, S.115)
Über die Praktiken bei der öffentlichen Auftragsvergabe und über Betrug im Bauwesen heißt es bei Schneider:
„Die öffentliche Auftragsvergabe lief wie geschmiert, ohne dass unmittelbar Scheine getauscht wurden. Wer von den Bauunternehmern über ‚Vitamin B’ vor Ort verfügte, baute nebenher zum ‚Freundschaftspreis’ die Villa vom Landrat gleich mit.“ Und: „Als Novize im Baugeschäft war ich zunächst über das Ausmaß des alltäglichen Betrugs entsetzt, beruhigte mich aber, sobald ich verstand, dass er üblich und sogar notwendig war. (...) Hatte der Bauherr erst einmal angebissen, ging es darum, ihn nach allen Regeln der Kunst auszunehmen. (...) Seltsam daran ist, dass der Betrug so üblich ist, dass niemand auf die Idee käme, ihn strafrechtlich zu verfolgen.(...) Der Betrug gehört zur Baubranche einfach dazu, das weiß nicht nur jeder Profi, sondern auch jeder Baulaie (S.45ff..). (...) Schließlich ist es im realen Geschäftsleben in keiner Branche leicht, die Grenzen von ehrlichem Handeln und Betrug zu definieren. Moralisch gesehen fängt der Betrug bereits viel eher an, als die Gesetze es vorschreiben. Umgekehrt gibt es Gesetzesverstöße, die so alltäglich sind, dass niemand darüber ein Wort verlöre. “ (S.121)
Wenn man diese Aussagen nicht nur als reine Schutzbehauptungen interpretiert, sondern auch als Hinweise auf reale Denk- und Handlungsweisen deutet - Verweise auf „unbeeinflussbare Umweltbedingungen“, auf starken „Konformitätszwang“ und auf die starke Binnenmoral unter den beteiligten Akteuren sind unter Korruptionstätern weit verbreitet[80] - kann davon ausgegangen werden, dass sich im Rahmen derartiger Netzwerke die Illegalität zu einer ‚Ressource’ entwickelt, die für den Fortbestand der beteiligten Organisationen unabdingbar geworden ist. „Zehn- bis zwanzigjährige ‚Üblichkeiten’ der Korruptionsstrukturen waren nicht selten“ und eine „Beteiligung oder Billigung“ durch die Vorstandsebene ist eher zwangsläufig.[81] Strukturelle Korruption zwingt zum ‚Mitmachen’, denn sie ist großflächig organisiert, betrifft in der Regel ganze Branchen und führt zur Ausschaltung des freien Wettbewerbs. Sie kann auch als „Wettbewerb im Nebel“[82] bezeichnet werden, denn auf Grund der Ausschaltung des Preismechanismus sowie der informellen Absprachen zwischen den Beteiligten herrscht ein allgemeines Informationsdefizit.
Von der strukturellen Korruption gehen erhebliche Gefahren aus, da das Ausmaß der durch sie verursachten Schäden als sehr hoch eingeschätzt wird und da eine starke Tendenz zu Nachahmungstaten und weiteren Ausbreitung der Korruptionsbeziehungen besteht: Indem Mitbewerber um Aufträge das korruptive Verhalten von Konkurrenten nachahmen und sich wirtschaftskriminelles Verhalten als branchenüblich ausdehnt (Spiralwirkung), und indem dieses Verhalten im Täterkreis neutralisiert und als „üblich“ empfunden wird, kann es dazu kommen, weitere Personen „wie selbstverständlich in die bestehenden Verflechtungen zu integrieren“[83] (Sogwirkung). In diesen Befunden deutet sich bereits ein möglicher Bezug korruptiver Strukturen auf systemische Prozesse an, das heißt auf sich selbst reproduzierende und –verstärkende Operationen, die gegenüber den Handlungsmöglichkeiten der Individuen eine eigenständige Größe darstellen. Wie Geschwüre breiten sich korruptive Handlungsmuster aus, wenn sie sich erst einmal etabliert haben, so die Beobachtung von Vito Tanzi: „Unfortunatly, corruption is like a cancer, it starts in one specific area, (...) and spreads to other areas.“[84] Es sind vor allem der Bausektor, die Waffen- und Verteidigungsindustrie sowie der Energiesektor, die wegen des hohen Gewinnpotenzials aus Aufträgen der öffentlichen Hand und wegen der Spezialisierung von Unternehmen auf diese Bereiche als besonders anfällig gelten.[85]
Aussagen, wonach Korruption in Deutschland zum „Handlungsmuster alltäglicher Geschäftpolitik“ gehört und „3 bis 5% der Auftragssummen“ als Gegenleistung für bevorzugte Auftragsvergaben gezahlt werden,[86] sowie Umfragen unter Unternehmen, wonach „14% der Befragten angaben, schon einmal bestochen zu haben“ und „54% sagten, sie hätten schon einmal einen Auftrag verloren, weil sie sich weigerten, Schmiergeld zu zahlen,“[87] deuten darauf hin, dass es sich bei Korruption um ein strukturelles Kriminalitätsphänomen, um „Strukturkriminalität“[88] handeln könnte, bzw. dass Korruption „flächendeckend“[89] verbreitet zu sein scheint.
Relativierend im Hinblick auf diese Diagnose muss jedoch konstatiert werden, dass es sich bei Korruption auch um einen „exemplarischen Fall für die Konstruktion abweichenden Verhaltens durch kulturelle Normen, öffentliche Meinung und durch Skandalisierung“ handelt.[90] Insofern das Thema der Korruption in den 1990er Jahren eine in Deutschland bis dato ungeahnte öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr, die in der Rede von der „Bananenrepublik Deutschland“ oder in Aussagen wie „Korruption ist schlimmer als Mord“[91] gipfelten, kann der scheinbar hohe Verbreitungsgrad der Korruption auch schlicht auf eine verstärkte mediale Aufmerksamkeit zurückgeführt werden. Aus kriminologischer Sicht wird dieser Sachverhalt „Kontrollparadox“ genannt: „Je sensibler eine Gemeinschaft gegenüber bestimmten sozialen Problemen wird, desto mehr scheinen diese zuzunehmen, denn man nimmt sie häufiger wahr.“[92]
Erwähnenswert schließlich sind die negativen Folgen der Korruption, über die in der Forschung weitestgehend Einigkeit besteht. Korruption bewirkt einen Vertrauens- oder Legitimitätsverlust öffentlicher Institutionen und Funktionsträger, bestehende Ungleichheiten werden zementiert oder verschärft, und meistens resultiert aus Korruption eine Überteuerung öffentlicher Güter zu Lasten der Allgemeinheit. Allein in der Bauindustrie wird ein jährlicher Schaden von 5 Milliarden Euro geschätzt; bis zu 5% des BSP sollen auf Schmiergelder entfallen, und korruptiv ausgehandelte Preise liegen im Schnitt 30% über den Marktpreisen.[93] Auch wenn Korruption manchmal zur Beschleunigung bürokratischer Entscheidungsabläufe führen kann, oder eventuell gegebene „Marktunvollkommenheiten“ korrigiert, nutzt sie in der Regel nur den unmittelbar beteiligten Akteuren bzw. (bei Nicht-Entdeckung und ausbleibender Strafverfolgung) den Organisationen, für die sie kriminell werden.
Wie bereits erwähnt, ist es weder möglich noch zulässig, allgemeine Schlussfolgerungen aus dem spärlichen empirischen Wissen über Korruption abzuleiten. Es scheint vielleicht übertrieben, strukturelle Korruption als „übliche“ oder weit verbreitete Geschäftspraktik zu betrachten. Dennoch „besteht in Deutschland ein Problem mit (struktureller, d.V.) Korruption im Bau- und Vergabebereich“[94], und es fragt sich, aus welchen Gründen gerade dort. Eine Antwort auf diese Frage findet sich sicherlich in den organisatorischen, ökonomischen oder politischen Rahmenbedingungen, die solche Entwicklungen ermöglichen. Neben der subjektiven Devianz-Bereitschaft der Beteiligten müssen auch objektive Möglichkeiten zur Korruption gegeben sein, und nach diesen soll weiter unten gefahndet werden. Zunächst aber wird im nächsten Abschnitt untersucht, ob und auf welche Art und Weise einige gängige kriminologische Theoreme dieser Fragestellung entsprechen könnten.
[...]
[1]: Bettino Craxi, ehemaliger italienischer Staatspräsident, im Zusammenhang mit den gegen ihn erhobenen Korruptionsvorwürfen; zitiert nach Die Zeit vom 30. Dezember 1994.
[2]: Vgl. die Charakterisierungen der Hauptakteure im Kölner Müllskandal unter anderem als „dreist“ und „geldgierig“, als „machtbesessen“, „skrupellos“ „Nimmersatt,“ „Abzocker,“ „unersättlich“, „Wegelagerer“ und „Raubritter“; Berger/Spilcker 2003, S.12, S.38, S.97; Beuker/Überall 2003.
[3]: Vgl. dazu Bannenberg 2002, S.209ff..
[4]: Zitiert nach Azfar/Lee/Swamy 2001, S.51.
[5]: Holtkamp/Munier 2002, S.185.
[6]: Zitiert aus einem Faltblatt des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen: „Was Sie über die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität wissen sollten“, herausgegeben vom Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, Referat für Öffentlichkeitsarbeit, Düsseldorf 2003.
[7]: Bannenberg/Schaupesteiner 2004, S.41.
[8]: Durkheim 1984, S.157.
[9]: Scheuch 2003, S.48.
[10]: Mc Mullan 1961, S.183; Smelser 1984, S.206.
[11]: Höffling 2003, S.83.
[12]: Bannenberg 2002, S.357.
[13]: Ebd., S.363.
[14]: Vgl. Coleman 1998, S.180ff..
[15]: Höffling 2003, S.83.
[16]: So auch der Buchtitel von Fleck/Kuzmics (Hrsg.)1986.
[17]: Merton 1968, S.175. Vgl. in diesem Sinne auch Pfeiffer/Scheerer, die Kriminalität als „eine `normale` Reaktion auf bestimmte gesellschaftliche Strukturprämissen“ charakterisieren; Pfeiffer/Scheerer 1979, S.11.
[18]: Bannenberg/Schaupensteiner 2004, S.21.
[19]: Rose-Ackermann 1999. S.9.
[20]: Vgl. Tanzi 1998a, S.8: “Typically, acts of corruption do not take place in broad daylight.”
[21]: Höffling 2002, S.14.
[22]: Alemann/Kleinfeld 1992, S.261.
[23]: Reiter 2003, S.4. Paul Noack vergleicht die Suche nach einer zutreffenden Korruptionsdefinition mit derjenigen nach dem „heiligen Gral“; Noack 1985, S.14.
[24]: Vgl. den Bundeslagebericht des BKA: „Die kriminologische Sichtweise ist sehr weitgehender Natur und umfasst eine Vielzahl von verschieden gelagerten Sachverhalten.“ BKA 2004, S.70.
[25]: Um nur einige Beispiele zu nennen: Neben Bestechung/Bestechlichkeit, Machtmissbrauch, Vetternwirtschaft, Klientelismus, Betrug, Unterschlagung, Veruntreuung und Ämterpatronage fallen auch Begriffe wie „Netzwerke,“ illegitime oder illegale „Formen der Interessenvertretung“, Submissionsabsprachen oder Wirtschaftsspionage. Der sinnverwandte Wortschatz umfasst Begriffe wie „Einfluss, Überredung, Begünstigung, Protektion, Beziehungen, Interesse, Ränke, Machenschaften, Intrige, Schmiergeld, Erpressung, Verführbarkeit, Anstiftung, Druck, Reiz, Willenslenkung, Versuchung.“ Silbermann, zit. nach Alemann/Kleinfeld 1992, S.261.
[26]: Bannenberg 2002, S.13.
[27]: Brasz, zit. nach Jain 1998, S.13; es handelt sich hierbei um die sogenannte „public opinion“-Definition, wonach solche Handlungen korrupt sind, die von der Öffentlichkeit als korrupt verurteilt werden; Vgl. dazu Kurer 2003.
[28]: So auch Schwitzgebel 2003, S.65f.
[29]: Vgl. Luhmann 1997, S.172.
[30]: Vgl. Noack 1987, S.15.
[31]: Vgl. Coleman 1985, S.48; Scheuch 2002, S.80; Scheuch und Scheuch 2000, S.17.
[32]: Jain 1998, S.VII; Ricks 1995, S. 191.
[33]: Vgl. Schuller 1982; Gebhardt 2003, S.17.
[34]: So z.B. Alphons Silbermann: „Jeder ist unmoralisch“; zit. nach Alemann/Kleinfeld 1992, S.268.
[35]: Vgl. Noack 1987, S.44ff.; Fleck/Kuzmics 1985, S.12; Smelser 1985, S.216.
[36]: Als typische Definition ebenfalls zitiert bei Fleck 1985, S.13; Alemann/Kleinfeld 1992, S.263.
[37]: Vgl. Noack 1995, S.25. Gebhardt 2003, S.16: „Korruption ist nur als Gegenbegriff zum Begriff des ‚Gemeinwohls’ zu fassen.“
[38]: Scheuch 2002, S.79, 81, 88.
[39]: Auf die Frage, was man unter Missbrauch verstehen könnte, erhält man nur mit einer rein juristischen Sichtweise eine klare Antwort (Gesetzesverstoß).
[40]: Vgl. Valdés 2002, S.117f..
[41]: Vgl. Alemann/Kleinfeld 1992, S.276f.; Ruge 2000, S.33.
[42]: Kurer 2003, S.48. Ein Beispiel für Korruption im öffentlichen Interesse ist zum Beispiel die Bestechung von Funktionären eines Konzentrationslagers durch Oskar Schindler; Valdés 2003, S.117.
[43]: Neckel 1995.
[44]: Höffling 2002, S.25.
[45]: Weber 1980, S.13.
[46]: Neckel 1995, S.12.
[47]: Vgl. u.a. Neugebauer 1978, Dietz 1998.
[48]: Ricks 1995, S.194; Dietz 1998, S29ff, der genauso wie Jain (1998, S.13ff.) das Principal-Agent-Modell zu Grunde legt. Hierzu mehr unter Kapitel 1.3
[49]: Vgl. Bannenberg/Schaupensteiner 2004, S.27f.; Schilling 2004, S.22
[50]: Bannenberg 2002, S.17.
[51]: Da es sich hierbei um Begriffsbestimmungen des Rechtssystems handelt, die aus systemtheoretischer Perspektive nicht in Konkurrenz zu wissenschaftlichen Definitionen stehen können, da sie andere Funktionen erfüllen als diese, sind die hier referierten Kritikpunkte zumindest für den Systemtheoretiker nicht von Belang. Sie werden trotzdem erwähnt, um das Spektrum begrifflicher Problematisierungen möglichst erschöpfend darzustellen.
[52]: Vgl. Bannenberg 2002, S.13f.
[53]: Vgl. Schmidt 2003, S.69.
[54]: Sturm 2003, S.57f.; Ruge 2000, S.21; Noack 1987, S.20f.
[55]: Smelser 1985, S.204, S.225.
[56]: Boers/Theile/Karliczek 2003, S.747.
[57]: Die sog. „auto-corruption“, das heißt die überzogene Selbstversorgung von Amtsträgern, stellt nach Aussage von Arnims sogar eher eine untypische Ausnahme der Korruption dar; vgl. von Arnim 2003, S.81.
[58]: Als zutreffend erweist sich diesbezüglich auch eine Einsicht Foucaults, wonach eine Begriffsgeschichte nicht die seiner „fortschreitenden Verfeinerung“ oder „ständig wachsenden Rationalität“ ist, sondern „die seiner verschiedenen Konstitutions- und Gültigkeitsfelder, die seiner aufeinanderfolgenden Gebrauchsregeln, der vielfältigen theoretischen Milieus.“ Foucault 1997, S.11.
[59]: Bannenberg 2002, S.58. Gemeint sind: PKS und die Lagebilder Korruption des BKA. Vgl. Höffling 2002, S.19: „Empirisch gilt ‚Korruption in Deutschland’ auch nach zehn Jahren andauernder gesellschaftlicher und kriminalpolitischer Aktualität noch immer als (...) recht trüber Fleck.“ Auch Albrecht (1999, S.118) betont die „erheblichen Forschungslücken“ im Hinblick auf Korruption.
[60]: Vgl. Die Neue Polizei, Heft 3, 2002, S.9.
[61]: BKA 2004, S.47; Bannenberg/Schaupensteiner (2004, S.37) nennen eine Größe von 95%.
[62]: Bannenberg/Schaupensteiner 2004, S.36.
[63]: Bannenberg 2002, S.52, S.61.
[64]: Bannenberg/Schaupensteiner 2004, S.37f.
[65]: Vgl. BKA 2004, S.48. Diese Feststellung bestätigte auch eine Überprüfung des Hessischen Rechnungshofes über die Vergabe öffentlicher Bauaufträge in Hessen Anfang der 90er Jahre, die ergab, dass „Korruption [im Bauwesen] kein Einzelphänomen oder eine Häufung von zu bedauernden Einzelfällen ist, sondern System.“ Vgl. Müller 1993, S.510; Vgl. ebenso Bannebrg 2002, S.366: Korruption im Bauvergabebereich ist „fast ubiquitär.“
[66]: Bannenber 2002, S.84; Höffling 2002, S.26ff..
[67]: Höffling 2002, S.32ff.; Bannenbrg 2002, S.89ff.
[68]: Höffling 2002, S.32.
[69]: Offensichtlich ist dies beispielsweise in Lateinamerika der Fall: „Für Lateinamerikaner gehört Korruption zur Logik des Alltags. Sie ist Sozialstruktur, Handlungsnorm, Bewusstseinsform.“ Paul 1998, S.414.
[70]: Höffling 2002, S.77f. Höffling verknüpft die beiden letztgenannten Merkmale mit dem der zeitlichen Ausdehnung/Beziehungsstabilität, um daraus vier Idealtypen korruptiver Beziehungen zu entwickeln, welche aber die empirische Wirklichkeit nicht abbilden, sondern als „gedankliche Abstraktionen“ bzw. Konstruktionen lediglich als Hilfsinstrumente zur „vergleichenden Beschreibung“ (2003, S.89) der empirisch beobachteten Korruptionsfälle dienen sollen: riskante, intime, expansive und alltägliche Korruption; vgl. ebd. S.78.
[71]: Höffling 2002, S.33f.; Bannenberg 2002, S.89.
[72]: Bannenberg 2002, S.114.
[73]: Bannenberg 2002, S.91; Höffling 2002, S.36. Bagatell- und Einzelfallkorruption dagegen ist in Deutschland „eher selten und kein verbreitetes Phänomen,“ da hier noch von einer gut funktionierenden Verwaltung auszugehen ist, und die Gehälter nicht unter der Armutsgrenze liegen. (Bannenberg 2002, S.329)
[74]: BKA 2004. S.37; Vgl. ebd. S.48: der „überwiegende Teil“ der registrierten Korruptionskriminalität ist „struktureller Natur.“
[75]: Höffling 2002, S.46.
[76]: Vgl. Neugebauer 1978, S.27f.; Ricks 1995, S.228f.
[77]: Vgl. Bannenberg 2002, S.109f. mit anschaulichen Beispielen, oder auch Bannenberg/Schaupensteiner 2004, S.100-206 mit Beispielen.
[78]: Höffling 2002, S.79, Vgl. auch Bannenberg 2002, S.108f.
[79]: Vgl. Höffling 2002, S.194 unter Rekurs auf die Theorie der Neutralisation von Sykes und Matza.
[80]: Höfffling 2002, S.204ff.; Bannenberg 2002, S.233f..
[81]: Bannenberg 2002, S.218.
[82]: Dietz 1998, S.44f..
[83]: Bannenberg 2002, S.371.
[84]: Tanzi 1998b, S.112.
[85]: Bannenberg 2002, S.328f. Spätestens seit dem Müllskandal in Köln gilt dies wohl auch für die Abfallentsorgung.
[86]: Schaupensteiner 2004, S.119.
[87]: Forsa-Umfrage 2002; zit. nach Eigen 2003, S.140.
[88]: Hiervon ging auch der damalige BKA-Präsident Ulrich Kersten auf einer Tagung zum Thema „Wirtschaftskriminalität und Korruption“ 2002 aus; BKA 2003; S.31.
[89]: Schaupensteiner 1997, S.7. Vgl. auch die Schätzung von Schaupensteiner, Leiter der Anti-Korruptionsabteilung bei der Frankfurter Staatsanwaltschaft, wonach das (steuerfreie) Korruptionsvolumen deutscher Firmen im Ausland 1998 „fünf Milliarden Mark Schmiergelder im Jahr“ betrug; zitiert nach Paul 1998, S.413.
[90]: Karstedt 2003, S.388.
[91]: So der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter 1996; zit. nach Höffling 2002, S.13.
[92]: Bussmann 2004, S.3. Auch dies ist eine Einsicht Durkheims: gewinnen die „intensiven Gefühle des Gemeinbewußtseins“ eine ganz besondere Stärke, „so wächst auch die Empfindlichkeit gegen Angriffe, die es sonst nur schwach berühren.“ Durkheim 1984, S.158.
[93]: Vgl. Eigen 2003, S.139; Schaupensteiner 1996, S.7; Bannenberg 2002, S.240ff.
[94]: Banneberg 2002, S.330.
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