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Mehr InfosMagisterarbeit, 2003, 112 Seiten
Magisterarbeit
Technische Universität Darmstadt (Erziehungswissenschaft, Psychologie u. Sportwissenschaft)
1,0
1 Einleitung
1.1 Vorwort
1.2 Fragestellung und Zielsetzung der Arbeit
1.3 Aufbau der Arbeit
2 Migrationsgeschichte und soziostrukturelle Lebenssituation von Migrantinnen der ersten Generation
2.1 Von der Massenanwerbung zum Anwerbestopp – ein historischer Überblick der weiblichen Migration
2.2 Frauenspezifische Aspekte der Migration
2.3 Spezifika des Alterns von Migrantinnen und Migranten
2.3.1 Die Lebenssituation älterer Migrantinnen und Migranten
2.3.2 Zur Rentensituation älterer Migrantinnen und Migranten
2.3.3 Zur Wohnsituation älterer Migrantinnen und Migranten
2.3.4 Zur Gesundheitssituation älterer Migrantinnen und Migranten
2.3.5 Interkulturelle Schwierigkeiten älterer Migrantinnen und Migranten
2.3.6 Alter und Ethnizität in der Migration
2.3.7 Zur Geschlechterproblematik älterer Migrantinnen und Migranten
2.3.8 Die Rückkehrbereitschaft älterer Migrantinnen und Migranten
2.3.9 Resümee
3 Integrationstheorien
3.1 Begriffsklärung: Integration
3.2 Migrations- und Integrationsforschung
3.2.1 Rechtlich-politische Gleichstellung
3.2.2 Soziale Gleichstellung
3.2.3 Gleiche Chancen zur kulturellen Entfaltung
3.2.4 Resümee
4 Interkulturelle Pädagogik
4.1 Zum Umgang mit Fremdheit
4.2 Resümee
4.3 Bildungsarbeit mit älteren Menschen
4.4 Bisherige Maßnahmen zur Integrationsförderung von älteren Migrantinnen und Migranten – Modellprojekte
4.4.1 ‘Konzepte und Strategien für die Versorgung von älteren Migranten‘
4.4.2 ‘¡Adentro!: Spanisch sprechende Seniorinnen und Senioren mischen sich ein‘
4.4.3 ‘Deutsche und Ausländer gemeinsam: Aktiv im Alter‘
4.4.4 Projektvergleich
4.4.5 Resümee
5 Migrantinnen der ersten Generation – Ergebnisse eines Studienprojektes
5.1 Projektbeschreibung
5.2 Die Methodik
5.3 Auswertung der Leitfadeninterviews
5.4 Portraits der Migrantinnen
5.5 Aspekte des Integrationsprozesses
5.5.1 Ankunft in Deutschland: Erwartungen und prägende Erlebnisse
5.5.2 Barrieren einer Aufnahmegesellschaft
5.5.3 Selbstwahrnehmung – Gefühl der Zugehörigkeit (?)
5.5.4 Pläne für die Zukunft – zurückkehren oder bleiben?
5.6 Zusammenfassung der Ergebnisse
6 Konsequenzen für die Pädagogik und Ausblick
Anhang: Leitfaden für die Migrantinneninterviews
Literaturverzeichnis
Abbildung 1: 4-Felder Ansicht des WinMAX Textanalyseprogramms
Abbildung 2: Liste der Texte
Abbildung 3: Der Bildschirm beim Codieren
Abbildung 4: Liste der Codings
Frauen als Migrantinnen[1] sind in den letzten Jahren in Literatur und Forschung immer häufiger thematisiert worden. Eine Sichtung der letzten 15-20 Jahre lässt erkennen, dass eine Dokumentation der ‘Probleme‘ von Migrantinnen und deren ‘Lösungsversuche‘ erst den Anfang von Veröffentlichungen bildet. Ende der 90er Jahre zeigte die Literatur erstmals auch Bestand und Weiterentwicklungstendenzen statt bloße Problemdarstellungs- und -lösungsliteratur (vgl. Gieseke 1999). Es scheint, als sei mittlerweile alles aufgezeigt, was Migrantinnen (in der Bundesrepublik Deutschland) das Leben schwer macht. Ob sich dadurch aber wirklich ihre eigene Lebenssituation verbessert hat – das sei dahingestellt.
'Migration' und 'Integration' sind nicht nur ganz aktuelle und politisch sehr brisante Schlüsselbegriffe unserer gegenwärtigen gesellschaftlichen Debatte, sondern auch historische Phänomene, die kaum einen anderen europäischen Raum so geprägt haben wie das Gebiet, das die frühere Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1990 umfasst. Erst seitdem ein Großteil der erwerbstätigen Ausländer und Ausländerinnen immer häufiger beschließt, für immer in ihrer ‘Wahlheimat‘ zu bleiben, wird sich mit dem Problem der älteren Migranten und Migrantinnen näher befasst. Auch wenn die meisten Migrantinnen und Migranten der ersten Generation immer in ihren Gedanken einen gepackten Koffer zur Rückkehr bereit halten, kehren sie nur selten in ihr Herkunftsland zurück.
Die vorliegende Arbeit soll dazu beitragen, kulturelle und nationale Identitäten von Migrantinnen zu respektieren und die eigene Einstellung nicht von bedingungsloser nationaler Assimilation abhängig zu machen.
Ziel der Arbeit ist aufzuzeigen, welchen Anteil und welchen Wert die Integration, deren mögliche Definition im Folgenden gegeben wird, im Leben von Migrantinnen der ersten Generation einnimmt. Zuvor wird ein Überblick über die Migrationsgeschichte, Charakteristika von älteren Migrantinnen und Migranten und Integrationstheorien gegeben. Diese Überlegungen zielen insbesondere darauf ab, verschiedene Problem- und Konfliktlagen von Migrantinnen und Migranten der ersten Generation aufzuzeigen. Die theoretischen Erkenntnisse sollen anhand von vier ausgewählten Interviews, die im Rahmen des Projektes Biografien und Lebenserfahrungen von Migrantinnen der ersten Generation geführt wurden, empirisch überprüft werden.
Zum Einen soll aufgezeigt werden, ob der Wunsch der Frauen in das ursprüngliche Herkunftsland zurückzukehren, überhaupt besteht und welche Gründe dafür herangezogen werden können. Zum Anderen soll geprüft werden, welche Umstände für die oft schlechte Integration der Frauen verantwortlich sind und ob die Frauen diese auch bewusst erkennen oder nur unbewusst erleben. Es soll dargelegt werden, in welchen Fällen sich die Frauen in ihrer Integration unterstützt gefühlt haben und als wie stark integriert sie sich selbst einschätzen. Weiterhin soll geklärt werden, inwieweit der ‘provisorische‘ Aufenthaltsgedanke der Frauen ausschlaggebend für die häufig schlechte Integration ist.
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Integrationsproblematik von Migrantinnen der ersten Generation im Raum Darmstadt. Sie versteht sich primär als empirische Studie, deren Daten mittels einer qualitativen Methode der Sozialforschung, des Leitfadeninterviews[2], gewonnen wurden.
Um dennoch einen einigermaßen fundierten Verständnisrahmen abzustecken, der über die Grenzen des Beobachtungsfeldes der interviewten Migrantinnen hinausgeht, habe ich dem empirischen Teil einen theoretischen vorangestellt. Zunächst möchte ich beschreiben, wie und in welcher Form es ab Mitte der 50er Jahre zu einer stetig wachsenden Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften kam, insbesondere nach weiblichen Arbeitskräften (Punkt 2.1 und Punkt 2.2). Weiterhin werde ich einige Aspekte der sozialen Situation älterer Migrantinnen und Migranten beleuchten (Punkt 2.3).
Um Integrationstheorien, eine Begriffsklärung sowie Migrations- und Integrationsforschung (Punkt 3), eine Beurteilung interkultureller Pädagogik (Punkt 4, 4.1 und 4.2) sowie bisheriger Maßnahmen zur Integrationsförderung älterer Migrantinnen und Migranten (Punkt 4.4) geht es im letzten Abschnitt des theoretischen Teils.
Der empirische Teil beginnt mit der Vorstellung des Studienprojektes Biografien und Lebenserfahrungen von Migrantinnen der ersten Generation (Punkt 5.1) und den Grundzügen des methodischen Vorgehens (Punkt 5.2).
Danach folgt die Darlegung der Ergebnisse der Interviews und deren Auswertung. Im ersten Teil habe ich zur Übersicht die Portraits der Gesprächspartnerinnen aufgeführt (Punkt 5.4), anschließend folgt eine Auswertung nach vier thematischen Schwerpunkten (Punkt 5.5), die einen Einblick in die Lebenssituation der interviewten Migrantinnen, deren Aussagen ich in Form von Zitaten aufgeführt habe, erlauben soll.
In einer Zusammenfassung werde ich die wichtigsten Ergebnisse darstellen (Punkt 5.6) und abschließend mögliche Konsequenzen für die Pädagogik und einen Ausblick formulieren (Punkt 6).
Das Thema „Integrationsproblematik von Migrantinnen der ersten Generation – eine kritische Perspektive auf das Projekt Biografien und Lebenserfahrungen von Migrantinnen erfordert zunächst einmal eine Grundlagenklärung insbesondere dort, wo es um den Begriff der Integration und unterschiedlicher Integrationsvorstellungen geht, sowie bisheriger Maßnahmen zur Integrationsförderung von Migrantinnen und Migranten der ersten Generation. Vorab soll ein kurzer historischer Rückblick die weibliche Migration noch genauer veranschaulichen.
Ab Mitte der 50er Jahre begannen einige Staaten Westeuropas ihren zusätzlichen Bedarf an billigen, wenig qualifizierten Arbeitskräften durch Zuwanderung aus ehemaligen oder damals noch bestehenden Kolonien und Überseegebieten zu decken. Andere Länder – darunter auch die Bundesrepublik Deutschland – holten die damals als ‘Gastarbeiter‘ bezeichneten Eingewanderten aus dem Mittelmeerraum: zuerst aus Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, später auch aus Marokko, Algerien, Tunesien, und schließlich aus der Türkei und dem früheren Jugoslawien (vgl. Böhning 1972, Castles/Miller 1998). Ohne die vielen Migrantinnen und Migranten wäre ein erhebliches Defizit an Arbeitskräften entstanden. Man kann also zugespitzt formulieren: Ohne das ‘Wirtschaftswunder‘ wäre die Integration von Migrantinnen und Migranten kaum möglich gewesen. Ohne deren zusätzliches Arbeitskraftpotential wäre das ‘Wirtschaftswunder‘ wohl kaum möglich gewesen.
In Westdeutschland erfolgte die Anwerbung von Arbeitskräften vor allem ab 1961, da nach dem Bau der Mauer keine Bürger und Bürgerinnen aus dem Staatsgebiet der damaligen Deutschen Demokratischen Republik mehr ins Land kamen. Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre erreichte die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte in Deutschland und den meisten anderen Ländern Westeuropas ihren vorläufigen Höhepunkt (vgl. Münz 2001, S. 34). Die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte stieg von 1968 bis 1973, als sie ihren Höhepunkt erreichte, von 1,014 auf 2,595 Millionen. Allein zwischen 1968 und 1971 wurden so viele Ausländer und Ausländerinnen beschäftigt wie in der Zeit bis 1968 insgesamt (vgl. Herbert 2001, S. 224). Seit Ende Januar 1972 waren Menschen aus der Türkei – darunter sehr viele kurdischer Volkszugehörigkeit – die größte unter den nationalen Gruppen der Gastarbeiter (vgl. FAZ 1984). Die Aufenthaltsdauer der Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen stieg beständig an, und der Anteil derer, die ihre Familien nachholten, nahm zu. Von den insgesamt 284.500 ausländischen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, die im ersten Halbjahr 1965 nach Deutschland reisten, kamen 232.000 (81,5%) aus den sogenannten Anwerbeländern (vgl. Bundesanstalt für Arbeit 1965, S. 364). Seit Mitte der 60er Jahre begann die Zahl der beschäftigten ausländischen Frauen zu wachsen. Der Frauenanteil unter den ausländischen Arbeitnehmern (1,164 Millionen) lag 1965 bei 23,1% (268.900). Zugleich stieg der Anteil der Frauen an der Gesamtbeschäftigung stetig an. Die meisten ausländischen Arbeitnehmerinnen kamen im Jahre 1965 aus Griechenland (65.800) (vgl. Bundesanstalt für Arbeit 1965, S. 365).
Der Anstieg der nichterwerbstätigen Ausländerinnen und Ausländer (1961 waren es 137.200, 1967 schon 815.000 und 1973 sogar schon 1,37 Millionen) war ein Hinweis auf einen längerfristigen oder sogar dauerhaften Aufenthalt einer zunehmenden Zahl von Ausländern und Ausländerinnen in Deutschland (vgl. Herbert 2001, S. 225). Diese Situation barg die Gefahr einer zunehmenden finanziellen Belastung, in erster Linie für die von der Allgemeinheit getragenen Ausgaben (z.B. Sozialkassen, Krankenkassen) in sich. Mit der Aussicht, dass der wirtschaftliche Nutzen der Gastarbeiter absinken könnte, entstand in der Bundesrepublik Anfang der 70er Jahre eine heftige Debatte über Vor- und Nachteile der Ausländerbeschäftigung. Der Wendepunkt der Ausländerpolitik wurde im Jahre 1973 erreicht. In seiner Regierungserklärung im Januar 1973 hatte Bundeskanzler Brandt die Notwendigkeit betont, „daß wir sehr sorgsam überlegen, wo die Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft erschöpft ist und wo soziale Vernunft und Verantwortung Halt gebieten“ (vgl. Özçan 1989, S. 208).
Am 23. November 1973 wurde dann mit dem ‘Anwerbestopp‘ der weitere Zustrom von Gastarbeitern aus Nicht-EG-Ländern ganz abgeschnitten. Erst in der zweiten Hälfte der 70er Jahre bewirkte der Anwerbestopp und weitere Einwanderungsbeschränkungen in einigen Ländern eine Abnahme der ausländischen Wohnbevölkerung. Eine Reduktion ausländischer Arbeitskräfte wurde in erster Linie dadurch erreicht, dass befristete Aufenthaltsgenehmigungen und Arbeitserlaubnisse nicht mehr verlängert wurden (vgl. Haug 1980). Der damalige Anwerbestopp hatte aber nicht die erwartete Wirkung. Obwohl viele ausländische Arbeitskräfte mit Nachdruck zur Rückkehr aufgefordert und Rückkehrbeihilfen ausbezahlt wurden, führten die neuen Beschränkungen allenfalls zu einer Verlangsamung, jedoch zu keinem Ende der Einwanderung. Der eigentliche Grund dafür war eine Veränderung im Verhalten der Arbeitsmigrantinnen und -migranten. Vor 1973 waren viele von ihnen bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses ausgereist und bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit wiedergekommen. Den damaligen Anwerbestopp haben aber viele als Signal verstanden, dass dies in Zukunft nicht mehr möglich sein würde. Vielen außereuropäischen Migranten und Migrantinnen verblieb von Mitte der 70er bis in die späten 80er nur die Möglichkeit, Asyl zu beantragen, um einen legalen Aufenthaltsstatus zu erlangen.
Auch heute ist die deutsche Ausländer- und Migrationspolitik vor allem ein Spiel mit Zahlen und Definitionen – egal ob in der Asylpolitik, in der Debatte um die green-card oder in der aktuellen Diskussion um ein Einwanderungsgesetz. Alle beruhen sie auf der erfolgreichen Kontrolle, Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung. Interessen und Motive von Migranten und Migrantinnen spielen in den Auseinandersetzungen kaum eine Rolle. Sie werden in der politischen und wissenschaftlichen Diskussion nach ethnischer oder nationaler Zugehörigkeit sortiert, nur selten willkommen geheißen und häufig als Last oder Bedrohung wahrgenommen (vgl. Halberstadt 2001).
Viele ausländische Arbeitskräfte blieben im Zielland, auch wenn sie gerade keine Arbeit hatten. Viele holten Ehepartner und Kinder nach oder gründeten in Deutschland oder anderswo in Westeuropa eigene Familien. Aus Arbeitsmigrantinnen und -migranten auf Zeit wurden somit erst nachträglich Einwanderer (vgl. Münz 2001, S. 35).
Die unterschiedlichen Auffassungen frauenspezifischer Aspekte der Arbeitsmigration, die häufig darauf hinausliefen, die Migrantin als einen Sondertypus gegenüber einer ‘normalen‘ weiblichen Identität zu untersuchen und auch die Kritik der Migrantinnenbewegung (vgl. FeMigra 1994; Gümen 1993) an diesen Deutungen von überwiegend westdeutschen Frauen, führten letztendlich zu dem Ergebnis, dass man nicht von einem Erklärungsmodell (z.B. Patriarchat), sondern von unterschiedlichen Bedingungen, Voraussetzungen und Emanzipationsprozessen bei Migrantinnen ausgehen muss. Oft wurden frauenspezifische Aspekte dahingehend untersucht, ob die Migration eher zu einem Emanzipationsgewinn oder -verlust geführt hat. Die Migrationsgründe sind bei fast allen Migrantinnen der ersten Generation gleich: Aspekte wie Heiratsmarkt und neue Perspektiven für die Familiengründung standen im Vordergrund. Frauen erfuhren die ‘neue‘ Gesellschaft jedoch anders als Männer. Auf der einen Seite waren sie für die Aufrechterhaltung kultureller Traditionen, insbesondere in der Familie, verantwortlich, andererseits wollten sie selbst auch aus den neuen Möglichkeiten schöpfen (vgl. Herwartz-Emden/Westphal 1997, S. 9). „Motive für eine Migration sind auf Seiten der Frau sehr häufig damit verbunden, besonders schwierige Lebenssituationen zu ändern und die Restriktionen der Geschlechtsrolle aufzuheben. Die Migration war von daher eine aktive und positive Antwort von Frauen, die den Druck des Milieus, die Diskriminierung in der Erbfolge, Gewalt in der Familie und andere Formen der Unterdrückung nicht mehr hinnehmen wollten.“ (Herwartz-Emden/Westphal 1997, S. 9)
Erst seit Mitte der 60er Jahre wurden neben den männlichen auch weibliche Arbeitskräfte angeworben. Erstmals gab es nicht nur die ‘Gastarbeiter‘ mit ihren nachziehenden Frauen und Kindern. Diese ‘Gastarbeiterinnen‘ wurden überwiegend in sogenannten frauenspezifischen Branchen, wie der Bekleidungs- und Textilbranche, eingesetzt. Ebenso gefragt waren Ausländerinnen im Dienstleistungsgewerbe, insbesondere im Gaststätten- und Krankenhausbereich. Die Bundesanstalt für Arbeit hatte häufig große Probleme, Frauen anzuwerben, da deren Kultur und Normen – also die Zuständigkeit der Frau für Familie und Hausarbeit und die Repräsentation des Mannes im Außenbereich – eine große Rolle spielten (vgl. Steffens 2002). Zunächst wurden die angeworbenen Gastarbeiterinnen in behelfsmäßigen Unterkünften untergebracht, in denen ihnen nur eine sehr geringe Wohnfläche zur Verfügung stand. Für viele erschien die künftige Wohnsituation kaum aushaltbar, wie dieses Zitat verdeutlicht:
„In den Richtlinien ging es zunächst um die Wetterbeständigkeit der Unterkünfte und die Belüftungs- und Beheizungsmöglichkeiten. In den Richtlinien von 1964 sind pro Person 4 Quadratmeter Raum in 6-Personen-Zimmern vorgesehen. 1971 wurde der Raumbedarf auf 6 qm Schlafraumfläche und 8 qm Gesamtwohnfläche pro Person angehoben und die Zahl der Personen pro Zimmer auf 4 herabgesetzt. Die Bestimmungen über die Einrichtung beinhalten nur das Allernötigste: einen Tisch, einen Stuhl. Einen Schrank und eine Lampe, für jeweils zwei Personen eine Herdstelle in der Küche, ein Waschbecken für jeweils fünf Personen, eine Dusche für zwanzig, ein Urinalbecken und eine Toilette für jeweils 2 Personen.“ (vgl. Fremde Heimat 1998)
Die Ansprüche der Frauen an die Unterkünfte waren nicht sehr hoch, da sie mit einem kurzfristigen Aufenthalt rechneten. Es sollte genügend Geld für die Rückkehr gespart werden, die in den meisten Fällen aber nur ein Traum blieb. Die meisten Frauen entschließen sich letztendlich, diese Illusion zu begraben.
Die Altersproblematik von Migrantinnen der ersten Generation ist bisher kaum untersucht worden. In der gegenwärtigen Literatur ist oft von einer gemeinsamen Altersproblematik die Rede, also sowohl der von Migrantinnen als auch von Migranten. Der ‘Migrant‘ oder die ‘Migrantin‘ ist mit Schwierigkeiten einer Integration konfrontiert, die das höhere Alter und in unserem Fall die Lebenssituation der ausländischen Frau nicht gerade vereinfachen. Dieses Phänomen macht deutlich, dass gravierende Unterschiede gerade innerhalb der eigenen Familie und Differenzen, die das eigene Geschlecht betreffen nur selten in Zusammenhang mit der Integration gesetzt wurden. Anhand vergangener Arbeiten sollen im folgenden Abschnitt einige Elemente herausgegriffen werden, die es ermöglichen, die Lebensumstände dieser schwächeren Bevölkerungsgruppe aufzuzeigen und dabei deutlich machen, welche Stellung der ältere Migrant und die ältere Migrantin in unserem gesellschaftlichen System bisher eingenommen haben. Dabei werden folgende Aspekte berücksichtigt: die Rentensituation, die Wohnsituation, die Gesundheitssituation, interkulturelle Schwierigkeiten, Alter und Ethnizität, die Geschlechterproblematik und die Rückkehrbereitschaft älterer Migrantinnen und Migranten.
Insgesamt nimmt die Zahl aller älterer Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland seit einigen Jahren stetig zu (vgl. Heigl 1995, S. 9). Im Jahre 2000 lebten rund 353.000 Ausländer und Ausländerinnen im Alter von 65 oder mehr Jahren in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Statistisches Bundesamt Deutschland). Fast die Hälfte dieser Personen stammt aus den früheren Anwerbestaaten, es handelt sich also um Migrantinnen und Migranten. Allerdings wurde der Anstieg an Ausländerinnen und Ausländern dieser Gruppe etwas überbewertet – so waren es 1996 noch 273.000 Ausländer und Ausländerinnen über 65, die in Deutschland lebten, entgegen einer Schätzung des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden, das von einer Verdoppelung der Zahl der älteren Ausländer und Ausländerinnen in etwa allen 10 Jahren ausgegangen ist.
Eine der Hauptursachen, die für die hohe Zahl der älteren Ausländer und Ausländerinnen nennenswert ist, ist vor allem der Eintritt ins bzw. das Erreichen des Rentenalters der ersten Generation der Arbeitsmigranten und -migrantinnen.
Betrachtet man die Lebenssituation älterer Migrantinnen und Migranten, so sind grundsätzlich Faktoren zu beachten, welche auf ältere Deutsche nicht zutreffen, die die Lebenslage der Migranten und Migrantinnen aber entscheidend prägen. Insbesondere ihre materielle Lage ist gekennzeichnet durch unterdurchschnittliche Rentenhöhen. Diese resultieren vor allem aus geringeren Beiträgen und kürzeren Anwartschaften zur Rentenversicherung gegenüber älteren deutschen Bürgerinnen und Bürgern. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Wohnsituation älterer Migranten und Migrantinnen. Sie wohnen überwiegend in zu kleinen, renovierungsbedürftigen Wohnungen mit überdurchschnittlichen Haushaltsgrößen, Kinder von Migrantinnen und Migranten bleiben oftmals weitaus länger im Elternhaus wohnen als Kinder deutscher Eltern. Leider sind nur diese preiswerten Wohnungen von ihnen überhaupt bezahlbar.
Hinzu kommt die gesundheitliche Situation, die oft schlechter ist als die der deutschen Seniorinnen und Senioren. Es folgte oft eine Frühverrentung wegen Erwerbsunfähigkeit, die aus den damaligen Arbeitsbedingungen in den industriell-gewerblichen Betrieben herrührt.
Auch Schwierigkeiten, die man unter dem Begriff ‘interkulturelle Probleme‘[3] zusammenfassen kann sind hierbei von zentraler Bedeutung. Dies sind vor allem Sprachprobleme, außerdem Schwierigkeiten, die aus unterschiedlichen Wertesystemen resultieren. Besonders kennzeichnend für die Angehörigen der ersten Generation sind deutliche Tendenzen, sich auf die eigene Gruppe zurückzuziehen, was die Vermittlung der Normen des „Gastlandes“ zusätzlich erschwert. Außerdem kommt die Besonderheit der Ethnizität, d.h. das Phänomen, dass jeder Mensch mit zunehmendem Alter zu seinen primären Sozialisationsgradienten zurückkehrt, hinzu. Kulturell divergierende Vorstellungen vom Alter und vom Altern bekommen eine große Bedeutung, wenn man etwa daran denkt, dass die traditionelle Wertschätzung, die den Älteren in den Heimatländern entgegengebracht wird, in westlichen Ländern in dem Maße nicht wiederzufinden ist.
Ein die oben genannten Punkte zudem noch überlagerndes Problem stellt die Option der Rückkehr dar, deren Entscheidung sich viele Migranten und Migrantinnen lange nicht gestellt haben: „Die Rückkehrorientierung erzeugt das Gefühl, in einem Provisorium zu leben. Provisorium und die Rückkehr als Handlungsalternative entlasten [die Arbeitsmigranten] und befreien sie von der Notwendigkeit, endgültige Entscheidungen zu treffen.” (Dietzel-Papakyriakou 1993, S. 32). So ist es bei den Migrantinnen und Migranten schließlich zu einer faktischen Einwanderung gekommen, der keine bewusste Entscheidung vorausging. Denn ursprünglich sollte der Aufenthalt nicht länger als 3 bis 5 Jahre dauern, ausschließlich um ausreichendes Kapital für das Leben im Herkunftsland zu bilden.
Ältere Migrantinnen und Migranten haben in der Regel eine Erwerbsbiografie, die nicht so ausgeprägt ist, wie die der deutschen Seniorinnen und Senioren. Die Erwerbsbiografien der Migrantinnen sind dabei oft noch kürzer als die der Migranten, da die Erziehung der eigenen Kinder und der Einsatz für den Familienzusammenhalt sie von einer Erwerbstätigkeit abhielt. Als sie in die Bundesrepublik gekommen sind, waren sie zum größten Teil zwischen 25 und 35 Jahren alt. Es gibt nur wenige ausländische Senioren und Seniorinnen, die in diesem Alter in ihrem eigenen Heimatland schon nennenswerte Rentenansprüche erworben hatten.
Überwiegend waren die Migranten und Migrantinnen ohne Berufsausbildung, so dass sie – meist als Hilfsarbeiter und Hilfsarbeiterinnen – in Berufen mit geringer Entlohnung arbeiteten. Vor allem den Frauen fehlte häufig die Voraussetzung für eine Berufsausbildung. Die Herkunftsgesellschaft sah in der Migrantin in erster Linie die Mutter und Hausfrau. Resultat der fehlenden Ausbildung ist natürlich wiederum, dass sie weniger in die Rentenkassen eingezahlt haben. Bedingt durch die körperliche Arbeit – zwei Schichten hintereinander sowie Akkordarbeit waren keine Seltenheit – ist die Zahl der Frühverrentungen unter den Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern besonders hoch.
Die Renten der ausländischen Seniorinnen und Senioren, insbesondere derer aus den früheren Anwerbestaaten, sind im Durchschnitt niedriger als die von deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Dies resultiert zusammengefasst aus den kürzeren Anwartschaften, den geringeren Beiträgen zur Rentenkasse sowie daraus, dass faktisch keine Rentenansprüche im Heimatland bestehen (vgl. Backhaus-Maul & Vogel 1992, S. 168ff). Höhere Sozialhilfeabhängigkeit im Alter ist dadurch zwangsläufig vorprogrammiert.
Ein allgemeines Phänomen der Einwanderung ist die Kumulierung der einzelnen Staatsangehörigen in bestimmten Stadtteilen, Vierteln und Quartieren, in denen sie einen großen Teil respektive die Mehrheit der Wohnbevölkerung stellen. Zur Bezeichnung dieses Phänomens werden viele Begriffe – die meisten davon sind sehr negativ geprägt – verwendet: Bildung ethnischer Enklaven, ethnische Isolation, Segregation, Ghettoisierung, ethnischer Rückzug, Ausgrenzung oder Abschottung und Community (vgl. Elwert 1982, S. 717ff).
Die Bildung solcher ‘ethnischer Enklaven‘ hat eine Reihe von Ursachen. In erster Linie ist sie auf den Wunsch der Migranten und Migrantinnen zurückzuführen, mit Landsleuten in der Nachbarschaft zusammenzuleben. Dies ist nicht nur notwendig, um die eigene Isolation zu vermeiden, sondern erleichtert auch die Entwicklung einer eigenen Infrastruktur etwa in Form von Geschäften, die denen im Herkunftsland entsprechen (vgl. Backhaus-Maul & Vogel 1992, S. 172).
Viele Migrantinnen und Migranten lebten zunächst in Wohnheimen in der Nähe der Betriebe. Auch nach dem Auszug aus den Wohnheimen und dem Nachzug der Familie sind viele, nicht zuletzt aufgrund der preiswerten Wohnungen, in der Nähe ihrer Arbeitsstätten geblieben. Da es sich dabei oft um Wohnungen handelte, die in der Nähe der industriellen Großbetriebe lagen, gehörten diese Stadtteile von vornherein eher zu den sogenannten „schlechteren“ Wohngegenden. Diese Gegenden werden auch heute noch größtenteils von ausländischen Bürgern bewohnt.
Der Gesundheitszustand der älteren Migrantinnen und Migranten ist oft sehr schlecht. So haben beispielsweise 59 Prozent der im Rahmen des Projektes ¡Adentro! befragten Spanier gesundheitliche Probleme[4] (vgl. Schmalz-Jacobsen 1997, S. 4ff). Die medizinische Situation der vor Jahrzehnten als Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter in die Bundesrepublik gekommenen Migrantinnen und Migranten ist gekennzeichnet durch einen häufig schlechten Gesundheitszustand, verursacht durch die meist körperlich belastenden Arbeitsbedingungen sowie das Leben in der Fremde. „Sie wiederholen immer wieder, dass man sie vor ihrer Abreise aus dem Heimatland genauestens untersucht hat und dass nur Menschen mit guter Gesundheit nach Deutschland auswandern durften.“ (Girgin 1996, S. 48)
Physische und psychische Beeinträchtigungen kommen bei ausländischen Seniorinnen und Senioren häufiger vor, als bei den älteren Deutschen (vgl. Backhaus-Maul & Vogel 1992, S. 170). Ältere Migrantinnen und Migranten leiden häufiger unter Krankheiten und Beschwerden, die psychosomatischen Ursprungs sind, die von den Migrantinnen und Migranten selbst oft auf die Einsamkeit zurückgeführt werden.
Migrantinnen leiden häufiger unter psychischen Beschwerden als Migranten. Im Gegensatz zu ihren Ehemännern fühlen sich viele Frauen oft einsamer und isolierter, da ihnen häufig soziale Kontakte fehlen, die sie während ihrer Erwerbszeit noch besaßen. Diese Einsamkeit schlägt in vielen Fällen über in gesundheitliche Probleme. Das Gefühl, zwischen zwei Welten zu stehen ist vor allem bei Alleinstehenden sehr ausgeprägt.
Besonders ältere Migrantinnen und Migranten aus den früheren Anwerbestaaten sprechen oft trotz eines Jahrzehnte währenden Aufenthalts vergleichsweise schlecht Deutsch (vgl. Backhaus-Maul & Vogel 1992, S. 173). In besonderem Maße trifft dies auf die Frauen zu. Geht es um Lesen und Schreiben, so sieht die Lage noch schlechter aus als beim Verstehen und Sprechen. Der Grund hierfür liegt vor allem in der Tatsache, dass die Migrantinnen und Migranten überwiegend am Arbeitsplatz Deutsch gelernt haben. Die Deutschkurse, die durch die Kommunen und den Sprachverband für ausländische Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen finanziert werden, können auch heute die große Nachfrage noch nicht decken. Dabei haben sie gerade soviel gelernt, wie es für die Arbeit notwendig war. Die Mehrheit der deutschen Arbeitskollegen und -kolleginnen sprach (und spricht) mit ihren ausländischen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen oft ‘Tarzanisch‘[5], eine besondere Art Arbeitsplatz-Deutsch, das ebenso rudimentär wie falsch ist. Somit haben sehr viele Migranten und Migrantinnen von vornherein ein zumindest teilweise falsches Deutsch gelernt.
Besonders negativ auf eine mögliche Bereitschaft, richtig Deutsch zu lernen, wirkte sich die Überzeugung der Migrantinnen und Migranten wie die der deutschen Gesellschaft aus, in absehbarer Zeit wieder in die Heimat zurückzukehren. Außerdem können sie in ihrer ‘ethnischen Enklave‘ meist nach den Werten und Normen ihres Heimatlandes leben, waren also nicht gezwungen, die deutsche Sprache zur Bewältigung des Alltags zu lernen.
Das Zurückkehren zur eigenen Ethnizität ist als universelles Problem bei allen alternden Menschen zu beobachten. Dies bedeutet, dass sich diese Personen auf ihre primären Sozialisationsgradienten zurückbesinnen, die in den damaligen Traditionen und Gebräuchen ihrer Heimatregion verwurzelt sind (vgl. Dietzel-Papakyriakou 1990, Bundesministerium für Arbeit- und Sozialordnung 1996). Die Heimat wird tendenziell idealisiert und auf die Tradition reduziert, die so in der Fremde einen größeren emotionalen Stellenwert erhält als in der Herkunftsregion selbst. Entsprechend ihrer Herkunft ist das Wertesystem der Migrantinnen und Migranten überwiegend an den dortigen regionalen Gebräuchen orientiert. Alter und Familie besitzen darin oftmals einen deutlich höheren Stellenwert bzw. eine höhere Wertschätzung als in der deutschen Gesellschaft. In der Fremde (Deutschland) wird aber dem Alter häufig nicht der Respekt entgegengebracht, der dem traditionell orientierten Wertesystem der Migranten und Migrantinnen entspräche. Frauen messen dem Alter und der Familie im Vergleich zu ihren Ehegatten einen wesentlich höheren Stellenwert bei (vgl. Backhaus-Maul & Vogel 1992, S. 175). Die Familie und die soziale Umgebung, in der sie sich befinden, bilden hier die Stütze ihres Lebens.
Zu Beginn der Migration in den 50er und 60er Jahren haben die Arbeitsmigrantinnen und -migranten ihre eigenen Eltern verlassen, die selbst noch relativ jung waren, und in einer Lebensphase standen, in der eine altersgerechte Versorgung noch nicht nötig gewesen wäre. Somit haben die Migranten und Migrantinnen das Altern und die damit verbundenen Rollenerwartungen und Probleme in ihrer Herkunftsgesellschaft nicht direkt erfahren (vgl. Hielen 1997).
Soziale Beziehungen haben eine sehr große Bedeutung für das subjektive Wohlbefinden von Migrantinnen und Migranten der ersten Generation. Zum Einen zählen dazu geschlechterbezogene Auseinandersetzungen, denen insbesondere die Migrantinnen ausgesetzt sind, zum Anderen das Problem der Anpassung an die von der Gesellschaft aufgebrachten Muster. In der eigenen Familie sind häufig Geschlechtsbilder mit Verteilung von Macht und geschlechtsspezifischen Aufgaben verbunden.
Viele ältere Migrantinnen stammen aus Kulturen, in denen es Frauen untersagt war, ihren eigenen Interessen, etwa an einer Berufsausbildung oder einer Arbeitsstelle, sogar Freizeitbeschäftigungen, nachzugehen – bis 1957 galt selbst in der Bundesrepublik Deutschland das Gesetz, wonach alle Frauen nur mit Zustimmung ihrer Ehegatten einer Berufstätigkeit nachgehen konnten: „Gleichberechtigungsgesetz: Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.“ (BGBl 1957, §1356 Abs.1, S. 609ff) Erst seit 1976(!) kann eine Ehefrau gegen den Willen ihres Mannes eine Erwerbstätigkeit aufnehmen (vgl. Dausien/Calloni/Friese 2000).
Migrantinnen, die in Deutschland selbst einer bezahlten Arbeit nachgingen, hatten dadurch die Möglichkeit, spezifische traditionelle Muster zu beeinflussen, wohingegen diejenigen, die aufgrund eines Anwerbevertrags ihres Mannes nach Deutschland gereist sind, oft nicht die Möglichkeit hatten, gleiche Potentiale zu entwickeln. Für viele Männer war der Gewinn an Status der eigenen Frau oft ein eigener Statusverlust (vgl. Freire 1994).
Die Rückkehr in die Heimatländer war integraler Bestandteil der Migrationsentscheidung, denn das Ziel bestand gerade darin, dort das Kapital zur Verbesserung der persönlichen ökonomischen und sozialen Situation zu nutzen. Diejenigen, die sich entschieden haben, auch nach dem Anwerbestopp von 1973 in Deutschland zu bleiben, holten zu einem großen Teil ihre Familie nach, wenn sie dies nicht schon vorher getan hatten. Die Entscheidung zur Rückkehr wurde dadurch auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben. Zunächst sollten die Kinder die Schulzeit beenden, dann die Berufsausbildung. Schließlich kam nur noch ein Datum in Betracht: das des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben. Aber nach 30 Jahren Aufenthalt in Deutschland hatten sich die Voraussetzungen für eine Rückkehr grundlegend geändert[6]. Nicht nur die ländlichen Regionen haben sich stark verändert, auch das Ansehen der Einheimischen im Heimatland selbst hat sich verändert. Viele ältere türkische Migrantinnen und Migranten werden dort häufig als „Almanyali“ (= Deutschländer) bezeichnet, sie sind in ihrer Heimat zu Fremden geworden (doppelte Entwurzelung)[7].
Besonders starke Argumente für einen Aufenthalt in Deutschland sind einerseits die eigenen Kinder und Enkel, für die eine Rückkehr noch keine konkret benennbare Option darstellt und der Schulbesuch und die Ausbildung wichtiger ist, andererseits das deutsche Gesundheitssystem, auf das viele ältere Ausländerinnen und Ausländer weit aus mehr Wert legen als auf das ihrer Herkunftsländer. Die Situation, in der sich viele ältere Migrantinnen und Migranten befinden, nicht wählen zu müssen und zu wollen – zwischen den sozialen und familiären Kontakten in der Bundesrepublik sowie einer gewissen Vertrautheit mit dem Leben einerseits und dem eigentlichen Wunsch, doch endgültig zurückzukehren – hat viele zu dem Entschluss gebracht, sowohl einen Teil des Jahres in der Heimat als auch einen, oft größeren Teil in der Bundesrepublik zu verbringen. Dieses Phänomen ist als „Pendeln” bekannt geworden und stellt angesichts der heute vergleichsweise geringeren Kosten und kürzeren Reisezeiten für die Migrantinnen und Migranten eine, wenn auch nicht konkrete, Lösungsmöglichkeit dar.
Die Lebensbedingungen der älteren Migranten werden von verschiedenen Faktoren, die einerseits mit der Migration und andererseits mit dem Alter zu tun haben, bestimmt. Die eben aufgezeigten Spezifika des Alterns machen deutlich, dass genau diese Aspekte, nämlich die Renten-, die Wohn- und die Gesundheitssituation, die Geschlechterproblematik sowie die eventuelle Bereitschaft zu einer Rückkehr, weitgehend die Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit dem ‘Älter werden in Deutschland‘ bestimmen. Die Lebenssituation und persönliche Einstellung älterer Migrantinnen und Migranten einschließlich ihren tief verwurzelten kulturellen Überzeugungen lassen sich nur in einem längeren Prozess verändern. Die wichtigste Entscheidung der älteren Migrantinnen und Migranten betrifft wohl die Frage nach Rückkehr oder Bleiben, die in vielen Fällen aber nicht beantwortet werden kann. Die Interviews mit den Migrantinnen haben aber deutlich gezeigt, dass für die Mehrheit der Frauen Deutschland ungeachtet aller Probleme zu einer zweiten Heimat geworden ist, in der es gilt, integriert oder – so hart dies auch klingen mag – isoliert zu werden. Es ist nicht richtig, die älteren Migranten und Migrantinnen allgemein als Problemgruppe zu betrachten, denn die Umstände sind je nach Umfeld sehr verschieden.
Obwohl die Integration der Ausländer und Ausländerinnen zur Zeit wohl als eines der wichtigsten Anliegen der Regierung zitiert wird (über Zuwanderung und Integration spricht die Union momentan wohl gewagter als die SPD) (vgl. Geis u.a. 2001), bleibt die Wortbedeutung an sich eher verwaschen und mehrdeutig.
Als der deutschen Öffentlichkeit bewusst wurde, dass Millionen zugewanderte Ausländer und Ausländerinnen nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren, sondern in Deutschland verbleiben würden, rückten im Streit über die Ausländerpolitik zunehmend Forderungen nach 'Integration' der Zuwanderer und Zuwanderinnen in den Mittelpunkt.
Zwischen der Absicht, mit allen verfügbaren Mitteln die volle Integration der Gastarbeiter voranzutreiben, im gleichen Zuge aber ihre kulturelle Eigenständigkeit zu bewahren, besteht an sich schon ein Widerspruch. Der Begriff Integration blieb bei diesen Überlegungen aber meistens unbestimmt.
In der heutigen migrationspolitischen Diskussion wird der Begriff Integration oft ungenau und verschwommen verwendet und – fatalerweise – mit Assimilation verwechselt, was laut Duden ‘Ähnlichmachung‘, ‘Angleichung‘, ‘Anpassung‘ bedeutet. Umgangssprachlich drücken viele Bundesdeutsche ihr Verhältnis zu Migranten und Migrantinnen tatsächlich oft so aus: „Sie sollen sich anpassen, so werden wie wir. Wenn sie das nicht wollen, sind sie selber schuld, wenn es ihnen hier nicht gut geht!“ Die meisten verstehen wohl unter Integration die Einschmelzung in die deutsche Gesellschaft mit folgendem Unsichtbarwerden.
Im Diskurs über Zuwanderung ist Integration ein normativer Begriff. Es geht bei ihm nicht um eine beliebige, sondern um die wünschenswerte Gestalt der Eingliederung in Politik, Gesellschaft und Kultur. Der moderne Begriff der Integration beschreibt einen wechselseitigen Prozess der Veränderung sowohl der aufnehmenden Gesellschaft, die Teile des neu Hinzukommenden einbezieht und sich so wandelt, als auch der Migranten und Migrantinnen, die Teile der neuen Gesellschaft in sich aufnehmen. Integration ist weder statisch noch einseitig, sondern setzt Anpassungsbeiträge aller Beteiligten voraus. Es geht hierbei nicht um Angleichung, sondern um „Wiederherstellung, Vervollständigung und Eingliederung in ein größeres Ganzes“ (Duden 1997, S. 354).
Etymologisch stammt dieses Fremdwort, das im 19. Jahrhundert entstanden ist, vom lateinischen Wort integer bzw. integrare ab, was heil, unversehrt lassen, wiederherstellen und ergänzen bedeutet.
Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny deutete 1982 den Begriff Integration wie folgt:
„Integration bezeichnet die ökonomische, politische und rechtliche Gleichstellung der Einwanderungsminderheiten unter Bewahrung deren kultureller Eigenständigkeiten. Zur Untersuchung des Integrationsgrades wird Integration als Messwert für die Teilhabe an der Staatsstruktur (Beruf, Einkommen, Bildung, rechtliche Stellung, Wohnen) eingesetzt, die sich im Verhältnis wechselseitiger Beziehungen als Angleichungen an die Kultur des Aufnahmelandes (Sprache, Aspekte der Wertorientierung) vollzieht. Der Grad von Integration ist abhängig von objektiv gegebenen und subjektiv wahrgenommenen Chancen der Teilhabe an strukturellen und kulturellen Ressourcen“ (zitiert nach Gigli-Trüby u.a. 1994, S. 163).
Migrations- und Integrationsforschung wird in Deutschland erst seit relativ kurzer Zeit systematisch betrieben, nämlich seit den 80er Jahren. Zu dieser Zeit verbreitete sich in der Bundesrepublik die Erkenntnis, dass die Anwesenheit der sogenannten Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen aus Italien, Griechenland, Spanien, der Türkei und anderen Ländern in Deutschland nicht vorübergehender Natur ist, sondern dass es sich hierbei um eine Zuwanderung im größeren Maßstab handelt, die gesamtgesellschaftliche Veränderungen im Sinne einer ethnischen Pluralisierung der Gesellschaft nach sich ziehen würde und entsprechend gestaltet werden musste. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Arbeiten, die sich mit den sog. Gastarbeitern und Gastarbeiterinnen beschäftigten, deskriptive Arbeiten, deren Gegenstand in erster Linie die soziale Lage und die Integrationsprobleme der Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen war. Diese Gruppe wurde vorrangig als Problem- oder Randgruppe betrachtet. Diese Situation verdeutlicht der deutsch-iranische Publizist Bahman Nirumand in einem seiner Berichte sehr eindringlich:
„Ausländer können grundsätzlich kein Deutsch, man muß sich dadurch verständig machen, daß man sie duzt und mit ihnen grammatisch falsch redet, zum Beispiel alle Verben im Infinitiv benutzt. Zweitens sind Ausländer ohnehin schwer von Begriff und außerdem schwerhörig, man muß also vieles wiederholen und dabei ganz laut und eindringlich und möglichst mit dem auf die Person gerichteten Zeigefinger sprechen. Schließlich kennen sich Ausländer grundsätzlich in Gesetzen und Bestimmungen der Bundesrepublik nicht aus, man kann ihnen nach Belieben Vorschriften machen. Sie haben zu gehorchen, andernfalls werden sie ab-, und wenn es möglich ist, ausgewiesen. ... Einmal fauchte mich ein Beamter an, als ich ihm ein ausgefülltes Formular vorlegte. Er nahm einen Rotstift, zog einen dicken Strich unter meinen Vornamen und sagte: „Sie wollen Schriftsteller und Journalist sein? Sie können ja nicht einmal ihren Namen richtig schreiben. ‘Bahman’ schreibt man bei uns mit zwei ‘n‘.“ (Nirumand 1989, S. 139ff).
Dieser Blick auf die Migranten und Migrantinnen sowie ihre Nachkommen ist auch heute noch auffindbar. Mit der abnehmenden Akzeptanz der Tatsache, dass es sich bei den Migrantenfamilien eigentlich um Zuwanderer handelt, die auch – langfristig gesehen – einen wesentlichen Teil der Wohnbevölkerung Deutschlands ausmachen werden, wird auch die politische Dimension des ‘Migrantenproblems’ entdeckt (vgl. Gogolin/Nauck 2000, S. 37ff), gleichwie diese Thematik in der aktuellen Innenpolitik der Bundesrepublik Deutschland kontrovers diskutiert wird.
Neben dieser Perspektive auf die Zuwanderer, in der sie sich als soziales Problem darstellen, ist zwischenzeitlich eine Sichtweise getreten, die nicht nur den Anschluss an die internationale Migrations- und Integrationsforschung darstellt, sondern auch über das spezifische Forschungsfeld der Migrations- und Integrationsforschung hinausgehende Erkenntnisse sowohl hinsichtlich der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung als auch in Bezug auf methodische Fragen liefern kann.
”Auf beiden Seiten, im Bereich der Integration wie im Bereich der Illegalität, sind im Einwanderungsland Deutschland noch viele Fragen offen: Integration ist keine Einbahnstraße mit einseitigen Anpassungsleistungen, sondern ein gesellschaftliches Unternehmen auf Gegenseitigkeit, das beide Seiten, Aufnahmegesellschaft wie Einwanderer, verändert, auch wenn den Einwanderern stets die größere Anpassungsleistung abzuverlangen ist. Deswegen aber auch ist Integration mehr als Deutschlernen und sozialkundliche Orientierungshilfe für Erwachsene sowie Schulbesuch für jugendliche Einwanderer. Es geht darum, Integration über diese unabdingbaren Kernelemente hinaus als eine beide Seiten einzubeziehende gesellschaftspolitische Aufgabe im weitesten Sinn zu verstehen.“ (Bade 2001, S.7)
Die westeuropäischen Länder haben sich in den vergangenen Jahren zunehmend zu Einwanderungsgesellschaften entwickelt. Da ein erheblicher Anteil der Zugewanderten unter ethnisch-kulturellen Gesichtspunkten von der jeweiligen einheimischen Mehrheitsbevölkerung abweicht, haben sich innerhalb der Aufnahmeländer Phänomene und Tendenzen einer Pluralisierung der Kultur entwickelt. Diese Gesellschaften versteht man auch als multikulturell oder multi-ethnisch [8] .
Dabei handelt es sich nicht bloß um eine kurzfristige Erscheinung, sondern um ein Phänomen mit längerfristigem Charakter (vgl. Schulte 1998, S. 11ff). Welche Bedeutung dieser ethnisch-kulturellen Pluralität in westlichen Gesellschaften zukommt, wird unter wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten diskutiert. Ein Aspekt hat in letzter Zeit besonders viel Aufmerksamkeit gefunden, nämlich die Frage nach den sozialen, insbesondere ethnisch-kulturellen Spannungen und Konflikten und davon ausgehenden Gefahren der gesellschaftlichen Desintegration.
Diese Konflikte entwickeln sich – in sehr unterschiedlicher Intensität – zum Einen zwischen der Mehrheitsgesellschaft und den zugewanderten Minderheiten, aber auch zwischen unterschiedlichen Gruppen auf jeder der beiden Seiten. Diese Konflikte enthalten strukturelle und kulturelle Dimensionen und betreffen unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche und Fragen:
Im rechtlich-politischen Bereich geht es um Fragen, die den Status der verschiedenen Arten von ‘Zuwanderern‘ (Arbeitsmigranten, Flüchtlinge, Asylbewerber usw.) betreffen. Es geht hier also um Fragen der Einreise, des Aufenthaltes und der Aufenthaltsbeendigung, der Beschäftigung und der sozialen Sicherheit, des Nachzugs von Familienangehörigen, der politischen Beteiligung und des Erwerbs der Staatsangehörigkeit, in sozialer Hinsicht zum Einen um die Lage der Zugewanderten in wichtigen Lebensbereichen (Arbeit, Beruf, Wohnung, Bildung etc.), zum Anderen aber auch um Fragen der Konkurrenz zwischen Einheimischen und Zugewanderten, z.B. auf dem Arbeitsmarkt, im Wohnbereich und im Bildungssystem sowie um Formen und Fragen der Kriminalität. Unter kulturellen Gesichtspunkten geht es um Möglichkeiten und Formen der kulturellen Entfaltung der Angehörigen der Einwanderungsminderheiten und des gesellschaftlichen Umgangs mit kultureller Vielfalt (vgl. Schulte 1998, S. 12 ff).
Anlehnend an solche Konflikte in gesellschaftlichen Bereichen hat Dieter Oberndörfer (2001) sehr ausführlich diese drei verschiedenen Formen von Integrationsvorstellungen definiert und in seiner Theorie sozusagen die Gesamtaufgabe von Integration aufgezeigt: Dabei geht es um eine staatsbürgerliche, soziale sowie kulturelle Gleichberechtigung und daraus abgeleitete rechts-, sozial-, kultur-, und im engeren Sinn bildungspolitische Herausforderungen und Gestaltungsaufgaben, die auch ethnokulturelle Unterschiede nicht vorenthalten, sondern konstruktiv miteinbeziehen sollen.
Aufgrund ihrer Vielzahl und Intensität stellen die mit der ethnisch-kulturellen Heterogenität multikultureller Gesellschaften einhergehenden Konflikte eines der großen Probleme dar, mit denen die westlichen Demokratien gegenwärtig und in absehbarer Zukunft konfrontiert werden. Folgende Überlegungen versuchen, einen Beitrag zur Beantwortung der Frage zu leisten, unter welchen Bedingungen Angehörige verschiedener ethnischer Gruppen miteinander auskommen können und unter welchen Umständen diese Beziehungen zwischen ihnen wahrscheinlich in Gewalt ausarten können.
Zum Einen geht es hier um die Frage der sozialen Konflikte, insbesondere deren Ausprägungen, Gegenstände, Ursachen, Akteure, der Art und Weise ihrer Austragung sowie deren Folgen. Zum Zweiten geht es um die Frage, wie soziale Konflikte politisch und pädagogisch[9] bearbeitet werden (können bzw. sollen). Unter diesem Gesichtspunkt wird untersucht, wie sie wahrgenommen und bewertet werden und wie mit ihnen politisch und pädagogisch umgegangen wird bzw. werden sollte. Im Vordergrund steht insgesamt die Frage nach den Möglichkeiten und Erfordernissen einer demokratischen Integration von sozialen Konflikten und der Gesellschaft insgesamt. Die Überlegungen zielen insbesondere darauf ab, verschiedene Problem- und Konfliktlagen zu erläutern sowie Orientierungen für gesellschaftspolitische und pädagogische Maßnahmen zu geben (vgl. Oberndörfer 2001, S. 31). Mediation[10] ist hier z.B. eine Möglichkeit, sich gerade auch mit ‘interkulturellen Konflikten‘ auseinanderzusetzen (vgl. Haumersen/Liebe 1999).
Mit den Immigrationsprozessen sind in einem quantitativ erheblichen Maße neue Bevölkerungsgruppen entstanden, deren Angehörige zwar dauerhaft im Lande sind, vielfach aber nicht über die Staatsangehörigkeit des Aufnahmelandes verfügen. Sie befinden sich im sogenannten Ausländerstatus, sind zwar nicht rechtlos, da auch für sie in verschiedener Hinsicht gleiche Rechte, insbesondere die Menschenrechte sowie Ansprüche auf wirksamen Rechtsschutz gelten, doch verfügen sie aufgrund des Fehlens der inländischen Staatsangehörigkeit nicht über die Bürgerrechte. Zwischen dem sozialen Tatbestand der Einwanderung und dem rechtlich-politischen Ausländerstatus besteht ein Spannungsverhältnis, das sich für die Betroffenen in vielfältigen Benachteiligungen, Diskriminierungen und Verunsicherungen auswirkt und erhebliche gesellschaftliche Konfliktpotentiale in sich birgt. Entsprechende Maßnahmen können am historischen Prozess der politischen Demokratisierung anknüpfen und sich auf die im Verfassungs- und Ausländerrecht entwickelte Auffassung stützen, nach der die Ausländer und Ausländerinnen als Folge zunehmender Aufenthaltsdauer einen materiell-rechtlichen Rechtszuwachs erlangen (müssen) (vgl. Alexy 1994, S. 189ff).
Eine durch unterschiedliche Maßnahmen bewirkte Verstärkung der Rechtsstellung der Einwanderer und Einwanderinnen, zum Beispiel durch die Einführung eines Niederlassungsrechts, durch die Erleichterung des Erwerbs der Staatsangehörigkeit, durch Verringerung der Differenz zwischen Menschen- und Bürgerrechten, Überprüfung und (gegebenenfalls) Änderung von rechtlichen Bestimmungen oder Maßnahmen zum Abbau der institutionellen Diskriminierung auf der Ebene der Europäischen Union, hat nicht nur unmittelbare Folgen für deren alltägliche Lebenssituation, sondern darüber hinaus auch eine hohe symbolische Bedeutung für den Umgang mit Einwanderern und Einwanderinnen im gesellschaftlichen Bereich (vgl. Alexy 1994, S. 191).[11]
Ein zentrales Erfordernis für die Integration der Einwanderungsminderheiten ist deren soziale Gleichstellung. Gleichstellung bedeutet nicht allein die Herstellung formaler Rechtsgleichheit, sondern erhält darüber hinaus eine viel weitreichendere Interpretation. Bei der Beurteilung von Integrationsprozessen ist nicht so sehr die Frage von Bedeutung, welche Fortschritte ein Individuum oder eine Gruppe macht, sondern der über eine bestimmte zeitliche Phase erfolgende Vergleich zwischen zwei oder mehreren Gruppen und die Frage, ob bestimmte Merkmale mehr oder weniger ähnlich oder gleich werden (vgl. Böhning 1995, S. 2). Wenn ein Integrationsprozess in diesem Sinne nicht erfolgt oder wenn ein relativ fortgeschrittener Zustand von Integration im Verlauf der Zeit Rückschritte macht, da die Merkmale ungleich werden, so stellt dies eine Form der ‘Desintegration‘ dar.
Die Lebenssituation der Mehrheit der Immigranten[12] in den westeuropäischen Einwanderungsgesellschaften ist nun in einem besonderen Maße durch soziale Ungleichheiten und Benachteiligungen gekennzeichnet. Diese weisen vielfältige Formen auf und sind in nahezu allen Lebensbereichen vorhanden und haben sich im Prozess der Einwanderung – trotz Verbesserungen, die in den vergangenen Jahren in einzelnen Bereichen und für bestimmte Gruppen erfolgt sind – bisher im wesentlichen aufrechterhalten.
[...]
[1] Migrant (lat) der; -en: jemand, der eine Migration vornimmt. Migration die: Wanderung, Bewegung von Individuen oder Gruppen im geographischen und sozialen Raum, die mit einem Wechsel des Wohnsitzes verbunden ist (Soziol.). (vgl. Duden 1997, S. 517)
[2] eine ausführliche Beschreibung und die Kriterien eines Leitfadeninterviews sind unter Punkt 5.2 ‘Die Methodik‘ dargestellt.
[3] Auf die Beurteilung und Weiterentwicklung einer interkulturellen Pädagogik werde ich unter Punkt 4 noch näher eingehen.
[4] Auf das Projekt ¡Adentro! sowie dessen Ziele und Aufgaben werde ich unter Punkt 4.4.2 noch ausführlicher eingehen.
[5] Als ‘Tarzanca‘ wird diese Art zu sprechen auch unter den Türken bezeichnet. (vgl. Backhaus-Maul & Vogel 1992, S. 174)
[6] Aus einer Studie von Ursula Mehrländer u.a. geht hervor, dass 60 Prozent der 45-jährigen und älteren Migrantinnen und Migranten für immer in Deutschland bleiben möchten, während 20 Prozent eine Rückkehr ins Heimatland planen, aber noch kein genaues Datum für die Umsetzung ihres Planes festgelegt haben. Weitere 20 Prozent sind noch unentschlossen. (vgl. Mehrländer u.a. 1996, S. 117)
[7] Die Erfahrung der Entwurzelung, hervorgerufen durch das Verlassen des vertrauten Umfeldes und sich Niederlassen in einer fremden, ungewohnten Umgebung, ist eine Begleiterscheinung von Migrationsprozessen. Entwurzelung beinhaltet somit immer einen Bruch, massive Verluste und die Trennung von sozial Bekanntem, wodurch Gefühle der Entfremdung, Einsamkeit und Leere entstehen (vgl. Adam 1993, S. 164). Für Franz Nuscheler (1991) besteht ein enger Zusammenhang zwischen Entwurzelung und Heimatverlust. Heimatgefühl entsteht nämlich nicht vorrangig durch die Bindung an einen Ort, sondern durch Beziehungen zwischen Menschen, sowie durch konkrete Lebensbedingungen, die Glücksgefühle erzeugen. „Heimat ist die soziale Umwelt, (...) mit der sich jemand identifizieren kann. Fremdsein ist keine Eigenschaft, sondern ein Verhältnis zwischen Menschen“ (Nuscheler 1991, S.28)
[8] Unter multikulturell wird in diesem Zusammenhang eine Gesellschaft verstanden, die idealtypisch durch ethnisch-kulturelle Vielfalt gekennzeichnet ist. Die Entstehung von multikulturellen Gesellschaften kann auf unterschiedliche soziale Faktoren zurückgeführt werden, z.B. auf Prozesse der sozialen Differenzierung, die Herausbildung regionalkultureller Unterschiede im Rahmen von Großgesellschaften, die imperiale Einverleibung von anderen Territorien und Völkern in Vielvölkerstaaten und, wie in unserem Fall, auf Prozesse der Migration. Im Zusammenhang der internationalen Migration wird Kultur in der Regel als (alltägliche) „Lebenswelt“ aufgefasst, die Werte und Normen, Sprache, Religion, soziale Einstellungen und Verhaltensweisen umfasst. Als ethnisch lassen sich gesellschaftliche Gruppen kennzeichnen, die durch Vorstellungen gemeinsamer Herkunft, ein Zusammengehörigkeitsbewusstsein, Gemeinsamkeiten von Kultur und Sprache, eine auf „eigenen“ und „fremden“ Zuschreibungen beruhende kollektive Identität gekennzeichnet und durch gemeinsame Institutionen und Beziehungssysteme verbunden sind. (vgl. Heckmann 1992, S. 30f).
[9] Siehe hierzu auch ‘Überlegungen zur Beurteilung und Weiterentwicklung interkultureller Pädagogik‘ unter Punkt 4.
[10] Mediation ist ein Verfahren zur konstruktiven Konfliktlösung und findet u.a. auch bei multikulturellen Gruppen Anwendung (Interkulturelle Mediation).
[11] „Die Regierung gibt ihren Bürgern ein gutes Vorbild, indem sie Einwanderer nicht anders behandelt als die übrigen Einwohner. Gesetzliche Ungleichheit ist eine Rechtfertigung für die Diskriminierung der Einwanderer durch Einzelne, Betriebe oder nicht-staatliche Organisationen.“ (Groenendijk 1985, S. 78)
[12] Zur Begriffsklärung: Immigrant, der; -en, -en (lat.) (Einwanderer); Immigrantin. (vgl. Duden 2001, S. 491) (Gegensatz: Emigrant)
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