onen und Meinungen in den nationalen Diskurs ein. Aufgrund ihrer Autorität können sie die öffent-
liche Meinung und den politischen Willensbildungsprozess maßgeblich beeinflussen (Mitsilegas et
al. 2003: 50). Die räumliche und institutionelle Nähe zur Exekutive erleichtert eine solche Einfluss-
nahme (Lange 1999). Aufgrund des weitestgehend intergouvernementalen Kooperationsrahmens
auf europäischer Ebene dominieren wiederum nationale Akteure die Agenda im Politikfeld innere
Sicherheit.
Hinzukommt ein institutionelles Eigeninteresse der Akteure und Vertreter aus dem Polizei-
und Sicherheitsbereich. ,,Whereas politicians seek reelection, bureaucrats seek more influence over
policy outcomes through higher budgets [...] or through greater freedom to `shape' their own or-
ganizational structures and policy choices" (Hix 1999: 325). Schengen, das Binnenmarktprojekt und
die mittelfristige Aufhebung der Binnengrenzkontrollen im Zuge der Osterweiterung der EU impli-
zierten in der Vergangenheit, dass den Polizei-, Grenzschutz- und Sicherheitsorganen in Zukunft
tendenziell weniger Ressourcen zur Verfügung stehen werden. Alle drei Projekte waren und sind
Bedrohungen für den Status und die Ressourcen dieser Einrichtungen. Obwohl zum Beispiel eine
objektive Bedrohung der inneren Sicherheit durch das Binnenmarktprojekt und die Schaffung des
Schengen-Regimes weder feststellbar noch messbar war (Mitsilegas et al. 2003: 51; Hix 1999: 325),
politisierten und securitisierten die betreffenden Akteure aus institutionellem Eigeninteresse diese
beiden Integrationsprojekte. Ziel war es, einen Sicherheitsdiskurs zu konstruieren, der ihren institu-
tionellen Eigeninteressen entsprach (Bigo 1998: 155). So lässt sich auch erklären, weshalb das
Schengen-Regime in der Literatur weniger mit Freizügigkeit als mit Kontrolle und Ausgleichsmaß-
nahmen assoziiert wird. Die konstruierte Notwendigkeit von Kontrolle und innerer Sicherheit legi-
timieren die Rolle der Organe des Gewaltmonopols und sichern diesen den Status und die notwen-
digen Ressourcen. Dies gilt auch für die Ausdehnung des Schengen-Raumes im Rahmen der EU-
Osterweiterung. Ein Abbau von Binnengrenzkontrollen zwischen alten und neuen EU-
Mitgliedstaaten würde den Grenzschutz an der derzeitig streng bewachten EU-Ostgrenze offensicht-
lich erst einmal überflüssig machen. So sind am deutschen Abschnitt der derzeitigen EU-Ostgrenze
mehr Grenzschutzbeamte stationiert als an irgendeiner anderen Grenze in Europa. Neben 6.500
18
BGS-Beamten sind hier 1.500 nicht ausgebildete Grenzunterstützungskräfte im Einsatz (Bort 1999:
84). Ob ein zügiger Abbau der Binnengrenzen in einer erweiterten EU dem institutionellen Eigenin-
teresse der deutschen Grenzschutzorgane entspricht, kann durchaus bezweifelt werden.
Die theoretischen Überlegungen der konstruktivistischen Schule und ihre Anwendung auf
das Politikfeld innere Sicherheit auf EU-Ebene können dazu beitragen, die Rigidität der EU bezüg-
lich der Übernahme und Implementierung des Schengen-acquis durch die Beitrittskandidaten aus
Mittel- und Osteuropa zu erklären. Diese sicherheitsfixierte Politik ist Resultat eines Diskurses,
welcher sich durch Securitization, also die Konstruktion von Bedrohungen, auszeichnet. Dabei wer-
den Schlagworte wie illegale Immigration und organisierte Kriminalität mit der Öffnung der Gren-
zen in Mittel- und Osteuropa verknüpft, um den Abbau der Binnengrenzen innerhalb der erweiter-
ten EU möglichst lange hinauszuzögern
18
. De facto wird damit eine Flexibilisierung und Abstufung
bei der Implementierung des Schengen-acquis durch die MOEL ausgeschlossen. Die Dominanz
innen- und sicherheitspolitischer Akteure in diesem Prozess sowie deren institutionelles Eigeninte-
resse verhindern, dass die EU den MOEL in dieser Frage entgegenkommt. Der Schwerpunkt wurde
bewusst hin zu einer ,,concentration upon improved security rather than the counterbalancing issues
of greater freedom" verschoben (Misilegas/Monar/Rees 2003: 60).
4. Soft Security Ein erweitertes Verständnis von Sicherheit in Europa
Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der Sowjetunion (SU) hat sich
auch ein Wandel im Verständnis von Sicherheit vollzogen. War Sicherheitspolitik zu Zeiten der
Blockkonfrontation vor allem auf die Verteidigung des eigenen Territoriums und die Abwehr mili-
tärischer Bedrohungen ausgerichtet, so hat sich das Sicherheitsverständnis im Laufe des letzten
Jahrzehntes grundlegend verändert (Peterson 1997: 273). Vollzogen hat sich hier eine Ausweitung
des Sicherheitsbegriffs (Buzan et al. 1998), welche auf die Kopenhagener Schule der Internationa-
len Beziehungen zurückgeht. Dieses Verständnis von Sicherheit weicht davon ab, den Staat als das
einzige oder hauptsächliche Referenzobjekt für Sicherheit zu betrachten. Stattdessen wird z.B. die
Bedeutung des Individuums als Referenzobjekt betont (Archer 2001: 8). Bezeichnet man traditio-
nelle Sicherheitspolitik als ,,Hard Security", so kennzeichnet der Begriff ,,Soft Security" die Ab-
wehr aller von nicht-staatlichen Akteuren ausgehenden nicht-militärischen Risiken. Festzuhalten ist,
dass bei Soft Security nicht mehr die Sicherheit des Staates im Mittelpunkt steht. Bedrohungen
können nicht mehr nur von anderen Staaten ausgehen. Die Sicherheit des Einzelnen innerhalb einer
Gesellschaft kann vielmehr auch durch andere Individuen oder Gruppen von Individuen bedroht
18
Diese Annahme wird auch durch den Report des EU-Select Committee des House of Lords (2000) gestützt. Darin wird festgestellt, dass die ,,Com-
mon Evaluation Mechanisms", die seit 1998 dazu dienen, ein klareres Bild über die Grenzkontrollkapaziten und Implementierungsdefizite der Bei-
trittskandidaten zu erlangen, ,,tend to focus on problems and deficits rather than on the progress made by the candidate countries. They form the basis
for a current (and arguably somewhat alarmist) picture rather than for an assessment of the situation as it may be at the time of accession".
19
sein.
19
Zur Beschreibung dieser Bedrohungen werden in der Literatur verschiedene Begrifflichkei-
ten verwendet. Während Peterson (1997) den Ausdruck ,,Soft Security" bevorzugt, verwenden Mit-
silegas et al. (2003) den Begriff ,,Low Security". Grabbe wiederum spricht von ,,Micro-level
Security" (2000).
20
Am umfassendsten ist jedoch Petersons (1997: 273) Definition von Soft
Security: ,,'Soft Security' in this context is understood as all aspects of security short of military
combat operations including the defence of the national territory. That is, everything ranging from
internal stability to the execution of the Petersberg tasks."
21
Diese umfassende Definition ist jedoch
kritisch zu bewerten. Ob die Erfüllung der Petersberger Aufgaben, welche in der Praxis mit
militärischen Mitteln geschieht, eine passende Antwort auf primär von Individuen ausgehenden
weichen Sicherheitsrisiken ist, erscheint zweifelhaft. Bei der Beschreibung weicher
Sicherheitsrisiken ist Peterson wiederum auf einer Linie mit den anderen Autoren. Weiche
Sicherheitsrisiken sind nach seiner Definition ,,political and economic instability, ethnic conflict,
minority conflicts, border disputes, the influx of refugees, trans-border environmental problems and
organised criminality." Im neuen erweiterten Sicherheitsverständnis der EU ist die militärische
Bedrohung durch Streitkräfte jenseits des eisernen Vorhangs einer Bedrohung durch unkontrollierte
Immigration und grenzüberschreitendes organisiertes Verbrechen gewichen (Grabbe 2000: 520).
Beide Phänomene sind zwar nicht neu, wurden jedoch im Rahmen der Blockkonfrontation
weitgehend vernachlässigt. Ursächlich für diese weichen Sicherheitsrisiken seien primär Individuen
oder organisierte Gruppen von Individuen, welche durch ihre Aktivitäten westeuropäische
Gesellschaften destabilisieren könnten. Mitsilegas et al. (2003: 46) identifizieren zudem zwei
gegenläufige Trends. Den ersten bezeichnen sie als Deterritorialisierung von Sicherheit. Hiernach
entzieht sich Sicherheit mehr und mehr nationalen Grenzen. Der zweite Trend lässt sich als
Internalisierung von Sicherheit bezeichnen und entspricht weitgehend dem Konzept der Soft
Security. Sicherheit meint damit weniger die Abwehr einer äußeren Bedrohung als vielmehr die
Bereitstellung eines sicheren inneren Umfeldes. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass
mit dem Ende der Blockkonfrontation die Abwehr weicher Sicherheitsrisiken die traditionelle und
militärisch ausgerichtete Sicherheitspolitik weitgehend verdrängt hat.
Für die politische Praxis bedeutet dies, dass sich die westeuropäische Sicherheitsagenda zu-
nehmend verändert, wobei die EU diese veränderte Agenda in immer stärkeren Maße dominiert. Im
Zentrum steht nicht mehr die Abwehr einer militärischer Bedrohung, sondern die Abwehr von Cha-
os, illegaler Einwanderung und organisierter Kriminalität (Anderson 1996: 187). Folglich erhält das
Politikfeld innere Sicherheit auch im Zuge der Osterweiterung eine herausragende Bedeutung. In
19
Für eine ausführlichere Diskussion des Begriffs Sicherheit aus verschiedenen theoretischen Perspektiven vgl. Lipschutz (1995).
20
In dieser Arbeit wird der Begriff Soft Security nach Peterson (1997) gegenüber den anderen Bezeichnungen bevorzugt.
21
Die Petersberger Aufgaben sind: ,,humanitarian and rescue tasks; peacekeeping tasks; tasks of combat forces in crisis management, including
peacemaking (WEU 1992).
20
keiner der bisherigen Erweiterungsrunden spielte das Thema innere Sicherheit eine so bedeutende
Rolle wie im aktuellen Erweiterungsprozess. War das europäische Integrationsprojekt ursprünglich
als ein Friedensprojekt angelegt, welches zwischenstaatliche Kriege in Europa unmöglich machen
sollte, versteht sich die EU heute vielmehr als ,,soft security provider" (Kempe et al. 1999: 10). Die
Akteure im Politikfeld innere Sicherheit begreifen die EU als eine ,,Sicherheitsgemeinschaft", wel-
che Soft Security im inneren der Union bereitstellt.
22
Diese Sicherheitsgemeinschaft soll im Rah-
men der Osterweiterung zum einen nach Mittel- und Osteuropa expandieren. Zum anderen soll die
Aufnahme der MOEL in die EU die bestehende Sicherheitsgemeinschaft keinesfalls gefährden. Als
elementar für die Aufrechterhaltung einer solchen Sicherheitsgemeinschaft gelten dabei strenge
Außengrenzkontrollen. Sie sollen als eine Art ,,First line of defence" (Grabbe 2000: 520) verhin-
dern, dass weiche Sicherheitsrisiken in Form von organisierter Kriminalität und illegaler Immigrati-
on von außen in die EU eindringen.
5. Schengen und das Konzept der positiven und negativen Integration
Neben der wachsenden Bedeutung von weichen Sicherheitsrisiken für das Handeln der EU
gegenüber den Beitrittskandidaten bietet auch das Konzept der positiven und negativen Integration
eine hilfreiche theoretische Erklärung für die Herangehensweise der EU bei der Ausdehnung des
Schengen-Raumes.
23
Dieses Konzept taucht in der Literatur in den verschiedensten Variationen auf.
Corbey (1995: 263) versteht unter negativer Integration die Schaffung von Regeln ,,that prohibit
national policies or intervention". Unter positiver Integration versteht sie ganz allgemein ,,the estab-
lishment of common policies". In der Rechtsphilosophie wiederum wird die Unterscheidung zwi-
schen negativer und positiver Integration verwendet, um zwischen ,,negativen Freiheitsrechten" -
Abwehrrechten, welche staatliche Eingriffe unterbinden - und ,,positiven Geboten" - welche staatli-
che Intervention gebieten - zu unterscheiden (Peters 1991: 283). Scharpf (1999) hat das Konzept der
negativen und positiven Integration auf die ökonomische Integration im Rahmen des Binnenmark-
tes übertragen und dabei die Problemlösungsfähigkeit von Maßnahmen der positiven Integration
untersucht. Er versteht Maßnahmen negativer Integration als ,,marktschaffend" und Maßnahmen
positiver Integration grundsätzlich als ,,marktkorrigierend" (Scharpf 1999: 49). Danach zielen Maß-
nahmen negativer Integration im Bereich des Binnenmarktes hauptsächlich auf die ,,Beseitigung
von Zöllen, von quantitativen und qualitativen Beschränkungen des freien Handels und von Behin-
derungen des freien Wettbewerbs" ab. Positive Integration bedeutet bei Scharpf vor allem ,,die
22
Der Begriff Sicherheitsgemeinschaft geht auf Deutsch (1957: 5) zurück.
23
Die Begriffe positiv und negativ implizieren keineswegs ein normatives Werturteil. Maßnahmen positiver Integration sind nicht per se besser als
,
2004, Schengen und die Osterweiterung der Europäischen Union am Beispiel Kaliningrads, Hamburg, Bedey Media GmbH, https://www.diplom.de/document/223591
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