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Mehr InfosDiplomarbeit, 2001, 96 Seiten
Diplomarbeit
Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien / Krems (Lehramt katholische Religion)
1,0
1. Vorwort
2. Biblisches Fundament
2.1. Die Todesstrafe im Alten Testament
2.2. Die Todesstrafe im Neuen Testament
3. Die Todesstrafe in der Geschichte der katholischen Kirche
3.1. Zeit der Väter
3.2. Mittelalter
3.3. Neuzeit
3.3.1. Reformation
3.3.2. Cesare Beccaria
3.3.3. Immanuel Kant und Friedrich Hegel
3.3.4. Franz Xaver Linsenmann
3.3.5. Otto Schilling
3.3.6. Gustav Ermecke
3.3.7. Bruno Schüller
3.3.8. Arthur Kaufmann
3.3.9. Alberto Bondolfi
3.3.10. Franz Böckle
3.3.11. Johannes Gründel
3.3.12. Bernhard Häring
3.3.13. Die Haltung des Amtes der katholischen Kirche zur Todesstrafe heute
3.3.13.1. Pius XII
3.3.13.2. Die Bischöfe einiger Länder
3.3.13.3. Johannes Paul II
3.3.13.4. Enzyklika „Evangelium Vitae“
3.3.13.5. Katechismus der Katholischen Kirche (1993)
3.3.13.6. Der deutsche Katholische Erwachsenen-Katechismus (1995)
4. Sister Helen Prejean
4.1. Die Geschichten der Helen Prejean
4.2. Das Umdenken des Papstes
4.3. Die Ahnungslosigkeit der Gesellschaft
4.4. Begleitung der Todestraktinsassen als Nachfolge Jesu
4.5. Die drei größten Wunden der amerikanischen Gesellschaft
4.6. Menschenrechte und Politik
4.7. Dead Man Walking
5. Historischer Überblick
5.1. Die Todesstrafe in Europa
5.2. Die Todesstrafe in Österreich
6. Argumente für die Todesstrafe
6.1. Todesstrafe als Abschreckung (Generalprävention)
6.2. Spezialprävention (zum Schutz der Gesellschaft)
6.3. Die Preisgünstigkeit
6.4. Die Notwehrsituation des Staates
6.5. Die Todesstrafe zur Wiederherstellung der sittlichen Ordnung
6.6. Die Todesstrafe als Sühneleistung
6.7. Die Rechtsverwirkungstheorie
7. Argumente gegen die Todesstrafe
7.1. Keine Möglichkeit der Besserung
7.2. Politischer Missbrauch
7.3. Justizirrtümer
7.4. Benachteiligung unterer Schichten bzw. Benachteiligung durch Hautfarbe
7.5. Umfeld der Kriminalität
7.6. Todesstrafe und Jugendliche
7.7. Die Hinrichtung von geisteskranken Menschen
8. Methoden der Hinrichtung
8.1. Elektrischer Stuhl
8.2. Gaskammer
8.3. Galgen
8.4. Tödliche Injektion (Giftspritze)
8.5. Erschießen
8.6. Enthaupten
8.6.1. Enthauptung mit dem Schwert
8.6.2. Enthauptung mit der Guillotine
8.7. Steinigen
9. Didaktische Überlegungen
10. Schlussbemerkungen
11. Literaturliste
„Eine leere Zelle
Sobald sie ihn herausgeholt haben, ist das erste, dass der Wärter das Fenster öffnet. In Gefängniszellen muffelt es immer – aber die Luft dieser Zelle ist besonders übel. Sauer ist die Luft, Schweiß der Todesangst haftet an den Wänden, und die letzten Gebete, Wünsche, vagen Bilder entfliehen durch das kleine vergitterte Fenster, während draußen die Armesünderglocke bimmelt. Die Tür bleibt offen, man kann vom Gang aus hineinsehen. Es ist nicht viel Raum: der Stuhl, das Bett, noch mit dem Abdruck des Körpers, der nicht mehr zurückkehren wird; der Tisch, an dem er einen letzten Brief hat schreiben dürfen; die Wasserkanne, aus der er getrunken hat; der Kübel, in den sich die letzte Angst entleerte. Nun ist er nicht mehr da.
Alles steht still im Raum – Fenster und Tür sind offen, aber es wird nicht besser, zäh klebt es an den Wänden, geronnen steht die Luft. Es wird einem so eng, wenn man hier drinnen ist.
Ja, er hat das verdient, wie? Er hat mein Kind zerfetzt, es war so ein süßes, blondes Kind, es sah genau aus wie sie, hatte ihre runde Nase, wir hatten uns so darauf gefreut, einen Jungen zu haben und das Schwein ist darüber hergefallen, im Stadtpark, wo sich der Kleine in den Gebüschen verlaufen hatte. Ich mag gar nicht sagen, was er mit dem Kind – Hund! Du verfluchter Hund! Recht ist dir geschehen, recht ... man müsste dir den –
Recht ist dir geschehen. Ist mein Kind lebendig? – Sind die Schmerzen der Mutter verweht? – Sie wird ein anderes Kind gebären – aber nicht dieses. Wenn sie sich über die neue Wiege beugt, wird sie weinen. Was ist nun geschehen?
Es ist etwas Unwiderrufliches durch ihn geschehen, ein Teil meiner selbst ist dahin – und nichts ist dadurch erreicht, dass ein neuer Mord vollbracht wurde, mit allen Schrecken des ersten. Sichern? Ja. Uns Eltern sichern, dass nicht wieder ein kleines Kind so gefunden wird wie ... Du Hund! Nein; du Stückwerk Gottes.
Nun ist die Zelle leer, der Todesschweiß ist kaum noch zu spüren, die Kanne ist geleert, an die er seine Lippen gehalten hat, das Bett ist gemacht, der Kübel gesäubert.
Die Zelle wartet. Auf den nächsten.“[1]
Die Todesstrafe war für mich immer ein Thema, das es nicht mehr gab. In Österreich existierte sie bereits Jahre vor meiner Geburt nicht mehr. Mit ca. 15 Jahren hörte ich in den Medien von einem 15jährigen Mädchen, das eine ältere Frau überfallen und ermordet hatte. Dieses Mädchen wurde in den USA zum Tode verurteilt. Ich konnte es nicht glauben, dass es in einem Land wie den USA die Todesstrafe noch immer gibt. Vom fortschrittlichen Amerika war ich fest überzeugt, diese Strafe schon längst abgeschafft zu haben.
Einer meiner größten Jugendträume war es, ein Schuljahr in Amerika verbringen zu dürfen. Während meines Aufenthaltes sprach ich mit einer Gruppe von Jugendlichen über die Todesstrafe. Sie wollten von mir wissen, ob es in Österreich die Todesstrafe noch gäbe und ob VerbrecherInnen, die zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt wurden, bei guter Führung auch früher entlassen werden können. Ein Mädchen war absolut gegen die Todesstrafe, viele Jugendliche wussten nicht so recht, ob sie für oder gegen die Todesstrafe sein sollten, hauptsächlich Burschen begrüßten die Todesstrafe. Ich erfuhr, dass es die Todesstrafe in einigen Bundesstaaten gibt und in anderen nicht und vermutete, dass die meisten Bundesstaaten sich bereits davon getrennt hatten. Hinrichtungen, so dachte ich, gibt es kaum bis gar nicht.
Die Firma Benetton ist für ihre provokanten Werbungen bekannt. Anfang 2000 warb sie auch mit der Todesstrafe. Benetton machte auf den Werbeplakaten und in Zeitschriften aufmerksam, dass es die Todesstrafe noch immer gibt. Auf den Plakaten war das Gesicht des Verurteilten zu sehen, mit der Überschrift „Zum Tode verurteilt“. Vielleicht sind einige Menschen der Meinung, dass Benetton jetzt sogar Todestraktinsassen ausnütze, um Werbung zu machen. Natürlich stimmt dies auch, aber mir wurde durch diese Werbung in Erinnerung gerufen, dass es nach wie vor in vielen Länder die Todesstrafe gibt.
Ausschlaggebend für meine Diplomarbeit war wohl meine Seminararbeit zum Thema Todesstrafe im vierten Semester. Für die Vorbereitung auf das Seminar blickte ich auch ins Internet und war überrascht, wie viel Informationen hier zu finden sind. (Das Medium Internet war für meine ganze Diplomarbeit sehr wichtig.) Je mehr ich mich in das Thema einlas, desto interessanter fand ich es. Ich konnte es nicht verstehen, dass in Amerika die Zahl der Hinrichtungen so extrem hoch ist. 1999 wurden 98 Menschen hingerichtet. Die Verfahren werden oft schlampig geführt, nur arme Menschen werden mit dem Tod bestraft. Obwohl bloß 12 % der amerikanischen Bevölkerung schwarz ist, sind 43 % der TodestraktinsassInnen in den USA AfroamerikanerInnen. Dass zwei Drittel der amerikanische Bevölkerung Todesurteile befürworten, fand ich erschreckend. Amerika verletzt aber auch Menschenrechte. Das Land lässt Menschen, die zur Tatzeit unter 18 Jahren waren oder Menschen mit geistiger Behinderung, hinrichten. Die Vereinigten Staaten verstoßen damit gegen die Übereinkommen über die Rechte des Kindes (siehe 7.6 und 7.7).
Vielleicht sagen einige, dass Amerika und auch die anderen Länder, in denen es noch Hinrichtungen gibt, so weit weg sind und die Todesstrafe uns nichts angeht. Aber warum wird in Rom gegen die Todesstrafe demonstriert? Natürlich stand im Vordergrund der Demonstration, die Hinrichtung eines Verurteilten mit italienischer Abstammung. Aber viele wollten damit aufzeigen, dass die Todesstrafe eingestellt gehört.
1999 wurden in Arizona zwei Deutsche exekutiert. Im November 2000 begann vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag der Prozess im Fall um die Hinrichtung der deutschen Brüder LaGrand. Die deutsche Bundesregierung beschuldigt die USA, die beiden nicht über ihr Recht auf Beistand des deutschen Konsulats aufgeklärt zu haben. Dadurch hätten die USA die Wiener Konvention zu Konsularbeziehungen von 1963 verletzt. Die deutschen Behörden waren erst eingeschaltet worden, als alle juristischen Möglichkeiten erschöpft waren. Auch die Bitten des deutschen Bundeskanzlers und Bundespräsidenten hatten die zuständige Gouverneurin von Arizona, Jane Hull, und den Obersten Gerichtshof in Washington nicht umstimmen können.[2]
Diese zwei Beispiele zeigen, dass auch andere StaatsbürgerInnen in den jeweiligen Ländern zum Tode verurteilt werden können. Wenn es sich um TodeskandidatInnen aus dem eigenen Land handelt, ist meistens die Bevölkerung doch sehr betroffen. Es sitzen noch drei weitere deutsche Staatsbürger und eine amerikanische Staatsbürgerin mit deutschen Wurzeln (ihre Mutter ist Berlinerin) in Amerika in der Todeszelle.
Als ich das Thema Todesstrafe für mein Seminar bekam, war ich fest davon überzeugt, dass nicht nur ich gegen die Todesstrafe bin, sondern natürlich auch die katholische Kirche. In den Medien hatte ich immer wieder gehört, dass sich der Papst für Begnadigungen einiger zum Tode Verurteilter einsetzte. Doch leider musste ich erfahren, dass es bis heute keine eindeutige Verurteilung der Todesstrafe durch das kirchliche Lehramt gibt.
Ist es nicht die Aufgabe von uns ChristInnen, einen Menschen, der ein schweres Unrecht begangen hat, nicht einfach umzubringen, sondern in ihm/ihr eine/n von Gott geliebte/n SünderIn zu sehen. Der Evangelist Lukas schreibt: „Erlasst einander die Schuld.“[3] Hier kann man sicherlich auch die Vergebung von schwerer Sünde verstehen. Auf den genauen Wortlaut des Katechismus von 1993 und der geänderten Version vom Jahre 1997 gehe ich in Kapitel 3.3.13 noch genauer ein.
In meiner Arbeit erläutere ich zuerst die Aussagen der Bibel zum Thema Todesstrafe. Welche Aussagen der Bibel sprechen für bzw. gegen die Todesstrafe. Welche Unterschiede gibt es zwischen Altem und Neuem Testament.
Anschließend beschreibe ich die Todesstrafe in der Geschichte der katholischen Kirche. Zuerst wurde sie abgelehnt. Später als das Reich und der Kaiser christlich wurden, hat die Kirche die Strafpraxis der Hinrichtungen akzeptiert. Im Mittelalter befürworteten Papst Innozenz III und Thomas von Aquin Exekutionen.
Betroffen machte mich, dass die Kirche das Werk von Cesare Beccaria „Über Verbrechen und Strafen“, in dem er sich eindeutig gegen die Todesstrafe aussprach, als Angriff auf ihre Lehre sah und es verbot. Erschütternd ist auch die Tatsache, dass sich Pius XII in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts für die Beibehaltung der Todesstrafe aussprach. Erst in den letzten drei bis vier Jahrzehnten hat die katholische Kirche begonnen, sich gegen die Todesstrafe auszusprechen. Der Papst und auch Bischöfe haben in den letzten Jahren öfters eine Begnadigung für TodeskandidatInnen gefordert.
Besonders hinweisen möchte ich in meiner Arbeit auf Sister Helen Prejean. Die katholische Nonne hat nicht nur das Buch „Dead Man Walking“ geschrieben, das auch verfilmt wurde, sie steht auch an der Spitze der Anti-Death-Penalty-Initiative in den USA. Seit Jahren lebt sie nur noch aus dem Koffer. Sie reist quer durch Amerika und versucht den Leuten die Problematik der Todesstrafe zu verdeutlichen. Sister Helen meint, dass zuerst das Volk umgestimmt gehört, da die führenden Staatsleute die Todesstrafe missbrauchen, um politisch erfolgreich zu sein. Immerhin befürworten zwei Drittel der AmerikanerInnen die Todesstrafe.
Danach gebe ich einen historischen Überblick über die Todesstrafe in Europa und in Österreich.
Im Kapitel 6 nenne ich Argumente, die für die Todesstrafe sprechen. Wenn ich die Gründe aufzähle, werde ich versuchen, sie zu widerlegen.
Bei den Argumenten gegen die Todesstrafe habe ich auch immer versucht, passende Beispiele anzuführen.
Die Hinrichtungsmethoden möchte ich deshalb erwähnen, weil so oft von einer schmerzlosen, sanften Hinrichtung die Rede ist. In Wirklichkeit sind die meisten Exekutionen aber grausam. Selbst bei der anscheinend so humanen Art der Hinrichtung, der tödlichen Injektion, traten und treten nach wie vor Probleme auf. Anschließend möchte ich noch ein paar didaktische Impulse geben.
Karl Bruno Leder schreibt im Vorwort seines Buches „Todesstrafe“: „Im Lauf der Geschichte hat die Todesstrafe Millionen von Opfern gefordert. Sie fordert sie immer noch und stets im Namen hehrer Begriffe. Im Namen Gottes, des Kaisers, des Volkes, des Vaterlandes oder der Gerechtigkeit haben zahllose Menschen ihr Leben lassen müssen. Es gilt endlich herauszufinden, welche innergesellschaftlichen Probleme es sind, von denen die Gemeinschaft zur Gewalt gegen den einzelnen getrieben wird. Und es gilt zu fragen, ob andere gesellschaftliche Verhältnisse vielleicht diese uralte Forderung nach Blut zu besänftigen vermögen. “[4]
Weder das Alte noch das Neue Testament messen der Todesstrafe eine zentrale Bedeutung bei. Sie erscheint als eine rechtliche Institution, die im Alten Testament selbstverständlich ist und im Neuen Testament gelegentlich erwähnt wird.[5]
In früheren Phasen des Alten Testamentes gab es keine Polizei, keine Rechtsstaatlichkeit, keinen Instanzenweg, nichts, was wir mit dem Stichwort „Rechtssicherheit“ verbinden, weil es keine staatliche Größe gab, die den Schutz des Einzelnen/der Einzelnen bzw. die Bestrafung eines Übeltäters/einer Übeltäterin in hohem Maße garantierte.[6] In der Frühzeit Israels gibt es eine Vorform der Sippenrache.[7] „Blutrache ist Privatangelegenheit. Es strafte, rächte und vergalt die geschädigte Familie oder die Dorfgemeinschaft in eigener Sache.“[8] Die Vergeltung richtete sich nicht nur gegen den Täter/die Täterin, sondern auch gegen dessen Sippe.
Die Blutrache ist durch einen geordneten Rechtsprozess nach und nach ersetzt worden. Die heute so grausam klingenden Worte „Leben für Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn“ (Ex 21,22-25) waren ein nicht zu überschätzender Fortschritt an Rechtssicherheit.[9] Das Talionsgesetz war der Versuch, den Rachegedanken zu humanisieren.[10] Die Strafe richtete sich nun nicht mehr gegen Sippenmitglieder oder Unschuldige, sondern gegen den Täter/die Täterin selbst. Er/sie musste nicht unbedingt mit dem Leben büßen, sondern er/sie litt nur noch im gleichen Maß wie sein Opfer.[11]
„Die Einführung der Todesstrafe ist in Israel nur als eine humanitäre Maßnahme zur Einschränkung der Blutrache und anderer brutaler Strafmaßnahmen von privater Seite richtig zu verstehen.“[12]
„Du sollst nicht töten“ verbietet nicht Töten einfachhin, sondern Morden.[13] „Im Hebräischen stand für das Wort „töten“ „rasach“. „Rasach“ hat die Bedeutung von ungesetzlichem, unbegründetem Töten, von Morden und Totschlagen.“[14] Nicht jedes gewaltsame Beendigen des Lebens eines/einer anderen, etwa auf Grund eines gerichtlichen Todesurteils oder im Krieg, ist also ausgeschlossen.[15]
Die Todesstrafe war vorgesehen für:
1) Verbrechen am Menschenleben: vorsätzlicher Totschlag (Ex 21,12, Lv 24,17 „Wer einen Menschen erschlägt, wird mit dem Tode bestraft“, Num. 35,16,21 „Ihr sollt kein Sühnegeld annehmen für das Leben eines Mörders, der schuldig gesprochen und zum Tod verurteilt ist; denn er muss mit dem Tod bestraft werden.“), Menschenraub zwecks Versklavung (Ex 21,16, Dt 24,7)
2) religiöse Verbrechen: Götzendienst Ex 22,19; Lv 20,1-5; Dt 13,2-19; 17,2-7), Gotteslästerung (Lv 24,15), Sabbatschändung (Ex 31,14), Zauberei (Ex 22,17);
3) Sexualvergehen: Ehebruch (Lv 20,10; Dt 22,22), Inzest (Lv 20,11), Unzucht mit Tieren (Lv 20,13), Bestialität (Lv 20,15f), Prostitution einer Priestertochter (Lv 21,9)
4) Vergehen gegen Eltern (Ex 21,15; Lv 20,8; Dt 21,18-21)
Das Gesetz forderte für ein Todesurteil mindestens zwei Zeugen.[16] Das alttestamentliche Recht fordert die Todesstrafe nur dort, wo das menschliche Leben, die Freiheit und die sittliche Würde des Menschen und die Reinheit der Religion bedroht sind, niemals aber, im Gegensatz zum übrigen altorientalischen Recht, wegen Frevels an materiellen Gütern.[17]
Im späten Judentum ist dann mehr Zurückhaltung gegenüber der Todesstrafe spürbar.[18] „Verschiedene Zeugnisse der jüdischen Gerichte zeigen, dass sie stolz darauf waren, die Todesstrafe nur sehr selten oder nie angewandt zu haben.“[19]
Die Römer entzogen den Juden bis auf Ausnahmen den Vollzug von Todesstrafen. Die Beanspruchung des Rechtes zur Verhängung der Todesstrafe im Judentum ist letztlich in seinem theokratischen Staatsverständnis begründet, aufgrund dessen dem Staat als dem universalen Statthalter Gottes alle göttliche Strafgewalt in dieser Zeit zugeschrieben wird.[20]
Das Neue Testament erwähnt die Todesstrafe nicht ausdrücklich, setzt aber voraus, dass es sie gibt. Auf die Todesstrafe als sittliches Problem wird im Neuen Testament nicht eingegangen.[21]
„Das neue Element in den neutestamentlichen Schriften besteht in der radikalen Infragestellung der Ideologie des „Blutpreises“. Jesus schlägt eine neue Strategie zur Überwindung des Bösen vor, indem er nicht mehr an blutige Gewalt appelliert, sondern eine Gemeinschaft ins Zentrum stellt, die von der Liebe lebt, welche Freunde und Feinde einschließt.
Die Bergpredigt verneint die Berechtigung des Talionsgesetzes dadurch, dass sie die vergebende Liebe Gottes aufzeigt, die uns sagt, dass auch unter den Menschen in dieser Welt Vergebung möglich ist (vgl. vor allem Mt 5,38-39 und Lk 6,29-30).“[22] Statt wie früher, Auge gegen Auge und Zahn gegen Zahn stets ausgleichen zu wollen, gilt es nun, dem Bösen keinen gewaltsamen Widerstand entgegenzusetzen und durch das Hinhalten auch der anderen Wange bzw. durch die Zusatzgabe des Mantels an den Hemddieb, das Böse von innen her durch echte Großzügigkeit zu überwinden.[23]
Joh. 8,2ff zeigt, dass das Neue Testament tatsächlich nicht die alttestamentliche Todesstrafe erneuern wollte. Jesus verhindert die Steinigung der Ehebrecherin, die gemäß dem Gesetz von Lv 20,10 an ihr vollzogen werden müsste.[24] Laut Sierck gibt die Perikope, so sie einen historischen Kern hat, vielleicht sogar Aufschluss über die Haltung Jesu zur Todesstrafe. Diese Frage bildet allerdings nicht den Schwerpunkt der Erzählung.[25]
Middendorf ist der Meinung, dass wir aus dem Verhalten Jesu in diesem Einzelfall und aus dem Gesamtinhalt seiner Lehre entnehmen können, dass die Todesstrafe seinem Wesen fremd und zuwider war.[26]
„Das jesuanische Ethos ist ein Ethos des Verzeihens und des Gewaltverzichts. Es enthält Impulse, die eindeutig gegen die Todesstrafe sprechen. Auch das Liebesgebot Jesu wurde von einigen Vätern als direktes Argument gegen die Todesstrafe verwendet.“[27]
Als biblisches Argument für die Todesstrafe wird Röm 13,4 genannt, von der staatlichen Gewalt heißt es: „Sie steht im Dienst Gottes und verlangt, dass du das Gute tust. Wenn du aber Böses tust, fürchte dich! Denn nicht ohne Grund trägt sie das Schwert. Sie steht im Dienst Gottes und vollstreckt das Urteil an dem, der Böses tut.“ Dieser Text scheint die Macht des Staates über Leben und Tod derer zu rechtfertigen, die Böses tun. Im Gesamtkontext betrachtet, dürfte es Paulus nicht in erster Linie um die Rechtfertigung der Todesstrafe gehen, sondern darum, die ChristInnen, die ihre bürgerlichen Pflichten vernachlässigen, zu diesen Pflichten zurückzurufen.[28]
Bei Middendorfs Todesstrafe – Ja oder Nein? ist zu lesen, dass das Wort „Schwert“ nicht unmittelbar mit der Verhängung der Todesstrafe gleichzusetzen ist, sondern sich symbolhaft auf die Handhabung der gesamten Strafgerichtsbarkeit bezieht.[29]
Man kann sagen, dass sich im Neuen Testament weder eine Rechtfertigung für die Todesstrafe noch ein direktes Verbot der Todesstrafe befindet.
Vergleicht man die wichtigsten Hauptzeugnisse aus der christlichen Geschichte, zeigt sich, dass die ethische Bejahung der Todesstrafe die Regel und die ethischen Verneinung die Ausnahme ist.
In den ersten nachchristlichen Jahrhunderten lehnen eine ganze Reihe von Theologen die Todesstrafe entschieden ab. Sicherlich spielt die Tatsache eine wichtige Rolle, dass die ChristInnen in den Verfolgungszeiten Opfer der Todesstrafe waren.[30] Die frühe Kirche denkt nicht über deren Berechtigung nach. Sie ist sich nur klar darüber, dass ein/e ChristIn daran nicht mitwirken darf. Wer an der Verhängung oder am Vollzug der Todesstrafe beteiligt ist, der kann nicht volles Mitglied der christlichen Gemeinde sein, denn er/sie handelt gegen das Liebesgebot. Die Väter legen das 5. Gebot als absolutes Tötungsverbot aus.[31]
Das älteste christliche Zeugnis für die Ablehnung der Todesstrafe findet sich in „De idololatria“ Tertullians: „Was die Staatsgewalt betrifft, so darf ein Knecht Gottes keine Todesurteile fällen.“ Lactantius schreibt in „Divinai institutiones“: „Wenn Gott töten verbietet, so betrifft dies auch jene Fälle, die von Menschen als erlaubt angesehen werden. Ob man mit einem Wort oder einem Eisen tötet, die Tötung an und für sich ist verboten.“ Minucius Felix schreibt um 225 in „Octavius“: „Uns ist es nicht erlaubt, der Tötung eines Menschen beizuwohnen.“ Hippolyt schreibt in seinen Canones: „Wer die Gewalt über das Schwert hat und Strafgewalt besitzt, gebe sein Schwert auf oder soll (vom Taufunterricht) ausgeschlossen bleiben.“ Im Jahre 385 schreibt Ambrosius an den Magistraten Studius, dass diejenigen, die es als ihre Pflicht erachtet haben, ein Todesurteil zu fällen, sich nicht außerhalb der Kirche befinden, doch die meisten von ihnen halten sich von der Eucharistiegemeinschaft fern und verdienen deswegen Anerkennung.[32]
Bei Augustinus taucht eine neue Linie auf: dem Staat wird das grundsätzliche Recht, Todesstrafe zu verhängen, nicht abgesprochen. Die Kirche hat aber die Pflicht, den Staat zu Milde und Mäßigung zu mahnen.
Nach der konstantinischen Wende veränderte sich das Verhältnis zwischen Kirche und Staat deutlich.[33] Die Kirche, die zu einem Teil des Römischen Reiches geworden ist, übernimmt auch die Verantwortung für dieses Reich. Sie akzeptiert die Strafpraxis samt der Todesstrafe und stellt diese auch in den Dienst ihrer eigenen Interessen .[34]
Die Vorbehalte gegen die Todesstrafe bleiben im Mittelalter nur soweit erhalten, als die Kirche direkt mit der Exekution der VerbrecherInnen nichts zu tun haben will. 866 wendet sich Papst Nikolaus I entschieden gegen die Todesstrafe.[35] In einem Brief an die Bulgaren freut sich Papst Nikolaus I darüber, dass die Bulgaren in den Gesetzen die Folter und die Todesstrafe nicht vorgesehen haben. Die Synode von Rouen im Jahre 1190 verbot Prozesse in kirchlichen Gebäuden abzuhalten, die ein Todesurteil bringen konnten. Auch Klerikern verbot man, an Duellen und Turnieren teilzunehmen.[36]
Im 12. Jahrhundert räumt die Kirche dem Staat das Recht ein, die Todesstrafe („gladius materialis“) anzuwenden, nicht aber der Kirche selbst („gladius spiritualis“). Doch die Kirche tritt nicht mehr für Milde und Mäßigung ein.[37]
Papst Innozenz III rechtfertigt zu Beginn des 13. Jahrhunderts die Todesstrafe gegen die Waldenser, welche die Todesstrafe ablehnen: Innozenz III erklärte, dass die staatliche Gewalt das Recht hat, die Todesstrafe vorzunehmen, wenn sie nicht aus Hass, sondern von einem ordentlichen Gericht und nicht übereilt ausgesprochen wird.[38]
Thomas von Aquin rechtfertigt die Todesstrafe aus mehreren Gründen: Der Verbrecher/die Verbrecherin verliert, da er/sie gegen seine/ihre Vernunft gehandelt hat, seine/ihre Würde, er/sie fällt gleichsam auf die Stufe des Tieres zurück. Das Gemeinwohl rechtfertigt es, ein solches „schädliches Glied“ zu töten, wenn es keinen anderen Weg gibt.[39] Wenn ein Mensch auf Grund eines Verbrechens der Gemeinschaft zur Gefahr und zum Verderben wird, ist es vernünftig und heilsam, ihn zu töten, damit das Gemeinwohl gerettet werde. Durch das Verbrechen sinke der Mensch in tierische Abhängigkeit, sodass man nun über ihn bestimmen dürfe nach dem Maß, wie es für die anderen nützlich sei.[40] Weiters ist Thomas der Meinung: „Das allgemeine Wohl geht über das besondere Wohl einer Einzelperson. Das Leben verpesteter Menschen aber verhindert das Gemeinwohl. Deshalb sind solche Menschen durch den Tod aus der menschlichen Gesellschaft herauszunehmen.“[41] Der Verbrecher/die Verbrecherin hat sich selbst aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und sozialen Selbstmord begangen. Diese/r müsse somit beseitigt werden.[42]
Die Aussagen von Thomas haben jahrhundertelang Geltung und sind im Grunde noch heute verbreitet, nicht nur in der katholischen Welt.[43]
Hier ist zu bedenken, dass es bis ins 19. Jahrhundert keine Gefängnisse im heutigen Sinn gegeben hat. Es wäre früher oft sehr schwierig gewesen, jemanden lebenslänglich in Haft zu halten.[44]
„In der reformatorischen Theologie übt der Staat seine Gerichtsbarkeit im Namen Gottes aus. Man setzt voraus, dass es todeswürdige Verbrechen gibt und dass es Recht und Pflicht des Staates sei, diese Verbrechen entsprechend zu bestrafen.“[45] Bei Luther ist das Ja zur Todesstrafe biblisch begründet. Die Todesstrafe ist für ihn mit dem Amte der Obrigkeit gegeben. Wie die Obrigkeit, so ist auch die Todesstrafe legitimiert durch Gottes ausdrücklichen Befehl, wie es zuerst in Gen. 9,6 vorliegt und dann durch Ex. 21 bestätigt wird.[46] Für Häresie und Diebstahl wollte Luther die Todesstrafe abgeschafft wissen.[47]
Die wirkliche Herausforderung und radikale Infragestellung der Todesstrafe kommt nicht von der Theologie, sondern von der Philosophie der Aufklärung. 1764 erscheint das Buch „Dei delitti e delle pene“ (Über Verbrechen und Strafen) von Cesare Beccaria (1738-1794), das in ganz Europa die Auseinandersetzung um die Todesstrafe entfacht. Das Buch wendet sich vehement gegen die Todesstrafe und gegen die Folter.[48] Laut Beccaria kann auch der/die VerbrecherIn als vernünftiges Wesen und als verbesserungsfähiges Glied der Menschheit eingestuft werden. Für ihn ist die gerechte Strafe milde und darf nur das unbedingt notwendige Maß auferlegen, muss aber unerbittlich angewendet werden, um wirksam zu sein. Als typischer Vertreter der Aufklärung erwartet sich Beccaria Hilfe von Erziehung und Bildung. Er ist der Meinung, dass Unwissenheit das Verbrechen fördert, Wissen dagegen die Tugend, denn die aufgeklärte Vernunft erkennt die Notwendigkeit der Gesetze und unterwirft sich ihr leicht.[49] Die katholische Kirche hat negativ auf dieses Werk reagiert und es verboten. Es wurde als Angriff auf die Kirche gesehen.
„Lessing, Herder, von Sonnenfels, Klopstock, Schiller und v. Humboldt griffen die Argumente gegen die Todesstrafe auf und lehnten sie ab. Schleiermacher begründete die Ablehnung der Todesstrafe theologisch. Auch H. Hetzel und A. Bitzius lehnten 1870 die Todesstrafe als unchristlich ab.“[50]
„Kant und Hegel verteidigen die Todesstrafe. Sie sei in sich ein Erfordernis der Gerechtigkeit, ganz unabhängig von der Frage, ob sie abschreckend wirkt oder nicht. Die Todesstrafe diene dazu, eine verletzte sittliche Ordnung wiederherzustellen (= objektive Sühne). Dies bezeichnet man als metaphysische Straftheorie.“[51] Kant meint, dass es die Gerechtigkeit fordere, dass Gleiches mit Gleichem vergolten werde. Damit die Blutschuld nicht auf dem Volk haften bleibe, bedürfe es der Todesstrafe. Hier liegt das Talionsprinzip vor.[52]
Franz Xaver Linsenmann lässt in seinem 1878 erschienenen „Lehrbuch der Moraltheologie“ keinen Zweifel an der Erlaubtheit der Todesstrafe. Er relativiert jedoch, dass alle wesentlichen Zwecke der Strafe durch andere Strafarten ebenso gut oder besser als durch Hinrichtung erreicht werden können. Für Linsenmann ist die Todesstrafe daher nur dann zulässig, wenn sie unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gebraucht wird.[53] Einerseits will er bereits Diebstahl mit dem Tod bestraft wissen (so kann Schutz des Besitzverhältnisses erlangt werden), andererseits stellt er die Möglichkeit der Abschaffung im Zustand bürgerlicher Ordnung und Sicherheit in den Raum. Die gesetzliche Abschaffung der Todesstrafe sei einfach eine politische Frage oder eine Kulturfrage. Ein Rechtsgrund steht ihr nicht entgegen.[54]
Laut Schilling anerkennt die Bibel die Todesstrafe. Er zitiert Gen 9,6, Ex 21, Lev 20 und Dtn 17,6; 19,11ff, die das Talionsprinzip behandeln und sieht sie durch Röm 13,4 bestätigt. Die Todesstrafe ist für ihn Selbstschutz des Staates. Sie ist und bleibt erlaubt, sobald sie sich zum Schutz des Friedens und Rechtssicherheit im Staate als notwendig erweist und gefährdendes Verbrechen vorliegt, das den Frieden verhindert. Aber nur aus Notwehr dürfe der Staat die Todesstrafe verhängen, um das Gemeinwohl wirksam zu schützen.[55]
Ermecke setzt sich in „Zur ethischen Begründung der Todesstrafe heute“ vehement für die Todesstrafe ein. Der Staat hat die Aufgabe, für das Gemeinwohl zu sorgen, auch mittels der Todesstrafe. Laut Ermecke hat Gott selbst, der Herr über Leben und Tod, dieses Recht der staatlichen Obrigkeit übergeben. Das Leben ist ein hohes Gut, aber nicht das höchste.
Das fünfte Gebot widerspricht nach Ermecke der Todesstrafe nicht. Röm 13,4 fordert die Todesstrafe. Haben die Väter zwar Bedenken, so befürwortet sie doch Augustinus und nach ihm die gesamte christliche Tradition. Erst die Aufklärung führt zum Widerspruch gegen ihre Zulässigkeit.[56]
Der/die VerbrecherIn hat durch seine/ihre schlechte Tat sein/ihr Lebensrecht selbst verwirkt und schließt sich selbst aus der Gemeinschaft aus. Die Vollstreckung ist objektive Vergeltung, bei bereitwilliger Übernahme wird sie zur subjektiven Sühne. Für Ermecke stellt die lebenslange Freiheitsstrafe keine gerechte Alternative dar. Die Todesstrafe ist der Totalausschluss aus der Gemeinschaft. Eine Freiheitsstrafe ist nur ein partieller Ausschluss und würde Begnadigung bedeuten. Der Staat kann aber auch die Freiheitsstrafe einführen. Die Todesstrafe ist nicht zwingend vorgeschrieben. Die Gemeinschaft kann den Verbrecher bzw. die Verbrecherin wieder aufnehmen.[57]
Laut Schüller ist der Vollzug der Todesstrafe unter folgende Bedingungen gestellt:
- „Der Verbrecher/die Verbrecherin, der/die zum Tode verurteilt ist, muss die Gemeinschaft schwer bedrohen.
- Die Todesstrafe muss als wirksames Mittel zur Abwehr der Bedrohung erwiesen sein.
- Die Todesstrafe muss das einzig wirksame Mittel sein – es darf keine Alternativen geben.
Ob diese Bedingungen in einem bestimmten Staat erfüllt sind, wird z.T. eine Ermessensfrage sein.[58]
Arthur Kaufmann nennt vier Argumente gegen das Talionsprinzip:
- Durch die Tötung des Mörders/der Mörderin wird nicht Gleiches mit Gleichem vergolten.
- Nach dem Talionsprinzip müsste jede Tötung, auch die fahrlässige, mit dem Tod bestraft werden.
- Die Talion ist bei den meisten Delikten überhaupt nicht durchführbar.
- Die Gerechtigkeit verlangt nicht eine sich in der Tat widerspiegelnde Strafart, sondern ein der Schuld entsprechendes Strafmaß.[59]
In seinem Werk „Ethik und Selbsterhaltung“ stellt sich Bondolfi gegen die Todesstrafe. Für ihn kommt der Todesstrafe in der Bibel keine zentrale Bedeutung zu. Die Todesstrafe scheint nur als rechtliche Institution auf. Im Alten Testament ist sie selbstverständlich, im Neuen Testament wird sie nur gelegentlich erwähnt.[60]
Bondolfi findet, dass weder das Neue Testament die Todesstrafe rechtfertigt, noch dass es sie direkt verbietet. Was die synoptische Tradition energisch bestätigt, ist, dass der Christ/die Christin im Blick auf das Reich Gottes seine Hoffnung nicht auf die Kräfte der rächenden Gerichtsbarkeit setzen soll.[61] Bondolfi setzt sich mit den Argumenten der Wirkungen der Todesstrafe als Resozialisierungsfaktor, Spezialprävention, Generalprävention und Vergeltung auseinander und kritisiert sie. Man könnte die Todesstrafe nur im Falle wirklicher Notwehr oder eines Verteidigungskrieges rechtfertigen.[62]
Franz Böckle schreibt in seinem Buch „Fundamentalmoral“, dass man bis vor kurzem der Überzeugung war, die Rechtsordnung könne nur gesichert sein, wenn RechtsbrecherInnen mit dem Tode bestraft werden, dann war das verallgemeinernde Urteil richtig: Todesstrafe ist (im allgemeinen) erlaubt. Heute ist es schwer, plausibel zu machen, dass die Hinrichtung von VerbrecherInnen das einzige und proportionierte Mittel sei, den Rechtsstaat zu retten. Generell kann man heute formulieren: Todesstrafe ist (im allgemeinen) nicht erlaubt. Die widersprechenden Urteile sind unter den je vorausgesetzten Bedingungen richtig. Sie bringen eine sittliche Norm zum Ausdruck. Die Normen sind gültig soweit sie das Allgemeine ausdrücken und sie die notwendigen Bedingungen umfassen und zutreffend berücksichtigen.[63]
Jesus verlangt in der Bergpredigt bedingungslos, das Böse durch das Gute zu überwinden und auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten. Es soll aber die rechtliche Konfliktregelung nicht grundsätzlich verurteilt werden. Es genügt nicht, die zwischenmenschlichen Aggressionen durch eine Begrenzung des Vergeltungsprinzips auf das Gleichmaß „Aug um Aug“ zu bekämpfen. Der Christ/die Christin soll aktiv auf seinen/ihren Feind zugehen und versuchen ihn/sie durch Gewaltlosigkeit zur Einsicht zu bringen. Diese Zuwendung und das Wohl des/der anderen ist die eigentliche Intention Jesu.[64]
Strafe wird als ein vom Menschen auferlegtes Übel – etwa als Einschränkung von Freiheit oder die Einbuße finanzieller Art oder auch ein leibliches Übel (Todesstrafe) – wegen einer bereits geschehenen Unrechts verhängt. Ziel einer Strafe muss der Abbau von bereits geschehenem Unrecht bleiben. Aber auch das Bewusstsein, solidarisch mit dem Rechtsbrecher/der Rechtsbrecherin und der übrigen Gemeinschaft um das Wohl der Gemeinschaft besorgt zu sein und somit auch die Bekehrung und Wiedereingliederung des Straftäters/der Straftäterin in die Gemeinschaft, ist anzustreben. Besonders grausame Bestrafungen wie die Todesstrafe können eher die Brutalität in der Gesellschaft fördern und zu einer Eskalation der Gewalt führen.[65] Wenn man Bundesstaaten der USA vergleicht, in denen die Todesstrafe häufig praktiziert wird mit Bundesstaaten, in denen es die Todesstrafe nicht gibt oder wo sie nur selten vollstreckt wird, zeigt sich, dass jene Bundesstaaten in denen sie oft angewendet wird, eine höhere Kriminalitätsrate haben als die anderen (siehe 6.1).[66] Macht die Tötung des Staates etwa „heiß“ auf Kriminalität?
Wo die Strafe als Vergeltung und des Schuldausgleichs gesehen werden, tritt die Resozialisierung des Täters/der Täterin und die Verhütung eines Rückfalles in den Hintergrund. Es stellt sich die Frage, inwieweit die Person des Täters/der Täterin in ihrer Würde wirklich hinreichend berücksichtigt und die Möglichkeit und Notwendigkeit einer frei vollzogenen inneren Gesinnungsänderung angestrebt wird, wenn der Vergeltungsgedanke zu stark im Vordergrund steht.[67] Manche Teile der Gesellschaft reagieren nach dem Ausgleichsprinzip der Gerechtigkeit und verlangen für Schuld Sühne im Sinne der Vergeltung. Das Evangelium verkündet nicht Vergeltung und Wiedergutmachung, sondern die durch Jesus Christus bereits erfolgte Versöhnung.[68] Sogar Menschen mit einer schweren sündhaften Tat können umkehren. Damit bleibt ihnen die Versöhnung mit Gott offen, solange sie leben. Der Sinn der Strafe besteht im Schutz des einzelnen und der Gesellschaft vor verbrecherischen Taten anderer.[69] Die Strafe sollte nicht die Höhe der Schuld überschreiten. Sie kann auch geringer sein als die Schuld des Täters/die Täterin.
Auch in der katholischen Theologie spielte bis in unsere Zeit bei der Bewertung der Strafe der Vergeltungsgedanke eine entscheidende Rolle. Man setzt menschliche und staatliche Autorität parallel zum strafenden Gott. Nicht das christliche Gottesbild eines sich erbarmenden und verzeihenden Gottes wurde sichtbar, sondern der Gott der Gerechtigkeit.[70] Gott ist vornehmlich ein Gott des Erbarmens, der den Menschen Versöhnung und damit Vergebung von Sünde und Schuld angeboten hat.[71]
Mit der Todesstrafe kann das Vergehen nicht wieder gut gemacht werden, auch kann das Vergehen nicht beseitigt werden.[72]
Häring schreibt im zweiten Band seines Handbuches „Das Gesetz Christi“, dass in vielen Staaten aus zwei grundsätzlichen Gründen die Todesstrafe abgeschafft wurde: Sie widerspricht dem Gedanken der Humanität. Der Staat hat in der Regel nicht die Gewalt, über das Leben seiner Untertanen zu entscheiden.[73]
Er schreibt aber dem Staat zum Schutz der Freiheit und des Lebens der Untertanen dieses Recht zu, „soweit dies im Interesse des Allgemeinwohles notwendig erscheint.“[74] Häring nimmt den Beweis dafür aus der Heiligen Schrift. Im Alten Testament gibt es Stellen (Gen 9,6; Num 35,15; 19,31), wo dieses Recht als Schutz für die Ächtung des Menschenlebens zugesprochen wird, natürlich für eine Menschheit, der die Fülle der Erlösung noch nicht zuteil geworden ist. Im Neuen Testament wird die Todesstrafe nicht behandelt, sie ist aber in Röm. 13,4 vorausgesetzt.
Häring verteidigt aber auch den Abschaffungsgedanken bzw. die Möglichkeit, die Todesstrafe außer Kraft zu setzen. Bereits im Alten Testament wird neben einer strengen Gerechtigkeit und einer feststehenden Sicherheit bei einer Verurteilung auch Milde verlangt (Num 35,30). Die christliche Tradition hat dem Staat immer das Begnadigungsrecht zugesprochen, sodass keine Pflicht besteht, mit dem Tode zu bestrafen: „Weder aus der heiligen Schrift noch aus der Vernunft und der christlichen Tradition kann meines Erachtens bewiesen werden, dass der Staat das Recht der Todesstrafe unbedingt und zu allen Zeiten ausüben müsse.“[75]
[...]
[1] Tucholsky Kurt, Die leere Zelle, in: Amnesty International – LehrerInnen-Info 18, Arbeitskreis Menschenrechtserziehung OÖ (Todesstrafe), Linz, 1994, 65
[2] vgl. Deutschland verklagt USA wegen Todesstrafe, http://www.zdf.msnbc.de/news/65464.asp, 20. Feb. 2001
[3] Lk 6,37
[4] Leder Karl Bruno, Die Todesstrafe, Ursprung, Geschichte, Opfer, München, 1986, 9
[5] vgl. Bondolfi Alberto, Todesstrafe, in: Neues Lexikon der christlichen Moral, Innsbruck, 1990, 777
[6] vgl. Sierck Michael, Die Todesstrafe, Bestandaufnahme und Bewertung aus kirchlicher Sicht, Bonn, 1993; 25
[7] vgl. Schaupp Walter, Moraltheologie III (Spezielle Moral) Skriptum, Wien, 1994, 43
[8] Alt Hans-Peter, Das Problem der Todesstrafe, München, 1960, 86
[9] vgl. Sierck, Die Todesstrafe, 26
[10] vgl. Schaupp, Moraltheologie III, 43
[11] vgl. Sierck, Die Todesstrafe, 26
[12] Molinski Waldemar, Todesstrafe: in Sacramentum Mundi, Band 4, Freiburg, 1969, 927
[13] vgl. Schüller Bruno, Todesstrafe in: Lexikon für Theologie und Kirche, Band 10, Freiburg, 1965, 229 (leider habe ich vom Lexikon für Theologie und Kirche, Band 10 noch keine aktuellere Ausgabe gefunden)
[14] Miller Josef, Junge Männer, Väter, Staatsbürger, Wien, 1963, 131-132
[15] vgl. Furger Franz, Rotter, Hans, Die 10 Gebote, Freiburg (CH), 1983, 33
[16] vgl. Schüller, Todesstrafe in LThK, Bd. 10, 229
[17] vgl. Kornfeld W., in: Bibel-Lexikon (Haag Herbert Hsg.), Tübingen, 1968, 1764
[18] vgl. Schaupp, Moraltheologie III, 43
[19] Sierck, Die Todesstrafe, 26
[20] vgl. Molinski, Sacramentum Mundi, 927-928
[21] vgl. Sierck, Die Todesstrafe, 30
[22] Bondolfi, Todesstrafe: in NLChrM, 779
[23] vgl. Furger Franz, Einführung in die Moraltheologie, Darmstadt, 1988, 107
[24] vgl. Alt, Das Problem der Todesstrafe, 100
[25] vgl. Sierck, Die Todesstrafe, 31
[26] vgl. Middendorf Wolf, Todesstrafe – Ja oder Nein?, Freiburg im Breisgau, 1962, 12
[27] Schaupp, Moraltheologie III, 44
[28] vgl. Neuhold Leopold, Todesstrafe, CD-ROM Religion, Wien, 1996
[29] vgl. Middendorf, Todesstrafe – Ja oder Nein?, 13
[30] vgl. Sierck, Die Todesstrafe, 35
[31] vgl. Schaupp, Moraltheologie III, 44
[32] vgl. Compagnoni Francesco, Folter und Todesstrafe in der Überlieferung der röm. kath. Kirche, in: Conc 14, 1978, 662
[33] vgl. Neuhold, Todesstrafe
[34] vgl. Schaupp, Moraltheologie III, 44
[35] vgl. Neuhold, Todesstrafe
[36] vgl. Bondolfi Alberto, Helfen und Strafen, Studien zur ethischen Bedeutung prosozialen und repressiven Handelns, Münster, 1997, 114
[37] vgl. Compagnoni, Folter und Todesstrafe in der Überlieferung der röm. kath. Kirche, in: Conc 14, 662
[38] ebd. vgl. 663
[39] vgl. Schaupp, Moraltheologie III, 44
[40] vgl. Neuhold, Todesstrafe
[41] Bondolfi, in: Neues Lexikon der christlichen Moral, 779
[42] vgl. Neuhold Leopold, Todesstrafe
[43] vgl. Compagnoni, in Folter und Todesstrafe in der Überlieferung der röm. kath. Kirche, in: Conc 14, 663
[44] vgl. Ringel E., in: Hrsg. Klose Alfred, Katholisches Soziallexikon, , Innsbruck Wien München, 1980, 3057
[45] Ringel E., in: Katholisches Soziallexikon, 3057
[46] vgl. Kim Jung-Woo, Todesstrafe und Menschenwürde, Wien, 1992, 196
[47] vgl. Alt, Das Problem der Todesstrafe, 41
[48] vgl. Bondolfi; NLChM, 782
[49] vgl. Kurze Karl-Heinz, Theologische Aspekte der Kriminalstrafe, Bonn, 1978, 120-122
[50] Alt, Das Problem der Todesstrafe, 42
[51] Schaupp, Moraltheologie III, 45
[52] vgl. Neuhold, Todesstrafe
[53] vgl. Linsenmann Franz Xaver, Lehrbuch der Moraltheologie, Freiburg, 1878, ebd., 472
[54] vgl. ebd., 473
[55] vgl. Schilling Otto, Lehrbuch der Moraltheologie, Bd. 2, München, 1928, 628-631
[56] vgl. Mausbach Josef, Ermecke Gustav, Katholische Moraltheologie, Band 3, Münster 1961, 281
[57] vgl. Ermecke Gustav, Zur ethischen Begründung der Todesstrafe heute, Paderborn, 1959, 32f.
[58] vgl. Schüller Bruno, Todesstrafe, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Band 10, Freiburg, 1965, 230
[59] vgl. Kaufmann Arthur, Todesstrafe, in: Hrsg. V.d.Görres-Gesellschaft, Staatslexikon, Band 5, Freiburg, 1989, 482-485
[60] vgl. Bondolfi Alberto, Ethik und Selbsterhaltung, Freiburg/Wien, 1990, 128
[61] vgl. ebd., 132
[62] vgl. ebd., 144
[63] vgl. Böckle Franz, Fundamentalmoral, München, 1994, 307
[64] vgl. Böckle Franz, Ja zum Menschen, Bausteine einer Konkreten Moral, München, 1995, 111-112
[65] vgl. Gründel Johannes, Strafen und Vergeben, in: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft, Enzyklopädische Bibliothek, Teilband 13, Freiburg Basel Wien, 1981, 128-129
[66] vgl. Statistiken zur Todesstrafe, http://www.todesstrafe-usa.de/usa_statistiken.htm, 5. Jän. 2000
[67] vgl. Gründel, Strafen und Vergeben, 128-130
[68] vgl. Gründel Johannes, Schuld und Versöhnung, Mainz, 1985, 137
[69] vgl. Gründel, Schuld und Versöhnung, 143-147
[70] vgl. Gründel, Schuld und Versöhnung, 148
[71] vgl. Gründel, Schuld und Versöhnung, 152
[72] vgl. Gründel, Schuld und Versöhnung, 149
[73] vgl. Häring Bernhard, Das Gesetz Christi, München/Freiburg, 1967, 148
[74] Häring, Das Gesetz Christi, 148
[75] Häring, Das Gesetz Christi, 150
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