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Mehr InfosDiplomarbeit, 2008, 115 Seiten
Diplomarbeit
Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (Wirtschaft und Soziales)
1,0
1. Einleitung
2. Grundlagen und Begriffsbestimmungen
2.1. Krankheit und Gesundheit
2.2 Das anthropologische und das pathologische Krankheitsverständnis
2.3. Was ist eine Psychose?
2.3.1. Die Häufigkeit von Psychosen
2.3.2. Die Häufigkeit der schizophrenen Psychose
2.4. Ausgewählte ätiologische Aspekte der schizophrenen Psychose
2.5. Das Vulnerabilitäts–Stress-Modell
2.6. Das Prinzip des Shared Decision-Making
3. Psychotisch Ersterkrankte
3.1 Grundlagen
3.2 Die richtige Wahl des Zeitpunktes für den Behandlungsbeginn
3.2.1. Der Verlauf der Erkrankung bis zum Behandlungsbeginn
3.2.2. Die verschiedenen Phasen der Erkrankung
3.3. Die Diagnose
3.4. Der mögliche Verlauf der Erkrankung
3.5. Das Problem der Chronifizierung
3.6. Das Modell der Bedürfnisangepassten Behandlung
3.6.1 Entwicklung des Modells der Bedürfnisangepassten Behandlung
3.6.2 Behandlungsprinzipien der Bedürfnisangepassten Behandlung
4. Die Versorgungsstrukturen am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
4.1. Der Arbeitsbereich Psychosen am UKE
4.1.1. Die Patienten des Arbeitsbereiches Psychose
4.1.2. Der Zugang zur Behandlung
4.1.3 Die Behandlungsrichtlinien und -strukturen
4.1.4. Die Behandlungsprinzipien
4.2. Die Sozialpsychiatrische Psychosen Ambulanz
4.3. Die speziellen Angebote für Ersterkrankte im Rahmen der SPA
4.3.1. Die Krisentagesklinik
4.3.1.1. Die Behandlungsprinzipien der KriTK
4.3.1.2. Das Aufnahmeprocedere der KriTK
4.3.1.3. Das Team der KriTK
4.3.1.4. Die zentralen Behandlungselemente der KriTK
4.3.1.5. Das Entlassungsmanagement
4.3.2. Das Psychosen Ersterkennungs- und Behandlungsprojekt
4.3.3. Das Assertive-Community-Treatment-Projekt
5. Darstellung der Ergebnisse der verschiedenen Konzepte und Projekte
5.1. Die Implementierung des Models der Bedürfnisangepassten Behandlung
5.2. Darstellung der Evaluation das Turku-Projekts
5.2.1. Allgemeine Ergebnisse
5.2.2. Darstellung der 5-Jahres-Katamnesedaten
5.3. Darstellung der Katamnesedaten der Kupittaa-Studie
5.4. Darstellung des Projekts „Akute integrierte Psychosebehandlung“
5.5. Das finnische West-Lapplandprojekt der „Open-Dialogue-Approach“
5.5.1. Allgemeines
5.5.2. Die zentralen Elemente des ODA
5.5.3. Die Wirksamkeit des ODA
5.5.3.1. Vergleichstudie zwischen ODA und traditioneller Behandlung
5.5.3.2. Vergleichstudie zwischen ODA und dem API-Projekt
5.6. Evaluation des PEB
6. Befragung der Mitarbeiter der KriTK
6.1. Vorbemerkung
6.2. Vorgehensweisen
6.3. Ergebnisse der Befragung:
7. Schlussfolgerung
I. Tabellenverzeichnis
II. Literaturverzeichnis
III. Eidesstattliche Erklärung
IV. Anhang
Das Thema der psychiatrischen Erkrankungen interessiert mich seit meiner Ausbildung als Krankenpfleger, innerhalb der ich acht Wochen auf einer halbgeschlossener Station arbeitete. Ich war damals schon fasziniert von den möglichen Facetten, in denen sich eine psychiatrische Krankheit der Umwelt des Patienten und somit mir zeigen kann.
Auf dieser Station waren Patienten mit den verschiedensten Krankheitsbildern und in allen Altersstufen, ausgenommen die „gerontopsychiatrischen Fälle“, vertreten. Diese mussten irgendwie miteinander klar kommen und sollten dabei noch Fortschritte machen bzw. so gesund werden, dass sie entlassen werden konnten.
Gerade die jungen Patienten, die zum ersten Mal mit einer psychiatrischen Diagnose konfrontiert worden waren, kamen mir damals im Stationsalltag oftmals verloren, wenn nicht gar fehl am Platz vor. Die „normale Versorgung“, bzw. die im Stationsalltag integrierten Angebote schienen mir von dieser Patientengruppe nicht angenommen werden zu können. So wurde in den Morgenrunden oftmals von diesen Patienten thematisiert, dass z.B. Körbe flechten, Bilder malen und Gesprächsgruppen mit anderen oftmals chronifizierten und langjährig erkrankten Patienten eher das subjektive Befinden der Patienten verschlechtere bzw. einer Verbesserung der momentanen Situation im Wege stünde.
Im Rahmen meines Praktikums in der Sozialpsychiatrischen Psychosen Ambulanz am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf von Sommersemester 2004 bis einschließlich Sommersemester 2005 wurde ich erneut mit der Patientengruppe der psychotisch Ersterkrankten konfrontiert - zum einem im Rahmen der Angebote der SPA, an denen ich mitwirkte, zum anderem im Rahmen der Krisentagesklinik. Zu dieser Zeit waren die Umstrukturierungen der Krisentagesklinik voll im Gange. Das Angebot war ursprünglich für die ambulanten Patienten konzipiert, die in Krisen eine Verdichtung des Angebots benötigen. Im Zuge der Umstrukturierung wurde ein spezielles Angebot für Ersterkrankte geschaffen. Ich habe mehrere Angebote der Krisentagesklinik, wie z.B. die Ausflugsgruppe, das Freitagsfrühstück und das Metakognitive Training mitbetreut und teilweise mitgestaltet und somit direkt mit dieser Patientengruppe Kontakt gehabt. Mir fiel damals auf, dass sich die Patienten, im Gegensatz zu der Art der Versorgung, wie ich sie im Rahmen der Ausbildung zum Krankenpfleger kennen gelernt hatte, viel besser und leichter auf die Therapie einlassen konnten und somit auch von ihr profitieren konnten.
Zusätzlich habe ich direkt miterlebt, wie unterschiedlich die Konzepte und Meinungen in Bezug darauf sein können was für diese Patientengruppe die „richtige Therapie“ darstellt. Ebenso konnte ich im Rahmen der Teamsitzungen miterleben, wie Mitarbeiter, bedingt durch die neue Herausforderungen bei der Arbeit mit dieser Patientengruppe an ihre Grenzen gerieten, weil die üblichen Therapieinstrumente nicht funktionierten oder die Sprache so unterschiedlich war, so dass das Herstellen eines Kontaktes und somit eine konstruktive Kommunikation nur schwer möglich war.
Als ich in meinem Umfeld auch noch direkt mit der Problematik der Erstmanifestation einer Psychose konfrontiert wurde und miterlebte wie schwierig es für einen Hilfesuchenden sein kann, einerseits überhaupt psychiatrische Hilfen für sich zu erschließen und andererseits ein passendes Angebot zu finden von dem er profitieren kann, stellte ich mir die Frage warum das so ist und wie die möglichen Konzepte aussehen könnten um dem entgegen zu wirken.
Im Anschluss an das Praktikum während des Studiums und insbesondere während der Lernphase auf das Examen setzte ich mich mit dem Modell der Bedürfnissangepassten Behandlung auseinander. Mein Interesse am Verfassen der Diplomarbeit bestand darin, herauszufinden worin die besondere Problematik der Erstmanifestation einer Psychose liegt und welche Erfahrungen die therapeutisch Tätigen im Rahmen ihrer Arbeit gemacht haben. Insbesondere wollte ich die Tätigkeit der Krisentagesklinik herausstellen und die Erfahrungen der dort Tätigen darstellen, da sie meiner Meinung nach, bedingt durch die Umstellung auf die neue Patientengruppe, besonders gut vermitteln können, was sich im Rahmen der Behandlung bewährt hat und welche Probleme bestehen. Ein weiters Anliegen war für mich herauszufinden welche Veränderungen im Zuge der Ausbildung - insbesondere des Studiums der Sozialpädagogik - möglich sind, um für die Arbeit mit dieser Patientengruppe besser qualifiziert zu sein.
Im ersten Teil der Arbeit möchte ich die Grundlagen erarbeiten, Begrifflichkeiten klären und die aus meiner Sicht besonderen Aspekte im Zusammenhang mit psychotisch Ersterkrankten darstellen, die ich in der Literatur gefunden habe. Ebenso möchte ich hier den Ansatz der Bedürfnissangepassten Behandlung, der von Alanen und Kollegen entwickelt wurde, darstellen.
In dem zweiten Teil der Arbeit gehe ich dann auf die Versorgungsstruktur im Universitätsklinikum Eppendorf und auf die speziellen Angebote ein, die dort psychotisch Ersterkrankten angeboten werden. Anschließend möchte ich die konkreten Ergebnisse der verschiedenen umgesetzten Konzepte darstellen. Durch die Befragung der Mitarbeiter der Krisentagesklinik habe ich versucht, etwas über die aktuelle Arbeitssituation in Bezug auf psychotisch Ersterkrankte in der Hamburger Psychiatrie zu vermitteln. Insbesondere soll die Befragung „aus erster Hand“ Hinweise geben, was sich im Rahmen der Arbeit in Hinblick auf den Verlauf der Erkrankung besonders bewährt hat und welche besonderen Herausforderungen die Arbeit mit dieser Patientengruppe an die Mitarbeiter stellt.
Ebenso wollte ich die Wünsche und Visionen darstellen, welche die Mitarbeiter in Bezug auf eine Verbesserung für ihre Arbeit haben.
Insgesamt hoffe ich, mit meiner Arbeit einen aktuellen Überblick über die Patientengruppe der psychotisch Ersterkrankten, die Problematik der Chronifizierung und über die Bemühungen der Professionellen, eine adäquate Behandlung zu etablieren, darzustellen.
Auf die grundlegende Betrachtungsweise von Krankheit und Gesundheit möchte ich in meiner Arbeit eingehen, da die Art der Betrachtung und das Verständnis von Krankheit und Gesundheit meiner Ansicht nach elementar wichtig für die Art der Haltung dem Patienten gegenüber und für die Wahl des Angebotes der Therapiemöglichkeiten ist.
„Eine Gesundheit an sich gibt es nicht, alle Versuche, ein Ding derart zu definieren, sind kläglich missraten. Es kommt auf dein Ziel, deine Kräfte, deinen Antrieb, deine Irrtümer und namentlich auf die Ideale und Phantasmen deiner Seele an, um zu bestimmen, was selbst für deinen Leib Gesundheit zu bedeuten habe.“ (Nietzsche 1882)
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat den Begriff Gesundheit folgendermaßen definiert, nämlich als „ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht die bloße Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechen.“ (WHO 1946) Wird ein Mensch jedoch krank, so bedarf es einer Diagnose, welche ihm das Hilfesystem zugänglich macht. So schreibt Thomas Bock: „Der Begriff „Erkrankung“ hat – nüchtern betrachtet – dennoch eine zumindest sozioökonomische Bedeutung: Wer aus seelischen Gründen arbeitsunfähig wird, hat so zumindest Anspruch auf Lohnersatzleistungen“. (Bock 2002, S.34)
Wie diese Diagnose aussieht und wie das Hilfesystem reagiert hängt stark von dem Verständnis und der Sichtweise des diagnostizierenden Arztes und den therapeutisch Tätigen ab. Gerade im Psychiatrischen Bereich ist dies schwierig, da nicht alle Symptome bzw. Verhaltensweisen klar einer Krankheit zugeordnet werden können, da sie stets individuell ausgeprägt sind und eine Reduktion auf diese nicht weit genug greift, „psychische Krankheit ist nicht gleichzusetzen mit körperlichen Status, sondern es ist immer Ausdruck einer ganzheitlichen Entwicklung und deshalb auch zu keinem Zeitpunkt sicher zu prognostizieren“. (Bock 2002, S.37)
Ebenso befindet Alanen bezüglich der Therapie, dass “alle therapeutischen Ansätze von unseren Theorien über das Wesen der Krankheit bestimmt“ (Alanen 2001, S.56) sind.
So unterscheidet Thomas Bock zwischen einem pathologischen und einem anthropologischen Krankheitsverständnis, welche seiner Vermutung nach in Mischform im Psychiatriealltag anzutreffen sind (vgl. Bock 2002, S.32).
Das pathologische Krankheitsverständnis sieht die Psychose als eine schwere psychische Erkrankung, welche in erster Linie somatisch als Folge einer Stoffwechselveränderung, einer veränderten Hirnfunktion und damit zusammenhängenden Wahrnehmungsstörungen und Reizoffenheit zu erklären ist. Die vorhandenen biographischen Einflüsse werden, wenn sie nicht geleugnet werden, den somatischen Ursachen untergeordnet. Das Mittel der Wahl, um die Psyche wieder erreichbar zu machen und eine Stabilisierung dieser zu erzielen ist eine primär pharmakologische Behandlung der somatischen Ursachen (vgl. Bock 2002, S.33).
Das anthropologische Krankheitsverständnis sieht die Psychose vor dem Hintergrund eines allgemein menschlichen Potentials und einer individuellen Dünnhäutigkeit bzw. Verletzbarkeit, als Ausdruck eines inneren Konfliktes und als eine, je nach Ausprägung, mehr oder minder starke Reaktion auf Krisen, die zur Biographie eines jeden Menschen unvermeidlich dazu gehören und deren angemessene Bearbeitung auch immer Chancen beinhaltet.
Ebenso bedeutet die Psychose auch immer eine Störung der Identität, einhergehend mit dem Versuch diese zu retten. Diese Ambivalenz spiegelt sich in vielen Symptomen wieder und ein Beseitigen dieser wäre kontraproduktiv. Die somatischen Aspekte werden in diesem Kontext nicht geleugnet, aber eher als Ausdruck der seelischen Krise gesehen, anstatt als deren Ursprung (vgl. Bock 2002, S.33). „Therapie muss diesem Ringen um Identität hilfreich beistehen, weitere Kränkung vermeiden und der Abspaltung von Erlebnisinhalten behutsam entgegenwirken.“ (Bock 2002, S.32)
Die psychiatrisch Tätigen werden sich mehr oder minder zwischen den beiden Sichtweisen bewegen. Es erscheint aber äußerst wichtig sich immer wieder bewusst zu machen und zu verstehen, warum man seinen Fokus auf die innere Logik der Psychose und den Aspekt der inneren Vielfalt des Menschen oder auf den der Krankheit und der allgemeine Leistungsfähigkeit des Menschen richtet (vgl. Bock 2002, S.34).
Der Begriff, bzw. die Erkrankung Psychose, wird in dem Fachlexikon der Sozialen Arbeit als eine schwere psychiatrische Krankheit bezeichnet, die mit Störungen des Realitätsbezuges und einiger anderer psychischen Funktionen einhergeht.
Für Thomas Bock ist der Begriff Psychose ein Sammelbegriff für tiefe existenzielle Krisen und eine meist alle Lebensbereiche betreffende Verunsicherung (vgl. Bock 2006, S.22).
Der unscharfe Oberbegriff Psychose sollte ursprünglich der Abgrenzung von den eher hirnorganischen bedingten psychischen Krankheiten und den der eher psychogenen bzw. reaktiven bedingten Störungen (Neurosen) dienen. Durch den Einbezug des gegenwärtigen Blickes einer multifaktoriellen Entstehung psychischer Erkrankungen (s.u. 2.5.), welcher psychische, physische und soziale Faktoren beinhaltet, wird die Definition des Psychosebegriffs als eine überwiegend hirnorganisch bedingte Erkrankung ausgeschlossen. Allerdings bleibt der Begriff im klinischen Alltag erhalten und ermöglicht eine Unterscheidung der so genannten exogenen, durch eindeutig organische Ursachen bedingten psychischen Störungen (z.B. der Demenz) und den so genannten endogenen, von Innen heraus entstandenen, also ohne genau lokalisierbare organische Ursache entwickelten Psychosen.
Da der Gegenstand dieser Arbeit die so genannten endogenen Psychosen sind, werde ich von einer genaueren Betrachtung der organisch bedingten Psychosen absehen.
Zu den endogenen Psychosen gehören insbesondere die Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis (z.B. die Schizophrenie), die affektiven Psychosen (z.B. die endogene Depression) und Mischformen, die so genannten schizoaffektiven Psychosen (vgl. Fachlexikon der Sozialen Arbeit 2007, S.738).
Prinzipiell kann jeder Mensch psychotisch werden, jedoch variiert die Höhe der individuellen Wahrscheinlichkeit, dies zu werden. In der Forschung wird davon ausgegangen, dass zu der Vulnerabilität (Dünnhäutigkeit) und Sensibilität, mehr oder weniger extreme Bedingungen wie Krisen, eine stärkere Überreizung durch z.B. Stress oder andere Faktoren wie Isolation oder Missbrauch zusammenwirken müssen, um eine Psychose entstehen zu lassen.
Die Menschen aller Kulturkreise können somit in verschiedensten Konfliktsituationen psychotisch werden, wenn es ihnen nicht gelingt, die inneren und äußeren Bilder und Anforderungen in Deckung zu bringen. Je nach Ausprägung spricht Thomas Bock von kognitiven oder schizophrenen Psychosen, wenn das Denken und die Wahrnehmung betroffen sind, oder von affektiven Psychosen, wenn die Stimmung und Energie vornehmlich betroffen ist (vgl. Bock 2006, S.12). „Mindestens ein Prozent der Menschen gehen mindestens einmal im Leben den erstgenannten Weg, mindestens 2-5% (je nach breite der Definition) den zweiten.“ (Bock 2006, S.12)
Da sich diese Arbeit vornehmlich auf die Behandlung und die Probleme von an einer schizophrenen Psychose ersterkrankter Menschen bezieht, möchte ich den Blick auf diese Erkrankung genauer richten, eine intensive Darstellung aller psychotischen Krankheitsbilder würde den Rahmen der Arbeit übersteigen.
Der Anteil der Menschen, die an einer schizophrenen Psychose erkranken macht ca. 0,5% bis 1% der Gesamtbevölkerung aus. Die Wahrscheinlichkeit im Laufe des Lebens an einer schizophrenen Psychose zu erkranken, beträgt für die Durchschnittsbevölkerung etwa 1%. Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen. Die Prävalenzzahlen sind in verschiedenen Ländern mit unterschiedlichem soziokulturellem Hintergrund etwa gleich.
Das durchschnittliche Alter indem sich die schizophrene Psychose manifestiert, liegt bei Männern im Alter von 21 Jahren und bei Frauen etwa 5 Jahre später. Ebenso erleben 90% der Männer die Ersterkrankung vor dem 30. Lebensjahr. Bei Frauen trifft das auf zwei Drittel zu. Mehr als die Hälfte der schizophrenen Psychosen beginnen zwischen der Pubertät und dem 30. Lebensjahr (vgl. Möller et al. 2005, S.134).
Wenn man die unter Punkt 3.2.2. dargestellten Erkenntnisse betrachtet, muss von einem deutlich früheren Beginn der Erkrankung ausgegangen werden, der negative Auswirkungen auf den Verlauf der Erkrankung haben kann. Diese Erkenntnis kann auch dazu genutzt werden, die Erreichbarkeit und die Gestaltung der Therapieorte sowie die Form der Therapie anzupassen. Im Folgenden möchte ich einige Aspekte darstellen, die zur Entstehung einer schizophrenen Psychose beitragen können.
„Wir wissen viel weniger über Ursache und Entstehung der meisten psychischen Störungen als wir das in den sechziger oder siebziger Jahren geglaubt haben. Wir haben Vorstellungen davon; und die verändern sich von Jahr zu Jahr. Weil das so ist, ist Zurückhaltung am Platz, wenn wir uns die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang von Therapie und Gesundung stellen.“ (Finzen 2002, S.28)
So fragt Luc Ciompi, wie dieser unzulängliche Wissenstand, trotz der spektakulären Entwicklung in der Medizin in vielen Bereichen und obwohl es sich um ein derart wichtiges Thema handelt zu erklären sei. Denn es sind etwa ein Viertel aller Krankenhausbetten in der Schweiz, sowie in den umliegenden Ländern von psychiatrischen Patienten belegt, wovon ein erheblicher Anteil schizophren ist. Er spricht von vielen Gründen, misst allerdings der unzureichenden Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen eine „nicht geringe Rolle“ zu (vgl. Ciompi 1998, S.256). Ebenso sieht er ein großes Problem in der Komplexität des zu erforschenden „Gegenstandes“, nämlich des menschlichen Geistes (vgl. ebd.).
Mann geht heute von einer multifaktoriellen Entstehung der Erkrankung aus, wobei die genetisch bedingte Vulnerabilität im Zentrum steht (vgl. Möller et al. 2005, S.134). So spielen psychische, physische und soziale Faktoren eine Rolle. Diese Faktoren sind grundsätzlich von heterogener Natur und wirken sich individuell in unterschiedlich starker Ausprägung bei der Entwicklung der schizophrenen Vulnerabilität aus (vgl. Alanen 2003, S.21).
In Bezug auf die genetischen Aspekte erbrachte die Forschung eindeutige Hinweise, z.B. aus der Zwillingsforschung für eine polygen angelegte genetische Teilverursachung (vgl. Möller et al. 2005, S.135). Allerdings konnten keine haltbaren Forschungsergebnisse erzielt werden, die es erlauben würden, einzelne Chromosomen zu bestimmen, die direkt mit der Entstehung der schizophrenen Psychose in Beziehung gesetzt werden könnten (vgl. Alanen 2003, S.27).
Des Weiteren werden Schädigungen im Mutterleib und perinatale Schädigungen, z.B. virale Infektionen diskutiert. Ebenso bieten an schizophrenen Psychosen erkrankte Menschen bei neuropathologischen Untersuchungen strukturelle Abnormitäten des Zentralen Nervensystems. Dies sind unter anderem Erweiterung der Ventrikel, ein Hypometabolismus im Frontalhirn und kognitive Basisstörungen infolge von Entwicklungsstörungen des Zentralen Nervensystems. Besondere Aufmerksamkeit wird der Überaktivität der zentralen dopaminergen Strukturen im mesolimbischen System zugesprochen. „Über 40 Transmitter und ein Vielfaches an Rezeptoren (Andockstellen) sind heute bekannt. Mindestens drei von Ihnen – Dopamin, Serotonin und Glutamat, die überdies in einer hochkomplexen Wechselwirkung zueinander stehen, sind vermutlich an den meisten Psychosen beteiligt.“ (Bock 2006, S.47)
Psychosoziale Faktoren können ebenso Mitauslöser für die Manifestation der Erkrankung sein. Die „Life–Event“ Forschung hat bisher keine eindeutigen Forschungsergebnisse für die pathogenethische Bedeutung von Lebensereignissen hervorgebracht, insbesondere in Bezug auf die Art der Lebensereignisse, die ursächlich für die Manifestation einer schizophrenen Psychose sein könnten. Allerdings haben einige Untersuchung eine erhöhte „Life-Event“–Belastung vor dem Ausbruch einer schizophrenen Psychose nachgewiesen. Die Untersuchung in Bezug auf Menschen, die in „High–expressed–emotions“–Familien leben ergaben, dass dieser Umstand zwar in Bezug auf die Rezidivneigung ungünstig ist, aber keinen ursächlichen Charakter für die Entwicklung einer schizophrenen Psychose hat. Ein weiterer Hinweis für das Mitwirken von psychosozialen Faktoren ergibt sich aus dem zeitlichen Zusammenhang von Konflikten und/ oder situativen Belastungen und der Manifestierung der Erkrankung (vgl. Möller et al. 2005, S.139).
Aus der psychoanalytischen Sicht besteht bei später an einer schizophrenen Psychose Erkrankten schon in der Kindheit eine Ich-Schwäche (vgl. Möller et al. 2005, S.140). Diese entsteht durch ungünstige primäre Objektbeziehungen, die eine konstruktive Lösung der wohl wichtigsten Aufgabe der psychischen Entwicklung, der Selbstkonstituierung und der Selbst-Objektdifferenzierung behindern oder blockieren. Dadurch sind die Selbst- und Objektrepräsentanten unklar, unscharf und schwach abgegrenzt internalisiert worden (vgl. Mentzos 1993, S.39). Die mangelhafte Abgrenzung und eine ungenügend kohärente Strukturierung der Selbst- und Objektrepräsentanten machen die Ich-Schwäche aus (ebd., S.30). Es entsteht keine klar abgegrenzte, konsistente psychische Struktur, in piagetschen Begriffen könnte man sagen, dass keine autonom und ökonomisch funktionierenden psychischen „Schemata“ entstehen (vgl. Ciompi 1998, S.29). Diese erworbene strukturelle Instabilität kann dazu führen, das im „Notfall“ die Zuflucht zu primitiven und regressiven Abwehrmechanismen, wie z.B. wahnbildenden Projektionen, erzwungen wird (vgl. Mentzos 1993, S.25).
Laut Ciompi führen drei Faktoren zu der Hypothese von unklar strukturierten und labilen internalisierten kognitiv-affektiven Bezugssystemen. Dazu zählen zum einen innerpsychische und familiäre Konflikte, zum anderen konfuse und widersprüchliche Verhaltens- und Kommunikationsweisen (die „double-bind-Theorie“) bei allen Familienmitgliedern und kognitive und affektive Auffälligkeiten beim Einzelnen. Diese sind als Grundlage der individuell ausgestalteten „Ich-Schwäche“, einhergehend mit einer Anfälligkeit für psychotische Reaktionsweisen, anzusehen (vgl. Ciompi 1998, S.247).
Im Versuch die verschiedenen Faktoren, die für die Entstehung einer schizophrenen Psychose zusammenwirken können, in ein ganzheitliches Modell zu integrieren, wurde unter Berücksichtigung bisheriger Studien das im Folgenden dargestellte Vulnerabilitäts–Stress–Modell entwickelt.
Das Modell wurde 1977 von Zubin und Spring zuerst für die Entstehung der schizophrenen Psychose vorgelegt. Man geht allerdings nach heutigem Wissenstand davon aus, dass dieses Modell bei der Entstehung aller psychischen Störungen bedeutend ist. Der Fokus richtet sich auf das Zusammenwirken der verschiedenen Faktoren, da man davon ausgeht, dass weder angeborene noch „umwelt- und/ oder milieubedingte“ Faktoren allein dafür verantwortlich sein können, dass Menschen eine psychische Erkrankung entwickeln (vgl. Engels 2007).
So werden nach W. Gaebel Vulnerabilität und Stress „als zentrale komplementäre ätiopathogenetische Faktoren der Krankheitsmanifestation aufgefasst. Dabei ist Vulnerabilität die subklinische angeborene und/ oder erworbene, d.h. multifaktoriell vermittelte Krankheitsdisposition (Erkrankungswahrscheinlichkeit), die in interindividuell (und möglicherweise auch intraindividuell im Krankheitsverlauf) variierender Ausprägung als latente Störung vorliegt und erst durch das Hinzutreten zusätzlicher Faktoren (individuell kritische Ereignisse/ Belastungen/ Konflikte aus dem psychosozialen Umfeld, aber auch biologische “Stressoren”) über die Manifestationsschwelle tritt. In der Bevölkerung wird das Vorkommen einer kontinuierlich abgestuften Disposition (Diathese, Vulnerabilität) angenommen, die z.B. durch eine Kombination von Indikatoren psychophysiologischer, kognitiver und sozialer Auffälligkeiten definiert werden kann.“ (Gaebel 2002, S.8)
Ein weiterer wichtiger Faktor bei der Entstehung der Krankheit, welcher der Manifestation entgegenwirkt, ist die im Leben erworbene Kompetenz mit Stress und Belastungen so umzugehen, dass diese reduziert werden und die „Erkrankungsschwelle“ heraufgesetzt wird (vgl. Köhn et al. 2007, S.14 ff.).
So schreibt Thomas Bock: „kann alles was uns psychisch stabilisiert, eine mögliche Vulnerabilität ausgleichen und unsere seelische Widerstandkraft erhöhen, sodass auch die Wahrscheinlichkeit abnimmt, in einer konkreten Konfliktsituation psychotisch zu dekompensieren. Gleichzeitig können destabilisierende Bedingungen das Gegenteil bewirken. Dabei sind einzelne Begebenheiten in ihrer Bedeutung nicht zu überschätzen, sondern – vergleichbar einem Puzzle mit unendlich vielen Teilen – in ihrer Wechselwirkung zu sehen.“ (Bock 2006, S.50 f.)
Das Konzept des Shared Decision-Making, der deutsche Begriff lautet Partizipative Entscheidungsfindung, dient der gleichberechtigten und aktiven Entscheidungsfindung zwischen Patienten und Ärzten an medizinischen Entscheidungsprozessen. Dabei ist die Grundidee die Verbindung von Wissen über das Problemlösen von medizinischen Professionellen mit den individuellen Erfahrungen und Wünschen der Patienten. Mit Hilfe von medizinischen Entscheidungsprogrammen soll eine partizipative Entscheidungsfindung ermöglicht werden. Diese bieten neben Evidenzbasierten und für Patienten gut verständlicher Informationen eine Hilfestellungen bei der individuellen Bewertung von Chancen und Risiken der unterschiedlichen möglichen Behandlungsalternativen. Die charakteristischen Elemente partizipativer Entscheidungsfindung sind neben der gleichberechtigten und aktiven gemeinsamen Arbeit das Vorhandensein von mindestens zwei Behandlungsalternativen, der wechselseitige Informationsaustausch und die gemeinsam getragene Verantwortung.
Eine partizipative Entscheidungsfindung kann mehrere positive Effekte haben wie z.B. eine besser abgestimmte Behandlung, erfolgreichere klinische Behandlungsergebnisse, eine schnellere Genesung, realistischere Erwartungen seitens des Patienten, eine höhere Zufriedenheit sowie Lebensqualität des Patienten. Gleichzeitig können die Kosten der Behandlung erheblich gesenkt werden. Die Zufriedenheit aller Beteiligter steigt zudem (vgl. Kuch 2007).
Grundsätzlich stellt sich bei der Behandlung der Ersterkrankten die Frage: Wie geht man vor? Welche Therapien bieten sich für die Behandlung an und welche Haltung gegenüber der Patienten sollte eingenommen werden? So erläutert Thomas Bock, dass der aktuelle ideologische „Mainstream“, der sich aus der Kombination von Pharmakotherapie und Psychoedukation zusammensetzt, für die Schizophrenie-Behandlung bei Ersterkrankten meist nicht ausreicht. Dies liegt daran, dass sich die Ersterkrankten, er bezeichnet sie als die „jungen Wilden“, nicht so einfach domestizieren lassen. Dies ergibt sich auch aus der anhaltenden Non-Compliance (mangelnde Therapietreue). Grundsätzlich ergeben sich zwei kontroverse Vorgehensweisen für eine Behandlung:
1. Nach einem möglichst frühen Erkennen der Erkrankung wird diese rasch diagnostiziert und symptomunabhängig medikamentös behandelt.
2. Die Vorgehensweise ist störungsspezifisch und geht mit einer nicht etikettierenden Haltung einher, die ein vorhandenes Familiensystem mit einbezieht und entlastet.
Egal wie die Ansätze im Realfall ausgestaltet werden, d.h. mit welchem Gewicht die möglichen Therapien in den jeweiligen Behandlungsorten bzw. Versorgeeinrichtungen angewandt werden, bedarf es laut Thomas Bock einer feinen Balance zwischen familiärer Planung und individueller Behandlung. Dazu brauchen gerade Ersterkrankte zusätzlich zum Alltag einen gemeinschaftlichen sozialen Raum. Dieser ergibt sich aus der Gruppentherapie, der tätigen Gemeinschaft, gemeinschaftlichen Aktivitäten und z.B. Psychoseseminaren (vgl. Bock 2003, S.238ff.).
Die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für die Behandlung bzw. eine mögliche Frühintervention wird in den Fachkreisen kontrovers diskutiert. Es hat sich allerdings herausgestellt, dass die übliche Form der psychiatrischen Hilfe oft viel zu spät einsetzt und zu schwer erreichbar ist. Dies hängt weniger von der Uneinsichtigkeit ab, die den Patienten zugesprochen wird, sondern von der Gestaltung der Form und von dem Inhalt der Hilfen (vgl. Bock 2006, S.80).
Ebenso wird davon ausgegangen, dass eine frühe Hilfe einen besseren Verlauf der Krankheit bedingen kann. Die Frage nach der Ausgestaltung der Therapieform wird hier nicht gestellt. „Heute wird zunehmend erkannt, dass eine möglichst frühzeitige Intervention wichtig und für den Verlauf der Schizophrenie günstig ist.“ (Davidson & Neale 1996, S.398)
Um schlechten Krankheitsverläufen entgegenzuwirken und um die Erkrankten, deren Familien und deren Umfeld zu entlasten, wäre es förderlich, dass akute Hilfe früh verfügbar wäre und auch einsetzten könnte.
Es muss jedoch bedacht werden, dass man bei der Art der Intervention bzw. der Hilfe umso sensibler vorgehen muss, desto früher sie einsetzt. Wird dies nicht berücksichtigt steigt die vermeidbare und unnötige Gefahr der Stigmatisierung und der Fehlbehandlung.
Thomas Bock geht davon aus, dass es gerade zu Beginn einer ersten Psychose wichtig ist, die Balance zwischen verstehenden und symptomatischen Hilfen zu wahren. Ebenso gilt dies für die Bewahrung und Unterstützung von Normalität und Selbstverständlichkeit auf der einen und der Spezifität möglicher Hilfen auf der anderen Seite (vgl. Bock 2006, S.80).
„Es geht darum, den biographischen und sozialen Kontext wahrzunehmen, der Abspaltung von Gefühlen, Widersprüchen und Konflikten entgegenzuwirken und die krankheitsbedingten Beeinträchtigungen möglichst ohne große Nebenwirkungen zu stoppen. Wobei zu bedenken ist, dass nicht nur Medikamente, sondern alle Interventionen Nebenwirkungen haben, es also nicht nur chemische, sondern auch um soziale und psychische Nebenwirkungen geht.“ (Bock 2006, S.80)
Um die Entwicklung der Psychose zu verstehen muss bedacht werden, dass die psychotischen Störungen in verschiedenen Phasen verlaufen. In der Literatur werden diese unterschiedlich in Bezug auf die Prognose gedeutet. Besonders der DUP–Faktor wird von verschiedenen Forschern kontrovers in Hinblick auf den Verlauf der Erkrankung interpretiert.
Grundsätzlich werden die Prämorbide Phase, die Prodromale Phase, die Phase der unbehandelten Psychose, die Phase der unbehandelten Erkrankung, die Ersterkranktenphase und die chronische bzw. die residuale Phase unterschieden. Die Phasen sind detailliert unter Punkt 3.2.2. dargestellt. Die Prodromalphase und die Phase der unbehandelten Psychose werden als Dauer der unbehandelten Erkrankung zusammengefasst. Diesem Zeitraum wird eine große Bedeutung in Bezug auf vielfache biopsychosoziale Folgeschäden beigemessen, welche wiederum einen schlechteren Verlauf der Erkrankung, einhergehend mit einer Unzufriedenheit des Patienten in Bezug auf die Therapie, bedingen können (vgl. Lambert et al. 2006, S.5). Dies führte zu der Erkenntnis, dass eine möglichst frühe Behandlung dazu beiträgt, chronische Verläufe abzumildern bzw. zu vermeiden (ebd., S.6). Die Wahl der Therapieform ist, wie schon gesagt, von dem genannten Verständnis der Erkrankung (s.o. 2.2.) und den genannten Vorgehensweisen (s.o. 3.1.) bei der Therapie abhängig. Grundsätzlich sollte sie so gestaltet sein, dass individuelle, familiäre und soziale Ressourcen gestärkt werden, diese in die Therapie mit eingebunden werden sowie eine Hospitalisierung und Stigmatisierung vermieden werden (ebd., S.5).
Die Erkrankung verläuft in verschiedenen Phasen, die im folgendem dargestellt werden.
- Die Prämorbide Phase ist allgemein definiert als der Zeitraum von Geburt bis zum Beginn der Prodromalphase (Yung et al. 2003).
- Die Prodromale Phase (Duration of Prodromal Psychosis = DUPP) ist definiert als der Zeitraum vom Beginn der ersten unspezifischen und negativen Symptome, diese werden auch Prodromalsymptome genannt, also den ersten Anzeichen für eine psychische Störung, bis zum Beginn kontinuierlicher Positivsymptomatik (vgl. Larsen et al. 2001). Sie liegt in Deutschland bei ca. 4-5 Jahren (Lambert et al. 2006, S.5)
- Die Phase der unbehandelten Psychose (Duration of Untreated Psychosis = DUP) ist definiert als der Zeitraum vom Beginn kontinuierlicher Positivsymptomatik bis zum Beginn einer kombinierten pharmakologischen und psychosozialen Behandlung - sie dauert durchschnittlich ca. 1-2 Jahre (vgl. ebd.).
- Die Dauer der unbehandelten Erkrankung (Duration of Untreated Illness = DUI) ist definiert als der Zeitraum vom Beginn prodromaler Symptome bis zum Beginn einer kombinierten pharmakologischen und psychosozialen Behandlung (Larsen et al. 2001). Sie beträgt in Deutschland ca. 5-6 Jahre (vgl. ebd.).
- Die Ersterkrankungsphase bedeutet, dass ein Patient, unter der Bedingung einer adäquaten antipsychotische Therapie bezüglich der Dauer, der Dosis und der Compliance, weniger als sechs Monate behandelt wurde. Die DUP ist unbedeutend, was bedeutet, dass Patienten bis zur Erstbehandlung als "ersterkrankt" gelten, egal wie lange sie vorher unbehandelt erkrankt waren (vgl. Meister 2007, S.5).
Es wird davon ausgegangen, dass die Dauer der unbehandelten Erkrankung hauptsächlich durch eine unzureichende Aufklärung der Gesellschaft, eine ungenügende Weiterbildung der im Gesundheitssystem Tätigen, einen hochschwelligen Behandlungszugang und der Angst vor Stigmatisierung verursacht wird. Dadurch erleiden schon viele Menschen vor der psychotischen Erstmanifestation und damit vor der Zeit der Behandlung viele negative Konsequenzen, wie Enttäuschungen und soziale Rückschläge (vgl. Lambert 2006, S.5). Dies führt zu der Annahme, dass die „Ersttherapie neben der biologischen auch die psychische und soziale Eigendynamik der Erkrankung“ berücksichtigen muss (vgl. ebd.).
Der Grundsatz der möglichst frühzeitigen Hilfe darf nicht dazu verleiten, Menschen die längere Zeit unbehandelt geblieben sind, zwingend eine negative Prognose zuzuschreiben. So haben Untersuchungen von Thomas Bock erbracht, dass Menschen und deren Familien über sehr effektive Bewältigungsstrategien verfügen. „Auch die, die später doch professionelle Hilfe in Anspruch nehmen wollen oder müssen, tun dies nicht zwingend von einer schlechteren sozialen Basis aus, sondern unter Umständen auch im Bewusstsein, ihre Psychose selbst über längere Zeit kompensieren können. Diese Beobachtungen und Untersuchungen entsprechen einer allzu rigorosen und eindeutigen Interpretation des so genannten DUP–Faktors.“ (Bock 2006, S.81)
Ein Problem, das sich für die Behandlung der Psychose ergibt, ist meiner Meinung nach die Frage der Diagnosestellung und der damit einhergehenden Folgen. Einerseits für den erkrankten Menschen selbst und andererseits für sein Umfeld. Eine psychiatrische Diagnose, einhergehend mit einer Behandlung, bedeutet einen tiefen Einschnitt im Leben eines Menschen und dessen sozialen Umfeld.
So erklärt Thomas Bock, dass es bei einer ersten Psychose für alle Beteiligten besonders schwer ist sich zu orientieren. Deshalb ist rechtzeitige Hilfe besonders wichtig. Die Hilfe muss, gerade bei Ersterkrankten, im Lebensumfeld ansetzen und dieses mit einbeziehen und wenn möglich ohne das Schwergewicht endgültiger Diagnosen und einer umfassenden Psychiatrisierung (vgl. Bock 2006, S.85).
Ebenso kann eine Diagnose aber auch eine Entlastung darstellen und den Eintritt in das Hilfesystem gewährleisten. So ist „die Diagnose zunächst einmal eine Voraussetzung, dass überhaupt Leistungen erfolgen. Die Art der Leistung hängt wiederum von der Diagnose ab (ob etwa eine Psychotherapie, ein Krankenhausaufenthalt oder eine Entwöhnungsbehandlung bezahlt wird).“ (Hunold & Rahn 2000, S.39)
John Cullberg geht davon aus, dass sich psychotische Zustände in frühen Krankheitsphasen auf sehr unterschiedliche Weise manifestieren. So führen nur wenig andere psychotische Störungen zu so unterschiedlichen Krankheitsbildern, wie es bei der Schizophrenie der Fall ist. Deswegen sagen klinische Untergruppen, seiner Erkenntnis nach, nicht viel aus. So kommt es bei manchen Ersterkrankten zu schweren Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Andere wiederum bieten nur wenige und deutlich schwächer ausgeprägte Symptome, die allerdings im Laufe der Jahre und im Verlauf der Behandlung an Qualität und Quantität zunehmen können. So gibt es Patienten mit guten Prognosen und Patienten mit deutlich schlechteren Prognosen, bis hin zur Entwicklung einer chronischen und lebenslangen Störung (vgl. Cullberg 2003, S.51). Er stellt die Hypothese auf, dass wenn „Patienten über mehrere Jahre in einer psychiatrischen Einrichtung behandelt werden und antipsychotische Medikamente erhalten, gleichen sich die Krankheitsbilder an. Dieses iatrogene Bild hat dazu geführt, dass man von der „Schizophrenie“ als einheitlicher Erkrankung spricht und dies wurde noch verstärkt, weil die klinisch orientierte Forschung sich sehr viel stärker dafür interessiert hat, chronische Zustände zu untersuchen, anstatt der Dynamik des Krankheitsbeginns nachzugehen.“ (ebd.)
Die Forschung (Schimmelmann et al. 2005) hat erbracht, dass etwa 30-40% der psychosespezifischen Diagnosen im Verlauf der ersten 6- bis 12 Monate „instabil“ sind, was bedeutet, dass es zu Übergängen im klinischen Bild, insbesondere zwischen initialer schizophrenieformer Störung hin zur Schizophrenie kommt (s. Anhang 1).
Der Hypothese von Cullberg und der Dynamik zu Beginn der Erkrankung wird in Bezug auf die Praxis dadurch Rechnung getragen, dass eine Broschüre für die „Erstbehandlung psychotischer Störungen“, im Rahmen der bundesweiten Fortbildungspflicht für Ärzte, erschienen ist. Darin wird eine dementsprechend regelmäßige diagnostische (Nach)-Untersuchung empfohlen (vgl. Lambert et al. 2006, S.6). Da die veränderte Diagnose immer auch eine andere Form der Therapie nach sich zieht, vor allem pharmakologisch ( vgl. ebd.), sollte diese auch entsprechend modifiziert werden, um Nachteile für den Patienten zu vermeiden (vgl. Meister 2007, S.4).
In der Literatur wird kontrovers diskutiert ob es psychosespezifische Vorstadien, wie die Prodromalphase, wirklich gibt und wie genau, abgesehen von den unter Punkt 3.2.2. genannten unspezifischen Symptomen, welche auch altersentsprechend und allgemein weit verbreitet sein können, aussehen (vgl. Bock 2006, S.29). Die beiden großen Diagnoseschlüssel, das DSM-IV (American Psychiatric Association (APA), 1996) oder das ICD-10 (WHO, 2000) erlauben keine Diagnose des Prodromalstadiums. Dies ergibt sich daraus, dass dieses Prodromalstadium bzw. die unspezifischen Symptome oder sozialen Auffälligkeiten erst im Nachhinein, durch den darauf folgenden Ausbruch der Psychose, definiert wird (vgl. Bock 2006, S.29). Eine Psychose sollte erst dann diagnostiziert werden, wenn sich die Anzeichen der Erkrankung bereits im „Überschwelligen“ Bereich befinden und somit innerhalb der aktuellen Diagnosesysteme „sichtbar“ sind (vgl. Meister 2007, S.5).
„Bleiben wesentliche Veränderungen in einem zeitlichen Rahmen von etwa vier Wochen bestehen, dann sprechen wir von psychotischen Episoden oder depressiven Krisen. Erst wenn dieser zeitliche Rahmen deutlich verlassen wird, ist die Diagnose einer schizophrenen oder affektiven Psychose zulässig.“ (Bock 2006, S.24)
„Wir wissen letztlich nicht, ob ein günstiger Krankheitsverlauf der besonderen Persönlichkeit des Patienten, den Ressourcen seiner Umgebung, der guten Behandlung oder der Besonderheit der Erkrankung zuzuschreiben ist. Vermutlich spielt alles zusammen.“ (Bock 2006, S.27)
Generell kann der Verlauf der Erkrankung sehr unterschiedlich sein, verschiedene Langzeit-Katamnesen (Bleuler 1972; Huber 1980) haben als Ergebnis erbracht, dass in etwa ein Drittel der Patienten nach einer oder mehreren Psychosen völlig genesen und nicht mehr psychotisch werden. Ein zweites Drittel muss nach einer Psychose mit geringen Beeinträchtigungen leben und kann in neuen belastenden Situationen erneut psychotisch dekompensieren. Das letzte Drittel muss mit deutlicheren Beeinträchtigungen leben und das Leben entsprechend dieser neu gestalten oder Hilfen in Anspruch nehmen, die dem Ausgleich der Beeinträchtigungen dienen (vgl. Bock 2006, S.27).
Entgegen dieser Drittelung in Bezug auf die Prognose des Verlaufs stehen die Ergebnisse neuerer Nachuntersuchungen, nach denen 58% der Patienten (Shepherd et al. 1989) unter keinerlei späteren Beeinträchtigungen zu leiden haben (vgl. ebd.).
Als Outcome (Verlaufsausgang) ist der zu einem bestimmten Zeitpunkt erfasste Status in Bezug auf die verschiedenen vorher definierten Beurteilungsebenen, wie z. B. das psychosoziale Funktionsniveau, zu verstehen (vgl. Gaebel 2007, S.13). „Mit zunehmender Verlaufsdauer reflektiert er das Ergebnis des spontanen Krankheitsverlaufs und damit die durchschnittliche Richtungsprognose.“ (ebd.)
In der Literatur werden folgende Prädiktoren genannt, die den Verlauf der Erkrankung günstig beeinflussen können:
- der biographisch spätere Krankheitsbeginn
- möglichst viel Lebenserfahrung vor der Erkrankung
- vielfältige Bewältigungsstrategien
- die affektive Ausdrucksfähigkeit
- soziale Ressourcen
- ein stabileres familiäres Umfeld
- eine frühzeitige Behandlung, die nicht stigmatisiert und etikettiert (vgl. Bock 2006, S.27f.)
- das weibliche Geschlecht (Emsley et al. 2006; Loebel et al. 1992)
- die Abstinenz von Drogen (Lambert et al. 2005)
- ein akuter Krankheitsbeginn
- geringere Isolationstendenz
- eine heterosexuelle Paarbeziehung vor Krankheitsausbruch
- eine vorhandene allgemeine „Normalität“ zwischenmenschlicher Kontakte und das Vorhandensein von einer Arbeitsstelle sowie materielle Sicherheit (vgl. Alanen 2001, S.55).
Innerhalb des finnischen New-Schizophrenic-Patients-Projektes (NSP-Projektes; s.a. Alanen 2001) erwiesen sich bei erstmals aufgenommenen Patienten die psychosozialen Faktoren als prognostisch aussagekräftiger für die weitere Entwicklung als die klinische Symptomatik. Dieser Faktor wurde von Salokangas und Kollegen (1989) als die Fähigkeit oder Unfähigkeit, das Leben in den Griff zu bekommen beschrieben. Das bedeutet, „ob der Patient zum Zeitpunkt der Aufnahme seine Erwartungen hinsichtlich Altersangemessener Ziele gegenüber seinen Mitmenschen und einem sozialen Leben aufrechterhält oder aufgibt.“ (Alanen 2001, S.55)
Allerdings gilt es in Bezug auf die Verlaufprognose zu beachten, dass alle Faktoren auf Durchschnittswerten beruhen und es Ausnahmen im Einzelfall gibt (vgl. Alanen 2001, S.56). So schreibt Luc Ciompi: “Für jeden, der mit „Schizophrenie“ nicht automatisch einen schlechten Verlauf verbindet, zeigt die enorme Vielfalt von möglichen Entwicklungen, dass es keineswegs so etwas wie einen typischen Verlauf der Schizophrenie gibt.“ (Ciompi 1980, S.420)
Da diese Arbeit auch die Möglichkeiten der Vermeidung von einer Chronifizierung beinhaltet, möchte ich im Folgenden auf die wesentlichen Probleme die mit der Chronifizierung in Verbindung gebracht werden, eingehen.
„Bei der Chronifizierung spielen Krankheitssymptome im engeren Verständnis eine geringe Rolle, sondern viel mehr die psychologischen und sozialen Folgen der Erkrankung. In diesem Sinne ist Chronifizierung mehr durch Funktionsverlust, Einschränkungen der sozialen Kompetenz, ungünstige Krankheitsbewältigung und Reduktion des sozialen Netzes gekennzeichnet. Kennzeichen der Chronizität sind die Restriktion und Problemdeterminierung.“ (Hunold & Rahn 2000, S.29)
Allgemein wird eine Behandlung angestrebt, die einem ungünstigen Verlauf bis zur dauerhaften Manifestation von Symptomen bzw. Einschränkungen entgegenwirken soll. Die wesentlichen Ziele der Behandlung von Ersterkrankten werden wie folgt formuliert, wobei die jeweiligen Ersterkranktenprojekte bzw. Versorgungseinrichtungen ihren Fokus jeweils auf andere Schwerpunkte legen:
1. Verkürzung der Dauer der unbehandelten Erkrankung, also die Früherkennung
2. Frühzeitige und intensive Behandlung, die Frühintervention
3. kontinuierliche, bedürfnisangepasste und setting-übergreifende Langzeitbehandlung (vgl. Lambert 2007, S.10).
Eine Spezialisierung auf die Ersterkrankten und das Sichern von dauerhafter Behandlungskontinuität, um einen schlechten Verlauf der Krankheit und eine Chronifizierung verhindern zu können, ergibt sich aus folgenden Gesichtspunkten:
- Die fehlende Behandlungsbereitschaft: Ein häufiges Szenario bei der Behandlung von Menschen mit Psychose ist, dass deren Angehörige den Kontakt zum Hilfesystem herstellen um Hilfe für ihre psychotischen Kinder zu erbitten. Vor diesem Zeitpunkt liegt meist eine gewisse Zeit der Erkrankung, einhergehend mit negativen Folgen für den Menschen. (s.o. 3.2.1.). Ebenso verweigern die Erkrankten häufig jede Art von Kontakt bzw. von Behandlung. Diese Tatsachen führen zu der Annahme, dass eine Früherkennung mit aufsuchender Behandlung in Kombination mit einer Aufklärung der Gesellschaft zur Erhöhung der Auffindungsrate und zur Möglichkeit der frühzeitigeren und damit möglicherweise erfolgreicheren Therapie führt (vgl. ebd., S.10).
- Die behutsame Erstbehandlung: Es wird eine Behandlung angestrebt, die von psychosozialen Interventionen, Aufklärung und Reduzierung der Ängste und Vorbehalte geprägt ist. Da aber, wenn der Mensch zum ersten Mal mit dem psychiatrischen Hilfesystem in Kontakt tritt, meist eine stationäre Aufnahme mit verschiedensten anderen psychisch erkrankten Menschen auf einer Akutstation, einhergehend mit inadäquater Pharmakotherapie folgt, wäre eine Konzeption der Erstbehandlung dahingehend, einem Behandlungsabbruch entgegen zu wirken sinnvoll und wünschenswert. Die genannte inadäquate Pharmakotherapie zieht neben der Reduzierung der Compliance auch Einschränkungen der Emotionalität und Motivation nach sich, welche die Unzufriedenheit mit der Behandlung und somit die Chance auf einen Behandlungsabbruch erhöhen (vgl. ebd., S.11).
- Die diagnostische Instabilität: Wie in Punkt 3.3. schon beschrieben, ist die richtige Diagnose am Anfang der Behandlung äußerst schwierig zu stellen. Da aber von ihr die Form der Therapie abhängt, insbesondere auch der Pharmakotherapie, wäre eine kontinuierliche Behandlung mit wiederholten diagnostischen Untersuchungen, in Verbindung mit einer Anpassung der Therapie, wünschenswert. So werden ca. 30-40% der Patienten mit einer psychotischen Erstmanifestation „falsch“ diagnostiziert (s. Anhang 1). Durch niedrigfrequente und kurze ambulante Kontakte besteht zusätzlich die Gefahr, dass Verläufe übersehen werden. Dies kann eine erniedrigte Remmissionsrate, ein erhöhtes Rückfallrisiko einhergehend mit den entsprechenden psychosozialen Konsequenzen zur Folge haben (ebd., S.11).
- Das Problem der zusätzlichen Suchterkrankung: Die Forschung hat erbracht, dass bei bis zu 60% (Lambert et al. 2005) der meist jungen an einer Psychose erkrankten Menschen zusätzlich eine Suchtstörung in Form von Cannabismissbrauch vorliegt. Frühere Studien zu „Psychose und Sucht" untersuchten vorwiegend den Einfluss einer komorbiden Suchtstörung bei Aufnahme für den Verlauf der Psychose. In der Studie von Lambert und Kollegen (2005) wurde untersucht, inwieweit der Verlauf der Sucht mit dem Verlauf der Psychose zusammenhängt. Hierzu wurden über einen Zeitraum von 18 Monate drei „Substance-Use-Disorder-Gruppen“ (SUD) gebildet:
- (a)Patienten ohne Suchtstörung bei Aufnahme und im Verlauf der Behandlung,
- (b) Patienten mit Suchtstörung bei Aufnahme und im Verlauf eine Reduktion von mindestens 50% der Suchtstörung über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten („Remittierte SUD“) und
- (c) Patienten mit einer Suchtstörung bei der Aufnahme und im Verlauf keine Veränderung oder Zunahme des Substanzkonsums („Persistierende SUD“).
Im Ergebnis zeigte sich, dass eine vorhandene Suchtstörung bei Aufnahme nicht prädiktiv für den Verlauf der Erkrankung ist. So zeigt sich dass eine "persistierende SUD" der stärkste Prädiktor für die Nichtremission positiver Symptome nach 18 Monaten ist (vgl. Meister 2007, S.13). So remittieren lediglich ein Drittel der Patienten. Ebenso zeigte sich, dass die Patienten mit "remittierter SUD" eine genauso gute Chance auf Remission haben, wie die Patienten ganz ohne Suchtstörung (ebd.), dies trifft auf zwei Drittel der Patienten, welcher Symptomfreiheit erreichten, zu (vgl. Lambert 2007, S.11). Daraus ergibt sich, dass jeder an einer Psychose (Erst-) erkrankter auf eine zusätzliche Suchtstörung hin untersucht werden muss, falls eine Suchtstörung vorliegt, muss eine entsprechende Intervention Bestandteil der Therapie sein (vgl. ebd.).
- Das Problem der Therapieresistenz: Nach Studienlage remittieren ca. 20-30% der an einer Psychose erkrankten Menschen nach der Erstbehandlung nicht und sind trotz Behandlung weiterhin dauerhaft psychotisch (vgl. ebd., S.11). Ebenso besteht eine hohe Rückfallrate in den ersten fünf Jahren, diese liegt bei ca. 80% (Robinson et al. 2004). Durch beide Faktoren steigt die Gefahr für einen chronifizierten Verlauf. Der Verlauf lässt sich bei zwei Drittel der Patienten in den ersten drei Monaten der Behandlung prognostizieren. Der Gefahr eines chronifizierten Verlaufs könnte eine rechtzeitige Prognose des Verlaufs mit einer entsprechenden Anpassung der Behandlung entgegenwirken (vgl. Lambert 2007, S.11).
- Das Problem des vorzeitigen Behandlungsabbruchs: Nach Studienlage brechen ca. 20-30%, der an einer Psychose erkrankten Menschen, die Therapie ab, vor allem die, die sich in Therapie in einem ambulanten Setting befinden (vgl. ebd., S.12). Ebenso muss davon ausgegangen werden, dass ein Behandlungsabbruch einen schlechteren Verlauf, bis hin zur Chronifizierung, nach sich ziehen kann (vgl. ebd.). Eine aufsuchende Behandlungsform, wie z.B. das „home–treatment-Konzept“ (vgl. Bock 2006, S.87) in Kombination mit einer strukturübergreifenden kontinuierlichen Gewährleistung der therapeutischen Begleitung (vgl. ebd., S.85) könnte dem entgegenwirken.
- Die Reintegration: Unter dem Begriff Reintegration wird hier mehr verstanden, als ein regelmäßiger Arztbesuch und die medikamentöse Compliance. Durch die übliche Behandlung, einhergehend mit längerfristigem Krankenhausaufenthalt, fällt es vielen Patienten, vor allem Ersterkrankten, äußerst schwer, wieder in den normalen Alltag zurückzukehren. Dies gilt insbesondere für die Weiterführung der schulischen bzw. beruflichen Laufbahn (vgl. Lambert 2007, S.12). So wäre eine Behandlung, möglichst vor Ort, die Maßnahmen mit einbezieht, die auf eine Reintegration in den genannten Bereichen abzielt, wünschenswert, um den Schwierigkeiten, sich im Alltag zurechtzufinden, entgegenzuwirken. Dies ist bis jetzt in Deutschland selten der Fall (ebd.). Das „Dane-County-Projekt“ von Stein & Test, welches in den 70er Jahren in den USA durchgeführt wurde (Stein & Test 1980) und hauptsächlich aus einem Programm bestand, das sich „Training des Gemeinschaftslebens“ nannte und auf die genannten Punkte abzielte zeigte, dass sich der Krankenhausbedarf der Patienten erheblich mindern lässt und sich gleichzeitig die Bewältigungsmöglichkeiten der Patienten gleichermaßen steigern lässt.
- Die Qualität der Behandlung: Viele Studien sind zu dem Ergebnis gekommen, dass ein breit gefächertes Therapieangebot, welches eine Kombination aus psychosozialen und pharmakologischen Interventionen beinhaltet zum besten Erfolg führt (vgl. Lambert 2007, S.12). Hierzu zählen insbesondere familientherapeutischen Verfahren (Alanen 2001; Sachs 2007; Pitschel-Walz et al. 2003), psychotherapeutische Verfahren (Sachs 2007; Alanen 2001), Psychoedukation für die Betroffenen und deren Familien (Pekkala & Merinder, 2000), Verhaltenstherapie (Sachs 2007), soziales Kompetenztraining (Sachs 2007) bzw. Training sozialer Fertigkeiten (Muijen et al. 1992), kognitives Training und kognitive Rehabilitation, Arbeitsrehabilitation (Sachs 2007) und die Erarbeitung einer gemeinsamen Compliance (Bock, 2006).Eine ausschließlich ambulante Versorgung kann die nötigen Therapien möglicherweise nicht bereitstellen bzw. es könnte die notwendige Vernetzung fehlen (vgl. Lambert 2007, S.12). So wäre die Etablierung von regional organisierten, settingübergreifend arbeitenden Zentren, die eine langfristige, kontinuierliche, multimodale und bedürfnisorientierte Behandlung bereitstellen können, wünschenswert.
- Die Kosten: Es wird davon ausgegangen, dass die Behandlung und Versorgung psychisch erkrankter Menschen mit sehr hohen Kosten für die Gesellschaft verbunden sind. In der Literatur werden für die Behandlung und Versorgung von an Schizophrenie erkrankten Menschen jährlich für Deutschland Summen zwischen 4,5 (Bestehorn et al. 1999) und 8 Milliarden Euro genannt (Lambert 2007). Da die Kosten für die Behandlung und Versorgung immer auch ein Argument sind könnten diese durch Verkürzung der Liegezeiten, dem Ausbau der ambulanten Versorgung, der Vermeidung der Manifestation des Vollbildes einer Schizophrenie durch Frühbehandlung, der frühzeitiger Reintegration in das Arbeitsleben, der Verminderung der Anzahl von Frühberentungen und der nachhaltige Verbesserung der Behandlung, verbunden mit besseren Therapieerfolgen, gesenkt werden. Das Universitätsklinikum Eppendorf hat zum Beispiel durch interne Berechnungen eine Einsparung von ca. 5-7 Millionen Euro, über einen Zeitraum von drei Jahren, bei gleichzeitiger zusätzlicher Aufwendung von ca. 2 Millionen Euro für neue ambulant arbeitende Mitarbeiter errechnet, wenn dadurch die Liegezeiten in der Akutstation verkürzt bzw. vermieden werden würden (vgl. Lambert 2007, S12ff.).
Im Folgenden stelle ich die Entwicklung, das Konzept, die Besonderheiten und die zentralen Behandlungsprinzipien des Modells der Bedürfnisangepassten Behandlung dar.
„Als übergeordnetes Ziel unseres integrierten finnischen Modells ging es im weiteren Sinne darum, eine neue Behandlung für erstmals erkrankte Patienten mit schizophrenen Psychosen zu entwickeln, welche
a) vorrangig psychotherapeutisch,
b) in umfassender weise systemisch und psychodynamisch und
c) generell im öffentlichen psychiatrischen Versorgungssystem anwendbar sein sollte.“ (Alanen et al. 2003, S.65)
Die Grundlage für die Entwicklung des Ansatzes war die Erkenntnis, die bereits Bleuler (1911) hatte, dass es sich bei den an schizophrenen Störungen Erkrankten um eine besonders heterogene Gruppe Patienten in Bezug auf klinischer Symptome, ihrer Prognose, sowie der psychischen und sozialen Situation handelt. Diese Erkenntnis führte zu einer Vielfalt an therapeutischen Herausforderungen, da die Entwickler den Anspruch hatten, auf jeden Menschen, der an einer schizophrenen Psychose leidet, flexibel und individuell einzugehen, um mit diesem und seinem Umfeld Deutungen der Situation zu erarbeiten und individuelle therapeutische Bedürfnisse zu erarbeiten. Daher kommt auch der Name „Bedürfnissahngepasste Behandlung“ bei Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis (vgl. ebd.).
„Was wir vorschlagen ist ein hermeneutischer Zugang: die Probleme und die therapeutische Situation psychologisch zu verstehen und auf der Basis dieses Verständnisses zu behandeln.“ (Alanen 2001, S.195)
1968 übernahm Yrjö O. Alanen die Leitung der Psychiatrischen Universitätsklinik in Turku und leitete eine Periode der intensiven milieutherapeutischer Behandlung in der Klinik ein. Das Hauptaugenmerk der Bemühungen war von Beginn an auf ersterkrankte psychotische Patienten gerichtet und die zentrale Idee war, durch eine effektive psychosoziale Interventionen eine Chronifizierung so weit wie möglich zu verhindern (vgl. Aderhold & Greve 2004, S.5).
Der Kern des Ansatzes wurde über drei Jahrzehnte kontinuierlich in Verbindung mit dem Schizophrenieprojekt in Turku entwickelt. In vielen weiteren Regionen Finnlands, Norwegens, Schwedens und Dänemarks ist er bis heute implementiert und zum Teil weiterentwickelt worden (s.u. 5.1.ff.). Die Chancen Erfahrungen in einem größeren geographischen Raum zu machen ergab sich aus der Tatsache, dass die Entwickler dieses Ansatzes, im Rahmen eines nationalen Entwicklungsprogrammes für Forschung, Behandlung und Rehabilitation, welches in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts in Finnland durchgeführt wurde, tätig waren. „Dieses Finnische Nationale Schizophrenieprojekt hatte zum Ziel, die Krankenhausorientierung bei der Behandlung zu verringern, dabei wollte man besonders eine Reduzierung sowohl der neuen als auch der alten schizophrenen Langzeitpatienten in allen an der Versorgung beteiligten Krankenhäusern während eines Zeitraums von zehn Jahren erreichen.“ (Alanen 2001, S.184)
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